Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.312/2007
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5A_312/2007 /blb

Urteil vom 10. Juli 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung V, Unterstrasse
28, 9001 St. Gallen.

Fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, Abteilung V, vom 30. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Der am 1. Januar 1968 im heutigen Tschechien geborene Beschwerdeführer wohnt
seit Januar 2004 allein in einer 1 ?-Zimmer-Wohnung in S.________, ist seit
einigen Jahren ohne Arbeit und bezieht eine halbe IV-Rente. Der
Beschwerdeführer war erstmals 2004/2005 wegen Verdachts auf eine paranoide
Störung, verbunden mit Grössenideen und Depression in die kantonale
Psychiatrische Klinik K.________ (KPK) eingewiesen worden. Im Juli 2006
erfolgte eine erneute Einweisung, worauf der Beschwerdeführer im Oktober 2006
aus der Klinik entlassen wurde. Mit amtsärztlicher Verfügung vom 4. Januar
2007 wurde der Beschwerdeführer ein drittes Mal im Rahmen einer
fürsorgerischen Freiheitsentziehung in die KPK eingewiesen.

B.
Am 10. Mai 2007 ersuchte der Beschwerdeführer durch seinen inzwischen
beigezogenen Anwalt um Entlassung aus der Anstalt, welchem Antrag die KPK mit
Verfügung vom 11. Mai 2007 nicht entsprach. Mit Schreiben vom 14. Mai 2007
verlangte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer bei der
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen gestützt auf Art. 5 EMRK
die sofortige Entlassung aus der Anstalt. Im Rahmen des Rekursverfahrens
wurde der Beschwerdeführer am 21. Mai 2007 von der ärztlichen Fachrichterin
der Verwaltungsrekurskommission fachrichterlich einvernommen; diese
erstattete ihren schriftlichen Bericht am 23. Mai 2007. Die Kommission hörte
den Beschwerdeführer am 30. Mai 2007 mündlich an. Mit Entscheid vom gleichen
Tag wies sie die Klage ab (Ziffer 1), auferlegte die amtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer, verzichtete aber auf deren Erhebung (Ziff. 2) und
entschädigte den Vertreter des Beschwerdeführers zufolge unentgeltlicher
Verbeiständung mit Fr. 1'678.55 (Ziff. 3).

C.
Mit einer als Beschwerde in Zivilsachen, subsidiäre Verfassungsbeschwerde
bezeichneten Eingabe verlangt der Beschwerdeführer, den Entscheid der
Verwaltungsrekurskommission vom 30. Mai 2007 aufzuheben und ihn aus der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung zu entlassen. Ferner sei festzustellen,
dass der angefochtene Entscheid die persönliche Freiheit, das Recht auf
Privat- und Familienleben sowie die Meinungsäusserungs- und die
Wirtschaftsfreiheit verletze (act. 1). Für das bundesgerichtliche Verfahren
ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Die Verwaltungsrekurskommission hat sich am 3. Juli 2007 vernehmen lassen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht in Kraft
getreten (BGG; SR 173.110; AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid
ist nach Inkrafttreten des Gesetzes ergangen, weshalb dieses Gesetz
anzuwenden ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75
Abs. 1 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung, gegen den die
Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG).
Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt
werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch
das Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des
Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG). Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
erübrigt sich damit.

1.3 Zur Beschwerde ist berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an
der Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Entscheides hat (Art. 76
Abs. 1 lit. b BGG). Dem Beschwerdeführer fehlt es an diesem Interesse, soweit
er die Festsetzung der Entschädigung für seinen Anwalt infolge der gewährten
unentgeltlichen Verbeiständung (Dispositiv-Ziff. 3) anficht, ist er doch
insoweit durch den angefochtenen Entscheid nicht persönlich betroffen.

1.4 Nicht einzutreten ist schliesslich auf die Beschwerde, soweit der
Beschwerdeführer um Feststellung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte
ersucht, steht doch hierfür die Klage nach Art. 429a ZGB offen, mit welcher
als Form der Genugtuung eine entsprechende Feststellung verlangt werden kann
(BGE 118 II 254 E. 1c S. 258).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Zurückbehaltung in der Anstalt sei
unverhältnismässig. Die Vorinstanz nehme keine von ihm ausgehende
Fremdgefährdung an, und es werde auch keine Selbstgefährdung festgestellt.
Die Tatsache, dass er Briefe und Anfragen an Behörden verschicke, stelle
keine zu berücksichtigende Belastung für die Umgebung im Sinne von Art. 397a
Abs. 2 ZGB dar (Beschwerde S. 4-7).

2.1
Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Die Zurückbehaltung in einer Anstalt kann nur
unter den in Art. 397a Abs. 1 ZGB aufgeführten Voraussetzungen erfolgen (vgl.
Botschaft des Bundesrates über die Änderung des schweizerischen
Zivilgesetzbuches [Fürsorgerische Freiheitsentziehung] und den Rückzug des
Vorbehaltes zu Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, BBl. 1977 III S. 27). Wie bei der Einweisung in eine Anstalt
(vgl. Schnyder, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung, in Zeitschrift für
öffentliche Fürsorge, 1979, S. 119) ist somit auch bei der Zurückbehaltung
des oder der Betroffenen als der anderen Form des Freiheitsentzuges (BBl.
1977 III S. 27) das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen;
vorausgesetzt ist mit anderen Worten, dass der oder die Betroffene infolge
der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf,
die ihm bzw. ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann (BGE 114 II 213
E. 5). Zu berücksichtigen ist ferner die Belastung, welche die Person für
ihre Umgebung bedeutet (Art. 397a Abs. 2 ZGB). Nach der ausdrücklichen
Vorschrift des Art. 397a Abs. 3 ZGB muss denn auch die von der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Person entlassen werden,
sobald ihr Zustand es erlaubt.

2.2 Nach den Ausführungen der Vorinstanz leidet der Beschwerdeführer an einer
paranoiden Schizophrenie, die eine Krankheit im medizinischen Sinne darstelle
(S. 11 E. 3a). Der Beschwerdeführer stellt die tatsächliche Feststellung über
den Gesundheitszustand (BGE 81 II 263) sowie die rechtliche Qualifikation des
Zustandes als Geisteskrankheit im Sinne von Art. 397a Abs. 1 ZGB (zum Begriff
der Geisteskrankheit: BGE 118 II 254 E. 4a S. 261) nicht in Frage, so dass
sich weitere Ausführungen zu diesem Punkt erübrigen.

2.3 Die Verwaltungsrekurskommission hat unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismässigkeit erwogen, der Beschwerdeführer habe keine Einsicht in die
Krankheit und deren Behandlungsbedürftigkeit, weshalb bei einer Entlassung
keine Gewähr für eine ambulante Behandlung bestünde. Von der medikamentösen
Therapie werde eine Verbesserung des (Wahn-)Zustandes erwartet; der
Beschwerdeführer verfüge zwar über eine Wohnung und eine IV-Rente, doch sei
die Betreuung nicht sichergestellt (E. 3b).
Was die fehlende Betreuung anbelangt, so enthält der angefochtene Entscheid
keine konkreten Ausführungen. Er ist wohl dahingehend zu verstehen, dass die
Einhaltung der medikamentösen Therapie ohne den stationären Rahmen nicht
gewährleistet sein soll. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich nicht
entnehmen, dass der Beschwerdeführer auf Hilfe angewiesen ist, die ihm nur in
der Anstalt gewährt werden kann. Insbesondere wird nicht erörtert, der
Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, sich zu ernähren, zu pflegen und dass
er deshalb zu verwahrlosen drohe. Allein die Sicherstellung der
medikamentösen Therapie, weil keine Gewähr für die ambulante Behandlung
besteht und folglich damit zu rechnen ist, dass die Wahnideen und der damit
einhergehende Realitätsverlust anhalten werden, rechtfertigt die
Aufrechterhaltung des fürsorgerischen Freiheitsentzugs nicht, solange daraus
keine konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwachsen droht. Die
Verwaltungsrekurskommission stellt keine konkrete Selbstgefährdung fest. Zwar
erwähnt sie, dass die am 4. Januar 2007 erfolgte Einweisung des
Beschwerdeführers in die Anstalt veranlasst worden sei, weil dieser gedroht
habe, das Spital in die Luft zu sprengen (S. 12). Die Vorinstanz hat indes
den Vorfall nicht weiter thematisiert und hat insbesondere aufgrund dieses
Vorfalles nicht auf Fremdgefährdung geschlossen.

2.4 Was die Belastung für die Umgebung anbelangt, hat die Vorinstanz erwogen,
der Beschwerdeführer werde in der Freiheit seine Zeit wieder in das Schreiben
von Briefen und Anfragen an das Sozialamt investieren; ferner sei bei
fehlender Aufmerksamkeit seitens der Behörden mit verbaler Aggressivität zu
rechnen.
Artikel 397a Abs. 2 ZGB schützt die Familie des Betroffenen, aber auch
Nachbarn und Hausgenossen. Nicht als Belastung der Umgebung gilt indes die
Beschimpfung von Amtspersonen bzw. querulatorisches Verhalten (Spirig,
Zürcher Kommentar, N. 356 zu Art. 397a ZGB). Insoweit liegt demnach keine
übermässige Belastung im Sinne des Gesetzes vor.

2.5 Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides
erweist sich die Zurückbehaltung des Beschwerdeführers als
unverhältnismässig. Sie wird letztlich mit der Befürchtung begründet, er
werde in Freiheit die Medikamente absetzen. Auch wenn die Annahme zutrifft,
dass mit der Fortsetzung der Therapie wahnhafte Vorstellungen zurückgehen und
die darin begründeten unvernünftigen Handlungen des Beschwerdeführers
unterbleiben werden, rechtfertigt dies einen fürsorgerischen Freiheitsentzug
nicht, wenn nicht konkret zu befürchten ist, dass der Beschwerdeführer durch
die erneut auftretenden Wahnideen mit ihren Folgen sich selbst oder andere
gefährdet oder für seine Umgebung eine unzumutbare Belastung darstellt.

2.6 Erweist sich die Zurückbehaltung des Beschwerdeführers in der Anstalt als
unverhältnismässig, ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Die Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Entscheides
sind aufzuheben und der Beschwerdeführer ist umgehend aus der Anstalt zu
entlassen.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66
Abs. 1 BGG). Der Kanton St. Gallen hat indes den Beschwerdeführer zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG), womit dessen Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege gegenstandslos wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die Ziffern
1 und 2 des Entscheides der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St.
Gallen vom 30. Mai 2007 werden aufgehoben und die ärztliche Leitung der
Kantonalen Psychiatrischen Klinik K.________ (KPK) wird angewiesen, den
Beschwerdeführer unverzüglich aus der Anstalt zu entlassen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird als
gegenstandslos abgeschrieben.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Verwaltungsrekurskommission des
Kantons St. Gallen, Abteilung V, im Dispositiv und in voller Ausfertigung
sowie der Kantonalen Psychiatrischen Klinik K.________ (KPK) im Dispositiv
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juli 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: