Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.519/2007
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5A_519/2007 /bnm

Urteil vom 10. Oktober 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,
Postfach 412, 9001 St. Gallen,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung V, Unterstrasse
28,
9001 St. Gallen.

Fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, Abteilung V, vom 19. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (Beschwerdeführer) leidet seit seiner Jugend unter einer ... und
war aus diesem Grund bis Februar 2007 bereits 31-mal in der Psychiatrischen
Klinik A.________, aber auch mehrmals in der KPK B.________ hospitalisiert.
Er ist IV-Rentner und steht seit dem 9. Juli 1993 unter Vormundschaft. Zur
Zeit hat er keinen festen Wohnsitz. Am 4. Mai 2007 wurde der Beschwerdeführer
vom Amtsarzt des Kantons St. Gallen in die KPK A.________ eingewiesen,
nachdem er am Bahnhof C.________ mit seinen Schuhen auf einen Bahnbeamten
eingeschlagen hatte und mehrmals durch sein aggressives Verhalten aufgefallen
war.

B.
B.aGestützt auf den von der Vormundschaftsbehörde der Stadt C.________ in
Auftrag gegebenen Bericht von Dr. med. Y.________, Oberarzt der KPK
A.________, beantragte der Vormund des Beschwerdeführers am 14. Mai 2007,
diesen nach erfolgter medizinischer Stabilisierung und medikamentöser
Einstellung in das Zentrum D.________ einzuweisen. Am 2. Juli 2007 wurde der
Beschwerdeführer zum vorgesehenen Übertritt in das Zentrum D.________ von
einem Mitglied der Vormundschaftsbehörde im Beisein einer juristischen
Sekretärin persönlich angehört und über den Bericht von Dr. med. Y.________
in Kenntnis gesetzt. Mit Präsidialbeschluss der Vormundschaftsbehörde vom
3. Juli 2007 wurde der Beschwerdeführer schliesslich von der KPK A.________
in das Zentrum D.________ verlegt.

B.b Dagegen klagte der Beschwerdeführer bei der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, welche mit Entscheid vom 19. Juli 2007 sein Begehren
um Rückversetzung in KPK oder gar um Entlassung abwies.

C.
Gegen diesen Entscheid gelangt der Beschwerdeführer mit Beschwerde in
Zivilsachen an das Bundesgericht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid
aufzuheben und ihn sofort aus dem Zentrum D.________ zu entlassen. Für das
bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.

Die Verwaltungsrekurskommission beantragt Abweisung der Beschwerde. Der
Beschwerdeführer hat sich im Nachgang zur Stellungnahme der
Verwaltungsrekurskommission erneut vernehmen lassen, worauf sich der
Präsident der Verwaltungsrekurskommission ebenso erneut äusserte.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75 Abs. 1
BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung, gegen den die Beschwerde
in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Mit der
Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden
(Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das
Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des
Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG).

2.
Strittig ist im vorliegenden Fall, ob der Beschwerdeführer im Rahmen eines
fürsorgerischen Freiheitsentzuges im Zentrum D.________ zurückbehalten werden
darf. In diesem Zusammenhang macht der Beschwerdeführer als Erstes im
Wesentlichen geltend, der angefochtene Entscheid stelle ihn mit den im
Zentrum D.________ im Rahmen eines strafprozessualen Vollzugs Untergebrachten
gleich, obwohl keine sachlichen Gründe diese Gleichstellung zu rechtfertigen
vermöchten. Dementsprechend verletze der angefochtene Entscheid das
verfassungsmässig garantierte Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 BV).

Mit diesen Ausführungen kritisiert der Beschwerdeführer einerseits im
Ergebnis, dass er nicht wie andere Geisteskranke in der Psychiatrischen
Klinik A._______ untergebracht bleibt, wo er sich bis anhin aufgehalten
hatte. Anderseits wird auch die Eignung der Zentrum D.________ zur Behandlung
der bei ihm festgestellten Krankheit in Frage gestellt. Die Erörterungen
betreffen die Anwendung der Bestimmung über die fürsorgerische
Freiheitsentziehung, mithin von Art. 397a ZGB, und hier insbesondere die
Frage nach der Eignung der im konkreten Fall gewählten Einrichtung. Ob eine
Einrichtung geeignet ist, prüft das Bundesgericht als Rechtsfrage mit voller
Kognition. Der angesprochenen Garantie von Art. 8 BV kommt insgesamt keine
eigenständige Bedeutung zu, was der Beschwerdeführer denn auch nicht
sachgerecht behauptet. Auf die entsprechende Rüge ist somit nicht
einzutreten.

3.
Gemäss Art. 397a ZGB darf eine mündige Person namentlich wegen
Geisteskrankheit in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder
zurückbehalten werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders
erwiesen werden kann. Was unter einer geeigneten Anstalt zu verstehen ist,
umschreibt das Bundesrecht nicht näher (BGE 112 II 486 E. 3, auch zu den
Gründen; zum Begriff der Anstalt allgemein BGE 121 III 306 E. 2b S. 308). Aus
dem in der genannten Bestimmung erwähnten Zweck der Freiheitsentziehung, der
eingewiesenen Person die nötige persönliche Fürsorge zu erbringen, ergibt
sich aber, dass es sich um eine Institution handeln muss, die mit den ihr
normalerweise zur Verfügung stehenden organisatorischen und personellen
Mitteln in der Lage ist, die wesentlichen Bedürfnisse der eingewiesenen
Person bezüglich Fürsorge und Betreuung zu befriedigen (BGE 112 II 486 E. 4c
S. 490; 114 II 213 E. 7 S. 218). Mithin muss im Einzelfall das Betreuungs-
und Therapieangebot der Anstalt den vorrangigen Bedürfnissen der betroffenen
Person entsprechen (BGE 112 II 486 E. 5 und 6 S. 490 ff.).
3.1 Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, als geeignete Anstalt
verstehe man bei Geisteskranken grundsätzlich eine psychiatrische Klinik.

Eine Strafanstalt kommt ausnahmsweise als Anstalt im Sinn von Art. 397a ZGB
in Frage, wenn sie die wesentlichen Bedürfnisse der eingewiesenen Person
bezüglich Fürsorge und Betreuung zu befriedigen vermag (BGE 112 II 486 E. 4c
S. 490; 114 II 213 E. 7 S. 218). Nach den Feststellungen des angefochtenen
Entscheids handelt es sich beim Zentrum D.________ seit April 2006 nicht mehr
um eine Strafanstalt für den Normalvollzug; es dient gemäss Art. 3 Abs. 2 der
Verordnung über Gefängnisse und Vollzugsanstalten (SGS 962.14) der
Unterbringung von erwachsenen Personen zum Vollzug von strafrechtlichen und
vormundschaftlichen Massnahmen. Laut Botschaft der Regierung des Kantons St.
Gallen vom 13. August 1992 zum Grossratsbeschluss über die Umgestaltung der
Anstalt D.________ in eine Massnahmeanstalt (sGS 962.95) ist das Zentrum
D.________ neben dem Vollzug von strafrechtlichen Massnahmen ausdrücklich
auch auf den Vollzug von fürsorgerischen Freiheitsentziehungen ausgerichtet.
Das Personal ist für die Betreuung von Personen geschult, welche sich im
Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung im Zentrum D.________
aufhalten. Auf der offenen, für die Unterbringung von zwölf Personen
ausgerichteten Wohngruppe des Beschwerdeführers arbeiten zwei
Psychiatriepfleger und zwei Sozialpsychologen, wobei das Zentrum eng mit der
KPK A.________ zusammenarbeitet. Mindestens alle zwei Wochen besucht ein
Klinikarzt die Kranken. Schliesslich ist auch die hausärztliche Versorgung
sichergestellt. Wie die Vorinstanz zu Recht angenommen hat, handelt es sich
somit beim Zentrum D.________ um eine geeignete Anstalt im Sinn von Art. 397a
ZGB.

3.2 Der Beschwerdeführer lässt weiter im Wesentlichen ausführen, auch wenn
die Anstalt als geeignet betrachtet werde, sei nicht ersichtlich, inwiefern
durch die dortige Unterbringung einer "Chronifizierung" der seit der
Jugendzeit bestehenden Krankheit entgegengetreten werden könnte. Im
angefochtenen Entscheid werde nicht dargetan, inwiefern der Beschwerdeführer
im Massnahmezentrum besser innert absehbarer Zeit zur Selbstständigkeit und
Eigenverantwortung therapiert werden könnte als in der psychiatrischen
Klinik. Weiter gelte es zu beachten, dass die Unterbringung im Zentrum
subsidiär zur Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu erfolgen habe. Es
sei fragwürdig, weshalb der Beschwerdeführer nach 31 Aufenthalten in der
psychiatrischen Klinik "präsidialiter" in das Zentrum D.________ habe
überwiesen werden müssen. Im Zentrum werde der Beschwerdeführer nun
offensichtlich strenger geführt, unterstehe somit ohne plausible Gründe einer
rigiden Disziplinargewalt, ohne dass eine Rechtfertigung dafür ersichtlich
wäre. Auch insoweit sei diese Massnahme unverhältnismässig.

Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich, dass die zahlreichen Versuche,
dem Beschwerdeführer in der Psychiatrischen Klinik A.________ zu helfen,
gescheitert sind, weshalb es durchaus angebracht war, nach einer neuen, die
Bedürfnisse des Beschwerdeführers besser abdeckenden Lösung zu suchen. Zudem
steht zum heutigen Zeitpunkt laut den Feststellungen im angefochtenen
Entscheid nicht mehr die medizinische Therapie im Vordergrund, sondern die
Förderung der Kompetenzen des Beschwerdeführers im Alltags- und
Beschäftigungsbereich (Entscheid S. 15 E. 3c), was der Beschwerdeführer an
sich nicht in Frage stellt. Mit dem nunmehr gewählten Therapiekonzept soll
mit anderen Worten versucht werden, auf den Beschwerdeführer eine
erzieherische Wirkung auszuüben, damit er nach der Wiedererlangung der
Freiheit in der Lage ist, sein Leben aus eigener Kraft in die Hand zu nehmen.
Dies entspricht dem Zweckgedanken der fürsorgerischen Freiheitsentziehung
(BGE 112 II 486 E. 3 S. 488). Dass die Klinik, bei der die ärztliche
Behandlung im Vordergrund steht, für dieses Therapiekonzept nicht geeignet
ist, erscheint - nicht zuletzt aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen -
nachvollziehbar. Im Lichte dieser Ausführungen und unter besonderer
Berücksichtigung der bisher erfolglosen Unterbringung in der Psychiatrischen
Klinik und der verschiedenen von Gewalt und Drohungen gegenüber anderen
Menschen geprägten Auftritten des Beschwerdeführers im Rahmen seiner
Aufenthalte in Freiheit erscheint die Überweisung in das Massnahmezentrum als
gerechtfertigt und verhältnismässig. Die vom Beschwerdeführer gewünschte
Entlassung in die Freiheit kommt schon deshalb nicht in Frage, da er über
kein soziales Netz verfügt, keiner Beschäftigung nachgeht, obdachlos ist und
in der Unterkunft für Obdachlose mit einem Hausverbot belegt ist. Alle
bisherigen Versuche, dem Beschwerdeführer ein selbstständiges Wohnen zu
ermöglichen, sind gescheitert, weshalb derzeit nach den Feststellungen des
angefochtenen Entscheides ein längerer selbstständiger Aufenthalt des
Beschwerdeführers in einem von ihm selbst gewählten Hotel ausgeschlossen ist.
Die verfügte Überweisung ist damit weder unverhältnismässig noch sonst wie
bundesrechtswidrig. Die vom Beschwerdeführer in seiner Replik vom 27.
September 2007 geäusserten Einwände vermögen an diesem Ergebnis nichts zu
ändern.

4.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
im konkreten Fall ausnahmsweise keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist zu
entsprechen, soweit dieses nicht gegenstandslos geworden ist. Der
Beschwerdeführer ist seinen Ausführungen zufolge bedürftig und die Sache
erschien nicht von vornherein völlig aussichtslos. Dem Beschwerdeführer wird
ein amtlicher Rechtsbeistand beigegeben, der aus der Bundesgerichtskasse zu
entschädigen ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht
gegenstandslos geworden ist.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Beschwerdeführer wird ein unentgeltlicher Rechtsbeistand in der Person
von Rechtsanwalt Roger Burges beigegeben, dem für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse
entrichtet wird.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, Abteilung V, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Oktober 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: