Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.264/2007
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5A_264/2007
5A_495/2007 /zga

Urteil vom 25. Januar 2008
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.

Schweizerische Eidgenossenschaft, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin, vertreten durch die Eidgenössische Steuerverwaltung,
Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern,

gegen

Torocom AG, Dienstleistungen Telekommunikation, Badenerstrasse 565, Postfach
6, 8048 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Rechtsöffnung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen die Verfügung
des Bezirksgerichts Zürich vom 20. März 2007.

Sachverhalt:

A.
In der gegen die Torocom AG laufenden Betreibung Nr. 149325 des
Betreibungsamtes Zürich 9 verlangte die Schweizerische Eidgenossenschaft,
Eidg. Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer (nachfolgend EStV), mit
Gesuch vom 19. Februar 2007, gestützt auf ihren mit Rechtskraftbescheinigung
versehenen Einspracheentscheid vom 7. März 2005 sei für den Betrag von Fr.
38'883.-- definitive Rechtsöffnung zu erteilen.

Mit Verfügung vom 20. März 2007 trat das Bezirksgericht Zürich auf das
Rechtsöffnungsgesuch nicht ein. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde
hat das Obergericht des Kantons Zürich abgewiesen, soweit darauf einzutreten
war.

B.
Gegen diesen Rechtsöffnungsentscheid erhob die EStV sowohl Beschwerde in
Zivilsachen ans Bundesgericht (Nr. 5A_264/2007) als auch
Nichtigkeitsbeschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich. Mit Entscheid
vom 14. August 2007 wies dieses die Nichtigkeitsbeschwerde ab. Dagegen hat
die EStV eine weitere Beschwerde in Zivilsachen erhoben (Nr. 5A_495/2007). In
der Sache selbst wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Verfahrensparteien, Sachverhalt und Rechtsfragen in den Verfahren Nrn.
5A_264/2007 und 5A_495/2007 sind identisch. Überdies sind die Verfahren
insofern verknüpft, als es prozessual um die Frage geht, gegen welchen
Entscheid innerhalb des kantonalen Instanzenzuges Beschwerde in Zivilsachen
erhoben werden kann bzw. muss. Die beiden Verfahren sind daher in
sinngemässer Anwendung von Art. 24 BZP i.V.m. Art. 71 BGG zu vereinigen (vgl.
BGE 113 Ia 390 E. 1 S. 394; 111 II 270 E. 1 S. 271 f.).

In einem jüngsten Leitentscheid zum Verhältnis zwischen den zürcherischen
Rechtsöffnungsinstanzen und der Beschwerde in Zivilsachen hat das
Bundesgericht festgehalten (zur Publ. bestimmtes Urteil 5A_42/2007, E. 2),
dass das Obergericht des Kantons Zürich unbekümmert um den nicht mit dem
neuen BGG harmonisierten § 285 ZPO/ZH in allen Fällen auf
Nichtigkeitsbeschwerden gegen erstinstanzliche Rechtsöffungsentscheide
eintrete und dabei als oberes kantonales Gericht im Sinn von Art. 75 Abs. 2
BGG fungiere. Weil die Beschwerde in Zivilsachen nur gegen Entscheide letzter
kantonaler Instanzen zulässig sei (Art. 75 Abs. 1 BGG) könne deshalb auf
direkt gegen erstinstanzliche Rechtsöffnungsentscheide des Kantons Zürich
eingereichte Beschwerden mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
nicht eingetreten werden. Jedoch müsse der erstinstanzliche Entscheid mit
Bezug auf Rügen, welche das Obergericht nicht oder mit engerer Kognition als
das Bundesgericht geprüft habe, mitangefochten werden (sog. Dorénaz-Praxis).

Das Bundesgericht hat damit die unsichere Rechtslage geklärt, die sich aus
dem auf das frühere OG zugeschnittenen, noch nicht auf das BGG abgestimmten §
285 ZPO/ZH ergab. Freilich können die genannten Grundsätze wegen des Gebotes
von Treu und Glauben erst ab der erfolgten Publikation des Urteils 5A_42/2007
gelten und darf es der EStV nicht zum Schaden gereichen, dass sie den
erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid nicht in der gegen den
oberinstanzlichen Entscheid gerichteten Beschwerde mitangefochten, sondern
diesen direkt mit eigener Beschwerde angefochten hat.

Im Übrigen sind Rechtsöffnungsentscheide Endentscheide im Sinn von Art. 90
BGG und unterliegen grundsätzlich der Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs.
2 lit. a BGG). Sodann stellen sie keine vorsorglichen Massnahmen im Sinn von
Art. 98 BGG dar, weshalb alle Rügen gemäss Art. 95 und 96 BGG zulässig sind
(BGE 133 III 399 E. 1.5 S. 400). Der notwendige Streitwert von Fr. 30'000.--
ist erreicht (Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG).

Auf die Beschwerden ist nach dem Gesagten einzutreten und sie sind materiell
zu behandeln. Insbesondere kann die Frage, ob ein vollstreckbarer definitiver
Rechtsöffnungstitel im Sinn von Art. 80 Abs. 1 SchKG vorliegt, als reine
Rechtsfrage mit voller Kognition beurteilt werden (Art. 106 Abs. 1 BGG).

2.
Nach den Erwägungen im erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid gab die EStV
für ihren als Rechtsöffnungstitel ins Recht gelegten Steuerentscheid keinen
Zustellnachweis zu den Akten. Mit der blossen Rechtskraftbescheinigung sei
dessen Vollstreckbarkeit nicht genügend nachgewiesen, wenn der Schuldner den
Erhalt bestreite. Vielmehr habe die Behörde den urkundlichen Beweis für die
Zustellung zu erbringen. Vorliegend bestreite der Schuldner - wie im Übrigen
schon in einem früheren Rechtsöffnungsverfahren in der gleichen Angelegenheit
- die Zustellung und damit die gehörige Eröffnung des Einspracheentscheides
in nicht haltloser Weise. Obwohl der EStV aus jenem Verfahren die
Beweispflicht im Bestreitungsfall bekannt sei, habe sie es erneut
unterlassen, entsprechende Belege einzureichen.

Vor diesem Hintergrund hat jedenfalls nicht erst der erstinstanzliche
Entscheid dazu Anlass gegeben, den Zustellnachweis für den
Einspracheentscheid nunmehr im bundesgerichtlichen Verfahren nachzureichen,
weshalb dieser als unzulässiges neues Beweismittel keine Berücksichtigung
finden kann (Art. 99 Abs. 1 BGG) und die Zustellbehauptung unbelegt bleibt.

3.
In der Sache selbst macht die EStV geltend, der Rechtsöffnungsrichter habe zu
Unrecht einen speziellen Zustellnachweis für den Einspracheentscheid
verlangt, sei doch die Feststellung der rechtsgenüglichen Zustellung bereits
in der von ihr auf dem Entscheid angebrachten Rechtskraftbescheinigung
enthalten.

3.1 Soweit die EStV in diesem Zusammenhang vorbringt, gemäss Art. 81 Abs. 1
SchKG dürfe der Schuldner nur Tilgung, Stundung und Verjährung geltend
machen, wofür er die Beweislast trage, gehen ihre Ausführungen an der Sache
vorbei: Der Schuldner hat bestritten, den als definitiven Rechtsöffnungstitel
angerufenen Entscheid erhalten zu haben, weshalb nicht eine Einwendung im
Sinn von Art. 81 SchKG, sondern das Vorliegen eines gültigen
Rechtsöffnungstitels für die betriebene Forderung zur Diskussion steht.

3.2 Nicht einzutreten ist auf die Beschwerden, soweit die EStV in Bezug auf
diese Frage eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung geltend
macht (Art. 97 Abs. 1 BGG). Ob die blosse Rechtskraftbescheinigung genügt
oder ob der Rechtsöffnungsrichter zusätzlich einen konkreten Zustellnachweis
verlangen darf, ist keine Sachverhaltsfrage. Vielmehr geht es um die
Rechtsfrage, was für Anforderungen an einen Entscheid in qualitativer
Hinsicht zu stellen sind, damit ein definitiver Rechtsöffnungstitel im Sinn
von Art. 80 Abs. 1 SchKG vorliegt.

3.3 Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil, so
kann der Gläubiger beim Richter gestützt auf Art. 80 Abs. 1 SchKG die
Aufhebung des Rechtsvorschlages (definitive Rechtsöffnung) verlangen; den
gerichtlichen Urteilen sind gemäss Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG auf
Geldzahlung gerichtete Verfügungen und Entscheide von Verwaltungsbehörden des
Bundes gleichgestellt. Vorliegend geht es um die Frage, was für Anforderungen
an einen Entscheid zu stellen sind, damit er vollstreckbar im Sinn von Art.
80 Abs. 1 SchKG ist.

Nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung entfalten Entscheide, die
der betroffenen Person nicht eröffnet worden sind, grundsätzlich keine
Rechtswirkungen (BGE 122 I 97 E. 3a/bb S. 99) bzw. erwachsen sie jedenfalls
nicht in Rechtskraft (BGE 130 III 396 E. 1.3 S. 400). Bei Bestreitung der
Eröffnung bzw. des Erhalts einer Verfügung oder eines Entscheides trägt die
Behörde die Beweislast für die Zustellung (BGE 114 III 51 E. 4 S. 55; 122 I
97 E. 3b S. 100). Geht es um eine auf Geld lautende Verfügung oder
Entscheidung, hat grundsätzlich der Gläubiger, der einen Rechtsöffnungstitel
vorlegt und gestützt hierauf die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung
verlangt, den - die korrekte Eröffnung voraussetzenden - Nachweis der
Vollstreckbarkeit im Sinn von Art. 80 Abs. 1 SchKG zu erbringen. Dieser
Beweis lässt sich nicht mit einer blossen Rechtskraftbescheinigung führen
(BGE 105 III 43 E. 2b S. 45; Staehelin, Basler Kommentar, N. 55 und 124 zu
Art. 80 SchKG; Eiholzer, Steuern und definitive Rechtsöffnung, in: Richter
und Verfahrensrecht, Bern 1991, S. 80 f.).

Was den Bereich der Steuern im Besonderen anbelangt, gelten die genannten
Grundsätze nicht nur im Bereich der gewöhnlichen Steuerveranlagung, wo die
Veranlagungsverfügungen als Massensendung erfahrungsgemäss nicht mit
eingeschriebener Post versandt werden, sondern auch für den Bereich der
Einspracheentscheide. Es mag zwar der Usanz entsprechen, dass diese im
Unterschied zu den Veranlagungsverfügungen mit eingeschriebener Post versandt
werden. Indes sind keine Normen ersichtlich, die ein solches Vorgehen
vorschreiben würden; vielmehr sehen die anwendbaren Verfahrensbestimmungen
lediglich die Schriftform vor (vgl. Art. 63 Abs. 2 MWStG i.V.m. Art. 34 Abs.
1 VwVG). Sodann ist nicht zu übersehen, dass der Schuldner für die
Nichtzustellung a priori keinen Beweis erbringen kann, während die
Präsentation des Zustellnachweises der eröffnenden Behörde keinen Aufwand
verursacht. Liesse man für den Nachweis der Vollstreckbarkeit die blosse
Rechtskraftbescheinigung genügen, so würde diese im Übrigen zur eigentlichen
Zustellfiktion, die vom Schuldner selbst dann nicht umgestossen werden
könnte, wenn beispielsweise die Sendung auf dem Postweg verloren gegangen
oder die Rechtskraftbescheinigung irrtümlich erfolgt sein sollte. Vor diesem
Hintergrund haben die kantonalen Gerichte nicht gegen Bundesrecht verstossen,
wenn sie angesichts der Bestreitung der Zustellung durch den Schuldner für
den als definitiven Rechtsöffnungstitel angesprochenen Entscheid einen
speziellen Zustellnachweis verlangt haben.

4.
In ihrer gegen den obergerichtlichen Entscheid gerichteten Beschwerde macht
die EStV sodann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, was sie
bereits in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde an das Obergericht gerügt hatte. Sie
bringt vor, indem der erstinstanzliche Rechtsöffnungsrichter kein
schriftliches Verfahren durchgeführt habe, hätte sie zu den Einwänden des
Schuldners keine Stellung nehmen können, was ihren Anspruch auf rechtliches
Gehör verletze.

Mit ihrer neuen und damit ohnehin unzulässigen Tatsachenbehauptung, bei über
10'000 Rechtsöffnungsverfahren pro Jahr könne sie unmöglich immer einen
Mitarbeiter delegieren, überspielt sie, dass sie in ihrem Gesuch vom 15. März
2007 an die erste Instanz lediglich festgehalten hatte, die mit dem Dossier
befasste Mitarbeiterin könne an der Verhandlung vom 30. März 2007 wegen
anderweitiger Verpflichtungen am späten Vormittag nicht teilnehmen, und die
kantonalen Instanzen befunden haben, angesichts der Grösse der EStV hätte
ohne weiteres auch ein anderer Mitarbeiter am Verfahren teilnehmen können.

Wenn die EStV schliesslich behauptet, es sei ihr nicht zuzumuten, den
Zustellnachweis jeweils schon dem Rechtsöffnungsgesuch beizulegen, was das
Obergericht verkannt habe, unterschlägt sie, dass dieses erwogen hat, der
Zustellnachweis hätte insbesondere auch mit der Gesuchseingabe vom 15. März
2007 eingereicht werden können, in welcher sie ausführlich darauf Bezug
genommen habe. In der Tat widerspricht es dem in jedem
Prozessrechtsverhältnis zum Tragen kommenden Gebot von Treu und Glauben, wenn
sich die EStV in ihrem Gesuch um Durchführung eines schriftlichen Verfahrens
ausführlich über Modalitäten und Hergang der Zustellung geäussert hat, ohne
den Zustellnachweis beizubringen. Im Übrigen war der EStV aus früheren
Verfahren bekannt, dass das Bezirksgericht nur bei Vorliegen des
Zustellnachweises Rechtsöffnung erteilen würde (vgl. oben, E. 2).

Unter diesen Umständen hat sich die EStV ihre Unterlassung selbst
zuzuschreiben. Eine Gehörsverletzung ist vor dem geschilderten Hintergrund
jedenfalls nicht ersichtlich, umso weniger als der erstinstanzliche
Rechtsöffnungsrichter angedroht hat, bei Nichterscheinen werde aufgrund der
Akten entschieden, und der EStV bewusst war, dass sie den Zustellnachweis
nicht zu den Akten gegeben hatte.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerden abzuweisen sind, soweit
darauf eingetreten werden kann. Der Bund ist in seinen Vermögensinteressen
betroffen, weshalb ihm ausgangsgemäss die Gerichtskosten aufzuerlegen sind
(Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Gegenpartei ist kein
entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerdeverfahren Nrn. 5A_264/2007 und 5A_495/2007 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Schweizerischen
Eidgenossenschaft auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich und dem
Bezirksgericht Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Januar 2008

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: