Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.367/2007
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4A_367/2007 /len

Urteil vom 30. November 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

A. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Carmine Baselice,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner.

Mietvertrag; Ausweisung; Revision,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts (Zivilkammer) des Kantons
Solothurn vom 17. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Vertrag vom 18. Dezember 1998 mietete A.________ (Beschwerdeführer) von
B.________ (Beschwerdegegner) ein Restaurant in C.________. Der Vermieter
stellte am 20. November 2006 beim Richteramt Bucheggberg-Wasseramt ein
Ausweisungsbegehren. Mit Verfügung vom 21. November 2006 wurde dem
Beschwerdeführer Frist zur Stellungnahme angesetzt. Nachdem die zunächst per
Post und hernach durch Weibel versuchte Zustellung dieser Verfügung
misslungen war, wurde sie im Amtsblatt vom 22. Dezember 2006 publiziert. Der
Beschwerdeführer liess sich nicht vernehmen. Hierauf schützte der
Amtsgerichtspräsident des Richteramtes am 31. Januar 2007 das
Ausweisungsbegehren aufgrund der Ausführungen des Beschwerdegegners und
befahl dem Beschwerdeführer, das Restaurant bis zum 16. Februar 2007 zu
verlassen. Dieses Urteil wurde im Amtsblatt vom 9. Februar 2007
veröffentlicht.

B.
Der Beschwerdeführer reichte am 11. April 2007 beim Richteramt
Bucheggberg-Wasseramt ein Revisionsgesuch ein. Er verlangte die Aufhebung des
Urteils vom 31. Januar 2007 und der gestützt darauf ergangenen Androhung der
Exmission. Am 4. Mai 2007 wies der Gerichtspräsident das Revisionsgesuch ab.
Den gegen dieses Urteil eingelegten Rekurs wies das Obergericht des Kantons
Solothurn am 17. Juli 2007 ab.

C.
Gegen dieses Urteil erhebt der Beschwerdeführer Beschwerde beim Bundesgericht
und beantragt, es sei das Urteil des Obergerichts ebenso wie das Urteil des
Gerichtspräsidenten Bucheggberg-Wasseramt aufzuheben. Der Beschwerdegegner
verzichtet auf Stellungnahme. Das Obergericht schliesst auf Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Da der Streitwert in der vorliegenden dem Revisionsbegehren zugrunde
liegenden Streitsache nach dem angefochtenen Urteil Fr. 15'000.-- übersteigt,
ist die Beschwerde in Zivilsachen gegeben (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Dass
die Beschwerdeschrift keinen materiellen Antrag enthält, wie er nach Art. 42
Abs. 1 BGG erforderlich ist, schadet dem Beschwerdeführer nicht. Der blosse
Rückweisungsantrag genügt, da das Bundesgericht, sollte es die
Rechtsauffassung des Beschwerdeführers für begründet erachten, kein
Sachurteil fällen könnte, sondern die Streitsache zur weiteren Abklärung des
Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückweisen müsste (BGE 133 III 489 E. 3.1
mit Hinweisen).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer hat sich sowohl im kantonalen Verfahren wie auch vor
Bundesgericht im Wesentlichen darauf berufen, die Publikation der Verfügung
vom 21. November 2006 im Amtsblatt sei nichtig und habe deshalb keine
Rechtswirkungen entfalten können. Sinngemäss bringt er vor, er sei nicht
unbekannten Wohnsitzes oder Aufenthalts im Sinne von § 77 der
Zivilprozessordnung des Kantons Solothurn vom 11. September 1966 (ZPO/SO; BGS
221.1) gewesen, habe doch der Beschwerdegegner seine Adresse in Zürich als
Zweitadresse bereits in seiner Ausweisungseingabe vom 20. November 2006 dem
Gericht angezeigt. Der Beschwerdeführer habe sich am 1. September 2006 in
C.________ abgemeldet und der Gemeinde zugleich seine neue Adresse in Zürich
angegeben. Die richtige Zustelladresse hätte bei der Einwohnerkontrolle
C.________ oder beim Beschwerdegegner in Erfahrung gebracht werden können.
Der erstinstanzliche Richter habe aber keinen entsprechenden Versuch
unternommen.

2.2 Demgegenüber weist die Vorinstanz darauf hin, der Beschwerdeführer habe
zum einen mit Sendung vom 20. November 2006 vom Beschwerdegegner direkt
Kopien des Ausweisungsbegehrens, der Kündigung des Mietvertrages, des
Bestätigungsschreibens betreffend Kündigung, der Mahnung mit
Kündigungsandrohung und des Bestätigungsschreibens betreffend
Kündigungsandrohung erhalten. Zum anderen habe er selbst eingeräumt, die im
Amtsblatt vom 22. Dezember 2006 publizierte Verfügung vom 21. November 2006
gesehen zu haben. Er mache aber zu Unrecht geltend, es habe für ihn kein
Handlungsbedarf bestanden, da er nach Treu und Glauben habe annehmen dürfen,
von gerichtlicher Seite an der richtigen Adresse angeschrieben zu werden.
Nachdem der Beschwerdeführer von dem gegen ihn eingeleiteten
Ausweisungsverfahren gewusst habe, verhalte er sich treuwidrig, wenn er auf
die zur Kenntnis genommene gerichtliche Aufforderung zur Stellungnahme gemäss
publizierter Verfügung nicht reagiere. Dies sei mit einer sorgfältigen
Prozessführung nicht vereinbar. Vielmehr sei er nach Treu und Glauben
verpflichtet gewesen, sich beim Richteramt Bucheggberg-Wasseramt zu melden,
wobei er das Vorliegen der Voraussetzungen der Publikation nach § 77 ZPO/SO
hätte bestreiten und sich zum Ausweisungsgesuch äussern können. Er hätte
somit bei pflichtgemässer Sorgfalt seine Vorbringen schon im
Ausweisungsverfahren geltend machen können. Da er damit dennoch bis nach
Rechtskraft des Ausweisungsentscheides zuwarte, verdiene er keinen
Rechtsschutz.

2.3 Darin erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines
Gehörsanspruchs gemäss der Bundesverfassung und der EMRK, und er rügt
sinngemäss eine Verletzung von § 77 ZPO/SO.

3.
3.1 Nach der Rechtsprechung wird Nichtigkeit, d.h. absolute, jederzeit und von
sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachtende Unwirksamkeit
einer Verfügung, nur angenommen, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders
schwer und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und die
Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet
wird. Als Nichtigkeitsgründe fallen hauptsächlich schwerwiegende
Verfahrensfehler und eindeutige funktionelle oder sachliche Unzuständigkeiten
der verfügenden Behörde in Betracht (BGE 132 II 21 E. 3.1 S. 27, 342 E. 2.1
S. 346, je mit Hinweisen).

3.2 Für die Rechtsgebiete des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts sowie des
Bundesverwaltungsrechts ist indessen anerkannt, dass fehlerhafte Zustellungen
ihre Wirkung entfalten, wenn sie trotz Formmangels ihr Ziel erreichen (BGE
132 I 249 E. 6 S. 253 mit Hinweisen). Dies lässt sich e contrario aus dem
Grundsatz ableiten, dass den Parteien aus mangelhafter Eröffnung keine
Nachteile erwachsen dürfen. Dem beabsichtigten Rechtsschutz wird Genüge
getan, wenn eine objektiv mangelhafte Eröffnung trotz ihres Mangels ihren
Zweck erreicht. Das bedeutet nichts anderes, als dass nach den konkreten
Umständen des Einzelfalles zu prüfen ist, ob die betroffene Partei durch den
gerügten Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt
worden ist. Richtschnur für die Beurteilung dieser Frage ist der auch in
diesem prozessualen Bereich geltende Grundsatz von Treu und Glauben, an
welchem die Berufung auf Formmängel in jedem Fall ihre Grenze findet (BGE 122
I 97 E. 3a/aa S. 99; 111 V 149 E. 4c S. 150; 98 V 278 E. 1, mit Hinweisen).
So erwog das Bundesgericht bezüglich einer unkorrekten Zustellung in einem
Zivilprozess, um zu entscheiden, welche Wirkung einer mit einem bestimmten
Formfehler behafteten Eröffnung zukomme, seien die Interessen, welche mit der
verletzten Norm geschützt werden sollen und gegebenenfalls verletzt worden
sind, in Betracht zu ziehen. Im allgemeinen werde mit den Bestimmungen über
die Zustellung hauptsächlich bezweckt, sicherzustellen, dass die betreffenden
Urkunden dem (richtigen) Adressaten zukommen. Da im beurteilten Fall die in
Frage stehende, nicht ordnungsgemäss zugestellte Vorladung dem Beklagten zur
Kenntnis gelangt war, kam das Bundesgericht zum Schluss, die Einrede der
Nichtigkeit der Vorladung sei missbräuchlich (BGE 132 I 249 E. 7 S. 254 f.).
3.3 In der Beschwerde blieb unbestritten, dass der Beschwerdeführer von der
am 22. Dezember 2006 publizierten Fristansetzung zur Stellungnahme zum
Ausweisungsbegehren des Beschwerdegegners Kenntnis erhalten hat, nachdem ihm
der Beschwerdegegner eine Kopie davon übermittelt hatte. Er konnte aus der
Publikation ersehen, dass er für das Amtsgericht trotz der Hinterlassung
seiner Zürcher Adresse bei der Einwohnerkontrolle C.________ und dem
Adressvermerk auf der Eingabe der Gegenpartei als "zurzeit unbekannten
Aufenthalts" galt. Dennoch hielt er es weder für geboten, der Aufforderung,
sich innert 10 Tagen nach Publikation vernehmen zu lassen, nachzukommen oder
ein Fristerstreckungsgesuch zu stellen noch dem Gericht seinen Wohnort
mitzuteilen und den für ihn ersichtlichen Irrtum des Gerichts zu beseitigen.
Solange er den wahren Sachverhalt nicht aufklärte, durfte er entgegen seiner
in der Beschwerde vertretenen Ansicht unter den dargelegten Umständen
vernünftigerweise nicht erwarten, dass nach der öffentlichen Aufforderung zur
Stellungnahme noch eine an ihn persönlich adressierte Verfügung mit
Fristansetzung ergehen würde. Wenn er in Kenntnis des laufenden Verfahrens
und der Fristansetzung untätig blieb, hat er sich die Folgen selbst
zuzuschreiben, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt. Von einer Verweigerung
des rechtlichen Gehörs kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Die
Vorinstanz hat demnach im Ergebnis weder die Verfassung noch die EMRK
verletzt, wenn sie die Berufung des Beschwerdeführers auf die Nichtigkeit der
Vorladung als rechtsmissbräuchlich erachtete. Dass die Vorinstanz § 77
ZPO/SO, wonach eine öffentliche Vorladung bei unbekanntem Wohnort oder
Aufenthalt des Adressaten erfolgt, willkürlich angewandt hätte, vermag der
Beschwerdeführer ebenso wenig aufzuzeigen.

4.
Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Beschwerde in Zivilsachen als
unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang wird der
Beschwerdeführer als unterliegende Partei kostenpflichtig. Die Zusprechung
einer Entschädigung an die Gegenpartei entfällt, da diese auf Vernehmlassung
verzichtet hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (Zivilkammer) des Kantons
Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. November 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Luczak