Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.283/2007
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5A_283/2007/bnm

Urteil vom 15. November 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
Gerichtsschreiber Schett.

X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Jean Baptiste Huber,

gegen

Z.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick L. Hofmanninger,

Feststellung neuen Vermögens,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III.
Zivilkammer, vom 26. April 2007.

Sachverhalt:

A.
A.a Über das Vermögen von X.________ wurde am 16. März 1984 der Konkurs
eröffnet. Aus diesem Verfahren resultierte für die Z.________ AG am 15. März
1985 ein Konkursverlustschein über Fr. 73'115.75. Gestützt darauf betrieb die
Z.________ AG X.________, welche gegen den Zahlungsbefehl vom 18. April 2005
Rechtsvorschlag erhob mit der Begründung, sie sei zu keinem neuen Vermögen
gekommen.

A.b Mit Urteil vom 2. August 2005 verweigerte der Einzelrichter in
Betreibungs- und Konkurssachen des Kreisgerichts Gaster-See den
Rechtsvorschlag im Umfang von Fr. 16'222.20. Dagegen erhob die Z.________ AG
Klage auf Feststellung, dass X.________ über neues Vermögen in der Höhe von
Fr. 145'671.20 verfüge. Am 24. Mai 2006 bestätigte das Kreisgericht
Gaster-See den einzelrichterlichen Entscheid im Ergebnis und bewilligte den
Rechtsvorschlag für den Fr. 16'222.20 übersteigenden Betrag.

A.c Die Z.________ AG erhob dagegen Berufung, welche vom Kantonsgericht am
26. April 2007 teilweise gutgeheissen wurde, soweit es darauf eintreten
konnte. Es stellte fest, dass X.________ über neues Vermögen in der Höhe der
in Betreibung gesetzten Forderung von Fr. 73'115.75 verfüge.

B.
X.________ ist mit Beschwerde in Zivilsachen vom 4. Juni 2007 an das
Bundesgericht gelangt. Sie beantragt die Aufhebung des kantonsgerichtlichen
Entscheides sowie die Feststellung, dass sie nur über neues Vermögen in der
Höhe von Fr. 16'222.20 verfüge. Allenfalls sei die Sache zur weitern
Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Z.________ AG schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht
hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Das angefochtene Urteil ist nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über
das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ergangen, weshalb das
neue Recht anzuwenden ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Bei der Klage auf Feststellung oder Bestreitung neuen Vermögens nach Art.
265a Abs. 4 SchKG handelt es sich um eine rein betreibungsrechtliche
Streitigkeit (Andrea Braconi, Les voies de recours au tribunal fédéral dans
les contestations de droit des poursuites, in: Schuldbetreibung und Konkurs
im Wandel, Hrsg. Angst/Cometta/Gasser, Basel 2000, S. 256 mit zahlreichen
Hinweisen). Die Beschwerde in Zivilsachen ist demnach gegeben (Art. 72 Abs. 2
lit. a BGG), zumal die gesetzliche Streitwertgrenze klar überschritten ist
(Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher
Endentscheid (Art. 75 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 90 BGG). Aus dieser Sicht
kann auf die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich eingetreten werden.

1.3 Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann insbesondere die Verletzung von
Bundesrecht, Völkerrecht und kantonaler verfassungsmässiger Rechte gerügt
werden (Art. 95 BGG). Die Feststellung des Sachverhaltes kann nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang
des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Auf die
Vorbringen der Beschwerdeführerin ist nur soweit einzutreten, als sie den
Begründungsanforderungen genügen. Die Beschwerde nach Art. 72 ff. BGG hat
nebst einem Antrag eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter
Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt
(Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Auch Verfassungsrügen sind in der
Beschwerdeschrift vorzubringen und zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Eine
Sachverhaltsrüge hat besonders strenge Anforderungen zu erfüllen. So genügt
es nicht, die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zu bestreiten und
die eigene Sicht der Dinge darzulegen. Vielmehr ist zu begründen, inwiefern
eine bestimmte Feststellung willkürlich bzw. unter Verletzung einer
verfassungsrechtlichen Verfahrensvorschrift  zustande gekommen sein soll (BGE
133 II 249 E. 1.4.3).

2.
Die Einrede des mangelnden neuen Vermögens nach Art. 265 Abs. 2 SchKG
ermöglicht es dem ehemaligen Gemeinschuldner, sich vor seinen
Konkursgläubigern zu schützen. Diese Rechtswohltat wird ihm gewährt, damit er
sich wirtschaftlich erholen kann. Unter neuem Vermögen ist nur neues
Nettovermögen zu verstehen, also der Überschuss der nach Beendigung des
Konkurses erworbenen Aktiven über die neuen Passiven. Das heisst aber nicht,
dass der Betriebene solches auch tatsächlich kapitalisiert haben muss,
sondern es genügt schon, wenn er dank seiner Einkünfte zur Vermögensbildung
an sich in der Lage wäre. Ist dies der Fall, so wird er behandelt, als ob er
neues Vermögen gebildet hätte. Damit soll verhindert werden, dass er unter
Berufung auf die formelle Vermögenslosigkeit sein Einkommen zu Lasten der
alten Gläubiger verprassen kann (BGE 129 III 385 E. 5.1.1; Botschaft vom 8.
Mai 1991 zur Revision des SchKG, BBl 1991 S. 157; zum Konkursverlustschein:
Zur Publikation bestimmtes Urteil 5C.256/2006 vom 21. Juni 2007, E. 3.1).

2.1 Dass die Beschwerdeführerin nach dem Konkursverfahren im Jahre 1984/85
kein neues (Netto)-Vermögen gebildet hat, war bereits im kantonalen Verfahren
unbestritten. Zwar erhielt sie nach dem Tod ihres Ehemannes von den
Versicherungen Y.________ am 30. Juni 2003 aus einer
Lebensversicherungspolice den Betrag von Fr. 129'499.-- ausbezahlt. Daraus
tilgte sie im Zeitraum vom 14. November bis 29. Dezember 2003 Schulden in der
Höhe von Fr. 45'289.50. Der Restbetrag war bei Ausstellung des
Zahlungsbefehls am 18. April 2005 nicht mehr vorhanden. Die Vorinstanz
gelangte gestützt auf diese Feststellungen zum Ergebnis, dass ein solcher
Verbrauch selbst bei grosszügiger Auslegung nicht mehr als standesgemäss
bezeichnet werden könne. Sie rechnete daher der Beschwerdeführerin in
Anwendung von Art. 2 Abs. 2 ZGB ein fiktives Vermögen mindestens in der Höhe
des in Betreibung gesetzten Betrages von Fr. 73'115.75 an.

2.2 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz im Hinblick auf die
Feststellung des Sachverhaltes eine willkürliche Würdigung der Beweise vor.
Da die Voraussetzungen für eine antizipierte Beweiswürdigung nicht vorhanden
gewesen seien, hätte zudem auf die Abnahme der beantragten Beweismittel nicht
verzichtet werden dürfen, ohne ihr rechtliches Gehör zu verletzen (Art. 29
Abs. 2 BV).

2.2.1 Ein Sachverhaltsmoment ist offensichtlich unrichtig festgestellt
worden, wenn es sich im Ergebnis als willkürlich erweist (BGE 133 II 249 E.
1.2.2). Bei der Beweiswürdigung fällt Willkür nur in Betracht, wenn die
kantonale Instanz Sinn und Tragweite eines Beweismittels, das geeignet
gewesen wäre, zu einem andern Resultat zu führen, unberücksichtigt gelassen
oder aus den entscheidrelevanten Beweisen unhaltbare Schlussfolgerungen
gezogen hat (BGE 132 I 13 E. 5.1). Zusätzlichen Beweisanträgen ist nur Folge
zu geben, falls weitere Abklärungen entscheiderheblich erscheinen und sich
als sachlich geboten aufdrängen. Hingegen kann das Beweisverfahren ohne
Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw. der Missachtung des Rechts auf Beweis
(Art. 8 ZGB) geschlossen werden, wenn in willkürfreier antizipierter
Beweiswürdigung davon auszugehen ist, dass die beantragten Ergänzungen am
Beweisergebnis nichts Entscheidendes mehr ändern können (BGE 131 I 153 E. 3).

2.2.2 Die Vorinstanz bezog sich für die bei der Beschwerdeführerin
diagnostizierte Borderline-Störung auf den Arztbericht von Dr. med.
R.________ vom 24. Februar 2004 zu Handen der IV-Stelle. Daselbst ist von
einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit als Pflegerin die Rede, indes wird
keine Diagnose gestellt, welche sich auf die Arbeitsfähigkeit nicht auswirkt.
Daraus schloss die Vorinstanz, dass keine Anhaltspunkte bestehen, dass die
diagnostizierte Borderline-Störung sich bei der Beschwerdeführerin in einem
übermässigen Konsumverhalten gezeigt hätte. Zwar leide die Beschwerdeführerin
- immer nach dem erwähnten Arztbericht - schon seit ihrer Jugend an dieser
Persönlichkeitsstörung, indes bestünden keine Anzeichen, dass sie bereits
früher ein auffälliges Konsumverhalten gezeigt hätte. Die Abnahme der
beantragten Beweise könne daher unterbleiben.

2.2.3 Die Beschwerdeführerin führt demgegenüber aus, sie leide unter einer
Borderline-Störung im Sinne von ICD-10, wodurch ihre Steuerungsfähigkeit
massiv eingeschränkt sei. Nach dem Tode ihrer Ehemannes sei sie nicht mehr in
der Lage gewesen, ihr Konsumverhalten zu kontrollieren. Zudem habe sie schon
früher ein auffälliges Konsumverhalten gezeigt. Mit diesen Vorbringen nimmt
sie nicht Bezug auf den von der Vorinstanz als wesentlich erachteten
Arztbericht und insbesondere das Fehlen einer Diagnose, welche sich über die
Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin hinaus auswirkt. Sie beschränkt
sich darauf, in Abweichung von den vorinstanzlichen Feststellungen ein
ärztlich nicht diagnostiziertes Fehlverhalten zu behaupten. Damit genügt sie
den Begründungsanforderungen an eine Sachverhaltsrüge in keiner Weise, womit
auf die Vorbringen nicht einzutreten ist (E. 1.3 hiervor). Ebenso wenig geht
aus der Beschwerde hervor, weshalb die antizipierte Beweiswürdigung der
Vorinstanz unhaltbar sein sollte und daher weitere Beweise hätten abgenommen
werden sollen.

2.3 Die Beschwerdeführerin weist in der Sache auf die Lehre und Praxis hin,
wonach periodische Einkünfte bei der Berechnung neuen Vermögens nur
berücksichtigt werden, wenn sie in den 12 Monaten vor Anhebung der Betreibung
angefallen sind. Soweit sie in diesem Zusammenhang auf BGE 99 Ia 19 Bezug
nimmt, kann ihr nicht gefolgt werden, als sie dem Bundesgericht eine
Sanktionierung der diesbezüglichen kantonalen Praxis unterstellt. Im
genannten Entscheid, der aufgrund einer staatsrechtlichen Beschwerde erging,
wurde lediglich erkannt, dass die Praxis nicht willkürlich sei. Im
vorliegenden Verfahren kann das Bundesgericht die Anwendung von Art. 265 Abs.
2 SchKG hingegen mit freier Kognition prüfen (E. 1.3 hiervor).

2.3.1 Im konkreten Fall ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin aus
Erwerbseinkommen über eine standesgemässe Lebensführung hinaus bereits ein
fiktives Vermögen in der Höhe von Fr. 16'222.20 gebildet hat. Über die
zeitliche Beschränkung der Anrechnung eines regelmässigen Einkommenszuflusses
auf die 12 Monate vor der Betreibung braucht daher nicht befunden zu werden.
Die Lehre ist in dieser Frage geteilt.

2.3.2 Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt hingegen der Restbetrag von Fr.
84'159.50 aus einer einmaligen Kapitalzahlung vom 30. Juni 2003, welchen die
Beschwerdeführerin bis zu Anhebung der Betreibung verbraucht hat, ohne dafür
schlüssige Gründe vorbringen zu können. Die Vorinstanz stellte sich auf den
Standpunkt, dass eine einmalige Einkunft ungeachtet des genauen Zeitpunktes
ihres Zuflusses fiktives Vermögen darstellen könne, sofern der Gläubiger
nicht treuwidrig mit der Betreibung zuwarte. Dieser Auffassung kann im
Ergebnis beigepflichtet werden. Seit der letzten Revision des SchKG ist die
Feststellung des neuen Vermögens in Anlehnung an die bisherige Praxis des
Bundesgerichts zum Verbot des Rechtsmissbrauchs nicht mehr nach formellen
Kriterien vorzunehmen, sondern es gilt ausdrücklich die wirtschaftliche
Betrachtungsweise (E. 2 hiervor). So sind nach Art. 265 Abs. 2 SchKG nunmehr
sogar Vermögenswerte, welche dem Betriebenen bloss wirtschaftlich gehören,
pfändbar. Hat der Betriebene seit Ausstellen eines Konkursverlustscheines
sein Vermögen verprasst, so liegt ein Beispiel rechtsmissbräuchlicher
Berufung auf formelle Vermögenslosigkeit vor, so dass sich der zusätzliche
Nachweis eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erübrigt (Botschaft, a.a.O.,
S. 157). Anderseits ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise nur dann am
Platz, wenn es darum geht, einem offensichtlichen Rechtsmissbrauch zu
begegnen. Insofern hat die Revision in diesem Punkt nur eine Klärung
gebracht, die in der Lehre zum Teil sogar als überflüssig qualifiziert wird
(Dominik Gasser, Neues von der Betreibung aufgrund eines
Konkursverlustscheins, in: FS Pierre Widmer, Bern 1990, S. 8/9). Hingegen
wäre eine voraussetzungslose Anwendung des Grundsatzes der wirtschaftlichen
Betrachtungsweise, wie sie von der Lehre ebenfalls gefordert wird (Jürgen
Brönnimann, Neuerungen bei ausgewählten Klagen des SchKG, ZSR 1996, S. 226;
Beat Gut/Felix Rajower/Brigitta Sonnenmoser, Rechtsvorschlag mangels neuen
Vermögens, AJP 1998, S. 544) aufgrund der Materialien nicht gerechtfertigt.
Da die Beschwerdeführerin für den Verbrauch der nicht unwesentlichen Summe
von Fr. 84'159.50 keine Erklärung abgeben konnte, ist der erwähnte Tatbestand
des Verprassens von Vermögen zu Lasten der Gläubiger gegeben und für den in
Betreibung gesetzten Betrag ist ihr ein fiktives Vermögen anzurechnen.

3.
Nach dem Gesagten kann der Vorinstanz keine Verletzung von Bundesrecht
vorgeworfen werden. Ausgangsgemäss sind die Kosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen, welche der Beschwerdegegnerin eine angemessene
Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren schuldet (Art. 66
Abs. 1 BGG und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. November 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Schett