Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.522/2007
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4A_522/2007 /len

Urteil vom 15. Februar 2008

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Hürlimann.

ProLitteris, Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und
bildende Kunst,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Magda Streuli-Youssef und Rechtsanwalt
Oliver Kunz,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner.

Urheberrecht,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, vom 20. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Pro Litteris (Beschwerdeführerin) ist die Schweizerische
Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst, eine der
konzessionierten schweizerischen Verwertungsgesellschaften im Sinne der Art.
40 ff. des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und
verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG; SR 231.1).
A. ________ (Beschwerdegegner) ist Inhaber einer Anwaltskanzlei.

B.
Am 12. März 2007 reichte die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons
Zürich Klage gegen den Beschwerdegegner ein mit dem Rechtsbegehren, dieser
sei zu verpflichten, ihr Fr. 302.05 nebst 5 % Zins seit 4. Dezember 2006 zu
bezahlen. Sie machte damit Reprographieentschädigungen gemäss Gemeinsamem
Tarif 8/VI für die Jahre 2002 bis 2006 und Netzwerkentschädigungen gemäss
Gemeinsamem Tarif 9/VI für die Jahre 2004 bis 2006 geltend.
Mit Beschluss vom 20. November 2007 trat das Obergericht auf die Klage nicht
ein. Es kam zum Schluss, die Nichtleistung einer nach Art. 20 Abs. 2 URG
geschuldeten Vergütung sei nicht als unerlaubte Handlung im Sinn von Art. 25
GestG zu qualifizieren, weshalb gestützt auf Art. 3 lit. b GestG die Gerichte
am Sitz des Beschwerdegegners örtlich zuständig seien.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 7. Dezember 2007 (ergänzt am 11. Dezember
2007) beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, der Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 20. November 2007 sei
aufzuheben und es sei auf die Klage einzutreten. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 25 GestG sowie die unrichtige Anwendung der Art. 20 Abs. 2 und Art. 45
Abs. 1 URG.
Der Beschwerdegegner beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der
Beschwerde.
Erwägungen:

1.
Das Obergericht hat vorliegend als einzige kantonale Instanz im Sinne von
Art. 64 Abs. 3 URG entschieden. Die Beschwerde in Zivilsachen ist daher
unabhängig vom Streitwert zulässig (Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG). Da auch die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde
einzutreten.

2.
Nach Art. 3 Abs. 1 GestG ist - in Übereinstimmung mit Art. 30 Abs. 2 BV - das
Gericht am Wohnsitz bzw. am Sitz des Beklagten örtlich zuständig, sofern das
Gesetz nicht etwas anderes vorsieht. Im Rahmen der besonderen Gerichtsstände
bestimmt Art. 25 GestG, dass für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht
am Wohnsitz oder Sitz der geschädigten Person oder der beklagten Partei oder
am Handlungs- oder Erfolgsort zuständig ist. Nach Ansicht der
Beschwerdeführerin liegt eine unerlaubte Handlung im Sinn dieser Bestimmung
vor, wenn ein Nutzer die nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldete Vergütung nicht
bezahlt.

2.1 Art. 19 Abs. 1 URG erlaubt die Verwendung veröffentlichter Werke zum
Eigengebrauch. Das Vervielfältigen von Werkexemplaren in Betrieben,
öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen
Einrichtungen für die interne Information oder Dokumentation ist allerdings
gestützt auf Art. 20 Abs. 2 URG vergütungspflichtig; nach Abs. 4 der Norm
werden die Vergütungsansprüche von den zugelassenen Verwertungsgesellschaften
geltend gemacht. Durch diese Vergütungspflicht soll die gesetzlich statuierte
Beschränkung des Urheberrechts im Bereich des Eigengebrauchs ausgeglichen
werden. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütung beruht auf Gesetz; er ist
nicht Folge einer unerlaubten Handlung im haftpflichtrechtlichen Sinn, lässt
das Gesetz die Verwendung des Werks zum Eigengebrauch in Art. 19 URG doch
ausdrücklich zu (vgl. BGE 124 III 370 E. 3b/bb S. 373). Daran ändert auch
nichts, dass der Nutzer gegen Art. 20 Abs. 2 URG verstösst, wenn er seiner
Vergütungspflicht nicht nachkommt. Entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin handelt es sich bei Art. 20 Abs. 2 URG nicht um eine
haftpflichtrelevante Schutznorm, da die Bestimmung nicht dem Schutz des
Vermögens des Urhebers dient, sondern dem Urheber einen Anspruch auf
Vergütung einräumt. Es geht vorliegend also nicht darum, einen Anspruch nach
Art. 41 OR durchzusetzen.

2.2 Nach der Botschaft zum Gerichtsstandsgesetz vom 18. November 1998 ist der
Begriff der unerlaubten Handlung im Sinn von Art. 25 GestG weit auszulegen;
darunter sind nicht nur die klassischen Delikte nach Art. 41 ff. OR und die
Tatbestände der Kausal- oder Gefährdungshaftungen, sondern alle
ausservertraglichen Rechtsverletzungen zu verstehen (BBl 1999 S. 2864). Art.
25 GestG kommt allerdings selbst dann nicht zum Zug, wenn man die
Nichtzahlung einer nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldeten Vergütung mit der
Beschwerdeführerin als eine solche Rechtsverletzung ansieht. Die
Beschwerdeführerin macht mit ihrer Klage nämlich nicht Ansprüche aus dieser
Rechtsverletzung geltend, sondern will ihren gesetzlichen Anspruch auf
Leistung der Vergütung durchsetzen. Das Fundament der Klage liegt mit anderen
Worten nicht in der unerlaubten Handlung (vgl. auch Botschaft, a.a.O., S.
2865). Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass sämtliche nichtvertraglichen
Ausgleichsansprüche unter Art. 25 GestG fallen, findet keine Stütze in der
Entstehungsgeschichte der Norm, subsumiert doch die Botschaft namentlich die
Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus (echter)
Geschäftsführung ohne Auftrag nicht unter den Begriff der unerlaubten
Handlung (Botschaft, a.a.O., S. 2865). Auch in der Lehre werden gewisse
ausservertragliche Ansprüche vom Anwendungsbereich des Art. 25 GestG
ausgenommen (vgl. etwa Kurth/Bernet, in: Kellerhals/von Werdt/Güngerich
[Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, 2. Aufl. 2005, N. 6 und N. 20 ff. zu Art. 25
GestG; Romerio, in: Müller/Wirth [Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, N. 34 ff. zu
Art. 25 GestG; Vock, Besondere Gerichtsstände im Gerichtsstandsgesetz
[GestG], in: Das Gerichtsstandsgesetz, La loi sur les fors, Bern 2001, S.
43).

2.3 Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung steht diese Auslegung
von Art. 25 GestG der angestrebten Angleichung an die eurointernationale
Ordnung nicht entgegen (vgl. dazu die Botschaft, a.a.O., S. 2863). Auch die
eurointernationalen Bestimmungen verlangen nämlich als Klagefundament eine
unerlaubte Handlung bzw. ein Quasidelikt. So begründet der (autonom
auszulegende) Art. 5 Ziff. 3 LugÜ den Gerichtsstand am Ort, an dem das
schädigende Ereignis eingetreten ist, "wenn eine unerlaubte Handlung oder
eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn
Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden".
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht es um Ansprüche, die eine
Haftung des angeblichen Schädigers begründen würden (BGE 133 III 282 E. 4 S.
289; 125 III 346 E. 4a S. 348). Gemäss ständiger Rechtsprechung des EuGH
setzt der entsprechende Art. 5 Ziff. 3 EuGVÜ (bzw. EuGVVO) eine Klage voraus,
mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird (Urteil des
EuGH vom 20. Januar 2005 in der Rechtssache C-27/02, Engler gegen Janus
Versand GmbH, Slg. 2005, I-481, Randnr. 29 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. in
diesem Zusammenhang auch Sebastian Kubis, Internationale Zuständigkeit bei
Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, Diss. Bielefeld 1999,
S. 110, wonach der Tatortgerichtsstand nicht zu einem "Auffanggerichtsstand"
für alle nichtvertraglichen Ansprüche und damit konturenlos werden dürfe).
Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die fremdsprachigen Fassungen dieser
Rechtsprechung ist unbehelflich, ergibt sich doch aus den Begriffen
"responsabilité", "liability" bzw. "responsabilità" nichts anderes.

2.4 Auch aus der in Art. 45 Abs. 2 URG statuierten Pflicht der
Verwertungsgesellschaften, die Verwertung nach festen Regeln und nach dem
Gebot der Gleichbehandlung zu besorgen, kann die Beschwerdeführerin nichts zu
ihren Gunsten ableiten. Dass sie aufgrund von Art. 3 GestG in nahezu allen
Kantonen der Schweiz klagen muss, um die Vergütungsansprüche gegenüber
säumigen Nutzern durchzusetzen, mag zwar dem Gebot der wirtschaftlichen
Verwertung und dem Sinn und Zweck der Pauschalierung in den Gemeinsamen
Tarifen zuwiderlaufen. Dies lässt sich aber nur durch die Einführung eines
speziellen Gerichtsstands am Sitz der Verwertungsgesellschaft verhindern.
Eine örtliche Zuständigkeit gestützt auf Art. 25 GestG lässt sich damit nicht
begründen. Weiter ist nicht ersichtlich, wieso es den
Verwertungsgesellschaften unmöglich sein soll, die Verwertung nach dem Gebot
der Gleichbehandlung zu besorgen, wenn sie die Klage auf Leistung der
Vergütung am Wohnsitz des jeweiligen Beklagten einreichen müssen.

2.5 Das Obergericht hat nach dem Gesagten kein Bundesrecht verletzt, als es
auf die Klage der Beschwerdeführerin mangels örtlicher Zuständigkeit nicht
eintrat.

3.
Aus den genannten Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem
Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1
BGG). Dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner wird keine
Parteientschädigung zugesprochen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 III 439
E. 4 S. 446).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Februar 2008

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Hürlimann