Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.69/2007
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4A_69/2007 /len

Urteil vom 25. Mai 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

A. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Wagner,

gegen

X.________ Versicherungs-Gesellschaft,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Burren.

Haftung des Motorfahrzeughalters,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht,

4. Kammer, vom 2. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Beschwerdeführer) wurde am 22. Januar 2001 in einen
Strassenverkehrsunfall verwickelt. Am 3. Januar 2006 reichte er beim
Bezirksgericht Bremgarten gegen die X.________ Versicherungs-Gesellschaft
(Beschwerdegegnerin) als Haftpflichtversicherung des Halters des
unfallverursachenden Fahrzeuges Teilklage ein und verlangte von ihr Fr.
166'933.44 nebst Zins für den Erwerbsausfall vom 1. März 2003 bis zum 31.
Oktober 2005 abzüglich allfälliger Leistungen der Sozialversicherungen für
diese Zeit. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Abweisung der Klage,
eventuell die Sistierung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung
der versicherungsgerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der SUVA und dem
Beschwerdeführer. Daraufhin sistierte der Präsident I des Bezirksgerichts das
Verfahren. Er hob die Sistierung auf, nachdem der Beschwerdeführer seine
Beschwerde betreffend die SUVA-Leistungen zur Vermeidung einer "reformatio in
peius" zurückgezogen hatte. Nach Eingang von Replik und Duplik sistierte der
Bezirksgerichtspräsident mit Verfügung vom 31. Oktober 2006 das Verfahren
erneut bis zur rechtskräftigen Erledigung des Rechtsstreits betreffend
Leistungen gestützt auf das IVG, obwohl die Beschwerdegegnerin in der Duplik
ihr Sistierungsbegehren nicht wiederholt hatte.

B.
Gegen diese Verfügung des Bezirksgerichtspräsidenten erhob der
Beschwerdeführer kantonalrechtliche Beschwerde an das Obergericht des Kantons
Aargau, welches die Beschwerde am 2. Februar 2007 abwies. Gegen diesen
Entscheid führt der Beschwerdeführer beim Bundesgericht Beschwerde in
Zivilsachen und beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die
Vorinstanz beziehungsweise das Bezirksgericht anzuweisen, die Sistierung
aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen. Die Beschwerdegegnerin schliesst
auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (SR 173.110;
BGG) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Nach Art. 132 BGG ist dieses
Gesetz auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des
Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn
auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
ergangen ist. Da der angefochtene Entscheid nach dem 1. Januar 2007 erging,
finden die Bestimmungen des BGG Anwendung.

1.1 Nach Art. 94 BGG kann eine Partei gegen das unrechtmässige Verweigern
oder Verzögern eines anfechtbaren Entscheids Beschwerde erheben, wobei ohne
Belang ist, ob das Gericht formell verfügt, das Verfahren auszusetzen, oder
ohne formellen Sistierungsbeschluss untätig bleibt (vgl. BGE 120 III 143 E.
1b S. 144 ). Insoweit erweist sich die Beschwerde als zulässig.

1.2 Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdeschrift in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Zu beachten ist
dabei die grundsätzliche Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Entscheid. Soweit der Beschwerdeführer keine
substanziierten Sachverhaltsrügen gemäss Art. 97 und 105 BGG erhebt, ist er
mit Vorbringen, die über die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
Entscheid hinausgehen, nicht zu hören.

1.3 Der Kläger macht eine Verletzung seiner verfassungsrechtlichen
Verfahrensgarantien geltend. Mit Bezug auf Grundrechtverletzungen wendet das
Bundesgericht das Recht nicht von Amtes wegen an, sondern prüft den
angefochtenen Entscheid nur, wenn eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und rechtsgenüglich begründet wurde (Art. 106 BGG).

2.
Das Obergericht hielt fest, es sei unbestritten, dass die IV gemäss den
einschlägigen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts im Zeitpunkt des
Ereignisses bis auf die Höhe der gesetzlichen Leistungen in die Ansprüche des
Beschwerdeführers gegen die Beschwerdegegnerin eingetreten sei. Das
Obergericht schloss daraus, der Beschwerdeführer behalte zwar die
Dispositionsbefugnis für die über die gesetzlichen Leistungen der
Sozialversicherung hinausgehenden Ansprüche, doch lasse sich deren Höhe erst
feststellen, wenn darüber rechtskräftig entschieden sei. Daher sei der
Ausgang des IV-Verfahrens für die eingeklagten Ansprüche erheblich und die
Sistierung des Verfahrens gerechtfertigt.

2.1 Der Beschwerdeführer wendet sich in der Beschwerde nicht grundsätzlich
gegen diese Ausführungen. Er macht aber geltend, er habe am 7. April 2004 auf
Wunsch der Beschwerdegegnerin das Formular "Verrechnung von Nachzahlungen AHV
/ IV" unterzeichnet. Sollte er für die im Zivilverfahren massgebende Zeit von
der IV eines Tages eine Leistung zugesprochen erhalten, so würde die
Nachzahlung für den entsprechenden Zeitraum an die Beschwerdegegnerin
ausbezahlt. Es bestehe somit keine Subrogationsforderung der IV gegenüber der
Beschwerdegegnerin, weshalb dem Beschwerdeführer die Dispositionsbefugnis
über die gesamte Schadenersatzforderung zustehe. Die Unterzeichnung dieses
Formulars stelle keinen Verzicht auf Leistungen der Sozialversicherung dar,
welcher gemäss den Ausführungen der Vorinstanz der Zustimmung der
Sozialversicherung bedürfte, sondern eine Zession, welche die Subrogation
neutralisiere. Damit sei der Ausgang des IV-Verfahrens ohne Bedeutung für das
hängige Teilklageverfahren. Die Sistierung desselben bis zum Abschluss des
wohl noch Jahre dauernden IV-Verfahrens verletze daher den bundesrechtlichen
Justizgewährleistungsanspruch sowie das in Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 29
Abs.1 BV verankerte Beschleunigungsgebot.

2.2 Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV - sowie gegebenenfalls von Art. 6
Abs. 1 EMRK (BGE 130 I 174 E. 2.2 S. 178 mit Hinweisen) - durch
Rechtsverzögerung liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn sich die
Gerichtsbehörde an sich zwar bereit zeigt, einen Entscheid zu treffen, diesen
aber nicht binnen der Frist fasst, welche nach der Natur der Sache und nach
der Gesamtheit der übrigen Umstände des konkreten Einzelfalles als angemessen
erscheint. Eine Verfahrenssistierung birgt stets das Risiko, das Verfahren
unnötig zu verzögern. Eine Sistierung ist mit Blick auf Art. 29 Abs.1 BV nur
ausnahmsweise zulässig und muss sich auf sachliche Gründe stützen können. So
wird nach der Rechtsprechung die Hängigkeit eines anderen Verfahrens, dessen
Ausgang von präjudizieller Bedeutung ist, als zureichender Grund für eine
Sistierung anerkannt (vgl. BGE 130 V 90 E. 5 S. 95 mit Hinweis). Damit bleibt
zu prüfen, ob die Leistungen der IV einen Einfluss auf den Zivilprozess
haben.

2.3 Erhält der Geschädigte Leistungen der IV, kann er in diesem Umfang von
der Schadensversicherung keinen Ersatz verlangen, da die
Invalidenversicherung in die Schadenersatzansprüche des Geschädigten eintritt
(BGE 131 III 360 E. 6.1 S. 365 f. mit Hinweisen). Da seine Ansprüche bereits
im Moment des Schadensereignisses auf die Sozialversicherung übergehen, fehlt
es dem Geschädigten insoweit an der Aktivlegitimation und hängt das Ergebnis
der Schadenersatzklage vom Umfang der Leistungen der Sozialversicherung ab,
da vom Schadenersatz, den der Haftpflichtige dem Geschädigten schuldet, der
diesem Zustehende IV-Anspruch abzuziehen ist. Dies galt bereits nach Art. 52
aIVG (Ulrich Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG],
zu Art. 52 aIVG), der durch eine entsprechende Regelung in Art. 72 ATSG
abgelöst wurde (vgl. Kieser, ATSG Kommentar, N. 9 und 22 zu Art. 72 ATSG). In
diesem Punkt kommt der von der Vorinstanz nicht explizit behandelten Frage
nach der Anwendbarkeit des ATSG (vgl. Kieser, a.a.O., N. 6 zu Art. 72 ATSG)
keine Bedeutung zu, was von den Parteien anerkannt wird. Der haftpflichtige
Dritte kann sich im Umfang der Subrogation durch eine direkte Zahlung an den
Geschädigten grundsätzlich nicht befreien (Frésard-Fellay, Etendue du recours
de l'assureur dans le régime de la subrogation et dans celui de la cession,
in Colloques et journées d'études 1999 - 2001, organisés par l'IRAL et al.,
S. 619 ff., S. 623). Dies widerspiegelt sich auch in dem vom Beschwerdeführer
vor dem Bezirksgericht gestellten Rechtsbegehren, in welchem er ausdrücklich
den Abzug allfälliger Leistungen der Sozialversicherung beantragt.

2.4 Die Folgen dieser gesetzlichen Regelung vermag die vom Beschwerdeführer
behauptete Zession seiner Ansprüche gegenüber der IV an die
Beschwerdegegnerin nicht zu beseitigen, so dass offen bleiben kann, ob
überhaupt eine gültige Zession vorliegt. Eine solche hätte lediglich zur
Folge, dass der Beschwerdegegnerin eine Forderung gegenüber der
Sozialversicherung zusteht, die in der Höhe dem auf die Invalidenversicherung
zufolge Subrogation übergegangenen Anspruch gegenüber der Beschwerdegegnerin
entspricht. Weder der Bestand der subrogierten noch der abgetretenen
Forderung würde durch eine Abtretung berührt. Sie stünden sich lediglich
verrechenbar gegenüber. Selbst wenn man davon ausginge, die
Beschwerdegegnerin hätte mit dem von ihr und dem Beschwerdeführer
unterzeichneten Formular bereits gültig die Verrechnung erklärt, wäre dadurch
die subrogierte Forderung der Invalidenversicherung gegenüber der
Beschwerdegegnerin erloschen. Nach Untergang der durch Subrogation auf die
Sozialversicherung übergegangenen Ansprüche kann der Beschwerdeführer über
diese weder verfügen noch daraus Rechte ableiten. Die Zession vermag die
Subrogation mithin weder zu verhindern noch rückgängig zu machen. Mit der
Übertragung seiner gesetzlichen Ansprüche gegenüber der Sozialversicherung
würde der Beschwerdeführer zwar die Dispositionsbefugnis darüber einbüssen,
im Gegenzug aber keinerlei Befugnis mit Bezug auf die subrogierten Ansprüche
erwerben. Die Auffassung des Beschwerdeführers, die Subrogation der Ansprüche
lasse sich durch eine Zession seiner Ansprüche gegenüber der IV
neutralisieren, trifft daher nicht zu. Dazu müsste vielmehr die IV die auf
sie übergegangenen Ansprüche auf den Beschwerdeführer zurückübertragen
(Rumo-Jungo, Subrogation im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, in:
Metzler/Fuhrer [Hrsg.], Festschrift des Nationalen Versicherungsbüros Schweiz
[NVB] und des nationalen Garantiefonds Schweiz [NGF] aus Anlass der 34.
Generalversammlung des Council of Bureaux am 15./16. Juni 2000 in Genf, S.
409 ff., S. 414). Dass sie dies getan hätte, behauptet der Beschwerdeführer
nicht, so dass unerheblich ist, ob ein derartiges Vorgehen überhaupt zulässig
wäre (vgl. BGE 124 V 174 E. 3c S. 178 mit Hinweis).

2.5 Ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte durch
Verzicht auf die Leistungen der Sozialversicherung die Verfügungsbefugnis
über den gesamten Anspruch gegenüber der Versicherung behalten kann (vgl. BGE
124 V 174 E. 3c S. 178 mit Hinweisen; grundsätzlich ablehnend nach dem im
Unfallszeitpunkt geltenden Recht Meyer-Blaser, a.a.O., zu Art. 52 aIVG,
Kieser, a.a.O., N. 14 zu Art. 23 ATSG, anders unter Geltung des ATSG, Kieser,
a.a.O. N. 15 zu Art. 23 und N. 10 zu Art. 72 ATSG; Frésard-Fellay, a.a.O., S.
623 f.; Rumo-Jungo, a.a.O., S. 414), spielt keine Rolle, da der
Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ausdrücklich ausführt, die
Unterzeichnung des Formulars stelle keinen Verzicht auf seine Ansprüche dar,
sondern eine Zession. Die Frage, ob sich die Zulässigkeit eines Verzichts
nach aIVG oder nach ATSG beurteilt, kann damit offen bleiben.

2.6 Die angebliche Neutralisierung der Subrogation durch die Abtretung bildet
die einzige hinreichend begründete Rüge, die der Beschwerdeführer gegen die
Zulässigkeit der Sistierung ins Feld führt. Er behauptet zwar, bis zum
Abschluss des IV-Verfahrens werde es Jahre dauern. Dies genügt indessen zur
Begründung einer Rechtsverzögerungsrüge nicht. Entsprechendes hat die
Vorinstanz nicht festgestellt, und der Beschwerdeführer erhebt keine
hinreichend substanziierte Sachverhaltsrüge, die eine Ergänzung in
tatsächlicher Hinsicht erlauben würde. Soweit der Beschwerdeführer aus der
Dauer des IV-Verfahrens oder allenfalls aus der Tatsache, dass er im über die
IV-Leistungen hinausgehenden Betrag das Verfügungsrecht über seine Ansprüche
behält, etwas gegen die Zulässigkeit der Sistierung ableiten möchte, kann
mangels genügender Begründung (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht auf die Beschwerde
eingetreten werden, da der Beschwerdeführer nicht aufzeigt, inwiefern diese
Aspekte die Sistierung als verfassungswidrig erscheinen lassen könnten.
Weitere Umstände, die allenfalls gegen eine Sistierung sprechen könnten,
werden vom Beschwerdeführer nicht angeführt.

2.7 Damit gelingt es dem Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, dass die
Sistierung seine Grundrechte oder die EMRK verletzt. Insgesamt erweist sich
die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer
kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Mai 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: