Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.450/2007
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5A_450/2007 /bnm

Urteil vom 25. Oktober 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X.________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Zirngast,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Simon Käch,

vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsprozess,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, I. Zivilkammer, vom 18. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung des Einzelrichters des Kantonsgerichtspräsidiums Zug vom 18 Mai
2004 wurde X.________ (Ehemann; Beschwerdeführer) im Rahmen von
Eheschutzmassnahmen vereinbarungsgemäss verpflichtet, Y.________ (Ehefrau;
Beschwerdegegnerin) Unterhaltsbeiträge im Gesamtbetrag von Fr. 3'300.--
(inkl. Kinderzulage von Fr. 500.--) monatlich, d.h. je Fr. 900.-- zuzüglich
Kinderzulage von je Fr. 250.-- für die beiden gemeinsamen Kinder und Fr.
1'000.-- für sie persönlich, zu bezahlen.

B.
B.aNachdem die Beschwerdegegnerin das Scheidungsverfahren eingeleitet hatte,
beantragte der Beschwerdeführer als vorsorgliche Massnahme die Aufhebung der
Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beschwerdegegnerin persönlich und die
Reduktion der Unterhaltsbeiträge an die Kinder auf je Fr. 500.--. Der
Einzelrichter im ordentlichen Verfahren des Bezirkes Affoltern wies das
Massnahmebegehren des Beschwerdeführers mit Verfügung vom 17. April 2007 ab,
auferlegte die Kosten zu 1/6 der Beschwerdegegnerin und 5/6 dem
Beschwerdeführer und verpflichtete diesen, der Beschwerdegegnerin eine
reduzierte Prozessentschädigung zu bezahlen.

B.b In teilweiser Gutheissung des Rekurses und entsprechender Aufhebung der
erstinstanzlichen Verfügung verpflichtete das Obergericht des Kantons Zürich
den Beschwerdeführer mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2006, an den Unterhalt der
Beschwerdegegnerin und der Kinder monatlich Fr. 2'300.-- (zuzüglich
allfälliger Kinderzulagen), d.h. je Fr. 900.-- pro Kind plus Kinderzulagen
sowie Fr. 500.-- für die Beschwerdegegnerin persönlich, zu bezahlen (Ziff.
1.1). Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wurden der
Beschwerdegegnerin zu 40% und dem Beschwerdeführer zu 60% überbunden, infolge
der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege aber einstweilen auf die
Gerichtskasse genommen, jedoch das Nachforderungsrecht des Staates
vorbehalten (Ziff. 1.6). Der Beschwerdeführer wurde überdies verpflichtet,
dem unentgeltlichen Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung
von Fr. 225.-- zu bezahlen (Ziff. 1.6). Die Kosten des Rekursverfahrens
wurden zu 1/3 der Beschwerdegegnerin und zu 2/3 dem Beschwerdeführer
auferlegt, jedoch für beide Parteien zufolge der bewilligten unentgeltlichen
Rechtspflege einstweilen und vorbehältlich der Nachforderung gemäss § 92 ZPO
auf die Gerichtskasse genommen (Ziff. 3). Der Beschwerdeführer wurde
verpflichtet, dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin für das
Rekursverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 670.-- zuzüglich
Mehrwertsteuer zu bezahlen (Ziff. 4).

C.
Mit einer als Beschwerde in Zivilsachen bezeichneten Eingabe beantragt der
Beschwerdeführer dem Bundesgericht, ihn in Abänderung von Ziff. 1 des
Beschlusses des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Juli 2007 zu
verpflichten, der Beschwerdegegnerin mit Wirkung ab 1. Oktober 2006
monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'600.--, d.h. Fr. 800.-- pro Kind,
zuzüglich allfälliger Kinderzulagen zu entrichten, zahlbar im Voraus am 1.
jeden Monats; zudem seien die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem
Beschwerdeführer zu 40% und der Beschwerdegegnerin zu 60% aufzuerlegen. Die
Ziffern 3 und 4 des Beschlusses seien dahingehend zu ändern, dass die Kosten
des Rekursverfahrens zu ? der Beschwerdegegnerin und zu ? dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen seien; schliesslich sei die Beschwerdegegnerin
zu verpflichten, dem Anwalt des Beschwerdeführers eine reduzierte
Parteientschädigung von Fr. 1'800.-- plus Mehrwertsteuer zu entrichten.
Eventualiter seien die Ziffern 1, 3 und 4 des obergerichtlichen Beschlusses
aufzuheben und die Sache hinsichtlich der strittigen Punkte zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche
Verfahren ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten,
eventuell sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Auch sie ersucht um
unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Das
Obergericht hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim Beschluss des Obergerichts handelt es sich um eine vorsorgliche
Massnahme für die Dauer des Scheidungsverfahrens (Art. 137 ZGB) und damit um
eine Zivilsache im Sinn von Art. 72 Abs. 1 BGG. Strittig ist einzig die Höhe
der Unterhaltsbeiträge für die Beschwerdegegnerin und die Kinder. Es liegt
somit eine vermögensrechtliche Angelegenheit vor, deren Streitwert von
mindestens Fr. 30'000.-- angesichts der Höhe und der unbestimmten Dauer der
Unterhaltsbeiträge offenkundig überschritten wird (Art. 74 Abs. 1 lit. b
i.V.m. Art. 51 Abs. 1 und 4 BGG). Entschieden hat das Obergericht als letzte
kantonale Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG) gegen den Beschwerdeführer, der mit
seinen Anträgen unterlegen und deshalb zur Beschwerde berechtigt ist (Art. 76
Abs. 1 BGG). Der angefochtene Entscheid schliesst das Massnahmenverfahren als
selbstständiges Verfahren ab und ist damit ein Endentscheid (Art. 90 BGG).
Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich schliesslich um eine
vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG (Urteil 5A_9/2007 vom 20.
April 2007, E. 1.2.). Damit kann vorliegend einzig die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte, vorab eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9
BV) geltend gemacht werden. Entsprechende Rügen sind in der Beschwerde zu
begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Das Obergericht sah es als erwiesen an, dass dem Beschwerdeführer aus
gesundheitlichen Gründen der Verlust der Arbeitsstelle gedroht hatte, hielt
aber dafür, ihm sei mit Blick auf seine familiären Pflichten nicht frei
gestanden, das Arbeitsverhältnis zu kündigen; daher müsse ihm mindestens ein
Einkommen in der Höhe der bei einer Kündigung durch die Arbeitgeberin in
Betracht fallenden Arbeitslosenentschädigung angerechnet werden. Das
Obergericht berücksichtigte somit die Arbeitslosenentschädigung von Fr.
6'000.-- (80% des ursprünglichen Gehalts von Fr. 7'560.--), nicht das vom
Beschwerdeführer ausgewiesene tatsächliche Einkommen.

2.2 Der Beschwerdeführer beanstandet hauptsächlich als willkürlich, dass zur
Ermittlung seiner Leistungsfähigkeit ein hypothetisches Einkommen
berücksichtigt und nicht der tatsächlich ausgewiesene Verdienst aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit angerechnet worden ist. Er habe nicht aus
freien Stücken gekündigt. Hätte er das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst,
wäre ihm von der Arbeitgeberin gekündigt worden. Das Obergericht habe nicht
berücksichtigt, dass die 400 Bezugstage bei einer Arbeitslosigkeit ab dem 1.
März 2005 schon längstens abgelaufen gewesen seien.

2.3 Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen darf vom tatsächlichen
Leistungsvermögen des Pflichtigen, das Voraussetzung und Bemessungsgrundlage
der Beitragspflicht bildet, abgewichen und statt dessen von einem
hypothetischen Einkommen ausgegangen werden, falls und soweit der Pflichtige
bei gutem Willen bzw. bei ihm zuzumutender Anstrengung mehr zu verdienen
vermöchte, als er effektiv verdient. Wo die reale Möglichkeit einer
Einkommenssteigerung fehlt, muss eine solche jedoch ausser Betracht bleiben
(für die Dauer des Scheidungsprozesses: BGE 119 II 314 E. 4a S. 316; 128 III
4 E. 4a). Aus welchem Grund ein Ehegatte auf das ihm angerechnete höhere
Einkommen verzichtet, ist im Prinzip unerheblich. Unterlässt es ein Ehegatte
aus bösem Willen oder aus Nachlässigkeit oder verzichtet er freiwillig
darauf, ein für den Familienunterhalt ausreichendes Einkommen zu erzielen,
kann auf das Einkommen abgestellt werden, das er bei gutem Willen verdienen
könnte (vgl. BGE 128 III 4 E. 4a mit Hinweisen). Die Anrechnung eines
hypothetischen, höheren Einkommens hat keinen pönalen Charakter. Es geht
vielmehr darum, dass der Unterhaltspflichtige das Einkommen zu erzielen hat,
das ihm zur Erfüllung seiner Pflichten tatsächlich möglich und zumutbar ist
(zum Ganzen: BGE 128 III 4 E. 4a mit Hinweisen). Zur Ermittlung des
hypothetischen Einkommens darf grundsätzlich auf Lohnstrukturerhebungen
abgestellt werden, doch ist dabei den konkreten Umständen Rechnung zu tragen
(vgl. BGE 128 III 4 E. 4c/bb S. 7 f.).
2.4 Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob der Beschwerdeführer für die
Zeit ab dem 1. Oktober 2006 (Datum, ab welchem die neu festgesetzten
Unterhaltsbeiträge gelten) tatsächlich die Möglichkeit hatte, ein
hypothetisches Einkommen in Form der Arbeitslosenentschädigung zu erzielen,
mit anderen Worten, ob ab diesem Zeitpunkt noch ein entsprechender Anspruch
bestand. Dem vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren ins Recht gelegten
Schreiben der Arbeitgeberin vom 30. April 2007 kann entnommen werden, dass
die Arbeitsqualität und -effizienz des Beschwerdeführers ab 2003 nachgelassen
und das geforderte Niveau nicht mehr erreicht habe. Trotz aller Unterstützung
durch die Arbeitgeberin seien immer mehr Ermüdungserscheinungen und
Unkonzentriertheiten aufgetreten; der Beschwerdeführer habe schliesslich
selbst eingesehen, dass er die geforderten Leistungen nicht mehr erbringen
könne, und das Arbeitsverhältnis aufgelöst; eine längerfristige
Weiterbeschäftigung hätte aber auch auf Seiten der Arbeitgeberin in Frage
gestellt werden müssen. Das Obergericht erkannte darin kein
Gefälligkeitsschreiben. Nach der nicht angefochtenen und damit für das
Bundesgericht verbindlichen Feststellung ergibt sich daraus, dass die
Arbeitsleistungen des Beschwerdeführers ungenügend waren und er längerfristig
wohl nicht mehr weiterbeschäftigt worden wäre. Der Beschwerdeführer
bestreitet nicht, dass er gegebenenfalls mit einer Arbeitslosenentschädigung
von Fr. 6'000.-- hätte rechnen können. Über den allfälligen Zeitpunkt einer
möglichen Kündigung seitens der Arbeitgeberin kann indes vorliegend nur
spekuliert werden. Im vorliegenden Fall steht allerdings fest, dass der
Beschwerdeführer per 30. April 2005 persönlich gekündigt hat. Auch wenn ihm
selbst nach erfolgter persönlicher Kündigung ein Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung zugestanden und er diesen unverzüglich geltend
gemacht hätte, ist nicht klar, ob dieser Anspruch ab dem 1. Oktober 2006 noch
bestanden hätte. Zu berücksichtigen wäre in diesem Zusammenhang vor allem
auch, dass der Beschwerdeführer infolge der selbst ausgesprochenen Kündigung
allenfalls mit einer Einstellung in seinem Anspruch hätte rechnen müssen
(Art. 30 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die
obligatorische Arbeitslosenentschädigung und die Insolvenzentschädigung;
AVIG; SR 837.0), was sich unter Umständen auf die Anspruchsdauer hätte
auswirken können. Bei dieser unklaren Sach- und Rechtslage erweist sich der
obergerichtliche Entscheid als unhaltbar und damit willkürlich.

3.
Die erste Instanz hatte den Bedarf des Beschwerdeführers auf Fr. 2'401.--
festgesetzt, stellte aber auch weiterhin auf das frühere Einkommen von Fr.
7'560.-- pro Monat ab. Vor Obergericht hatte der Beschwerdeführer für den
Eventualfall, dass ihm ein hypothetisches Einkommen angerechnet werde, einen
Notbedarf von Fr. 4'140.-- geltend gemacht. Obwohl das Obergericht von einem
hypothetischen Einkommen ausgegangen ist, hat es sich mit dem Begehren, einen
Notbedarf von Fr. 4'140.-- zu berücksichtigen, nicht auseinandergesetzt. Da
der Beschluss hinsichtlich der Festsetzung des hypothetischen Einkommens
aufgehoben worden ist (E. 2 hiervor) erübrigen sich weitere Ausführungen zu
der vorliegenden Rüge.

4.
Da das Bundesgericht aufgrund der Mängel in der Bestimmung des Einkommens des
Beschwerdeführers nicht dem Hauptantrag entsprechend über den
Unterhaltsbeitrag entscheiden kann, ist die Beschwerde gemäss dem
Eventualantrag gutzuheissen; die Ziffern 1, 3 und 4 des angefochtenen
Beschlusses sind aufzuheben und die Sache ist zur Ermittlung des massgebenden
Einkommens sowie der Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers und zu neuem
Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

6.
Beide Parteien ersuchen für das bundesgerichtliche Verfahren um
unentgeltliche Rechtspflege. Das Verfahren hat sich für beide Parteien nicht
als von Anfang aussichtslos erwiesen; zudem sind beide Parteien bedürftig, so
dass ihren Begehren zu entsprechen und ihnen ein amtlicher Rechtsbeistand zu
bestellen ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Da die von der Beschwerdegegnerin
geschuldete Parteientschädigung kaum eintreibbar sein dürfte, rechtfertigt es
sich, beiden Rechtsanwälten je eine Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse
zu entrichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen; die Ziffern 1, 3 und 4 des Beschlusses des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Juli 2007 werden aufgehoben und die
Sache wird zu neuem Entscheid im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Die Gesuche der Parteien um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren werden gutgeheissen. Dem Beschwerdeführer wird
Rechtsanwalt Marcel Zirngast, der Beschwerdegegnerin Rechtsanwalt Dr. Simon
Käch als Rechtsbeistand beigegeben.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt,
einstweilen aber auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4.
Den Rechtsanwälten wird für das bundesgerichtliche Verfahren je eine
Entschädigung von Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtkasse entrichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Oktober 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: