Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.151/2007
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5A_151/2007

Urteil vom 22. Januar 2008
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Bundesrichter Marazzi, Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Ismet Bardakci,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Alp Göçmen.

provisorische Rechtsöffnung (rechtliches Gehör),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts (Appellationshof,
1. Zivilkammer) des Kantons Bern vom 8. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Eingabe vom 11. Dezember 2006 stellte X.________ beim
Gerichtskreis G.________ das Gesuch, es sei ihm in der gegen Y.________
eingeleiteten Betreibung Nr......... des Betreibungsamtes B.________, für
Fr. 215'727.60 nebst Zins zu 5 % seit 15. Juni 2005 provisorische
Rechtsöffnung zu erteilen: Bei der in Betreibung gesetzten Forderung handle
es sich um den Kaufpreis für Aktien der im Ausland domizilierten Firma
A.________, die er Y.________ abgetreten habe.

In der von ihm eingeholten Vernehmlassung vom 3. Januar 2007 schloss
Y.________ auf Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens.

Der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises G.________ wies das
Rechtsöffnungsgesuch am 9. Januar 2007 ab.

B.
Hiergegen appellierte X.________ an das Obergericht des Kantons Bern. Er
beantragte, den Entscheid des Gerichtspräsidenten aufzuheben und die Sache
zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und zu neuem Entscheid an diesen
zurückzuweisen; allenfalls sei ihm die verlangte provisorische Rechtsöffnung
zu erteilen. Sein Hauptbegehren begründete er damit, dass ihm die
Vernehmlassung Y.________s vom 3. Januar 2007 erst auf sein Ersuchen, am
12. Januar 2007, zugesandt worden sei.

Das Obergericht (Appellationshof, 1. Zivilkammer) holte von Y.________ eine
Stellungnahme ein, die dieser am 8. Februar 2007 einreichte. Darin wurde
beantragt, verschiedene Appellationsbeilagen aus den Akten zu weisen und die
Appellation abzuweisen.

Mit Entscheid vom 8. März 2007 gab das Obergericht beiden Anträgen statt und
wies das Rechtsöffnungsgesuch seinerseits ab.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 16. April 2007 beantragt X.________, den
Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Gewährung des
rechtlichen Gehörs, zur Ansetzung einer Frist für die Einreichung
beglaubigter Übersetzungen der Gesuchsbeilagen und zu neuem Entscheid an die
Appellationsinstanz zurückzuweisen; allenfalls sei ihm durch das
Bundesgericht die verlangte Rechtsöffnung zu erteilen.

Y. ________ (Beschwerdegegner) schliesst in seiner Vernehmlassung vom
17. Dezember 2007 auf Abweisung der Beschwerde. Die Stellungnahme wurde dem
Beschwerdeführer am 18. Dezember 2007 zur Kenntnis gebracht.

Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Als Entscheid in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegt der
angefochtene Entscheid der Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a
BGG). Rechtsöffnungsentscheide sind zudem Endentscheide im Sinne von Art. 90
BGG (dazu BGE 133 III 399 E. 1.4 S. 400). Ferner ist der für
vermögensrechtliche Angelegenheiten hier geforderte Streitwert von 30'000
Franken (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) bei weitem erreicht. Da
Rechtsöffnungssachen im Übrigen nicht etwa vorsorgliche Massnahmen im Sinne
von Art. 98 BGG darstellen (dazu BGE 133 III 399 E. 1.5 S. 400), sind in
rechtlicher Hinsicht sämtliche Rügen nach den Art. 95 und 96 BGG zulässig.
Unter das in Art. 95 lit. a BGG angeführte Bundesrecht fallen auch
verfassungsmässige Rechte des Bundes (BGE 133 III 446 E. 3.1 S. 447; 133 I
201 E. 1 S. 203).

2.
Zur Begründung seines Hauptbegehrens um Aufhebung des obergerichtlichen
Entscheids bringt der Beschwerdeführer vor, es sei ihm weder vom
erstinstanzlichen Richter die Vernehmlassung des Beschwerdegegners vom
3. Januar 2007 noch von der Appellationsinstanz dessen Stellungnahme vom
8. Februar 2007 zu seiner Appellation vor Fällung des jeweiligen Entscheids
zur Kenntnis gebracht worden. Durch ihr Vorgehen hätten beide kantonalen
Instanzen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und auf
ein faires Verfahren (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) missachtet. Diese Bestimmungen
verleihten den Parteien das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereichten
Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten und zu diesen
gegebenenfalls Stellung zu nehmen.

3.
3.1 Das Obergericht, das auf eine Stellungnahme zur Beschwerde ausdrücklich
verzichtet hat, stellt nicht in Abrede, dass es dem Beschwerdeführer die
Vernehmlassung des Beschwerdegegners vom 8. Februar 2007 zur Appellation
nicht zur Kenntnis gebracht hat. Den gegenüber dem erstinstanzlichen Richter
- der seinerseits dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung zum
Rechtsöffnungsgesuch (vor Fällung seines Entscheids) nicht zugestellt hatte -
erhobenen Vorwurf der Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf
ein faires Verfahren hat es hauptsächlich mit dem Hinweis auf die
Besonderheiten von Rechtsöffnungsangelegenheiten zurückgewiesen: Nach Art. 25
Ziff. 2 lit. a SchKG bzw. nach der entsprechenden Bestimmung von Art. 317
(Ziff. 4) der Berner Zivilprozessordnung (ZPO) seien Rechtsöffnungsgesuche im
summarischen Verfahren zu erledigen. Dieses unterscheide sich vom
ordentlichen Verfahren dadurch, dass die Anforderungen an den Beweis
herabgesetzt und die Beweismittel beschränkt seien; es sei zeitlich gerafft,
bezüglich seiner Formen vereinfacht und durch besondere Raschheit
gekennzeichnet. Das summarische Verfahren führe teilweise zu Entscheiden
provisorischen Charakters, an die der Richter im Hauptprozess nicht gebunden
sei. Den Prozessmaximen, insbesondere der Eventual- und der
Verhandlungsmaxime, komme grösseres Gewicht zu, und der Anspruch auf
beiderseitiges rechtliches Gehör erfahre, vorerst einmal, Beeinträchtigung.
Der Natur des Summarverfahrens entsprechend bestehe kein Anspruch auf Replik
und Duplik. Von einem solchen Anspruch sei denn auch in Art. 84 Abs. 2 SchKG
(wonach der Richter dem Betriebenen sofort nach Eingang des
Rechtsöffnungsgesuchs Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen
Stellungnahme gibt und den Entscheid danach innert fünf Tagen eröffnet) nicht
die Rede. Das Gleiche gelte übrigens für den Vorentwurf der Schweizerischen
Zivilprozessordnung, dessen Art. 262 im Summarverfahren keine Möglichkeit zur
Replik und Duplik vorsehe.

Aufgrund seiner Erwägungen gelangte das Obergericht zum Ergebnis, der
erstinstanzliche Richter habe durch das Unterlassen der Zustellung der
Vernehmlassung des Beschwerdegegners den Gehörsanspruch des Beschwerdeführers
nicht verletzt. Alsdann hat es das Rechtsöffnungsgesuch unter Einbezug des
vom Beschwerdegegner in der Stellungnahme vom 8. Februar 2007 Vorgebrachten
materiell geprüft und dafür gehalten, es sei abzuweisen.

3.2 Der obergerichtlichen Auffassung zum Anspruch auf rechtliches Gehör ist
nicht beizupflichten: Das Bundesgericht hat wiederholt erklärt, die vom
Beschwerdeführer angerufene Bestimmung von Art. 29 Abs. 2 BV verleihe - unter
Vorbehalt von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen zum Schutz
überwiegender öffentlicher Interessen oder berechtigter Interessen Dritter
(BGE 130 III 42 E. 3.2.1 S. 44 mit Hinweis) - der Verfahrenspartei den
Anspruch, in alle für den Entscheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen und
sich dazu zu äussern (vgl. BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88 mit Hinweis). Dies
bedeutet, dass ein Gericht jede bei ihm eingereichte Stellungnahme den
Beteiligten zur Kenntnis zu bringen hat (dazu BGE 133 I 98, E. 2.1 und 2.2
S. 99 f., und 100, E. 4.5 und 4.6 S. 103 f., mit Hinweisen).

Die Ausführungen des Obergerichts vermögen ein Abweichen von dieser Regel
nicht zu rechtfertigen: Wenn unter Berufung auf das bundesgerichtliche Urteil
vom 22. März 2002 (5P.31/2002) erklärt wird, Art. 84 Abs. 2 SchKG halte den
Rechtsöffnungsrichter an, innert fünf Tagen seit Anbringen des Begehrens und
nach Anhören der Parteien zu entscheiden, und sehe keine Replik des
Gläubigers vor, ist darauf hinzuweisen, dass in jenem Entscheid ausdrücklich
festgehalten wurde, die genannte Bestimmung verbiete weder Replik noch Duplik
(E. 3b). Zu bemerken ist ferner, dass es sich bei Art. 84 Abs. 2 SchKG um
eine blosse Ordnungsvorschrift handelt und dass das Bundesgericht bereits in
einem älteren Urteil festhielt, diese müsse zurücktreten, wenn durch ihre
Einhaltung den Parteien unter Umständen das rechtliche Gehör verweigert würde
(BGE 104 Ia 465 E. 3 S. 468). Dem Beschleunigungsgebot hätte der
Rechtsöffnungsrichter im Übrigen mit der Anordnung einer mündlichen
Verhandlung Rechnung tragen können (vgl. Jaeger/Walder/Kull/Kottmann,
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Auflage, Zürich 1997, N. 2
zu Art. 84), wie sie nach der Berner Zivilprozessordnung (Art. 309) auch für
das summarische Verfahren in Fällen der vorliegenden Art möglich ist. Soweit
die Nichtzustellung der vom Beschwerdegegner im Appellationsverfahren
eingereichten Vernehmlassung durch die Vorinstanz in Frage steht, vermochte
Art. 84 Abs. 2 SchKG die Unterlassung von vornherein nicht zu rechtfertigen,
wendet sich doch diese Bestimmung ausschliesslich an den
Rechtsöffnungsrichter.

3.3 Wenn das Obergericht zum Schluss gelangte, der erstinstanzliche Richter
habe, ohne den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zu
verletzen, davon absehen dürfen, die Stellungnahme vom 3. Januar 2007 (worin
der Beschwerdegegner unter Beilage verschiedener Schriftstücke die Abweisung
des Rechtsöffnungsgesuchs verlangte) zur Kenntnis zu bringen, hat es nach dem
Gesagten Art. 29 Abs. 2 BV verkannt. Ausserdem hat die Vorinstanz auch selbst
gegen Art. 29 Abs. 2 BV verstossen, indem sie dem Beschwerdeführer die
Vernehmlassung vom 8. Februar 2007 zu seiner Appellation nicht zustellte: Sie
hat diese Eingabe, in der der Beschwerdegegner nicht nur auf Abweisung des
Rechtsmittels schloss, sondern zudem beantragte, gewisse Appellationsbeilagen
seien aus den Akten zu weisen, ausdrücklich erwähnt und in Betracht gezogen.
Mit dem angefochtenen Entscheid wurde beiden Anträgen entsprochen
(Dispositiv-Ziffern 1 und 2). Die dem Beschwerdeführer vorenthaltene
Stellungnahme war somit nicht etwa nur abstrakt geeignet, den
Verfahrensausgang zu beeinflussen.

4.
Nach dem Dargelegten ist die Beschwerde gutzuheissen, ohne dass die ebenfalls
in der Sache selbst erhobenen Rügen zu prüfen wären. Der angefochtene
Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht
zurückzuweisen.

5.
Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen,
zumal dieser ausdrücklich die Abweisung der Beschwerde verlangt hat (Art. 66
Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegner ist ausserdem zu verpflichten, den
Beschwerdeführer für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Obergerichts
(Appellationshof, 1. Zivilkammer) des Kantons Bern vom 8. März 2007
aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, den Beschwerdeführer für seine
Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (Appellationshof,
1. Zivilkammer) des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2008

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Gysel