Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.513/2007
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5A_513/2007

Urteil vom 18. Dezember 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ernst Kistler,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Brigitta Vogt Stenz.

Ehescheidung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer,
vom 6. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ und Y.________ heirateten im Mai 1981 vor dem Zivilstandsamt
S.________. Sie haben die gemeinsamen Kinder A.________, geb. im September
1981, und B.________, geb. im Juni 1986. Seit Anfang 2004 leben die Parteien
getrennt.

B.
Am 28. November 2005 verlangte Y.________ die Scheidung.
Mit Urteil des Bezirksgerichts Kulm vom 27. Oktober 2006 wurde die Ehe
geschieden und X.________ u.a. zu nachehelichem Unterhalt von Fr. 1000.-- bis
April 2007 und von Fr. 895.-- für die Zeit danach bis zu seinem Eintritt ins
AHV-Alter verpflichtet.
Mit Bezug auf den nachehelichen Unterhalt erhob X.________ Appellation,
welche das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 6. Juni 2007 abwies.

C.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat X.________ am 12. September 2007
Beschwerde erhoben mit dem Begehren, von der Festsetzung nachehelichen
Unterhalts sei abzusehen. In ihrer Vernehmlassung vom 29. Oktober 2007
schliesst Y.________ auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht hat auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist der in einem kantonal letztinstanzlichen Scheidungsurteil
festgesetzte nacheheliche Unterhalt in einem Fr. 30'000.-- übersteigenden
Umfang; auf die Beschwerde ist somit einzutreten (Art. 72 Abs. 1, Art. 74
Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

2.
Die Parteien pflegten eine klassische Rollenteilung, bei der die Ehefrau die
Kinder grosszog und sich um den Haushalt kümmerte. Infolge der Trennung nahm
sie im November 2005 wieder eine Arbeitstätigkeit auf und erzielt mit einem
80%-Pensum Fr. 2'955.-- netto pro Monat. Beide kantonalen Instanzen haben ihr
jedoch auf der Basis einer Vollzeitstelle ein hypothetisches Einkommen von
Fr. 3'690.-- angerechnet. Das Obergericht hat zwar festgehalten, der Ehefrau
sei eine Ausdehnung der Arbeitstätigkeit kaum möglich, gleichzeitig aber
erwogen, es sei nicht ersichtlich, weshalb sie nicht einer
Vollzeitbeschäftigung nachgehen könne. Ungeachtet dieses Widerspruches wird
das Einkommen von Fr. 3'690.-- von der Ehefrau ausdrücklich anerkannt,
weshalb den nachfolgenden rechtlichen Ausführungen dieser Betrag zugrunde zu
legen ist. Der Ehemann verdient unbestrittenermassen Fr. 5'334.-- netto pro
Monat.

3.
Der Ehemann macht geltend, das Obergericht habe die Prinzipien des "clean
break" und der Eigenversorgung missachtet. Mit einem anrechenbaren Einkommen
von Fr. 3'690.-- könne sich die Ehefrau sogar einen höheren Lebensstandard
leisten als er während der Ehe habe gepflegt werden können.
Die Ehefrau bringt vor, die Ehe sei klarerweise lebensprägend gewesen,
weshalb von der ehelichen Lebenshaltung auszugehen sei und sich der
vorinstanzlich angewandte Berechnungsmodus aufdränge, zumal sich das
Einkommensgefälle in Zukunft noch vergrössern werde und ihr im Unterschied
zum Ehemann mit dem eigenen Einkommen keine Sparquote verbleibe.

4.
Das Obergericht hat die 20-jährige Ehe, aus der Kinder hervorgegangen sind
und die von einer klassischen Rollenteilung geprägt war, zutreffend als
lebensprägend angesehen. Sodann hat es erwogen, diesfalls seien vom
Gesamteinkommen der Parteien die beidseitigen Existenzminima abzuziehen und
der verbleibende Überschuss hälftig zu teilen.
Der Berechnungsmodus der hälftigen Überschussteilung wird bei
durchschnittlichen Einkommensverhältnissen üblicherweise für den
Ehegattenunterhalt während bestehender Ehe gewählt. Für den nachehelichen
Unterhalt ist diese Vorgehensweise jedoch in der Regel unpassend. Wird (bei
lebensprägender Ehe) der nacheheliche Unterhalt mit dem ehelichen
gleichgesetzt, wie es das Obergericht tut, hätte die Scheidung mit Bezug auf
das Unterhaltsrecht gar keine Folgen, sondern würden die Ehegatten ungeachtet
der Scheidung in finanzieller Hinsicht lebenslänglich gleichgestellt. Darauf
gibt Art. 125 ZGB keinen Anspruch; vielmehr endigt die auf Art. 159 Abs. 3
und Art. 163 Abs. 1 ZGB beruhende eheliche Beistands- und Unterhaltspflicht
mit der Scheidung (vgl. auch BGE 127 III 289 E. 2a/aa S. 291). An deren
Stelle kann nachehelicher Unterhalt gemäss Art. 125 ZGB treten. Hierfür ist
bei lebensprägenden Ehen in folgenden drei Schritten vorzugehen (vgl.
5C.149/2004, E. 4.2): Vorab ist der gebührende Unterhalt zu bestimmen, wofür
die massgebenden Lebensverhältnisse der Parteien festzustellen sind; bei
lebensprägender Ehe bemisst sich der gebührende Unterhalt an dem in der Ehe
zuletzt gemeinsam gelebten Standard (zuzüglich scheidungsbedingter
Mehrkosten), auf dessen Fortführung bei genügenden Mitteln beide Teile
Anspruch haben (BGE 132 III 593 E. 3.2 S. 594 f.), der aber gleichzeitig auch
die Obergrenze des gebührenden Unterhalts bildet (BGE 129 III 7 E. 3.1.1
S. 8; 132 III 593 nicht publ. E. 2.2). Sodann ist zu prüfen, inwiefern die
Ehegatten diesen Unterhalt je selber finanzieren können; der Vorrang der
Eigenversorgung ergibt sich direkt aus dem Wortlaut von Art. 125 Abs. 1 ZGB.
Ist diese einem Ehegatten vorübergehend oder dauerhaft nicht möglich bzw.
zumutbar, so dass er auf Unterhaltsleistungen des anderen angewiesen ist,
muss in einem dritten Schritt dessen Leistungsfähigkeit ermittelt und ein
angemessener Unterhaltsbeitrag festgesetzt werden; dieser beruht auf dem
Prinzip der nachehelichen Solidarität (vgl. BGE 127 III 289 E. 2a/aa S. 291;
zur Stufenfolge siehe auch 5C.244/2006, E. 2.4.1).
Entgegen den vorstehenden Ausführungen hat das Obergericht die eheliche
Lebenshaltung der Parteien nicht festgestellt. Auch ohne dahingehende
ausdrückliche Sachverhaltsfeststellung ist aber klar, dass die Lebenshaltung,
die eine Person mit einem Einkommen von Fr. 3'690.-- bestreiten kann, nicht
tiefer liegt, als diejenige, die sich das Ehepaar oder gar der frühere
Vierpersonenhaushalt mit Fr. 5'334.-- hat leisten können, zumal davon
offenbar auch eine gewisse Sparquote abgezweigt worden ist, wie die Ehefrau
in ihrer Vernehmlassung mit Hinweis auf die Bildung von Errungenschaftswerten
festhält. Kein wesentlich anderes Bild ergibt sich für die sechsmonatige
Übergangszeit bis April 2007, welcher das Obergericht sinngemäss noch ein
Einkommen der Ehefrau von Fr. 2'955.-- zugrunde gelegt hat. Vermag aber die
Ehefrau kraft Eigenversorgung am ehelichen Lebensstandard anzuknüpfen, bleibt
kein Raum für nachehelichen Unterhalt.
Der angefochtene Entscheid ist demnach aufzuheben und von der Festsetzung
nachehelichen Unterhalts ist abzusehen.

5.
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). Für das
kantonale Verfahren ist die Kostenfestsetzung und -verteilung entsprechend
dem neuen Verfahrensausgang durch das Obergericht vorzunehmen (Art. 68 Abs. 5
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde wird das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 6. Juni 2007 aufgehoben und das Begehren der Beschwerdegegnerin um
Zuspruch nachehelichen Unterhalts abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Dezember 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Möckli