Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.393/2007
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4A_393/2007 /len

Urteil vom 3. Dezember 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Sommer.

X. ________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Heim,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Germann.

Werkvertrag; Werklohn,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung Grosse Kammer,
vom 5. April 2007.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Unternehmerin; Beschwerdeführerin) und die Y.________ AG
(Bestellerin; Beschwerdegegnerin) schlossen einen mündlichen Werkvertrag
betreffend den Neubau A.________. Die Parteien konnten sich in der Folge
nicht über die Höhe des Werklohns einigen. In der Vergangenheit hatten die
Parteien bereits öfters miteinander gearbeitet.

B.
Nach unvermitteltem Sühneversuch vom 2. Dezember 2004 reichte die
Beschwerdeführerin beim Kantonsgericht Nidwalden Klage ein und belangte die
Beschwerdegegnerin auf Bezahlung eines Werklohns von Fr. 58'035.90 nebst Zins
zu 5 % seit 1. Oktober 2004. Die Beschwerdegegnerin bestritt nicht die
Existenz des Werkvertrags, beanstandete jedoch die Abrechnung der Arbeiten
und beantragte daher die Abweisung der Klage in dem den Betrag von Fr. 780.38
übersteigenden Umfang. Das Kantonsgericht Nidwalden hiess am 14. Juni 2006
die Klage teilweise gut und verpflichtete die Beschwerdegegnerin, der
Beschwerdeführerin Fr. 12'953.65 nebst Zins zu bezahlen.
Die Beschwerdeführerin gelangte gegen dieses Urteil mit Appellation an das
Obergericht des Kantons Nidwalden, Zivilabteilung Grosse Kammer. Sie
beantragte, das Urteil des Kantonsgerichts soweit aufzuheben, als damit die
Klage nicht gutgeheissen wurde, und die Beschwerdegegnerin auf Bezahlung von
Fr. 58'035.90 nebst Zins zu verpflichten. Die Beschwerdegegnerin schloss auf
Abweisung der Appellation und Bestätigung des angefochtenen Urteils. Am 5.
April 2007 wies das Obergericht die Appellation ab.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin, das Urteil
des Obergerichts vom 5. April 2007 teilweise aufzuheben und die
Beschwerdegegnerin auf Bezahlung von Fr. 33'258.-- zu verurteilen. Eventuell
sei das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Das Obergericht verzichtete auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Mit Beschwerde in Zivilsachen, deren Sachurteilsvoraussetzungen nach Art. 72
ff. BGG vorliegend grundsätzlich erfüllt sind und zu keinen Bemerkungen
Anlass geben, können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG gerügt
werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf
nicht eingetreten. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2
BGG). Die Feststellung des Sachverhaltes kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich
unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 133 II 249 E. 1.2.2). Die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht kann
das Bundesgericht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde
präzis vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 III
439 E. 3.2; Urteil 4A_12/2007 vom 3. Juli 2007, E. 2.2, zur Publikation
vorgesehen). Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik
tritt das Bundesgericht nicht ein.

2.
Streitgegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet nur noch die Höhe des
Werklohns betreffend "Innere Gipserarbeiten". Die Vorinstanz hielt mit dem
Kantonsgericht dafür, dass die Parteien für die Ausmassermittlung, welche die
Grundlage für die Rechnungsstellung gebildet habe, die Anwendung der
SIA-Regeln nicht vereinbart hätten und somit das effektive Ausmass zu
ermitteln sei. Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, das
Obergericht sei zu Unrecht von der Nichtanwendbarkeit der SIA-Empfehlungen
242/1 und 242/2 ausgegangen. Die Abrechnung habe nach diesen Empfehlungen zu
erfolgen und nicht nach effektivem Ausmass der erbrachten Leistungen bzw.
nach individueller Absprache.

2.1 Das Bundesgericht anerkennt die vom Schweizerischen Ingenieur- und
Architektenverein (SIA) herausgegebenen Normen, denen die Bedeutung von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen zukommt, nicht als regelbildende Übung und
stellt darauf nur ab, wenn die Parteien sie zum Vertragsinhalt erhoben haben.
Vorgeformte Vertragsinhalte können zwar Ausdruck der Verkehrsauffassung oder
-übung sein. Zu vermuten ist dies aber nicht, sondern muss im Einzelfall
nachgewiesen werden (BGE 118 II 295 E. 2a mit Hinweisen). Die SIA-Normen
können nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend übernommen werden
(Urteil 4C.261/2005 vom 9. Dezember 2005, E. 2.3 mit Hinweisen). Dies gilt
ebenso für SIA-Empfehlungen.

2.2 Die Vorinstanz erwog, es sei unbestritten, dass die Parteien die
Anwendbarkeit der SIA-Normen, insbesondere die SIA-Empfehlungen 242/1 und
242/2, nicht explizit zum Vertragsinhalt erhoben hätten. Zu prüfen gelte es
daher, ob die Anwendbarkeit dieser SIA-Empfehlungen - wie von der
Beschwerdeführerin behauptet - Ausdruck der Verkehrsübung zwischen den
Parteien gebildet habe und sofern dies zu bejahen sei, inwiefern eine solche
Verkehrsübung dem Vertrag zugrunde gelegt worden wäre. Mit andern Worten sei
zu klären, ob die Parteien in der Vergangenheit im Rahmen ihrer
Zusammenarbeit jeweils die SIA-Empfehlungen 242/1 und 242/2 angewendet hätten
und deshalb im vorliegenden Fall von einer stillschweigenden Übernahme dieser
Empfehlungen ausgegangen werden dürfe. Zunächst könne festgehalten werden,
dass es sich bei den angerufenen Bestimmungen nicht um Normen, sondern
lediglich um Empfehlungen des SIA handle, die gemäss SIA untergeordneten
Charakter hätten und in kürzeren Abständen überprüft und allenfalls angepasst
würden. Bereits aus diesem Grund könne bei SIA-Empfehlungen nicht von
Verkehrsübung gesprochen werden. Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin handle es sich bei diesen Empfehlungen somit gerade nicht
um den Stand des Fachwissens, der die allgemeine Branchenusanz wiedergebe, so
dass sie automatisch anwendbar wären. Die Empfehlungen würden einem ständigen
Wandel unterliegen und dieses zeitliche Moment stehe der Annahme einer
allgemeinen Verkehrsübung in der Baubranche entgegen. Die Beschwerdeführerin
habe aber vor allem nicht nachzuweisen vermocht, dass die Parteien in der
Vergangenheit jeweils auf die beiden SIA-Empfehlungen abgestellt hätten und
die Anwendung nämlicher SIA-Empfehlungen zwischen ihnen als Verkehrsübung
gegolten habe. So lasse sich denn auch der Zeugenaussage von B.________ klar
entnehmen, dass jeweils das effektive Ausmass berechnet und eben gerade nicht
nach den beiden SIA-Empfehlungen ausgemessen worden sei. Für das
Nichtvorliegen einer allgemeinen Verkehrsübung spreche weiter auch die
Tatsache, dass der Experte, der gerichtlich aufgefordert worden sei, das
Ausmass zu ermitteln, und hierzu den Hinweis erhalten habe, die Parteien
hätten für das Ausmass im Werkvertrag keine verbindlichen Einzelregeln oder
die Geltung der SIA-Regeln vereinbart, ohne Weiteres das effektive Ausmass
ermittelt habe. Würde es der Branchenusanz entsprechen, die Bemessungen
gemäss den beiden SIA-Empfehlungen vorzunehmen, hätte der Experte aufgrund
seines Fachwissens dies ohne Zweifel von sich aus getan oder mit Sicherheit
beim Kantonsgericht nachgefragt. Demzufolge sei vorliegend die Berechnung
entsprechend effektivem Ausmass - wie von den Parteien auch in der
Vergangenheit immer vorgenommen - korrekt.

2.3 Die Beschwerdeführerin rügt eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts
sowie eine Verletzung von Art. 8 ZGB.

2.3.1 Sie bringt vor, die Vorinstanz gehe fälschlicherweise davon aus, dass
die SIA-Empfehlungen nicht als Branchenusanz gelten würden. Dies ergebe sich
deutlich aus der "Bestätigung des Bereichsleiters Gipsergewerbe vom
Schweizerischen Maler- und Gipsermeisterverband, Herr C.________, vom 17.
September 2007". Dieses erstmals vor Bundesgericht eingereichte Schreiben ist
jedoch als unzulässiges Novum unbeachtlich. Denn die Beschwerdeführerin tut
nicht dar und es ist nicht ersichtlich, dass erst der Entscheid der
Vorinstanz zu dessen Vorbringen Anlass gegeben hätte (vgl. Art. 99 Abs. 1
BGG; Urteil 4A_223/2007 vom 30. August 2007, E. 3.2), zumal die
Beschwerdeführerin bereits in ihrer Appellationsschrift behauptete,
SIA-Empfehlungen stellten Branchenusanz dar.
Die Beschwerdeführerin begründet zudem nicht rechtsgenüglich, inwiefern die
Vorinstanz offensichtlich unrichtig festgestellt hätte, ihr sei der Nachweis
nicht gelungen, dass die Parteien in der Vergangenheit jeweils auf die beiden
SIA-Empfehlungen abgestellt hätten und deren Anwendung zwischen ihnen als
Verkehrsübung gegolten habe. Mit ihren Ausführungen übt sie vielmehr bloss
appellatorische Kritik, da sie lediglich darlegt, inwiefern die diversen
früheren Auftragsbestätigungen ihrer Ansicht nach zu würdigen wären. Infolge
mangelnder Begründung kann daher auf ihre Sachverhaltsrüge nicht eingetreten
werden (vgl. Erwägung 1).

2.3.2 Art. 8 ZGB sieht die Beschwerdeführerin verletzt, weil es ihrer Ansicht
nach an der Beschwerdegegnerin gewesen wäre, den Nachweis zu erbringen,
weshalb vorliegend die SIA-Empfehlungen als Branchenusanz gerade nicht zur
Anwendung hätten kommen sollen. Indem sie diesen Ausführungen zugrunde legt,
dass die SIA-Empfehlungen Branchenusanz seien und der Verkehrsübung zwischen
den Parteien entsprochen hätten, stützt sie sich auf Feststellungen, die
weder von der Vorinstanz so getroffen noch aufgrund der erhobenen
Sachverhaltsrüge entsprechend korrigiert worden sind. Die Rüge der Verletzung
von Art. 8 ZGB entbehrt demzufolge von vornherein der Grundlage. Eine
Verletzung von Art. 8 ZGB liegt zudem nicht vor. Die Vorinstanz hat zu Recht
der Beschwerdeführerin als Unternehmerin den Beweis für die stillschweigende
Übernahme der SIA-Empfehlungen auferlegt.

2.3.3 Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, der Auftrag an den
Experten sei falsch formuliert worden und die Zeugenaussage von B.________
hätte aufgrund dessen Unglaubwürdigkeit nicht gehört bzw. nicht beachtet
werden dürfen. Mit den diesbezüglichen Ausführungen übt sie wiederum blosse
appellatorische Kritik, ohne insbesondere darzutun, welche
verfassungsmässigen Rechte sie inwiefern verletzt sieht.
Ebenso ist auf ihre weiteren Vorbringen betreffend den Abzügen und
Berechnungen nicht einzutreten. Auch damit unterbreitet sie dem Bundesgericht
ihre eigene Sicht der Dinge und zeigt nicht auf, inwiefern eine
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG vorliegen würde (vgl. Erwägung
1).

3.
Die Beschwerde ist demzufolge abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden
kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung Grosse Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Dezember 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Corboz Sommer