Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.364/2007
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5A_364/2007 /bnm

Urteil vom 30. Juli 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schett.

X.________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Elisabeth Ernst,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Silvia Koch,

Vorläufige Massnahmen im Eheschutz,

Beschwerde in Zivilsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Bremgarten,
Gerichtspräsidium, vom 30. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
A.a Mit Klage vom 14. Mai 2007 ersuchte Y.________ (Beschwerdegegnerin) beim
Gerichtspräsidium Bremgarten um Bewilligung des Getrenntlebens von ihrem
Ehemann X.________ (Beschwerdeführer) und um Erlass von vorsorglichen
Massnahmen. Sie beantragte namentlich, die gemeinsame Tochter Z.________
unter ihre Obhut zu stellen, dem Beschwerdeführer ein angemessenes
Besuchsrecht einzuräumen und ihn zur Leistung eines Unterhaltsbeitrages für
sie sowie für ihre Tochter zu verpflichten.

A.b Am 14. Mai 2007 entschied das Gerichtspräsidium Bremgarten, dem
Beschwerdeführer werde die Klageschrift zugestellt zur Erstattung einer
Stellungnahme zu den Anträgen der Beschwerdegegnerin betreffend den Erlass
einer vorläufigen Massnahme innert einer nicht erstreckbaren Frist von
8 Tagen seit Zustellung dieser Verfügung. Zur Erstattung der Klageantwort
wurde dem Beschwerdeführer eine (erstreckbare) Frist von 10 Tagen angesetzt.
Mit Eingabe vom 30. Mai 2007 drängte die Beschwerdegegnerin erneut auf Erlass
einer vorläufigen Massnahme, worauf das Gerichtspräsidium ebenfalls am
30. Mai 2007 entschied, dass der Beschwerdegegnerin das Getrenntleben
bewilligt werde und das Kind Z.________ unter die elterliche Obhut der
Beschwerdegegnerin gestellt werde.

A.c Bereits am 24. Mai 2007 hatte Rechtsanwältin Elisabeth Ernst dem
Gerichtspräsidium (per Telefax) mitgeteilt, dass sie den Beschwerdeführer
vertrete und ersuchte um Zustellung der Klageschrift per Telefax, da diese
der Verfügung vom 14. Mai 2007 nicht beigelegen habe.

Mit Eingabe vom 29. Mai 2007 reichte der Beschwerdeführer dem
Gerichtspräsidium seine Stellungnahme ein und beantragte im Wesentlichen, das
Begehren der Beschwerdegegnerin um Erlass von vorläufigen Massnahmen sei
abzuweisen. Die Rechtsschrift wurde mit eingeschriebenem Brief bei der Post
in A.________ (Poststempel: 29.5.07-22) aufgegeben, doch traf die Sendung
erst am 31. Mai 2007 beim Gericht ein.

B.
Mit Eingabe vom 2. Juli 2007 hat X.________ beim Bundesgericht Beschwerde in
Zivilsachen eingereicht und beantragt, die Verfügung des Gerichtspräsidiums
Bremgarten vom 30. Mai 2007 sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung an das Gerichtspräsidium zurückzuweisen. Eventuell sei das
Begehren der Beschwerdegegnerin um Erlass von vorläufigen Massnahmen
abzuweisen, und subeventuell sei die gemeinsame Tochter Z.________ vorläufig
unter die Pflege und Obhut des Beschwerdeführers zu stellen.

Die Beschwerdegegnerin wie auch das Gerichtspräsidium Bremgarten schliessen
auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid ist nach dem 1. Januar 2007 ergangen, so dass
das Bundesgesetz über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG,
SR 173.110) anwendbar ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Die Sache betrifft gerichtliche Massnahmen im Sinne von Art. 172 ff. ZGB.
Eine Unterhaltsregelung nach Art. 176 Abs. 1 ZGB wurde nicht getroffen,
weshalb keine vermögensrechtliche Angelegenheit vorliegt. Entschieden wurde
unter anderem über die Benutzung der Wohnung im Sinne von Art. 176 Abs. 1
Ziff. 2 ZGB sowie über die Zuteilung der Obhut über die gemeinsame Tochter
gemäss Art. 176 Abs. 3 ZGB. Es liegt damit ein Entscheid über eine Zivilsache
im Sinne von Art. 72 Abs. 1 BGG vor, welcher letztinstanzlich ist (Art. 75
Abs. 1 und 2 BGG in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 BGG; Bühler/
Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, N. 6 zu §
294 ZPO/AG, S. 595 mit Hinweis auf AGVE 1990.71).

1.3 Das Bundesgericht hat entschieden, dass es sich bei Eheschutzmassnahmen
in aller Regel um vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG handelt,
weil - wie vorliegend - vorläufige Regelungen im Hinblick auf ein späteres
Scheidungsverfahren getroffen werden oder diese ohne weiteres dahinfallen,
wenn kein Scheidungsverfahren folgt, sondern diese als Schutzmassnahmen
erfolgreich sind. Deshalb kann mit der vorliegenden Beschwerde gegen den
Entscheid des Bezirksgerichts nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
gerügt werden (Art. 98 BGG; zur Publikation bestimmtes Urteil 5A_52/2007 vom
22. Mai 2007, E. 5.1 und 5.2). Das Bundesgericht wendet dabei das Recht nicht
von Amtes wegen an, sondern prüft die Verletzung von verfassungsmässigen
Rechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
hinreichend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es gilt das
Rügeprinzip entsprechend der bisherigen Praxis zur staatsrechtlichen
Beschwerde. In der Beschwerdeschrift ist deshalb anzuführen, welches
verfassungsmässige Recht verletzt sein soll und kurz darzulegen, worin die
behauptete Verletzung besteht (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4344/4345).

2.
2.1 In der Beschwerdeschrift wird in der Hauptsache ausgeführt, mit Brieffax
vom 24. Mai 2007 habe die vom Beschwerdeführer beauftragte Rechtsanwältin dem
Bezirksgerichtspräsidium Bremgarten mitgeteilt, dass sie den Beschwerdeführer
vertrete und dass der Beschwerdeführer die Verfügung vom 14. Mai 2007 am 21.
Mai 2007 erhalten habe. Die dem Beschwerdeführer angesetzte 8-tägige Frist
zur Stellungnahme habe damit am Dienstag, den 29. Mai 2007, also am
Pfingstdienstag geendet. Obwohl dem Gerichtspräsidium Bremgarten die
Vertretung bekannt gewesen sei, sei am 30. Mai 2007 die angefochtene
Verfügung ergangen, unter anderem mit der Begründung, dass es der
Beschwerdeführer nicht für nötig befunden habe, dem Gerichtspräsidium seine
Meinung zu den vorliegenden Umständen darzulegen. Nach Erhalt der Verfügung
habe sich die Rechtsbeiständin des Beschwerdeführers mit dem
Gerichtspräsidium telefonisch in Verbindung gesetzt und darauf hingewiesen,
dass die Eingabe am 29. Mai 2007 fristgerecht erfolgt sei und damit vom
Gericht zu beachten gewesen wäre. Entgegen der Meinung des Gerichts sei der
Poststempel gut lesbar gewesen. Es sei offensichtlich, dass das
Gerichtspräsidium über die vorläufigen Massnahmen entschieden habe, ohne die
Stellungnahme des Beschwerdeführers abzuwarten und zu berücksichtigen,
weshalb das rechtliche Gehör verletzt worden sei.

2.2 Das Bezirksgericht, welches am 24. Mai 2007 von der Mandatsübernehme
durch Rechtsanwältin Elisabeth Ernst erfahren hat, hätte die richterliche
Frist von 8 Tagen (ablaufend am 29. Mai 2007) in der Tat abwarten müssen,
bevor es entscheidet. Dem Beschwerdeführer ist kein Vorwurf des treuwidrigen
Zuwartens zu machen, weil er die Verfügung vom 14. Mai 2007 erst am 21. Mai
2007 in Empfang genommen hat. Seiner erst in diesem Zeitpunkt beigezogenen
Rechtsbeiständin kann ebenfalls keine Verletzung der Sorgfaltspflicht zur
Last gelegt werden, da sie offenbar die Beilage zur Verfügung vom 14. Mai
2007 zuerst nachfordern musste. Die Frist wurde gemäss der von ihr dem
Bundesgericht eingereichten Fotokopie des Eintrags im Postbüchlein (29. Mai
2007, 22 Uhr) gewahrt. Aus der Vernehmlassung des Gerichts sowie aus der
Antwort der Beschwerdegegnerin geht hervor, dass es zum Wesen einer
superprovisorischen Verfügung gehöre, zu entscheiden und dann die Betroffenen
anzuhören. Das trifft zwar oftmals zu. Wenn aber eine kurze
Vernehmlassungsfrist eingeräumt wird, ist diese abzuwarten. Es wird damit zum
Ausdruck gebracht, dass die tatsächlichen Umstände ein Abwarten zulassen.
Weder vom Gericht, noch von der Gegenpartei wird auf eine drohende Gefahr
hingewiesen, welche einen Entscheid an dem Tag erheischt hätte, an dem die
Eingabe spätestens hätte eintreffen sollen. Ein Zuwarten von 1 bis 2 Tagen
wäre dem Kindeswohl nicht schädlich gewesen, befand sich doch die Tochter in
der Obhut ihrer Mutter. Daraus folgt, dass das rechtliche Gehör des
Beschwerdeführers im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV verletzt worden ist, weshalb
die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist.

3.
3.1 Dem Gerichtspräsidium Bremgarten können gemäss Art. 66 Abs. 4 BGG keine
Kosten auferlegt werden, und auf eine anteilmässige Kostenübernahme durch die
Beschwerdegegnerin wird verzichtet (Art. 66 Abs. 1 BGG).

3.2 Der Kanton Aargau, dessen Behörden die Verfassungsverletzung ohne
entsprechenden Antrag begangen haben, und die Beschwerdegegnerin, die im
bundesgerichtlichen Verfahren Antrag auf Abweisung gestellt hat (vgl. BGE 128
II 90 E. 2c S. 95), werden jedoch verpflichtet, dem obsiegenden
Beschwerdeführer je zur Hälfte eine angemessene Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt. Das Gesuch ist mit
Blick auf die Gerichtskosten gegenstandslos, weil ohnehin keine Kosten
erhoben werden. Da ihre Eingabe von vornherein keine Aussicht auf Erfolg
haben konnte (Art. 64 Abs. 1 BGG), ist das Gesuch im Übrigen abzuweisen, ohne
dass im Einzelnen zu prüfen ist, ob die von ihr behauptete Bedürftigkeit
begründet ist. Die Beschwerdegegnerin hat deshalb ihre Parteikosten selbst zu
tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und die Verfügung des Gerichtspräsidiums
Bremgarten vom 30. Mai 2007 wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau und die Beschwerdegegnerin werden verpflichtet, dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von je Fr. 500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgericht Bremgarten,
Gerichtspräsidium, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juli 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:   Der Gerichtsschreiber: