Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.167/2007
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2007
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2007


5A_167/2007 /bnm

Urteil vom 1. Oktober 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Möckli.

X.________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Huber,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs,

Ehescheidung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen,
II. Zivilkammer, vom 5. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 10. März 2006 schied das Kreisgericht St. Gallen die Ehe von
Y.________ (Ehefrau) und X.________ (Ehemann). Unter anderem teilte es die
elterliche Sorge über die 1996 geborene Z.________ der Mutter zu und wies
deren Begehren um nachehelichen Unterhalt ab.

Mit Urteil vom 5. März 2007 bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen die
Zuteilung der elterlichen Sorge und verpflichtete X.________ zu nachehelichem
Unterhalt an Y.________ von Fr. 1'100.-- pro Monat bis Ende Juli 2009. Die
Kosten des kantonalen Verfahrens auferlegte es beiden Parteien zur Hälfte.

B.
Mit Beschwerde vom 23. April 2007 verlangt X.________, von der Festsetzung
nachehelichen Unterhalts sei abzusehen und die kantonalen Kosten seien zu 2/5
ihm und zu 3/5 der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. In ihrer Vernehmlassung
vom 14. September 2007 schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der
Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist die Unterhaltsfestsetzung, mithin eine vermögensrechtliche
Zivilsache, in einem kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (Art. 72 Abs.
1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). Der hierfür erforderliche Streitwert von
Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist bei einem Betrag von 28 mal Fr.
1'100.-- knapp erreicht. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist somit
einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Kantonsgericht habe den vom
Kreisgericht festgestellten Sachverhalt nur sehr unvollständig wiedergegeben.
Dies bedeute eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung, die von
Amtes wegen zu korrigieren sei (Art. 105 Abs. 2 OR).

In der Tat wird der massgebliche Sachverhalt vom Kantonsgericht derart
selektiv wiedergegeben, dass eine gehörige Anwendung des Bundesrechts (Art.
95 lit. a i.V.m. Art. 106 Abs. 1 BGG) vereitelt würde. Eine Rückweisung zur
Vervollständigung würde indes offensichtlichen Leerlauf bedeuten, ist doch
der Sachverhalt im Urteil des Kreisgerichts umfassend festgestellt und
zwischen den Parteien in keinem Punkt strittig; einer auf Art. 97 Abs. 1 BGG
gestützten Sachverhaltsergänzung bzw. einem Abstellen auf die
Sachverhaltsdarstellung im erstinstanzlichen Urteil steht somit nichts
entgegen.

3.
Die Ehegatten lernten sich über gemeinsame Freunde im Elternhaus der Ehefrau
in der Schweiz kennen. Nach kurzer Bekanntschaft heirateten sie im Juli 1995.
Die Ehefrau zog bald darauf nach Berlin, wo ihr Mann Informatik studierte. Im
Herbst 1996 kam die gemeinsame Tochter Z.________ zur Welt. Offenbar lebte
die Familie während des Studiums des Ehemannes von finanzieller Unterstützung
seiner Eltern und von seinem Nebenverdienst. Weil sich die Ehefrau in Berlin
nicht wohl fühlte, hielt sie sich häufig bei ihren Eltern in der Schweiz auf.
Im Oktober 1997 zog sie mit Z.________ ganz in die Schweiz zurück und lebte
fortan im Haus ihrer Eltern. Nach Abschluss des Studiums übersiedelte auch
der Ehemann in die Schweiz und fand eine Anstellung als Informatiker in
A.________. Von Frühjahr 1998 bis zur Trennung im Herbst 1998 lebten die
Parteien gemeinsam im elterlichen Haus der Ehefrau. Der Lebensunterhalt für
Frau und Kind wurde während dieser Zeit durch deren Eltern bestritten. Seit
Aufhebung des Zusammenlebens wohnt der Ehemann in B.________ und verbringt
die Wochenenden in Deutschland. Die Ehefrau wohnt zusammen mit ihrer Tochter
weiterhin in ihrem Elternhaus. Der Kontakt unter den Ehegatten riss nach der
Trennung nahezu vollständig ab.

Nachdem die Ehefrau auch nach der Trennung während Jahren ausschliesslich von
der Unterstützung durch ihre Eltern gelebt hatte, verlangte sie im Jahr 2002
im Rahmen eines Eheschutzverfahrens für sich und Z.________
Unterhaltszahlungen. Teilweise war sie aber auch in ihrem Beruf als
kaufmännische Angestellte erwerbstätig gewesen. In den Jahren 1998 und 1999
war sie zu 50% beim Versicherungsgericht C.________ tätig. Im Jahr 2001
arbeitete sie kurze Zeit als kaufmännische Angestellte beim Liegenschaftsamt
C.________, wo sie Fr. 6'703.-- netto verdiente. Ansonsten bezog sie im Jahr
2001 Arbeitslosengelder von Fr. 5'223.-- netto. Danach absolvierte sie die
Maturitätsschule, machte sodann einen "Französisch-Aufenthalt" und nahm
schliesslich im Herbst 2005 ein Vollzeitstudium zur Ausbildung als
Sekundarlehrerin auf, das sie voraussichtlich im Sommer 2009 bzw. wegen eines
Zwischensemesters ein Jahr später abschliessen wird. Während ihrer
studienbedingten Abwesenheit wird Z.________ durch die Grossfamilie, in deren
8-Zimmer-Haus Ehefrau und Kind nach wie vor leben, betreut, namentlich von
der Mutter der Ehefrau bzw. der Grossmutter von Z.________.

4.
Wie das Kantonsgericht zutreffend festhält, steht der vorliegende Fall
ausserhalb der gängigen Kategorien; immerhin setzt der von ihm zugesprochene
nacheheliche Unterhalt die Annahme einer lebensprägenden Ehe voraus, da bei
dem für nicht lebensprägende Ehen typischen Anknüpfen an den vorehelichen -
und damit studentischen - Verhältnissen (Entscheide 5C.278/2000, E. 3a und
3c; 5C.149/2004, E. 4.3, publ. in FamPra.ch 2005, S. 352; 5C.261/2006, E. 3;
Hausheer/ Spycher, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 05.120 f.)
ohnehin kein Unterhalt geschuldet sein könnte.

Dass die Parteien während des zweimaligen ehelichen Zusammenlebens in erster
Linie durch ihre Eltern finanziert wurden, schliesst nicht von vornherein
aus, dass die Ehe hätte lebensprägend werden können. Gerade bei einer
Studentenehe ist eine anfängliche Drittfinanzierung und erst später
einsetzende Eigenversorgung typisch; sie hindert nicht, dass die Ehegatten in
Anbetracht einer beabsichtigten Erwerbsaufnahme nach Studienabschluss auf
eine entsprechend in Aussicht stehende Lebenshaltung bauen und in diesem
Zusammenhang auf den Fortbestand der Ehe vertrauen.

Angesichts des zweimaligen kurzen Zusammenlebens - das erste dauerte rund
zwei Jahre, wobei die Ehefrau während dieser Zeit oft zu ihren Eltern
zurückfuhr, weil sie sich in Berlin nicht wohl fühlte, und das zweite dauerte
rund ein halbes Jahr - kann jedoch nicht von einer langen Ehedauer gesprochen
werden, wie sie für die Annahme einer lebensprägenden Ehe erforderlich wäre
(vgl. Entscheide 5C.111/2001, E. 2c, publ. in: FamPra.ch 2002, S. 144;
5C.149/2004, E. 4.3, publ. in: FamPra.ch 2005, S. 353; Schwenzer, FamKomm
Scheidung, Bern 2005, N. 47 f. zu Art. 125 ZGB); vielmehr liegt eine so
genannte Kurzehe vor, weil sich die massgebliche Zeitspanne von der
Eheschliessung an bis zur tatsächlichen Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft
bemisst und die Trennungsdauer ausser Betracht fällt (BGE 127 III 136 E. 2c
S. 140; 132 III 598 E. 9.2 S. 600). Dass die Ehefrau ohnehin nicht auf die
Fortführung der Ehe und die eheliche Beistands- und Unterhaltspflicht,
sondern vielmehr auf die Unterstützung durch ihre Elternfamilie baute, zeigt
sich im Übrigen darin, dass sie ihren Ehemann nach der Trennung während
Jahren nie um Unterhaltszahlungen anging. Erst im Zusammenhang mit ihrer
beruflichen Neuausrichtung stellte sie plötzlich ein Eheschutzgesuch.

In der vorliegenden besonderen Konstellation lässt sich eine Lebensprägung
auch nicht aus der Tatsache des gemeinsamen Kindes ableiten. Nach der
konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird eine Ehe, aus der
gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, zwar in der Regel unabhängig von der
Ehedauer zur lebensprägenden (Entscheide 5C.278/2000, E. 3a; 5C.149/2004, E.
4.3, publ. in FamPra.ch 2005, S. 352; 5C.169/2006, E. 2.4; 5C.261/2006, E. 3;
5C.40/2007, E. 5). Vorliegend stand jedoch Z.________ seit ihrer Geburt
gewissermassen ausserhalb der Ehe und innerhalb der Grossfamilie der Ehefrau,
in deren Kreis sie aufgezogen wird; ein Kontakt zum Vater bestand mit
Ausnahme der kurzen Perioden des Zusammenlebens während langer Zeit kaum.
Sodann verhält es sich auch nicht so, dass die Ehefrau wegen des Kindes an
einer Erwerbsarbeit gehindert wäre und es somit an ihrer
Eigenversorgungskapazität fehlen würde, was Voraussetzung für die Zusprechung
nachehelichen Unterhaltes ist (vgl. Wortlaut von Art. 125 Abs. 1 ZGB; BGE 127
III 289 E. 2a/aa S. 291). Vielmehr wird Z.________ im Rahmen der Grossfamilie
faktisch fremdbetreut und hindert ihre Mutter in keiner Weise an einer
Tätigkeit ausserhalb des Hauses. So war diese verschiedentlich arbeitstätig,
teilweise sogar vollzeitig, und geht nunmehr seit Jahren einem
Vollzeitstudium nach. Allein dieses, nicht das Kind, hindert sie gegenwärtig
an einer Erwerbstätigkeit und entsprechend an der Möglichkeit, sich selbst zu
versorgen. Das Studium wurde im Übrigen nicht aufgrund einer gemeinsamen
Lebensplanung oder doch wenigstens im Einvernehmen mit dem Ehemann
aufgenommen, sondern beruht auf einem persönlichen Lebensentscheid, den die
Ehefrau mehrere Jahre nach der Trennung unabhängig von ihrem Ehemann
getroffen hat.

Vor dem geschilderten Hintergrund kann die Ehe nicht als lebensprägend
angesehen werden und ist folglich von der Festsetzung nachehelichen
Unterhalts abzusehen.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die den nachehelichen Unterhalt betreffende
Ziff. 4 des kantonsgerichtlichen Urteils in dahingehender Gutheissung der
Beschwerde aufzuheben ist. Hingegen würde sich eine Neuverteilung der
kantonalen Kosten (Art. 67 BGG) nicht rechtfertigen, hat doch das
Kantonsgericht diese gestützt auf Art. 266 Abs. 1 ZPO/SG mit der Begründung
hälftig geteilt, die Parteien hätten ein gleichmässiges Interesse an der
Scheidung ihrer Ehe sowie der Regelung der Nebenfolgen gehabt und das
Verfahren sei in erster Linie von einer Auseinandersetzung um die
Kinderbelange geprägt gewesen, wo nicht von einem Obsiegen und Unterliegen
gesprochen werden könne. Im bundesgerichtlichen Verfahren, das auf den
Streitpunkt des nachehelichen Unterhalts beschränkt war, wird jedoch die
Ehefrau vollständig kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und
Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde wird Ziff. 4 des Urteils des
Kantonsgerichts St. Gallen vom 5. März 2007 aufgehoben, und das Begehren der
Beschwerdegegnerin um Zuspruch nachehelichen Unterhalts wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Oktober 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: