Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.474/2007
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5A_474/2007 /bnm

Urteil vom 19. September 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische
Freiheitsentziehungen,
Postfach 7475, 3001 Bern.

fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern,
kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, vom
20. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Gemäss einer Aktennotiz des Regierungstatthalteramtes vom 3. August 2007 soll
Y.________ von X.________ (Beschwerdeführer) am 29. Juli 2007 tätlich
angegriffen und am Kopf verletzt worden sein. Anlässlich der polizeilichen
Befragung gab der Beschwerdeführer an, er habe bei Y.________ sein Material
abholen wollen. Beim Verladen sei Y.________ dazu gekommen und habe ihn mit
seinem Stock auf den Hut geschlagen. Nachdem Y.________ seiner Aufforderung,
damit aufzuhören, nicht Folge geleistet habe, habe er (der Beschwerdeführer)
ihm "eine geschmiert" (Urteil E. 3c und 4). Mit Verfügung des
Regierungsstatthalters von A.________ vom 14. August 2007 wurde der
Beschwerdeführer in das Psychiatriezentrum B.________ eingewiesen und die
Direktion der Anstalt mit der Begutachtung beauftragt.

B.
Dagegen gelangte der Beschwerdeführer gleichentags an das Obergericht des
Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische
Freiheitsentziehungen, welches den Rekurs nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 20. August 2007 abwies und überdies feststellte, dass die gesetzliche 6
Wochenfrist am 24. September 2007 abläuft (act. 3).

C.
In dem am 3. September 2007 beim Bundesgericht eingegangenen Schreiben
ersucht der Beschwerdeführer um sofortige Entlassung (act. 1).

Das Obergericht verweist auf sein Urteil und verzichtet auf eine
Vernehmlassung (act. 5).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75
Abs. 1 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung, gegen den die
Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG).
Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt
werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Eingabe des Beschwerdeführers ist als
Beschwerde in Zivilsachen entgegen zu nehmen.

1.2 Die Legitimation zur Beschwerde setzt unter anderem ein rechtlich
geschütztes Interesse voraus (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Nach dem
angefochtenen Urteil läuft die "gesetzliche 6 Wochenfrist" am 24. September
2007 ab. Artikel 17 Abs. 2 des bernischen Gesetzes über die fürsorgerische
Freiheitsentziehung und andere Massnahmen der persönlichen Fürsorge (FFEG;
213.316) bestimmt, dass die durch vorsorgliche Massnahme untergebrachte
Person spätestens nach sechs Wochen zu entlassen ist, sofern nicht innert
Frist im ordentlichen Verfahren eine (erneute) fürsorgerische
Freiheitsentziehung angeordnet wird. Zwar liegt der gesetzlich vorgesehene
Entlassungstermin nicht mehr fern; doch ist der Termin nicht definitiv,
sondern kann durch eine im ordentlichen Verfahren erneut angeordnete
Freiheitsentziehung immer wieder hinausgeschoben werden. Unter diesen
Umständen verfügt der Beschwerdeführer über ein rechtlich geschütztes
Interesse an der Behandlung der Beschwerde.

2.
Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Die Zurückbehaltung in einer Anstalt kann nur
unter den in Art. 397a Abs. 1 ZGB aufgeführten Voraussetzungen erfolgen (vgl.
Botschaft des Bundesrates über die Änderung des schweizerischen
Zivilgesetzbuches [Fürsorgerische Freiheitsentziehung] und den Rückzug des
Vorbehaltes zu Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, BBl. 1977 III S. 27). Wie bei der Einweisung in eine Anstalt
(vgl. Schnyder, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung, in Zeitschrift für
öffentliche Fürsorge, 1979, S. 119) ist somit auch bei der Zurückbehaltung
des oder der Betroffenen als der anderen Form des Freiheitsentzuges
(BBl. 1977 III S. 27) das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu
berücksichtigen; vorausgesetzt ist mit anderen Worten, dass der oder die
Betroffene infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher
Fürsorge bedarf, die ihm bzw. ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann
(BGE 114 II 213 E. 5). Zu berücksichtigen ist ferner die Belastung, welche
die Person für ihre Umgebung bedeutet (Art. 397a Abs. 2 ZGB). Nach der
ausdrücklichen Vorschrift des Art. 397a Abs. 3 ZGB muss denn auch die von der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Person entlassen werden,
sobald ihr Zustand es erlaubt.
Die Zurückbehaltung in einer Anstalt im Rahmen der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung ist namentlich gerechtfertigt, wenn im Fall der
Entlassung die professionelle Nachbetreuung der betroffenen Person nicht
sichergestellt ist, wenn diese über keine Wohngelegenheit verfügt, ihr
Verwahrlosung droht oder wenn sie sich selbst oder andere gefährdet.

2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die rechtlichen Probleme, mit denen
er sich auseinanderzusetzen habe, rechtfertigten keine fürsorgerische
Freiheitsentziehung (act. 1).

2.2 Der Beschwerdeführer weist eine Persönlichkeitsstörung auf. Gestützt auf
die Vorakten FFE 2004 429 S. 59, FFE 2005 40 (Bericht vom 8. Dezember 2005)
und FFE 2007 326 (Bericht vom 15. Juni 2007) handelt es sich dabei um eine
querulatorische Persönlichkeitsstörung bei einem Krankheitswert mittleren
Grades mit narzisstischen Anteilen bzw. um eine paranoide
Persönlichkeitsstörung. Nach der ärztlichen Stellungnahme vom 15. August 2007
leidet der Beschwerdeführer an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit
extrem ausgeprägter Externalisierungstendenz und aufgesetzt wirkendem
bedrohlichem Gehabe. Diese Störung rechtfertigt indes für sich allein die
fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht (act. 3 S. 5 E. 5c; FFE 2007 326).
Ferner ist keine akute Selbst- und Fremdgefährdung aktenkundig. Was die
Vorfälle im Zusammenhang mit dem 80-jährigen Rentner anbelangt, die Anlass
zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung bildeten, rechtfertigen sie keine
weitere Entziehung der Freiheit gestützt auf Art. 397a Abs. 1 ZGB. Es ist
vielmehr Sache des Strafrichters, sich mit dem einschlägig rückfälligen
Beschwerdeführer zu befassen. Sodann liegt auch keine Verwahrlosungsgefahr
vor.

2.3 Das Obergericht erachtet den Beschwerdeführer gleichwohl als
behandlungsbedürftig und will ihn deshalb in der Anstalt zurückbehalten, um
gegen seinen Willen ein ergänzendes Gutachten über die Frage zu erstellen,
wie die Krankheit zu behandeln sei. Zwar kann sich nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Einweisung in eine psychiatrische
Klinik für eine begrenzte Zeit rechtfertigen, wenn sich eine Person - wie
hier - einer notwendigen ambulanten psychiatrischen Begutachtung widersetzt
(Urteil 5C.155/1992 vom 19. Oktober 1992, E. 2). In diesem Fall ging es
jedoch darum, abzuklären, mit welchen vormundschaftlichen Massnahmen der
betreffenden Person zu helfen sei, zumal Art. 374 Abs. 2 ZGB im Hinblick auf
eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche eine
Begutachtung erheischt, welcher sich die Person widersetzte. Die Verhältnisse
des vorliegenden Falles sind damit nicht vergleichbar. Hier geht es nicht um
eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche. Zudem lässt
die für das Bundesgericht verbindlich festgestellte Persönlichkeitsstörung -
wie erwähnt - keine Einweisung aufgrund von Art. 397a Abs. 1 ZGB zu. Die
Frage, wie eine gesundheitliche Störung der vorliegenden Art am besten zu
behandeln sei, bildet keinen Anlass zur Einweisung, geschweige denn zur
weiteren Zurückbehaltung.

2.4 Zusammenfassend erweist sich die fürsorgerische Freiheitsentziehung als
unverhältnismässig und folglich mit Art. 397a Abs. 1 ZGB nicht vereinbar. Die
Beschwerde ist gutzuheissen und die Anstaltsleitung anzuweisen, den
Beschwerdeführer unverzüglich aus der Anstalt zu entlassen.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen,
vom 20. August 2007 wird aufgehoben. Die Direktion des Psychiatriezentrums
B.________ wird angewiesen, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Anstalt
zu entlassen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Obergericht des Kantons Bern,
kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, sowie
der Direktion des Psychiatriezentrums B.________ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. September 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: