Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.387/2007
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5A_387/2007 /blb

Urteil vom 2. August 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, Postfach, 8023 Zürich.

Fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 29. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde am 29. März 2007 von der Klinik K.________ durch
fürsorgerische Freiheitsentziehung mit der Diagnose einer "mittelgradigen
depressiven Episode bei kombinierter Persönlichkeitsstörung mit 'Börsensucht'
und emotionaler Instabilität mit autistischen Zügen" in das
Psychiatriezentrum L.________ eingewiesen. Der Beschwerdeführer liess am
6. Juni 2007 durch seinen Anwalt um Entlassung aus der Anstalt ersuchen,
welchem Begehren die ärztliche Leitung des Psychiatriezentrums mit Schreiben
vom gleichen Tag nicht stattgab.

B.
Der Einzelrichter für das Verfahren betreffend fürsorgerische
Freiheitsentziehung des Bezirkes B.________ wies das Entlassungsgesuch mit
Urteil vom 12. Juni 2007 und das Obergericht des Kantons Zürich die gegen das
erstinstanzliche Urteil erhobene Berufung des Beschwerdeführers mit Beschluss
vom 29. Juni 2007 ab.

C.
Der anwaltlich verbeiständete Beschwerdeführer gelangt mit einer als
"Beschwerde in Zivilsachen/Subsidiäre Verfassungsbeschwerde" bezeichneten
Eingabe an das Bundesgericht und beantragt, den obergerichtlichen Beschluss
vom 29. Juni 2007 aufzuheben und ihn sofort aus der Anstalt zu entlassen. Für
das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75 Abs. 1
BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung, gegen den die Beschwerde
in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Mit der
Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden
(Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das
Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des
Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG). Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
erübrigt sich damit.

2.
Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Die Zurückbehaltung in einer Anstalt kann nur
unter den in Art. 397a Abs. 1 ZGB aufgeführten Voraussetzungen erfolgen (vgl.
Botschaft des Bundesrates über die Änderung des schweizerischen
Zivilgesetzbuches [Fürsorgerische Freiheitsentziehung] und den Rückzug des
Vorbehaltes zu Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, BBl. 1977 III S. 27). Wie bei der Einweisung in eine Anstalt
(vgl. Schnyder, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung, in Zeitschrift für
öffentliche Fürsorge, 1979, S. 119) ist somit auch bei der Zurückbehaltung
des oder der Betroffenen als der anderen Form des Freiheitsentzuges
(BBl. 1977 III S. 27) das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu
berücksichtigen; vorausgesetzt ist mit anderen Worten, dass der oder die
Betroffene infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher
Fürsorge bedarf, die ihm bzw. ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann
(BGE 114 II 213 E. 5). Zu berücksichtigen ist ferner die Belastung, welche
die Person für ihre Umgebung bedeutet (Art. 397a Abs. 2 ZGB). Nach der
ausdrücklichen Vorschrift des Art. 397a Abs. 3 ZGB muss denn auch die von der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Person entlassen werden,
sobald ihr Zustand es erlaubt.
Die Zurückbehaltung in einer Anstalt im Rahmen der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung ist namentlich gerechtfertigt, wenn im Fall der
Entlassung die professionelle Nachbetreuung der betroffenen Person nicht
sichergestellt ist, wenn diese über keine Wohngelegenheit verfügt, ihr
Verwahrlosung droht oder wenn sie sich selbst oder andere gefährdet.

2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht lege nicht dar,
inwiefern eine die fürsorgerische Freiheitsentziehung rechtfertigende
Geisteskrankheit bzw. Geistesschwäche vorliege. Es gehe vielmehr davon aus,
Ziel der stationären Therapie sei es, die Spielsucht des Beschwerdeführers zu
behandeln. Diese Sucht sei indes keine Suchterkrankung im Sinne von Art. 397a
Abs. 1 ZGB bzw. Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK (act. 1 S. 3-5, B I. 1-5, S. 7 f.
Ziffer 13-15). Er habe diese Einwendungen bereits im kantonalen
Berufungsverfahren erhoben und das Obergericht habe sich in Verletzung der
Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK damit
nicht auseinandergesetzt (act. 1 S. 8 III. Ziff. 16).
Das Obergericht führt im angefochtenen Urteil aus, der 45-jährige
Beschwerdeführer beziehe wegen Depressionen seit 1993 eine 100%-ige IV-Rente.
Die einweisende Ärztin habe am 2. März 2007 - soweit entzifferbar -
festgehalten: "verzweifelter stuporöser Pat. Reaktion auf Börsenverluste,
weint seit Tagen nur noch, schlägt sich selbst, nimmt unkontrolliert
Medikamente, erbricht dann in der ganzen Wohnung, seit Wochen zunehmende
Verschlechterung des immer labilen Zustandes mit [..] völlig depressiver
Dekompensation". Im Übrigen erkläre der Beschwerdeführer sich seine
Depression in der Klinik damit, dass "jeden Tag im Fernsehen kommt, dass die
Börse einen neuen Rekord erreicht hat und ich nicht dabei bin". Das
Obergericht führt alsdann weiter aus, bereits im November 2005 sei der
Beschwerdeführer einmal in der Klinik K.________ hospitalisiert gewesen,
wobei die Austrittsdiagnose auf Bordeline-Persönlichkeitsstörung mit
Suchtverhalten gelautet habe. Das Krankheitsbild habe sich seit November 2005
verschlechtert, nachdem seine Mutter im August 2006 verstorben sei. Vor
diesem Hintergrund und dem schlechten Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers sei von einer relevanten psychischen Störung im Sinne von
Art. 397a Abs. 1 ZGB auszugehen (Urteil act. 1 S. 3). Das Obergericht
verweist sodann auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils, welches
die ärztliche Stellungnahme des Psychiatriezentrums vom 7. Juni 2007 erwähnt.
Danach leidet der Beschwerdeführer an einer mittelgradigen depressiven
Episode; ferner besteht Verdacht auf kombinierte Persönlichkeitsstörung mit
"Börsensucht" sowie auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit
autistischen Zügen (kant. Akten act. 3/15 sowie act. 3/8; angefochtenes
Urteil S. 3). Das Obergericht hat damit zumindest eine Geistesschwäche im
Sinne von Art. 397a Abs. 1 ZGB bejaht, womit sich der Vorwurf der Verletzung
von Art. 397a Abs. 1 ZGB als unbegründet erweist.
Hat das Obergericht eine Geisteskrankheit bzw. Geistesschwäche als einen
Grund für die fürsorgerische Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 397a
Abs. 1 ZGB als gegeben erachtet, hatte es sich auch im Lichte der
Begründungspflicht nach Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht
darüber zu äussern, ob noch ein weiterer Grund gegeben sei. Damit erübrigten
sich Ausführungen darüber, ob die Spielsucht eine Suchterkrankung im Sinne
von Art. 397a Abs. 1 ZGB bzw. Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK darstelle. Die
Begründungspflicht verlangt nicht, dass sich das Gericht mit sämtlichen
Vorbringen des Betroffenen auseinandersetzt; es kann sich auf das Wesentliche
beschränken (BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 130 II 530 E. 4.3 S. 540), was das
Obergericht im vorliegenden Fall getan hat. Eine Verletzung von Art. 29
Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK liegt nicht vor.

2.2 Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, nach den obergerichtlichen
Ausführungen sei Ziel der stationären Therapie, seine Spielsucht zu
behandeln. Die Vorinstanz lege weder dar, inwiefern er akut selbstgefährdet
sei, noch zeige sie eine akute Fremdgefährdung auf. Den vom Obergericht
erwähnten "Drohungen" gegenüber seiner Ärztin hätten zuerst die
entsprechenden straf- und polizeilichen Massnahmen folgen müssen, so dass die
fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht zur Anwendung gelangen könne, zumal
sie bei Fremdgefährdung nur subsidiär in Betracht komme, abgesehen davon,
dass die E-mail-Zuschrift an die Ärztin und die behaupteten nächtlichen
Anrufe nicht bewiesen seien. Das Obergericht zeige auch nicht auf, welche
Nachbetreuung bzw. soziale Wiedereingliederung oder Anschlussbehandlung
notwendig sei, und inwiefern begründeter Anlass bestehe, dass er sich der
Behandlung entziehen werde. Konkret werde ihm nur vorgeworfen, er sehe nicht
ein, weshalb er in der psychiatrischen Anstalt gefangen gehalten werde und
dort wegen seiner Spielsucht therapiert werden solle. Die mangelnde
Therapieeinsicht bzw. Therapiebereitschaft müsse damit zwingend zum Abbruch
der fürsorgerischen Freiheitsentziehung führen. Er könne zu seiner Ehefrau
und zu seinem Kind zurückkehren, womit er weiterhin über eine wesentliche
Lebensgrundlage verfüge. Die fürsorgerische Freiheitsentziehung sei
unverhältnismässig, zumal den wirtschaftlichen Folgen seiner Spielsucht mit
vormundschaftlichen Massnahmen effizient begegnet werden könne (Beschwerde
S. 4 ff. Ziff. 5-10).
Nach Auffassung des Obergerichts darf ein Patient trotz Besserung seines
ursprünglichen Zustandes noch in der Klinik zurückbehalten werden, wenn die
Nachbetreuung noch nicht gewährleistet ist und aufgrund aller Erfahrung
begründeter Anlass besteht, dass sich der Patient der notwendigen
Anschlussbehandlung entziehen und so den Besserungserfolg sofort wieder
zunichte machen wird und damit wieder in den Zustand gerät, der zur
Einweisung führte (Beschluss S. 4 2. Absatz). Das Ziel der stationären
Behandlung besteht - so das Obergericht - in der Therapie der Spielsucht des
Beschwerdeführers (act. 2 S. 4 letzter Absatz). Dieser befindet sich nunmehr
bereits seit dem 29. März 2007 in einer Anstalt und ist nach wie vor nicht
bereit, seine Sucht behandeln zu lassen. Lässt sich der Beschwerdeführer aber
nicht zu einer Behandlung seiner Sucht motivieren, spricht dies grundsätzlich
gegen eine weitere Zurückbehaltung in der Anstalt (Spirig, Zürcher Kommentar,
N. 234 zu Art. 397a ZGB). Für die Beurteilung des vorliegenden Falles ist
sodann wesentlich, dass das Obergericht keine akute Selbstgefährdung bejaht
(S. 4). Was die Fremdgefährdung anbelangt, so verweist es unter anderem auf
die vom Beschwerdeführer an dessen frühere Ärztin gerichteten nächtlichen
Telefonanrufe (kant. Akten act. 3/9 S. 10) und ein E-Mail (kant. Akten
act. 3/11). Soweit der Beschwerdeführer diese Ereignisse in Frage stellt, ist
auf die Beschwerde nicht einzutreten, zumal er nicht darlegt inwiefern das
Obergericht in diesem Zusammenhang den Sachverhalt willkürlich festgestellt
hat (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Obergericht spricht in
diesem Zusammenhang von einem Aggressionspotential (Beschluss S. 4 1. Absatz
am Ende). Inwiefern sich daraus eine konkrete Fremdgefährdung ergibt, wird
nicht dargelegt. Zu deren Begründung verweist es sodann auf den Bericht der
Klinik K.________, der eine Fremdgefährdung nicht ausschliesst. Der besagte
Bericht (kant. Akten act. 3/9 S. 7) ist aber sehr allgemein gehalten, datiert
vom 7. Juni 2007 und ist damit nicht mehr aktuell. Gleich verhält es sich
bezüglich des Grades der Traumatisierung des 10-jährigen Sohnes des
Beschwerdeführers, welcher von der einweisenden Ärztin als Fremdgefährdung
eingestuft worden ist (act. 2 S. 3 letzter Absatz), beruht doch diese
Einschätzung auf den Verhältnissen zur Zeit der Einweisung und damit auf
nicht mehr aktuellen Gegebenheiten. Abgesehen davon wäre einer solchen
Gefährdung im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips mit geeigneten
Kindesschutzmassnahmen (Art. 307 ff. ZGB) zu begegnen.

2.3 Ist der Beschwerdeführer zu einer Therapie nicht bereit und lässt er sich
auch nicht dazu motivieren, fehlt es im Weiteren an einer akuten Eigen- und
Fremdgefährdung, welche die Zurückbehaltung in der Anstalt zu rechtfertigen
vermöchte, erweist sich die weitere Zurückbehaltung als unverhältnismässig.
Gegebenenfalls wird zu prüfen sein, ob gegenüber dem Beschwerdeführer
vormundschaftliche Massnahmen (Art. 369 ff. ZGB) angebracht wären. Damit ist
die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der
angefochtene Beschluss aufzuheben. Die ärztliche Leitung der Anstalt ist
anzuweisen, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Anstalt zu entlassen.

3.
Bei diesem Verfahrensausgang rechtfertigt es sich, keine Kosten zu erheben
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 3 BGG). Damit wird
das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 29. Juni
2007 wird aufgehoben und die ärztliche Leitung des Psychiatriezentrums
L.________ angewiesen, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Anstalt zu
entlassen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird als
gegenstandslos abgeschrieben.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, im Dispositiv und in voller Ausfertigung sowie der
ärztlichen Leitung des Psychiatriezentrums L.________ im Dispositiv
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. August 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: