Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.308/2007
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5A_308/2007 /blb

Urteil vom 23. November 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Ubald Bisegger,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Titus Pachmann.

Ehescheidung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil
des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, vom
10. April 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Parteien heirateten im August 1991 vor dem Zivilstandsamt S.________. Sie
haben die gemeinsamen Kinder A.________, geb. im Dezember 1992, und
B.________, geb. im März 1995. Seit Februar 2001 leben die Parteien getrennt.

B.
Am 25. Mai 2004 verlangte die Ehefrau die Scheidung. Mit Urteil vom
11. Januar 2006 schied der Gerichtspräsident von Bremgarten die Ehe der
Parteien und regelte die Nebenfolgen. Unter anderem gewährte er dem Ehemann
ein Besuchsrecht gegenüber den beiden Töchtern am 1. und 3. Wochenende eines
jeden Monats und verpflichtete ihn, der Ehefrau aus Güterrecht Fr. 145'186.80
zu bezahlen.
In diesen beiden Punkten appellierte der Ehemann mit den Begehren, es sei ihm
ein Besuchsrecht an jedem zweiten Wochenende von Freitag 18 Uhr bis Sonntag
20 Uhr einzuräumen und die Leistung aus Güterrecht sei auf Fr. 30'232.80
festzusetzen. Die Ehefrau verlangte die Bestätigung des erstinstanzlichen
Urteils.
Mit Urteil vom 10. April 2007 gewährte das Obergericht des Kantons Aargau ein
Besuchsrecht am 1. und 3. Wochenende eines jeden Monats von Samstag 9 Uhr bis
Sonntag 18 Uhr, und es verpflichtete den Ehemann zu einer Zahlung aus
Güterrecht von Fr. 40'332.85, verbunden mit der weiteren Feststellung, dass
die Restforderung von Fr. 55'000.-- aus dem V.________ gewährten Darlehen dem
Ehemann zustehe.

C.
Gegen dieses Urteil hat die Ehefrau am 21. Juni 2007 Beschwerde in
Zivilsachen erhoben mit den Begehren, dem Ehemann sei ein Besuchsrecht am 1.
und 3. Wochenende eines jeden Monats von Samstag 13.30 Uhr bis Sonntag 18 Uhr
zu gewähren und er sei zu einer güterrechtlichen Zahlung von Fr. 71'872.80 zu
verpflichten. In seiner Vernehmlassung vom 28. September 2007 verlangt der
Ehemann die Abweisung der Beschwerde, und für den Eventualfall einer
Gutheissung im Güterrechtspunkt stellt er ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen richtet sich gegen einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid in einer Zivilsache mit nicht
vermögensrechtlicher Komponente; die Beschwerde ist somit zulässig (Art. 72
Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

2.
Strittig ist zwischen den Parteien vorab der Umfang des Besuchsrechts.

2.1 Dessen Beginn am Samstag wurde vom erstinstanzlichen Richter bewusst
offen gelassen bzw. der einvernehmlichen Regelung der Parteien überlassen.
Der Ehemann wirft der Ehefrau vor, Nachhilfestunden und Musikunterricht
absichtlich auf den Samstagmorgen zu verlegen, damit das Besuchsrecht erst ab
dem Nachmittag ausgeübt werden könne. Das Obergericht hat den Beginn des
Besuchsrechts auf Samstag 9 Uhr festgesetzt mit der Begründung, ansonsten
würden längere Ausflüge am Samstag erschwert und Freizeitaktivitäten der
Kinder hätten keinen Vorrang gegenüber dem Kontaktrecht.

2.2 Die Ehefrau macht geltend, es gehe nicht um Freizeitaktivitäten, sondern
um Nachhilfeunterricht, der im Interesse der Kinder liege und von diesen auch
so gewünscht werde. Sodann rügt sie, dass die Töchter entgegen ihrer
Beweisofferte zur betreffenden Frage nicht angehört worden seien.

2.3 In einem jüngeren Grundsatzentscheid zu Art. 144 Abs. 2 ZGB hat das
Bundesgericht festgehalten, dass die Kinder in den sie betreffenden Belangen
ab dem vollendeten sechsten Altersjahr anzuhören sind (BGE 131 III 553). Das
Bundesgericht hat dabei ausgeführt, dass zwar erst ab ungefähr elf bis
dreizehn Jahren die sprachliche Differenzierungs- und Abstraktionsfähigkeit
entwickelt sowie formallogische Denkoperationen möglich seien, der Richter
sich aber auch durch die Anhörung jüngerer Kinder ein persönliches Bild
machen könne und über ein zusätzliches Element bei der
Sachverhaltsfeststellung und Entscheidfindung verfüge (E. 1.2.2 S. 556 f.).
2.4 Im Urteilszeitpunkt waren die Kinder zwölf und vierzehn Jahre alt. Sie
gelten damit als "ältere Kinder", die zum strittigen Punkt des Besuchsrechts
umfassend Ausführungen aus ihrer Sicht machen und dem urteilenden Gericht
wichtige Anhaltspunkte für die Entscheidfindung liefern können. Im Übrigen
hat die Ehefrau die Anhörung der Kinder in appellatorio ausdrücklich als
Beweismittel angeboten. Vor diesem Hintergrund ist durch die unterlassene
Anhörung Art. 144 ZGB verletzt. Das angefochtene Urteil ist diesbezüglich
ohne Prüfung in der Sache selbst (Umfang und Modalitäten des Besuchsrechts)
aufzuheben und die Sache zur Durchführung der Anhörung sowie zur neuen
Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.

3.
Die güterrechtliche Auseinandersetzung hat keinen Zusammenhang mit der
Besuchsrechtsfrage, weshalb über diesen Punkt definitiv entschieden werden
kann. Dabei geht es um die Frage, wie das an den Bruder der Ehefrau gewährte
Darlehen güterrechtlich zu behandeln ist.

3.1 Per 20. Juli 2000 betrug das Darlehen Fr. 130'000.--, und es ist zwischen
den Parteien auch unbestritten, dass es im Betrag von Fr. 40'000.-- aus dem
Eigengut der Ehefrau und zu Fr. 90'000.-- aus dem Erwerbseinkommen des
Ehemannes stammt. Trotzdem beansprucht die Ehefrau von dieser letztgenannten
Summe Fr. 63'080.-- als ihr Eigengut mit der Begründung, sie und ihr Bruder
hätten im November 1994 von ihren Eltern einen Erbvorbezug von je
Fr. 100'000.-- erhalten. Während ihr Bruder seinen Vorbezug sofort erhalten
habe, sei für sie - wegen der Befürchtung, sie und ihr Ehemann könnten nicht
mit Geld umgehen - die Lösung gewählt worden, dass sie von den Eltern
monatlich einen Beitrag von Fr. 830.-- an die Miete erhalten sollte. Weil sie
und ihr Ehemann seinerzeit zu wenig Eigenkapital für den Erwerb der
betreffenden Liegenschaft gehabt hätten, sei diese vorerst vom Bruder gekauft
und an sie vermietet worden. Indem nun unter dem Titel des Erbvorbezuges
während 76 Monaten jeweils Fr. 830.-- an den Mietzins geleistet worden seien,
hätte man in diesem Umfang von Fr. 63'080.-- Eigenkapital bilden können, das
ihrem Eigengut anzurechnen sei.

3.2 Das Obergericht hat dazu erwogen, der von der Ehefrau behauptete
Erbvorbezug bzw. dessen Funktionsweise sei jedenfalls im Lichte der dürftigen
Behauptungen, aber auch der in diesem Zusammenhang eingereichten Unterlagen
und der Aussagen des als Zeugen einvernommenen Bruders schleierhaft
geblieben. So erscheine es aussergewöhnlich, dass ihre Eltern nicht direkt
einen Betrag von Fr. 100'000.-- zum Kauf eines Eigenheims zur Verfügung
gestellt hätten. Soweit die Konstruktion, während zehn Jahren eine
Mietzinsreduktion von monatlich Fr. 830.-- zu gewähren, damit begründet
worden sei, dass die Parteien nicht so gut mit Geld hätten umgehen können und
sie zu bewusstem Sparen hätten veranlasst werden sollen, spreche dies
jedenfalls dafür, die unbestrittenermassen aus dem Erwerbseinkommen des
Ehemannes stammende Ersparnis dessen Errungenschaft zuzuordnen. Sodann sei
die Behauptung der Ehefrau nicht nachvollziehbar, dass sie und ihr Bruder im
November 1994 im Sinn einer Gleichbehandlung von ihren Eltern einen
Erbvorbezug von je Fr. 100'000.-- erhalten hätten, zumal ihr Bruder von
Beginn weg behauptet habe, dass nie Geld geflossen sei bzw. nur für den Fall
eines Kaufes der Liegenschaft Geld an seine Schwester geflossen wäre. Aber
selbst wenn die Eltern dem Bruder "zur Finanzierung des Hauskaufes" einen
Betrag von Fr. 100'000.-- gezahlt haben sollten, wäre zu beachten, dass
dieser dadurch, dass er sich in der gleichen Vereinbarung verpflichtete, die
Liegenschaft der Schwester während zehn Jahren zu einem um Fr. 830.--
reduzierten Mietzins zu überlassen, in dem Umfang eine Gegenleistung erbracht
hätte, als er mit dem reduzierten Mietzins die Verzinsung des aufgenommenen
Fremdkapitals nicht zu decken vermochte. Seien dagegen die
Mietzins(neu)berechnungen fiktiv, weil der Bruder auch mit dem reduzierten
Mietzins die tatsächlich angefallenen Hypothekarzinsen habe bezahlen können,
könnten nicht beide Kinder als mit je Fr. 100'000.-- aus dem elterlichen
Vermögen begünstigt qualifiziert werden. Vielmehr hätte allein der Bruder
einen Erbvorbezug erhalten; in dem Umfang, wie er gegenüber den Parteien auf
die Vermietung zu einem maximal zulässigen Mietzins verzichtet habe, wäre
dagegen keine Liberalität aus dem Vermögen der Eltern an die Tochter
erkennbar. Sodann stelle die Überlassung der Liegenschaft zu einem nicht voll
ausgeschöpften Mietzins keine gemischte Schenkung, sondern eine
Gebrauchsleihe dar, und selbst wenn man in der (teilweise) unentgeltlichen
Überlassung eine unentgeltliche Zuwendung erblicken würde, so wäre diese
zeitgleich mit dem Gebrauch der Sache konsumiert worden. Lasse sich aber die
Natur der von der Ehefrau mit ihren Eltern und ihrem Bruder geschlossenen
Vereinbarungen nicht ermitteln, müsse das Darlehen im Umfang von
Fr. 90'000.-- der Errungenschaft des Ehemannes zugeordnet werden, da die
Spartätigkeit unbestrittenermassen aus seinem (Erwerbs-)Einkommen erfolgt
sei.

3.3 Die Ehefrau macht zum einen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
geltend. Wegen dessen formeller Natur ist diese Rüge vorweg zu prüfen (BGE
115 Ia 8 E. 2a S. 10; 121 I 230 E. 2a S. 232; 122 II 464 E. 4a S. 469).
Begründet wird die Gehörsrüge damit, dass das Obergericht die Zeugenaussage
des Bruders als schleierhaft betrachtet, sie aber nicht wiederholt und auch
nicht ausgeführt habe, wieso es davon absehe.
Vorab ist klarzustellen, dass das Obergericht nicht die Zeugenaussage als
schleierhaft bezeichnet, sondern ausgeführt hat, der behauptete Erbvorbezug
sei "im Lichte der dürftigen Behauptungen, aber auch der in diesem
Zusammenhang eingereichten Unterlagen und der Aussagen des Bruders der
Klägerin in der Zeugenbefragung schleierhaft geblieben". Mit dieser Aussage
hat das Obergericht aber die vorhandenen Beweise gewürdigt, womit keine
Gehörsverletzung vorliegt, sondern wenn schon willkürliche Beweiswürdigung zu
rügen gewesen wäre.
Dem Vorbringen, die Begründungspflicht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs
sei verletzt, ist schliesslich entgegenzuhalten, dass für das Güterrecht die
Verhandlungs- und Dispositionsmaxime von Bundesrechts wegen nicht
eingeschränkt wird (Steck, in FamKomm Scheidung, Bern 2005, N. 16 Vorbem. zu
Art. 196-220 ZGB) und die Ehefrau vor Obergericht keine Einvernahme ihres
Bruders verlangt hat. Gab es folglich keine Gründe für eine oberinstanzliche
Zeugeneinvernahme, bestand auch kein Anlass zu diesbezüglicher Begründung. Im
Übrigen musste der anwaltlich vertretenen Ehefrau klar sein, dass das
Obergericht mangels neuer Beweisanträge bei seiner Beweiswürdigung auf die
erstinstanzlichen Aussagen abstellen und auf dieser Basis sein Urteil fällen
würde.

3.4 Indem die Ehefrau mit Bezug auf den angeblichen Erbvorbezug bzw. dessen
Modalitäten einfach die Dinge aus ihrer Sicht schildert, ohne im Einzelnen
Bezug auf die oberinstanzlichen Erwägungen bzw. Alternativbegründungen zu
nehmen und aufzuzeigen, inwiefern das Obergericht dabei jeweils in Willkür
verfallen sein soll, beschränkt sie sich mit Bezug auf die Beweiswürdigung
auf appellatorische Ausführungen, wie sie zur Substanziierung von
Willkürrügen ungenügend bzw. unzulässig sind (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 130
I 258 E. 1.3 S. 262).
Vermag aber die Ehefrau mangels substanziierter Rügen nicht aufzuzeigen, was
an der obergerichtlichen Feststellung, der Betrag von Fr. 90'000.-- stamme
aus dem Arbeitserwerb des Ehemannes und die Ehefrau vermöge die tatsächliche
Entrichtung des Erbvorbezuges bzw. der ratenweisen Leistung im Umfang von
Fr. 63'080.-- nicht zu beweisen, so ist der Bestreitung der rechtlichen
Schlussfolgerung des Obergerichts, es sei folglich von Errungenschaftswerten
auszugehen (Art. 200 Abs. 3 ZGB), der Boden entzogen.

4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde mit Bezug auf das Güterrecht
abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann, und dass die Sache zur
Anhörung der Kinder und zur neuen Entscheidung über das Besuchsrecht an das
Obergericht zurückzuweisen ist.
Weil die blosse Rückweisung zur Durchführung der Anhörung für die
Ausgestaltung bzw. den Umfang des Besuchsrechts in keiner Weise
präjudizierend ist, bleibt das Verfahren diesbezüglich offen, weshalb
insoweit nicht von einem eigentlichen Obsiegen und Unterliegen gesprochen
werden kann. Im Güterrechtspunkt ist die Beschwerdeführerin vollständig
unterlegen. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich eine Kostenverteilung
für das bundesgerichtliche Verfahren (Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- und
Parteikosten von Fr. 4'000.--) im Verhältnis von drei Vierteln zu Lasten der
Beschwerdeführerin und einem Viertel zu Lasten des Beschwerdegegners.
Mit der Abweisung der Beschwerde im Güterrechtspunkt wird das für den
gegenteiligen Eventualfall gestellte Gesuch des Beschwerdegegners um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen wird das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 10. April 2007 mit Bezug auf das
Besuchsrecht aufgehoben und die Sache zur Anhörung der beiden Töchter und zur
neuen Entscheidung über das Besuchsrecht an das Obergericht des Kantons
Aargau zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird zu drei Vierteln (Fr. 2'250.--) der
Beschwerdeführerin und zu einem Viertel (Fr. 750.--) dem Beschwerdegegner
auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. November 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: