Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.453/2007
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4A_453/2007 /len

Urteil vom 9. Januar 2008

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Hürlimann.

Hilti Aktiengesellschaft,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Ritscher und Fürsprecher Dr. Simon
Holzer,

gegen

Milwaukee Electric Tool Corporation,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thierry Calame und Rechtsanwältin Dr. Saskia
Eschmann.

Markenrecht,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern,
Handelsgericht, vom 1. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Hilti Aktiengesellschaft, Schaan/FL (Klägerin, Beschwerdeführerin) ist
Inhaberin der schweizerischen Farbmarke Rot (RAL 3020) CH 540 979 für
Werkzeugkoffer aus Kunststoff für Bohrhämmer für Profis der Baubranche
(internationale Klasse 20), die sie als durchgesetzte Marke beansprucht.
Ausserdem hält sie die internationale dreidimensionale Marke IR 805 947 (3D)
mit dem Farbanspruch rot (RAL 3020) Metallkoffer (containers of metal for
storage and transport/Conteneurs métalliques de stockage et de transport) für
Handwerkzeug der Klassen 6, 7 und 20. Sie reichte am 2. September 2005 beim
Handelsgericht des Kantons Bern Klage ein gegen die Milwaukee Electric Tool
Corporation, Delaware/USA (Beklagte, Beschwerdegegnerin) mit den Begehren,
der Beklagten sei zu verbieten, in der Schweiz Bohrhämmer zusammen mit
Koffern mit einem unifarben in RAL 3020 gehaltenen Korpus, insbesondere mit
Koffern gemäss nachstehender Abbildung (...), selber oder durch Dritte Profis
der Baubranche anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder solche Koffer zu
bewerben (Ziffer 1), eventualiter: Der Beklagten sei zu verbieten, in der
Schweiz Bohrhämmer, die teurer als CHF 500 sind, zusammen mit Koffern mit
einem unifarben in RAL 3020 gehaltenen Korpus, insbesondere mit Koffern
gemäss Abbildung unter Ziffer 1, selber oder durch Dritte anzubieten, in den
Verkehr zu bringen oder solche Koffer zu bewerben (Ziffer 2). Die Beklagte
erhob Widerklage mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass die
schweizerische Schutzausdehnung der internationalen Marke IR 805 947 für
sämtliche beanspruchten Waren und Dienstleistungen nichtig ist. Nach
Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels und der Hauptverhandlung - in
der die Klägerin ihre Rechtsbegehren änderte - wurde das Verfahren
suspendiert; nach der Wiederaufnahme stellten die Parteien ihre
Beweisanträge.

B.
Am 1. Oktober 2007 erliess der Vizepräsident des Handelsgerichts des Kantons
Bern folgenden Beschluss:
"1.Als relevante Verkehrskreise werden die Käufer und potentiellen Käufer von
Bohrhämmern festgelegt.

2. Es werden zwei Umfragen, eine betreffend die Marke Rot für Koffer für
Bohrhämmer für Profis sowie eine für die Marke "roter Koffer 3D", in der
Schweiz bei den relevanten Verkehrskreisen durchgeführt.

3. Die Parteien werden aufgefordert, dem Gericht innert 30 Tagen Institute
vorzuschlagen, die in der Lage sind entsprechende Umfragen durchzuführen.

4. Die Parteien werden aufgefordert, dem Gericht innert gleicher Frist Fragen
für die demoskopischen Befragungen vorzuschlagen, wobei von den durch das
Gericht in Ziffer 1 definierten Verkehrskreisen auszugehen ist.

5. Die übrigen Beweisanträge der Klägerin werden abgewiesen."
Zur Begründung von Ziffer 1 führte das Gericht aus, es sei für die
Beurteilung der massgeblichen Verkehrskreise nicht einfach auf die
Einschränkung in der Eintragung abzustellen, sondern diese seien danach zu
umschreiben, welche Käufer oder Kunden die "objektiviert normativ"
definierten Produkte abnähmen. Selbst wenn die Klägerin ihre Werkzeuge und
damit auch die Koffer für Bohrhämmer über andere Verkaufskanäle vertreibe,
sei nicht ausgeschlossen, dass die Werkzeuge auch durch Hobby-Handwerker
erworben würden. Es müsse darauf abgestellt werden, wie die Bohrhämmer
insgesamt verkauft würden und entsprechend sei der massgebliche
Adressatenkreis zu definieren. Zu Ziffer 2 legte das Gericht dar, eine
Umfrage sei notwendig zur Beantwortung der Frage der Verkehrsdurchsetzung,
wobei zwei Umfragen durchzuführen seien, da eine Beeinflussung nicht
ausgeschlossen werden könne, wenn in einer einzigen Umfrage die Durchsetzung
des roten Koffers wie auch der abstrakten Frage der Farbe Rot für Koffer
erhoben würde.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 1. November 2007 stellt die
Beschwerdeführerin vor Bundesgericht folgende Rechtsbegehren:
"1.Ziff. 1 des Beschlusses des Handelsgerichts des Kantons Bern vom
1. Oktober 2007 sei aufzuheben, und es seien als relevanter Verkehrskreis
Personen in Bauunternehmen (vorbereitende Baustellenarbeiten, Hoch- und
Tiefbau, Bauinstallation, Ausbau- und Bauhilfsgewerbe) festzulegen, welche
für die gewerbliche Anwendung geeignete Bohrhämmer beschaffen oder beschaffen
könnten.

2. Eventualiter sei Ziff. 1 des Beschlusses des Handelsgerichts des Kantons
Bern vom 1. Oktober 2007 aufzuheben und es sei die Sache zur erneuten
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.... "
Die Beschwerdeführerin hält dafür, sie erleide durch den selbständig
eröffneten Vor- bzw. Zwischenentscheid einen rechtlichen Nachteil; eventuell
sei ihre Beschwerde auch ohne den Nachweis eines Nachteils rechtlicher Natur
zulässig. Materiell rügt sie, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt bei
der Festlegung der massgeblichen Verkehrskreise, bei denen sich ihr Zeichen
des Gemeinguts als Marke durchgesetzt haben müsse.

D.
Das Handelsgericht des Kantons Bern beantragt in der Vernehmlassung, auf die
Beschwerde sei einzutreten und diese sei abzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin stellt in der Antwort das Rechtsbegehren, die
Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

E.
Mit Verfügung vom 6. Dezember 2007 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung
gewährt.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid ist in einer zivilrechtlichen Streitigkeit (Art.
72 BGG) über eine Markenrechtssache ergangen, für welche das Bundesrecht
(Art. 58 MSchG) eine einzige Instanz vorschreibt (Art. 74 Abs. 2 lit. b und
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG). Die Beschwerdeführerin ist mit ihren Anträgen vor
der Vorinstanz unterlegen (Art. 76 BGG). Der angefochtene Entscheid schliesst
jedoch das Verfahren nicht ab (Art. 90 BGG). Es handelt sich um einen Vor-
oder Zwischenentscheid, der weder die Zuständigkeit noch den Ausstand
betrifft. Gegen einen solchen Entscheid ist nach Art. 93 BGG die Beschwerde
zulässig, wenn entweder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen
Endentscheid herbeiführen könnte und damit ein bedeutender Aufwand an Zeit
oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde (Art. 93 Abs.
1 lit. b BGG) oder wenn der angefochtene Entscheid einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Da bei
Gutheissung der Beschwerde ein Entscheid über die Klage nicht herbeigeführt
werden kann, sind die Voraussetzungen für die Anhandnahme der Beschwerde auch
dann nicht gegeben, wenn die angeordnete Beweismassnahme zeitaufwändig und
kostspielig ist. Die Beschwerdeführerin beruft sich zu Recht nicht auf die
Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG. Sie behauptet dagegen, die
Beschwerde sei gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig.

2.
Selbständig eröffnete Vor- oder Zwischenentscheide können nach Art. 93 Abs. 1
lit. a BGG angefochten werden, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken können.

2.1 Ein im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht wieder gutzumachender
Nachteil muss nach der von sämtlichen Abteilungen des Bundesgerichts
befolgten Rechtsprechung rechtlicher Natur und somit auch mit einem für die
Beschwerde führende Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht
vollständig behebbar sein (BGE 133 III 629 E. 2.3 S. 632; 133 IV 139 E. 4 S.
141; zur Publikation bestimmtes Urteil 1B_84/2007 vom 11. September 2007 E.
4; zur Publikation in BGE 133 V bestimmtes Urteil 9C_352/2007 vom 6. November
2007 E. 2.1; Urteil 4A_85/2007 vom 11. Juni 2007 E. 3.1). Dies entspricht der
gesetzgeberischen Absicht, die für die altrechtliche staatsrechtliche
Beschwerde geltende Regelung auch für die neuen Beschwerdeverfahren zu
übernehmen (vgl. die Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl
2001, 4333 f. zu Art. 88 Entwurf). Das Bundesgericht bezieht die bisherige
konstante Praxis dazu mit ein (Urteil 4A_92/2007 vom 8. Juni 2007 E. 2). Nach
der Rechtsprechung zu Art. 87 Abs. 2 aOG genügt die blosse Möglichkeit eines
nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur (BGE 126 I 97 E. 1b
S. 100). Dabei ist es nicht nötig, dass sich der Nachteil schon im kantonalen
Verfahren durch einen günstigen Endentscheid beheben lässt. Es reicht aus,
wenn er in einem anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt
werden kann (BGE 126 I 97 E. 1b S. 100 f.; 117 Ia 251 E. 1 b S. 254, je mit
Hinweis).

2.2 Der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie eine
ausdehnende Interpretation des erforderlichen Nachteils auch auf rein
tatsächliche Nachteile wie die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens
befürwortet. Denn grundsätzlich soll sich das Bundesgericht nur einmal mit
einem Fall befassen müssen und diesen insgesamt beurteilen können (BGE 133
III 629 E. 2.1 S. 631 mit Hinweisen). Nur wenn prozessökonomische Gründe eine
frühere Befassung zwingend gebieten und mit der Öffnung des Rechtswegs der
Trölerei nicht grundsätzlich Vorschub geleistet wird, erscheint ein
Zwischenverfahren gerechtfertigt. Sofern die besonderen gesetzlichen
Voraussetzungen (sofort möglicher Endentscheid gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b
BGG, vorweg zu bereinigende gerichtsorganisatorische Fragen gemäss Art. 92
BGG) nicht vorliegen, ist daher an der restriktiven Praxis festzuhalten. Es
bedarf eines rechtlichen Nachteils, der durch einen günstigen Entscheid in
der Sache nicht mehr behoben werden kann.

2.3 Der angefochtene Beschluss hat eine Beweismassnahme zum Gegenstand. Es
werden zwei demoskopische Gutachten angeordnet, die notorisch kostspielig und
regelmässig auch zeitaufwändig sind. Diese Nachteile sind jedoch
grundsätzlich rein tatsächlicher Art und daher nur im Rahmen der
Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG, nicht jedoch nach Art. 93 Abs.
1 lit. a BGG beachtlich. Dass sodann - wie die Beschwerdeführerin vorbringt -
mit der Verlängerung des Verfahrens die nach ihrer Ansicht markenverletzenden
Produkte der Beschwerdegegnerin auf dem Markt weiterhin vertrieben werden und
zu einer Markt- oder Zuordnungsverwirrung führen können, ist nicht als
rechtlicher Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu qualifizieren.
Denn zur Verhinderung derartiger Nachteile steht das Massnahmeverfahren nach
Art. 59 MSchG zur Verfügung. Dass die Beschwerdeführerin in diesem Verfahren
mit ihren Anträgen erfolglos blieb, vermag den Rechtsweg gegen Vor- oder
Zwischenentscheide im Hauptverfahren nicht zu öffnen. Schliesslich ist auch
entgegen der Ansicht der Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung nicht davon
auszugehen, dass eine allfällige Wiederholung von Umfragen nach allgemeiner
Erfahrung schon deshalb ausgeschlossen wäre, weil die früheren Befragungen
bei zum Teil gleichen Verkehrskreisen das Resultat beeinflussen könnten.
Selbst wenn teilweise dieselben Adressaten ein weiteres Mal befragt werden
sollten, ist weder anzunehmen, dass sich diese nach einer gewissen Zeit
wesentlich von der Fragestellung beeinflussen lassen, noch ist
auszuschliessen, dass sich durch andere Einflüsse ihre Sensibilität gegenüber
dem in Frage stehenden Produkt verändert hat. Soweit der Zeitpunkt der
Umfrage für das Urteil nicht von erheblicher Bedeutung ist, kann daher nicht
angenommen werden, die Beweismassnahme liesse sich im Falle eines für die
Beschwerdeführerin günstigen Endentscheides nicht wiederholen und die
Beschwerde müsse deshalb behandelt werden, weil sonst der Beweis vereitelt
werden könnte.

2.4 Einen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erleidet die
Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Beschluss nicht.

3.
Auf die Beschwerde kann nicht eingetreten werden. Die Gerichtskosten sind bei
diesem Verfahrensausgang der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG). Sie hat ausserdem der Beschwerdegegnerin deren Parteikosten für das
vorliegende Verfahren zu ersetzen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Handelsgericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Januar 2008

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Hürlimann