Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.169/2007
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5A_169/2007 /bnm

Urteil vom 21. Juni 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber von Roten.

X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Boner,

gegen

Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als
zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde,
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Inventar über das Kindesvermögen, Ersatzvornahme,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche
vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, vom 15. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
Bei der Scheidung seiner Ehe wurde X.________ die elterliche Sorge für seine
drei Kinder, Jahrgang 1987, 1988 und 1990, übertragen. Das Urteil erwuchs am
26. August 2005 in Rechtskraft.

B.
Die Vormundschaftsbehörde V.________ erhielt Kenntnis von der
Kinderzuteilung, traf Kindesschutzmassnahmen und ordnete unter anderem die
Erstellung eines Inventars über das Kindesvermögen an. Fristgerecht reichte
X.________ ein Inventar ein. Die Vormundschaftsbehörde forderte X.________
zusätzlich auf, die detaillierten Originalauszüge aller Konti der Kinder für
die Zeit vom 1. März 2003 bis 26. August 2005 einzureichen. Die
entsprechenden Verfügungen blieben teils unangefochten und wurden teils
erfolglos an die Beschwerdeinstanzen weitergezogen (zuletzt Urteil des
Bundesgerichts 5P.165/2006 und 5P.169/2006 vom 21. Juli 2006).

C.
Letztmals am 24. Juli 2006 forderte die Vormundschaftsbehörde X.________ auf,
innert zehn Tagen ein vollständiges Inventar über das Kindesvermögen
einzureichen. Für den Säumnisfall drohte sie ihm an, dass "der Gemeinderat
das Kindesvermögensinventar auf dem Weg der Ersatzvornahme aufgrund der
vorliegenden Akten und Abklärungen erstellen" müsste. Die Verfügung wurde
X.________ am 27. Juli 2006 zugestellt. Sie blieb unangefochten und
unbeachtet.

D.
Androhungsgemäss führte die Vormundschaftsbehörde die Ersatzvornahme aus und
erstellte das Kindesvermögensinventar für das noch unmündige der drei Kinder
(Jahrgang 1990). Die Summe der inventarisierten Guthaben und Forderungen
beträgt danach Fr. 27'994.90. Sachwerte wurden aufgelistet, aber nicht
geschätzt (Beschluss vom 27. November 2006). Die von X.________ dagegen
erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom
15. Februar 2007).

E.
X.________ beantragt dem Bundesgericht, den obergerichtlichen Entscheid
aufzuheben und die Sache an eine der Vorinstanzen zur Neubeurteilung
zurückzuweisen verbunden mit der Auflage, dass die zuständige
Vormundschaftskammer des Obergerichts nicht mehr in der gleichen personellen
Besetzung (Richter und Gerichtsschreiberin) tagen dürfe. Er erneuert seine im
kantonalen Verfahren gestellten Eventualbegehren, den Geldwert des Vermögens
seiner Tochter auf Fr. 6'058.80 festzusetzen, die Sachwerte aus dem Inventar
zu streichen und unter den Passiven des Inventars ein Guthaben des
Kindsvaters von mind. Fr. 21'936.10 einzusetzen. Es sind die Akten, aber
keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid ist nach dem 1. Januar 2007 ergangen, so dass das
Bundesgesetz über das Bundesgericht (SR 173.110, Bundesgerichtsgesetz, BGG)
anwendbar ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

2.
Anfechtungsgegenstand ist die behördliche Aufnahme des Inventars über das
Vermögen eines unmündigen Kindes, das unter der elterlichen Sorge nur eines
Elternteils steht, gestützt auf die rechtskräftige Anordnung des
Kindesvermögensinventars im Rahmen einer vorgängig angedrohten und inhaltlich
umschriebenen Ersatzvornahme.

2.1 Gemäss Art. 318 ZGB haben die Eltern, solange ihnen die elterliche Sorge
zusteht, das Recht und die Pflicht, das Kindesvermögen zu verwalten (Abs. 1);
steht die elterliche Sorge nur einem Elternteil zu, so hat dieser der
Vormundschaftsbehörde ein Inventar über das Kindesvermögen einzureichen
(Abs. 2). Das Inventar hat nach dem Sinn und Wortlaut der Vorschrift den
Stand des Kindesvermögens im Zeitpunkt der Übernahme der Verwaltung durch
einen Elternteil allein zu verzeichnen (zit. Urteil 5P.165/2006 und
5P.169/2006, E. 5.1). Es bezweckt die Sicherung und den Beweis von Bestand
und Umfang des Kindesvermögens und ist Grundlage der späteren Überwachung der
elterlichen Vermögensverwaltung durch die Vormundschaftsbehörde
(vgl. Breitschmid, Basler Kommentar, 2006, N. 14 zu Art. 318 und N. 8 zu
Art. 324/325 ZGB). Die Bindungswirkung des Inventars ist freilich beschränkt
(vgl. Art. 313 i.V.m. Art. 324 Abs. 3 ZGB). Was den Inhalt angeht, ist auch
das Inventar über das Kindesvermögen zu ergänzen, wenn während der Dauer der
Massnahme neues Vermögen anfällt oder vorhandenes Vermögen erst später zum
Vorschein kommt (allgemein: Brückner, Schweizerisches Beurkundungsrecht,
Zürich 1993, S. 889 N. 3152 und S. 892 f. N. 3167; für das
Vormundschaftsinventar: Guler, Basler Kommentar, 2006, N. 5 zu Art. 398 ZGB;
für das kantonale Inventar: Baur/Imthurn/Ursprung, Kommentar zum Aargauer
Steuergesetz, 2.A. Bern 2004, N. 8 zu § 210). In zeitlicher Hinsicht endet
die Massnahme zum Schutz des Kindesvermögens spätestens mit dem Aufhören der
elterlichen Sorge (Art. 326 ZGB), d.h. dem Eintritt der Mündigkeit des
Kindes. In diesem Zeitpunkt ist das Inventar dem Kind herauszugeben
(vgl. Breitschmid, a.a.O., N. 1 f. zu Art. 326 ZGB).

2.2 Die Vormundschaftsbehörde hat das eingereichte Inventar zu überprüfen und
darf zu diesem Zweck die Ergänzung des Inventars verlangen (z.B. in Bezug auf
die Belege) und jede Beweisvorkehr treffen, die sie als geboten ansieht
(zit. Urteil 5P.165/2006 und 5P.169/2006, E. 5.2). Auf Grund ihrer Prüfung
hat sie darüber zu beschliessen, ob das Inventar ausreiche oder weitere
Massnahmen zu treffen seien. Sie ist befugt, das Inventar selber zu ergänzen
oder zu erstellen, wenn der Inhaber der elterlichen Sorge dazu nicht bereit
oder in der Lage ist (Hegnauer, Berner Kommentar, 1964, N. 51 und N. 57 ff.
zu aArt. 291 ZGB; Moser, La protection du patrimoine du mineur soumis à
l'autorité parentale, Diss. Lausanne 1977, S. 126 ff.; vgl. Gautschi, Über
Kindesinventare, ZBl. 25/1924 S. 242/257/273, S. 274 f. Ziff. 5; Das
Kindesvermögens-Inventar (ZGB 291), Anleitung mit Beispielen, hrsg. vom
Gemeindeschreiberverband des Kantons Aargau, 1967, S. 8 ff. und S. 61).

2.3 Unter Vorbehalt der sich aus Bundesrecht ergebenden Vorschriften ist es
Sache der Kantone, das Verfahren betreffend Kindesschutz zu regeln (Art. 314
i.V.m. Art. 324 Abs. 3 ZGB) und die zuständigen Behörden zu bezeichnen
(Art. 54 SchlTZGB). Im Kanton Aargau wird das Verfahren vor dem Gemeinderat
als Vormundschaftsbehörde (§ 59 Abs. 1 EGzZGB, SAR 210.100) durch das Gesetz
über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG, SAR 271.100) geregelt (§ 1 Abs. 1
VRPG; vgl. etwa AGVE 2002 Nr. 34 E. 1a und E. 3b S. 100 ff.). Gemäss § 74
Abs. 1 VRPG vollstreckt die verfügende Behörde ihre Anordnungen selbst,
sofern es nicht um eine Geld- oder Sicherheitsleistung geht. Bei der
behördlichen Ergänzung oder Erstellung des Kindesvermögensinventars handelt
es sich um eine Ersatzvornahme, wie sie § 76 Abs. 2 VPRG vorsieht. Sofern
keine Gefahr im Verzug ist, hat der Ersatzvornahme deren ausdrückliche
Androhung voranzugehen, unter Ansetzung einer angemessenen Frist zur
Erfüllung (§ 77 Abs. 1 VRPG). Der Bürger muss die Möglichkeit haben, seine
Pflicht selbst zu erfüllen, bevor der Staat an seiner Stelle handelt. Auf die
Androhung darf nur verzichtet werden, wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn
feststeht, dass der Pflichtige das Gebotene innert vernünftiger Frist nicht
selbst vornehmen kann (BGE 105 Ib 343 E. 4b S. 345 f.). Das
Vollstreckungsverfahren umfasst die Androhung mit Fristansetzung, den nach
unbenutztem Ablauf der Erfüllungsfrist zu fassenden Beschluss, die
Ersatzvornahme auszuführen, und deren tatsächliche Ausführung, die hier in
Anlehnung an die kantonale Verordnung über das Nachlassinventar erfolgt
(SAR 651.271; vgl. ZBl. 17/1916 S. 263 f.). Mit kantonalen Rechtsmitteln
können Mängel des Vollstreckungsverfahrens gerügt werden; die auf dem Weg der
Ersatzvornahme zu vollstreckende rechtskräftige Sachverfügung ist - von
Nichtigkeitsgründen abgesehen - hingegen nicht mehr anfechtbar (vgl. Merker,
Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz
über die Verwaltungsrechtspflege, Zürich 1998, N. 85 und N. 123 zu § 38 und
N. 56 zu § 52 VRPG). Kantonal letztinstanzliche Vollzugsakte unterlagen nach
dem bisherigen Bundesrechtspflegegesetz von 1943 einzig der staatsrechtlichen
Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte. Im Rahmen der
Anfechtung des Vollzugsaktes konnte die Rechtmässigkeit der ihm zugrunde
liegenden - der zu vollziehenden - Verfügung nicht mehr in Frage gestellt
werden, es sei denn, der Beschwerdeführer rügte die Verletzung
unverzichtbarer und unverjährbarer Rechte oder machte geltend, jene
Grundverfügung sei geradezu nichtig (BGE 104 Ia 172 E. 2b und c S. 175 ff.;
119 Ib 492 E. 3c/cc S. 499).

2.4 Entscheidgegenstand im Verfahren der Ersatzvornahme und deren Überprüfung
im kantonalen Rechtsmittelverfahren sind beschränkt. Ein ordentliches
Bundesrechtsmittel gegen derartige Vollstreckungsverfügungen oder
Vollzugsakte hat das bisherige Bundesrechtspflegegesetz nicht zugelassen. Das
erstellte Inventar über das Kindesvermögen hat lediglich Sicherungs- und
Beweisfunktion und ist inhaltlich jederzeit abänderbar und zeitlich befristet
gültig. Unter diesen Umständen sind der Beschluss, die Ersatzvornahme
auszuführen, und die gleichzeitige behördliche Inventaraufnahme als
vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG zu qualifizieren, so dass mit
Beschwerde nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann
(vgl. Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege BBl. 2001 4202,
S. 4336, mit Hinweis auf Vollstreckungsmassnahmen).

3.
Der Gesetzgeber hat Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen neu als
dringliche Streitsachen anerkannt (anders Art. 34 Abs. 2 OG) und deshalb vom
Friststillstand während der sogenannten Gerichtsferien ausgenommen (Art. 46
Abs. 1 und 2 BGG). Entscheide über vorsorgliche Massnahmen sollen ohne
Aufschub angefochten werden. Der Begriff der vorsorglichen Massnahme gemäss
Art. 46 Abs. 2 BGG stimmt mit demjenigen in Art. 98 BGG überein (Urteil
5A_177/2007 vom 1. Juni 2007, E. 1.3).

4.
Der Beschwerdeführer hat den angefochtenen Entscheid am 7. März 2007 in
Empfang genommen. Er hat die Beschwerdefrist von dreissig Tagen (Art. 100
Abs. 1 BGG) ab dem auf die Mitteilung folgenden Tag (Art. 44 Abs. 1 BGG)
unter Berücksichtigung des Fristenlaufs an Sonntagen (Art. 45 Abs. 1 BGG) und
des Friststillstandes vom siebenten Tag vor Ostern bis und mit dem siebenten
Tag nach Ostern (Art. 46 Abs. 1 lit. a BGG) berechnet und seine Eingabe am
23. April 2007, d.h. am - nach seiner Berechnungsart - letzten Tag der
Beschwerdefrist zu Handen des Bundesgerichts der Schweizerischen Post
übergeben (Art. 48 Abs. 1 BGG). Da der angefochtene Entscheid als
vorsorgliche Massnahme zu betrachten und deshalb vom Friststillstand während
der Gerichtsferien ausgenommen ist (E. 2 und 3 hiervor), erweist sich die
Eingabe als verspätet eingereicht. Auf die Beschwerde kann nicht eingetreten
werden.

5.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.--- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons
Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche
vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Juni 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: