Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.368/2007
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5A_368/2007 /blb

Urteil vom 18. September 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,

gegen

Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische
Freiheitsentziehungen, Postfach 7475, 3001 Bern.

Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung (fürsorgerische
Freiheitsentziehung),

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern,
kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, vom
18. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 6. Juni 2007 ordnete die Regierungsstatthalterin II des
Regierungsstatthalteramtes Bern gestützt auf das ergänzende Gutachten vom
4. Juni 2007 an, dass X.________ (Beschwerdeführer) wegen schizoaffektiver
Störung, bei Eintritt manischer Episode und einer Polytoxikomanie mit
ständigem Substanzgebrauch auf unbestimmte Zeit in den Universitären
Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) zurückbehalten werde.

B.
Gegen diese Verfügung rekurrierte der durch Rechtsanwalt Burges vertretene
Beschwerdeführer an das Obergericht des Kantons Bern, kantonale
Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, und verlangte
seine sofortige Entlassung. Anlässlich der Verhandlung vom 15. Juni 2007
beantragte Rechtsanwalt Burges, der Beschwerdeführer sei aus der Anstalt zu
entlassen und ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu
bewilligen. Mit Urteil vom 18. Juni 2007 wies die kantonale Rekurskommission
sowohl den Rekurs (Ziff. 1) als auch das Gesuch um Beiordnung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes ab (Ziff. 2). Für das Rekursverfahren wurden
keine Kosten erhoben.

C.
Der anwaltlich verbeiständete Beschwerdeführer gelangt mit einer als
Beschwerde in Zivilsachen, subsidiäre Verfassungsbeschwerde bezeichneten
Eingabe an das Bundesgericht mit den Begehren, Ziffer 2 des Urteils der
Vorinstanz aufzuheben, das Obergericht anzuweisen, ihm einen unentgeltlichen
Rechtsbeistand zu ernennen und diesen zu entschädigen. Für das
bundesgerichtliche Verfahren ersucht er ebenso um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.
Das Obergericht schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde (act. 6
S. 2). Der Beschwerdeführer hat sich im Nachgang zur Stellungnahme des
Obergerichts erneut vernehmen lassen (act. 8).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG),
mit dem die unentgeltliche Verbeiständung im Verfahren der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen
Zwischenentscheid, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken
kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1), dessen ungeachtet, ob
er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dessen Endentscheid oder nach
diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2).
1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Diese
betrifft einen kantonalen Entscheid über die fürsorgerische
Freiheitsentziehung (Art. 397a ZGB), gegen den die Beschwerde in Zivilsachen
gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Mit der Beschwerde in
Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95
lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das
Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des
Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG). Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
erübrigt sich damit.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe in der Begründung
der Abweisung der unentgeltlichen Rechtspflege in Missachtung von Art. 112
Abs. 1 lit. b BGG keinen Rechtsatz aufgeführt. Damit habe es einerseits den
bundesrechtlichen Anforderungen an das kantonale Verfahren nicht genügt
(Beschwerde S. 4 b I.), anderseits die Begründungspflicht gemäss Art. 29
Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt (Beschwerde S. 8 f. III.).
Im angefochtenen Urteil wird die für die Abweisung der unentgeltlichen
Rechtspflege massgebende Gesetzes- oder Verfassungsbestimmung zwar nicht
angegeben, was Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht entspricht. Der
Beschwerdeführer hat indes richtigerweise eine Verletzung des
verfassungsmässigen Rechts der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3
BV) bzw. von Art. 5 Ziff. 4 EMRK gerügt und das Bundesgericht tritt auf seine
diesbezügliche Rüge ein (E. 3 hiernach), womit ihm aus der fehlenden Angabe
der anwendbaren Gesetzesbestimmungen kein Nachteil erwachsen ist. Es besteht
somit kein Anlass, die Sache zur Verbesserung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Artikel 112 Abs. 1 lit. b BGG deckt sich mit dem Anspruch auf
eine hinreichende Begründung, wie er sich aus Art. 29 Abs. 2 BV ergibt.

3.
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, der Entscheid über das
FFE-Verfahren greife besonders stark in seine Rechtsstellung ein, was für
sich die Bestellung eines Rechtsbeistandes als notwendig erscheinen lasse. Er
sei nicht in der Lage, sich über seinen angeschlagenen Geisteszustand selbst
einen vertretbaren Standpunkt zu bilden und diesen vor Gericht eigenständig
durchzusetzen. Schliesslich dränge sich eine Verbeiständung auch aufgrund der
Praxis der Strassburger Organe auf (Beschwerde S. 4 ff. II.).
3.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV hat die
bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre
Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug
eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Dabei fallen neben der
Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts
auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa
seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (BGE 128 I 225 E. 2.5.2
S. 232; 122 I 49 E. 2c/bb S. 51, 275 E. 3a S. 276; 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f.
mit Hinweisen). Dass das entsprechende Verfahren von der Untersuchungsmaxime
beherrscht wird, schliesst die unentgeltliche Verbeiständung ebenso wenig aus
(BGE 122 II 8; 125 V 32 E. 4b S. 36) wie der Umstand, dass der Rekurs nicht
begründet zu werden braucht (BGE 133 III 353 E. 2). Ein geistiges Gebrechen
der betroffenen Person lässt für sich allein noch nicht auf deren Unfähigkeit
schliessen, sich im Verfahren zurecht zu finden. In den Verfahren betreffend
fürsorgerische Freiheitsentziehung leiden die Betroffenen in der Regel an
derartigen gesundheitlichen Störungen, wobei sich aber immer wieder zeigt,
dass sie dennoch ihre Rechte im Zusammenhang mit der Anstaltseinweisung
ausreichend wahrnehmen können (Spirig, Zürcher Kommentar, N. 63 zu Art. 397d
ZGB). In Fällen, wo das Verfahren besonders stark in die Rechtsstellung der
betroffenen Person eingreift, muss die unentgeltliche Verbeiständung
grundsätzlich geboten sein (BGE 119 Ia 264 E. 3b S. 265). Nichts anderes
ergibt sich aus Art. 397f Abs. 2 ZGB, wonach das Gericht dem Betroffenen
"wenn nötig" einen Beistand zu bestellen hat. Ob sich ein unentgeltlicher
Rechtsbeistand aufdrängt, beurteilt sich folglich auch im vorliegenden
Zusammenhang nach den Umständen des konkreten Einzelfalles (Auer/Malinverni/
Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Volume II, 2. Aufl. 2006, S. 707
Rz. 1591). Auch wenn nach dem Gesagten eine rechtskundige Verbeiständung im
Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht generell
geboten ist, muss angesichts der Schwere des Eingriffs bei Grenz- und
Zweifelsfällen eher zu Gunsten der betroffenen Person entschieden werden.

3.2 Der Beschwerdeführer leidet nach den für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz seit vielen Jahren an einer schizoaffektiven
Störung und einer Polytoxikomanie mit Cannabis, Kokain und LSD, und seit
längerem bestehen religiöse Wahnideen mit Grössenwahn (Urteil S. 2 f. III.
Erster Absatz). Während seines letzten, hier zur Diskussion stehenden
Aufenthaltes in der Klinik musste er isoliert werden, da er seine Genitalien
vor den Mitpatienten entblösste und sich gegenüber dem Personal mehrmals
verbal bedrohlich verhielt (S. 3 letzter Absatz). Im weiteren Verlauf des
Aufenthalts musste er zwangsmediziert und 5-Punkte-fixiert werden, wobei er
auch weiterhin psychisch dekompensierte, Grössenwahnideen entwickelte, sich
gleichzeitig als Gott und Satan fühlte, aber auch immer wieder beteuerte,
Polizist zu sein und mit der Polizei zu kollaborieren; ferner habe er
gemeint, seine Gedanken würden in Musik umgewandelt und seien über die
Lautsprecher zu verstehen. Gleichzeitig sei er gegenüber dem Personal erneut
bedrohlich geworden, habe innerlich bei Konfrontationen angespannt gewirkt,
meistens sich aber knapp beherrschen können, habe jedoch versucht, das
Personal anzuspucken. Gemäss der ärztlichen Stellungnahme vom 11. Juni 2007
ist es beim Beschwerdeführer zunehmend zu einer Verschlechterung seines
Zustandsbildes gekommen, nachdem er Anfang 2007 die Applikation der
Depotmedikation mit Clopixol auf der Basis einer ambulanten
regierungsstatthalterlichen Verfügung verweigert hatte.
Die beschriebene geistige Störung (trouble mental) führt zum Schluss, dass
der Beschwerdeführer im Verfahren betreffend Entlassung aus dem
fürsorgerischen Freiheitsentzug nicht in der Lage war, seine Rechte ohne
Hilfe eines Rechtsbeistandes genügend zu wahren. Es liegt mit anderen Worten
nicht nur ein Grenzfall vor, welcher ohnehin die Beiordnung eines Anwaltes
gebieten würde. Daran vermag der summarische Hinweis des Obergerichts im
angefochtenen Urteil nichts zu ändern, es habe anlässlich der Verhandlung den
Eindruck gewonnen, es sei dem Beschwerdeführer möglich gewesen, sich gut
auszudrücken und seinen Willen kundzugeben.

4.
Das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes wurde in
erster Linie wegen der fehlenden Notwendigkeit abgewiesen. Die Beschwerde ist
folglich gutzuheissen und Ziff. 2 des angefochtenen Urteils aufzuheben. Das
Obergericht hat sich zur Bedürftigkeit nicht geäussert. Diese erscheint indes
aufgrund der Begründung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren und der eingereichten Beilagen als
offensichtlich (act. 3 Beilagen 3-5). Die Sache ist daher antragsgemäss zur
Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands und zur Festsetzung seiner
Entschädigung an das Obergericht zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Bern
hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu
entschädigen, womit das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege gegenstandslos wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziffer 2 des Urteils des Obergerichts
des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische
Freiheitsentziehungen, vom 18. Juni 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur
Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands und zur Festsetzung seiner
Entschädigung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche
Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.

3.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Bern,
kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. September 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: