Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.458/2007
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5A_458/2007 /bnm

Urteil vom 29. August 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

X.________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Müller,

Kindesrückführung; Vollzug der Vollstreckung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 14. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Aargau verpflichtete X.________ mit Urteil vom
18. Dezember 2006, die Söhne V.________, geb. 1997, und W.________, geb.
1999, innert 14 Tagen ab Zustellung des Urteils an ihren Wohnsitz bei ihrer
Mutter in Brasilien zurückzuführen, unter Androhung des polizeilichen
Vollzugs im Unterlassungsfall. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene
staatsrechtliche Beschwerde mit Urteil vom 13. Februar 2007 ab, soweit es
darauf eintrat (5P.3/2007).

B.
Mit Eingabe vom 7. Mai 2007 ersuchte die Mutter das Obergericht, "die Polizei
zu avisieren, das Urteil zu vollstrecken". Sie beantragte, die Kinder seien
ihr an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort bei der Familie Z.________ in
A.________ durch die Polizei zu übergeben. Die Eingabe wurde
zuständigkeitshalber an das Gerichtspräsidium Bremgarten überwiesen.

Der Gerichtspräsident von Bremgarten stellte die Eingabe dem Vater zu und gab
ihm Gelegenheit zu Einwendungen. Am 30. Mai 2007 verlangte dieser u.a. die
Anordnung eines kinderpsychiatrischen Gutachtens, die Anhörung der Kinder,
der Parteien sowie einer Anzahl von Zeugen und die Aussetzung der
Rückführung.

Am 13. Juni 2007 hörte der Gerichtspräsident die Kinder an, und er lud die
Parteien auf den 18. September 2007 zu einer Verhandlung mit Parteibefragung.

Am 13. Juni 2007 verlangte die Mutter die Anordnung der sofortigen Rückgabe
der Kinder und Avisierung der Polizei zur Vollstreckung des obergerichtlichen
Urteils vom 18. Dezember 2006. Darauf verfügte der Gerichtspräsident am 15.
Juni 2007: "Der Antrag auf Erlass einer vorläufigen Massnahme wird
abgewiesen."

C.
Gegen diese Verfügung erhob die Mutter am 28. Juni 2007 Beschwerde mit den
Begehren um deren Aufhebung, um sofortige Rückgabe der Kinder und um
Avisierung der Polizei zum Vollzug. Mit Urteil vom 14. August 2007 hob das
Obergericht die Verfügung vom 15. Juni 2007 auf und wies den
Gerichtspräsidenten von Bremgarten an, unverzüglich den polizeilichen Vollzug
der Rückführung anzuordnen.

D.
Gegen dieses Urteil hat X.________ am 26. August 2007 Beschwerde erhoben mit
den Begehren um dessen Aufhebung und um Feststellung, dass die Kinder bei ihm
in der Schweiz bleiben wollten. Ausserdem verlangt er die aufschiebende
Wirkung. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Obergericht hat erwogen, die Mutter habe zu keinem Zeitpunkt eine
vorläufige Massnahme beantragt. Im obergerichtlichen Rückführungsentscheid
sei praxisgemäss sogleich ein Vollstreckungsbefehl im Sinn von § 436 ZPO/AG
aufgenommen worden. Mit diesem sei der Vater zur Rückführung innert 14 Tagen
verpflichtet und im Unterlassungsfall sei ihm der polizeiliche Vollzug
angedroht worden. Gemäss § 437 ZPO/AG habe der Vollstreckungsrichter auf
Begehren des Vollstreckungsklägers nach Eintritt der Rechtskraft des
Vollstreckungsbefehls und nach unbenütztem Ablauf der anberaumten
Erfüllungsfrist den Vollzug der im Vollstreckungsbefehl angedrohten
Vollstreckungsmassnahme anzuordnen. Das Vollzugsbegehren eröffne kein neues
kontradiktorisches Zweiparteienverfahren, sondern löse nur die
Vollzugshandlung aus. Der Vollstreckungsbefehl stelle einen das
Vollstreckungsverfahren erledigenden Endentscheid dar und werde mit seiner
Eröffnung auch für den Vollstreckungsrichter verbindlich (§ 434 i.V.m. §§ 299
und 280 ZPO/AG), weshalb dieser die angedrohte Vollstreckungsmassnahme
anzuordnen habe, ohne dass er befugt wäre, diese nochmals auf die rechtliche
Zulässigkeit, Angemessenheit oder Tauglichkeit hin zu überprüfen oder auf
Einwände des Betroffenen einzugehen. Dem Vollstreckungsrichter bleibe nur die
Verwirklichung der im Vollstreckungsbefehl enthaltenen Androhung, und der
Gegenpartei bleibe kein Raum für Einwendungen im Sinn von § 435 ZPO/AG.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht handle willkürlich, weil
es den neu eingetretenen und urkundlich belegten Fakten und Beweisen
kategorisch keine Beachtung schenke und einseitig die Darstellung der
Gegenpartei akzeptiere. Auf schweizerischer Ebene scheine im Übrigen die
gesetzliche Basis für die Ausschaffung von Kindern mit Schweizer Nationalität
zu fehlen.

3.
Nach den obergerichtlichen Erwägungen fand das Vollstreckungsverfahren mit
dem Urteil vom 18. Dezember 2006 seinen Abschluss und geht es vorliegend um
den Vollzug des Vollstreckungsbefehls, wogegen kantonal kein Rechtsmittel
besteht. In diesem Sinn hat das Obergericht von der Sache her eine Kassation
von Amtes wegen vorgenommen und dabei erwogen, mit der Eröffnung eines neuen
Zweiparteienverfahrens verstosse der Gerichtspräsident in gravierender Weise
gegen die grundlegenden vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen der
aargauischen Zivilprozessordnung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die
Frage, ob die Anweisung an den Gerichtspräsidenten, den polizeilichen Vollzug
anzuordnen, überhaupt einen anfechtbaren Entscheid im Sinn von Art. 72 Abs. 1
i.V.m. Art. 90 BGG darstellt; sie kann aber offen bleiben, weil auf die
Beschwerde so oder anders nicht eingetreten werden kann, wie die
nachfolgenden Erwägungen zeigen.

4.
Beschlägt die Beschwerde in Zivilsachen nicht die Anwendung von Bundesrecht,
sondern wird die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht, so
gilt das Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das heisst, dass in der
Beschwerdeschrift (entsprechend den altrechtlichen Begründungsanforderungen
von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 IV 4294) klar und detailliert
anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids aufzuzeigen ist, welche
verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie durch den kantonalen Entscheid
verletzt worden sind (BGE 133 III 393 E. 6 S. 397).

Der Beschwerdeführer macht sinngemäss eine willkürliche Verletzung der
kantonalen Zivilprozessordnung geltend. Er legt aber nicht dar, inwiefern das
Obergericht mit seiner Erwägung, vorliegend gehe es um den Vollzug des
Vollstreckungsbefehls gemäss § 437 ZPO/AG, der kein neues kontradiktorisches
Zweiparteienverfahren eröffne und bei dem keine Einwendungen möglich seien,
gegen die aargauische Zivilprozessordnung verstossen hätte. Mit dem
Vorbringen, das Obergericht blende die neuen Fakten und Beweismittel einfach
aus, ist jedenfalls keine Willkür darzutun, wenn die Kernaussage des
Obergerichts darin besteht, dass dies gerade nicht möglich ist; der
Beschwerdeführer müsste vielmehr aufzeigen, dass und inwiefern die
willkürfreie Anwendung der einschlägigen Normen der aargauischen
Zivilprozessordnung die Berücksichtigung gebieten würde.

5.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, es fehle an einer Grundlage für die
Rückführung von Kindern mit Schweizer Nationalität, zeigt er ebenfalls keine
Verletzung verfassungsmässiger Rechte auf. Immerhin sei darauf hingewiesen,
dass sich der zu vollziehende Rückführungsentscheid vom 18. Dezember 2006 auf
das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler
Kindesentführung (HEntfÜ) stützt, das den Entführer bei widerrechtlichem
Verbringen oder Zurückhalten von Kindern unabhängig von deren Nationalität
zur Rückgabe verpflichtet.

6.
Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die Beschwerde mangels Substanziierung
nicht einzutreten ist. Das Begehren um aufschiebende Wirkung wird mit dem
Entscheid in der Sache hinfällig. Es geht um den Vollzug eines
Rückführungsentscheides, weshalb keine Kosten erhoben werden (Art. 26 HEntfÜ;
zur Publikation bestimmtes Urteil 5A_285/2007). Damit wird das sinngemässe
Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 5. Kammer, und dem Gerichtspräsidium Bremgarten schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 29. August 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: