Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.5/2007
Zurück zum Index I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2007
Retour à l'indice I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2007


{T 0/2}
4A_5/2007/len

Urteil vom 23. März 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Hatzinger.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Meier,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Heer.

Art. 9 BV (Zivilprozess; Arbeitsvertrag),

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Zivilgericht,

3. Kammer, vom 15. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 6. September 2006 schrieb das Arbeitsgericht Zurzach ein
Feststellungsbegehren von X.________ (Kläger) als gegenstandslos von der
Kontrolle ab (Ziffer 1) und wies die Feststellungsklage ab (Ziffer 2). Die
Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 25'806.00 wurden dem Kläger auferlegt
(Ziffer 3) und der Kläger wurde verpflichtet, der Y.________ AG (Beklagte)
deren Parteikosten in Höhe von Fr. 75'602.70 zu bezahlen (Ziffer 4). Das
Gericht fügte unter dem Titel "Rechtsmittelbelehrung (§ 317 ff. ZPO)" an:
"Gegen diesen Entscheid kann innert 20 Tagen seit seiner Zustellung
Appellation geführt werden". Der Entscheid wurde dem Kläger am 25. Oktober
2006 zugestellt.

B.
Der Kläger erhob am 13. November 2006 "Beschwerde (eventuell Appellation)"
mit folgenden "Anträgen:
1. Ziff. 3 des Urteils sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass das
Verfahren kostenlos ist.

2.  Dem Beklagten sei eine Prozessentschädigung von höchstens
Fr. 7'869.75 zuzüglich Mehrwertsteuer zuzusprechen."
Zur Begründung bemerkte er zunächst, die Beschwerde richte sich
ausschliesslich gegen den Kostenentscheid im Dispositiv Ziff. 3 und 4 des
Urteils. Ziff. 1 und 2 würden nicht angefochten. Sollte entsprechend der
Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Arbeitsgerichts Zurzach in dieser Sache
die Appellation gegeben sein, sei die Eingabe als Appellation
entgegenzunehmen. Weitere Ausführungen zum zulässigen Rechtsmittel machte der
Kläger nicht.

C.
Das Obergericht des Kantons Aargau trat auf die Beschwerde mit Urteil vom 15.
Januar 2007 nicht ein. Zur Begründung führte das Gericht an, nach § 335 lit.
c in Verbindung mit § 390 des Zivilrechtspflegegesetzes vom 18. Dezember 1984
(Zivilprozessordnung, ZPO AG) seien Endentscheide des Arbeitsgerichts über
die Tragung und Festsetzung der Prozesskosten mit Beschwerde anzufechten,
sofern nicht in der Sache die Appellation eingelegt werde oder
Kostenbeschwerde (§ 94 Gerichtsorganisationsgesetz vom 11. Dezember 1984 [GOG
AG]) erhoben werde. Gemäss § 391 ZPO AG ist die Beschwerde nach 335 lit. c
ZPO AG in arbeitsrechtlichen Verfahren innert 10 Tagen seit Zustellung des
Entscheides beim Präsidenten des Arbeitsgerichts einzureichen. Da der Kläger
diese Frist nicht eingehalten hatte, trat das Obergericht auf die Beschwerde
nicht ein, zumal sich die Frist aus der Lektüre der massgebenden Bestimmungen
ergebe und daher der nicht im Kanton Aargau domizilierte Rechtsvertreter des
Klägers nicht auf die unvollständige Rechtsmittelbelehrung habe vertrauen
dürfen.

D.
Der Kläger hat am 13. Februar 2007 gegen das Urteil des Obergerichts des
Kantons Aargau vom 15. Januar 2007 (zugestellt am 25. Januar 2007) Beschwerde
eingereicht mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zum
Eintreten und zur Beurteilung in der Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Er beruft sich auf Art. 9 BV und behauptet, er sei durch die unvollständige
Rechtsmittelbelehrung irregeführt worden; da die Rechtslage hinsichtlich der
Frage unklar gewesen sei, ob Appellation, Beschwerde oder Kostenbeschwerde
gegeben sei, habe er die Unvollständigkeit der Belehrung aufgrund einer
Grobkontrolle nicht erkennen können.

E.
Die Beschwerdegegnerin schliesst in ihrer Stellungnahme auf Abweisung der
Beschwerde. Das Obergericht verzichtet mit Hinweis auf die Begründung des
angefochtenen Entscheides auf Vernehmlassung.

F.
Mit Präsidialverfügung vom 8. März 2007 wurde das Gesuch um aufschiebende
Wirkung abgewiesen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen ist in der vorliegenden arbeitsvertraglichen
Streitigkeit grundsätzlich zulässig (Art. 72 BGG), zumal der Streitwert mit
Fr. 92'940.85 die Grenze von Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG deutlich übersteigt.
Das Obergericht des Kantons Aargau hat als letzte kantonale Instanz
entschieden (Art. 75 Abs. 1 BGG), und der angefochtene
Nichteintretensentscheid schliesst das Verfahren ab (Art. 90 BGG). Der
Kläger, der am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ein rechtlich
geschütztes Interesse an der materiellen Überprüfung der ihm auferlegten
Kosten hat (Art. 76 BGG), rügt eine Verletzung von Art. 9 BV und erhebt damit
eine gemäss Art. 95 lit. a BGG zulässige Rüge. Er hat die Beschwerde gegen
den ihm am 25. Januar 2007 zugestellten Entscheid der schweizerischen Post am
13. Februar 2007 übergeben und damit die Beschwerdefrist von 30 Tagen nach
Art. 100 Abs. 1 BGG eingehalten (vgl. Art. 44 ff. BGG).

2.
Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als
eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art.
106 Abs. 2 BGG).

2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet die Anwendung und Auslegung des
massgebenden kantonalen Rechts durch die Vorinstanz nicht. Danach sind
Entscheide des Arbeitsgerichts über die Prozesskosten gemäss § 390 ZPO AG in
Verbindung mit § 335 lit. c ZPO AG mit Beschwerde anzufechten. § 390 ZPO AG
findet sich im VII. Teil "Rechtsmittel" (§§ 387-396) über die Arbeitsgerichte
(§§ 354-396) und lautet wie folgt:
"Für die Zulässigkeit der Beschwerde gegen Entscheide des Präsidenten und des
Arbeitsgerichtes gelten sinngemäss die Bestimmungen über die Zulässigkeit der
Beschwerde gegen Entscheide des Gerichtspräsidenten und des Bezirksgerichts
(§ 335)."
Nach § 335 lit. c ZPO AG ist die Beschwerde unter anderem gegen folgende
Entscheide des Bezirksgerichtes zulässig:
"Endentscheide über die Tragung und Festsetzung der Prozesskosten (§ 121 Abs.
3), wenn nicht in der Sache die Appellation eingelegt wird oder die
Kostenbeschwerde (§ 94 Gerichtsorganisationsgesetz) gegeben ist."
Die Beschwerdefrist beträgt nach § 336 im ordentlichen Verfahren 20 Tage, im
summarischen Verfahren 10 Tage seit der Zustellung des Entscheides (Abs. 1).
Vorbehalten bleiben hievon abweichende gesetzliche Bestimmungen (§ 336 Abs. 2
ZPO AG). Nach § 391 ZPO AG ist die Beschwerde innert 10 Tagen seit Zustellung
des Entscheides beim Präsidenten des Arbeitsgerichtes einzureichen, dem auch
die Instruktion obliegt (§§ 337 ff.).
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid festgestellt, dass dem
Beschwerdeführer der Entscheid des Arbeitsgerichts von Zurzach am 25. Oktober
2006 zugestellt wurde und dass er seine Eingabe am 13. November 2006
einreichte. Die Vorinstanz schloss, dass im Zeitpunkt der Einreichung des
Rechtsmittels die 10-tätige Beschwerdefrist abgelaufen war.

2.2 Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 9 BV und macht geltend, die
Vorinstanz hätte nach Treu und Glauben auf seine Beschwerde trotz Ablaufs der
Rechtsmittelfrist eintreten müssen. Er beruft sich auf die Rechtsprechung,
wonach einer Partei aus einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung kein
Nachteil erwachsen darf. Danach darf die falsche Eröffnung eines
Rechtsmittels eine Partei nicht davon abhalten, rechtzeitig mit dem zur
Verfügung stehenden Rechtsmittel an das Bundesgericht zu gelangen. Wer
allerdings die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erkannte oder bei
zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen müssen, kann sich nicht auf den genannten
Grundsatz berufen (BGE 121 II 72 E. 2a S. 78). Rechtsuchende geniessen keinen
Vertrauensschutz, wenn sie bzw. ihr Rechtsvertreter den Mangel allein schon
durch Konsultierung der massgeblichen Verfahrensbestimmungen hätten erkennen
können (BGE 117 Ia 119 E. 3a S. 125). Allerdings vermag nur eine grobe
prozessuale Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres Anwaltes eine
falsche Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen (BGE 124 I 255 E. 1a/aa S. 258).
Die Vorinstanz hat diese Grundsätze ihrem Entscheid zugrunde gelegt und
zutreffend erkannt, dass der Kläger bzw. sein Rechtsvertreter schon aufgrund
der Konsultation der Zivilprozessordnung des Kantons Aargau erkennen konnte,
dass die unvollständige und daher nicht als unrichtig zu bezeichnende
Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts Zurzach für den Fall nicht
zutreffend war, dass der Kläger allein den Kostenentscheid anfechten wollte.
Die Rechtsmittel in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sind im Abschnitt über
das Verfahren vor Arbeitsgericht geregelt und in den §§ 390 und 391 wird
ausdrücklich auf die Beschwerde im Sinne von § 335 ZPO AG verwiesen und
ausserdem klar gestellt, dass die Beschwerdefrist 10 Tage beträgt. Allein
aufgrund der Konsultation der Gesetzesbestimmungen zum Verfahren vor
Arbeitsgericht kann bei zumutbarer Sorgfalt nicht zweifelhaft sein, dass die
hier anwendbare Beschwerde gemäss § 391 ZPO AG in Verbindung mit § 335 lit. c
und § 336 ZPO AG innert 10 Tagen seit Zustellung des Entscheides des
Arbeitsgerichts einzureichen ist.

2.3 Dem Beschwerdeführer kann nicht gefolgt werden, wenn er geltend macht, er
sei durch die unvollständige Rechtsmittelbelehrung geradezu irregeführt
worden. Wenn er behauptet, er habe zunächst die allgemeinen Bestimmungen zur
Appellation gemäss § 317 ff. ZPO AG konsultiert, auf welche in der
Rechtsmittelbelehrung verwiesen wird, und sei auf § 335 ZPO AG gestossen, wo
in Absatz 2 abweichende Bestimmungen vorbehalten bleiben, er habe sich einen
Überblick über diese abweichenden Bestimmungen durch Konsultation des
einschlägigen Kommentars verschaffen wollen und dabei nichts gefunden, so
kann dieses Vorgehen zur Erfüllung der objektiv erforderlichen
Sorgfaltspflichten jedenfalls nicht genügen. Der Teil der Aargauer
Zivilprozessordnung über das Verfahren vor Arbeitsgericht (§§ 354-396) muss
von einem Anwalt, der eine Partei vor Arbeitsgericht oder in einem
Rechtsmittelverfahren gegen einen Entscheid des Arbeitsgerichts vertritt, in
jedem Fall konsultiert werden. Kommt er dieser Sorgfaltspflicht nach und
liest die entsprechenden Bestimmungen durch, so stösst er jedenfalls auf die
Rechtsmittelbestimmungen in den §§ 287 ff. und insbesondere auf § 391 ZPO AG.
Bei blosser Lektüre dieser Bestimmung kann aber nicht zweifelhaft sein, dass
die Beschwerdefrist 10 - und nicht 20 - Tage beträgt. Der Beschwerdeführer
selbst hat seine Eingabe als Beschwerde, nur eventuell als Appellation,
bezeichnet. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wie er bei blosser
Konsultation der einschlägigen Gesetzesbestimmungen über die
Rechtsmittelfrist hätte im Zweifel sein können. Daran änderte auch nichts,
wenn er zusätzlich § 94 GOG AG beigezogen hätte. Diese Bestimmung regelt
allein Kostenvorschüsse, die Höhe der Gerichtskosten, die Ausrichtung von
Zeugengeldern, Entschädigungen an Sachverständige und unentgeltliche
Rechtsvertreter, nicht aber die Parteientschädigung an die Gegenpartei. Bei
einer Konsultation der massgebenden Gesetzesbestimmungen konnte der
Beschwerdeführer daher nicht darüber im Zweifel sein, dass die
Appellationsfrist für das allein gegen den Entscheid über die Prozesskosten
gerichtete Rechtsmittel keine Anwendung finde und er durfte nicht darauf
vertrauen, dass die allein für die Appellation eröffnete Frist von 20 Tagen
auch auf die von ihm erhobene Beschwerde Anwendung finde.

3.
Die Vorinstanz ist zu Recht auf die Beschwerde nicht eingetreten, weil die
Beschwerdefrist nicht eingehalten wurde. Die Beschwerde in Zivilsachen ist
als unbegründet abzuweisen. Die Gerichtsgebühr ist bei diesem Ausgang des
Verfahrens dem Beschwerdeführer zu auferlegen. Ihre Höhe richtet sich
grundsätzlich nach dem Streitwert (Art. 65 BGG). Der Beschwerdeführer hat
ausserdem der Beschwerdegegnerin deren Parteikosten für das vorliegende
Verfahren zu ersetzen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. März 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: