Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.349/2007
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4A_349/2007 /len

Urteil vom 16. Januar 2008

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

X. ________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Jean-Claude Cattin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Galligani.

Arbeitsvertrag; Kündigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer,
vom 21. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Beschwerdegegnerin) arbeitete seit dem 1. Juli 2001 für die
X.________ AG (Beschwerdeführerin). Am 17. Mai 2004 wurde ihr ein ärztliches
Zeugnis ausgestellt, wonach sie ab dem 13. Mai 2004 zu 100 % arbeitsunfähig
sei. Am 26. Mai 2004 kündigte die Beschwerdeführerin das Arbeitsverhältnis
per 30. Juni 2004. Beide Parteien gelangten in der Folge an das
Arbeitsgericht Lenzburg, welches die Verfahren am 11. August 2004 zufolge
eines am gleichen Tag zwischen den Parteien geschlossenen Vergleiches
abschrieb. Mit Brief vom 20. August 2004 kündigte die Beschwerdeführerin das
Arbeitsverhältnis erneut per Ende Oktober 2004. Am 25. August 2004 erhielt
die Beschwerdegegnerin von der Versicherung den Bescheid, diese lehne für die
Zeit ab 1. Juli 2004 die Zahlung von Krankentaggeldern ab, da die
Beschwerdegegnerin ab diesem Zeitpunkt zu 100 % arbeitsfähig gewesen sei.

B.
Mit Klage vom 26. Oktober 2004 verlangte die Beschwerdegegnerin vor dem
Arbeitsgericht Lenzburg von der Beschwerdeführerin Fr. 13'156.-- brutto.
Diese verkündete der Versicherung den Streit, welche dem Streit indessen
nicht beitrat. Das Arbeitsgericht trat auf die Klage, soweit sie den Zeitraum
vom 1. Juli 2004 bis 11. August 2004 betraf, nicht ein, und wies sie
betreffend den Zeitraum vom 12. August 2004 bis 31. Oktober 2004 ab. Auf
Appellation der Beschwerdegegnerin sprach ihr das Obergericht des Kantons
Aargau Fr. 4'947.-- zu. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 11. August 2004
kam es wie das Arbeitsgericht zum Schluss, der abgeschlossene Vergleich stehe
weiteren Forderungen entgegen. Im Gegensatz zum Arbeitsgericht erachtete das
Obergericht aber den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 12.
August 2004 bis 31. Oktober 2004 für erbracht. Der Nettolohn für diesen
Zeitraum ergibt nach der Berechnung des Obergerichts Fr. 6'665.--. Da die
Beschwerdegegnerin mit einem Eventualantrag für diesen Zeitraum nur Fr.
4'947.-- verlangt hatte, sprach ihr das Obergericht diesen Betrag zu.

C.
Gegen das Urteil des Obergerichtes erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde in
Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie
beantragt im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts aufzuheben. Der
Beschwerdegegnerin wurde für die Vernehmlassung eine Frist bis zum 29.
Oktober 2007 angesetzt. Die Beschwerdegegnerin reichte dem Bundesgericht eine
vom 29. Oktober 2007 datierte Vernehmlassung ein, ebenso wie ein Gesuch um
unentgeltliche Prozessführung. Auf Nachfrage des Bundesgerichts teilte die
Beschwerdegegnerin mit, die Eingabe vom 29. Oktober 2007 sei am 2. November
2007 der Post übergeben worden.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 48 BGG müssen Eingaben spätestens am letzten Tag einer Frist beim
Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der schweizerischen Post oder
einer Schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben
werden. Die Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin wurde der Post erst nach
Ablauf der angesetzten Frist übergeben. Ein Gesuch um Wiederherstellung der
Frist (Art. 50 BGG) hat die Beschwerdegegnerin nicht gestellt. Ihre
Vernehmlassung bleibt daher unberücksichtigt.

2.
Der für die Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen in arbeitsrechtlichen
Fällen grundsätzlich erforderliche Streitwert von Fr. 15'000.-- (Art. 74 Abs.
1 lit. a BGG) wird, wie die Beschwerdeführerin selbst anerkennt, nicht
erreicht. Die Beschwerdeführerin ist aber der Auffassung, es stelle sich eine
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG),
weshalb die Beschwerde in Zivilsachen dennoch zulässig sei. Der Begriff der
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist indessen sehr restriktiv
auszulegen. Soweit es bei der aufgeworfenen Frage lediglich um die Anwendung
von Grundsätzen der Rechtsprechung auf einen konkreten Fall geht, handelt es
sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (BGE 133 III 493
E. 1 S. 494 ff.). Im zu beurteilenden Fall geht es um die Würdigung
ärztlicher Berichte und Zeugnisse, welche von den kantonalen Instanzen
unterschiedlich vorgenommen wurde. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung,
die Vorinstanz halte sich dabei nicht an die bundesgerichtlichen Vorgaben. Es
geht mithin lediglich um die Anwendung von Grundsätzen der Rechtsprechung auf
einen konkreten Einzelfall. Daher erweist sich die Beschwerde in Zivilsachen
als unzulässig, und es ist nicht darauf einzutreten.

3.
Da die Beschwerde in Zivilsachen nicht offen steht, erweist sich die
Verfassungsbeschwerde mit Blick auf Art. 113 BGG als zulässig.

3.1 Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist ein reformatorisches
Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG). Daher darf sich der
Beschwerdeführer grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des
angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern muss einen Antrag in der
Sache stellen (vgl. BGE 133 III 489 E. 3.1 mit Hinweisen). Die
Beschwerdeführerin beantragt formell nur die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides in gewissen Punkten. Da sie aber ausdrücklich die Aufhebung von
Ziff. 1 des Dispositives des angefochtenen Entscheides verlangt, in der die
Vorinstanz die kantonale Appellation teilweise gutheisst, beantragt sie dem
Bundesgericht, gleich wie das Arbeitsgericht zu entscheiden. Dem Erfordernis
eines materiellen Antrags ist damit genüge getan, zumal die
Beschwerdeführerin zur Begründung ihrer Anträge ausdrücklich ausführt, die
Klage sei zu Unrecht teilweise gutgeheissen worden.

3.2 Mit der Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von verfassungsmässigen
Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Der Beschwerdeführer muss angeben,
welches verfassungsmässige Recht verletzt wurde, und substantiiert darlegen,
worin die Verletzung besteht (BGE 133 III 439 E. 3.2 S. 444 mit Hinweis). Das
Bundesgericht kann die Verletzung eines Grundrechtes nur insofern prüfen, als
eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden
ist (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Es legt dabei seinem Urteil
grundsätzlich den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 118 BGG), und kann nur davon abweichen, wenn die
Sachverhaltsfeststellung unter Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts
zustande kam (Art. 118 Abs. 2 und Art. 116 BGG), was der Beschwerdeführer
wiederum präzise geltend zu machen hat (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG;
BGE 133 III 439 E. 3.2 S. 445 mit Hinweis).

3.3 Die Beschwerdeführerin rügt formell eine ungenügende Feststellung des
Sachverhalts, eine falsche Anwendung der massgebenden Gesetzesbestimmungen,
sowie eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und ein faires
Verfahren. Materiell beanstandet sie aber unter allen diesen Titeln, dass die
Vorinstanz gestützt auf Arztzeugnisse von zwei Ärzten, welche die Klägerin
behandeln, den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit für erbracht hielt, ohne zu
begründen, weshalb sie nicht auf den ausführlichen von einem durch die
Versicherung beauftragten Rheumatologen verfassten Bericht abgestellt habe.
Dieser Bericht habe das Gewicht eines Gutachtens, zumal er sich auf das
gesamte Aktendossier der Krankentaggeldversicherung, das Röntgendossier, die
Angaben der Patientin und Untersuchungsbefunde stütze. Darin werde der
Beschwerdegegnerin eine volle Arbeitsfähigkeit attestiert. Wenn die
Vorinstanz von diesem Bericht hätte abweichen wollen, hätte sie dies
zumindest eingehend begründen beziehungsweise weitere Beweismassnahmen
anordnen müssen.

3.4 Die Arztzeugnisse, auf die sich die Vorinstanz stützt, stammen von einem
Facharzt für orthopädische Chirurgie und einem Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, bei welchen die Beschwerdegegnerin in Behandlung war. Die
Vorinstanz hat nicht nur auf die Arztzeugnisse abgestellt, sondern auch auf
ausführlichere Berichte der beiden Ärzte vom 8. Juni 2005 und vom 25. August
2005, welche auf längerdauernder Behandlung und damit auch Beobachtung der
Beschwerdegegnerin beruhen. Nach den Feststellungen der Vorinstanz weist der
Rheumatologe in seinem Bericht darauf hin, eine das Verhalten der
Beschwerdegegnerin erklärende psychische Erkrankung (Depression oder
Ähnliches) sei vom externen psychiatrischen Dienst nicht vorgefunden worden.
Der Bericht des Facharztes für Psychiatrie erwähnt demgegenüber psychische
Beschwerden in Form einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung in
Verbindung mit einer psychogenen Anpassungsstörung. Die Vorinstanz führt aus,
die Ärzte, welche der Beschwerdegegnerin eine Arbeitsunfähigkeit
bescheinigen, lokalisierten die Probleme der Klägerin schwergewichtig in
einer somatoformen Schmerzstörung, die ein psychisches Leiden mit
Krankheitswert darstelle.

3.5 Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin erklärt die Vorinstanz
sehr wohl, weshalb sie nicht auf den Bericht des Rheumatologen abstellt. Zum
einen berücksichtigt sie, dass die Ärzte, welche die Beschwerdegegnerin
behandelten, diese über einen längeren Zeitraum beobachten konnten. Gestützt
auf ihre Berichte, kam sie zum Schluss, die Probleme der Beschwerdegegnerin
seien vornehmlich psychischer Natur. Psychische Leiden fallen nicht in das
Spezialgebiet des Rheumatologen, der diesbezüglich lediglich die Erkenntnisse
des externen psychiatrischen Dienstes wiedergibt. Damit liegt im Abweichen
von seiner Einschätzung keine Willkür, denn diese Einschätzung beruht auf der
Prämisse, dass keine psychische Erkrankung vorliegt. Es könnte sich die Frage
stellen, ob die Vorinstanz allenfalls dadurch verfassungsmässige Rechte der
Beschwerdeführerin verletzt hat, dass sie statt auf die Erkenntnisse des
externen psychiatrischen Dienstes auf den Bericht des Facharztes für
Psychiatrie abgestellt hat. Eine entsprechende Rüge bringt die
Beschwerdeführerin nicht vor. Sie legt nicht dar, inwiefern die Ausführungen
des Facharztes für Psychiatrie unglaubwürdig sein sollten und setzt sich auch
sonst mit den Arztberichten, auf die sich die Vorinstanz stützt, in keiner
Weise auseinander, sondern will ausschliesslich auf den Bericht des
Rheumatologen abstellen. Damit kommt sie ihrer Begründungspflicht nicht
hinreichend nach, weshalb der angefochtene Entscheid diesbezüglich nicht zu
überprüfen ist (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 439 E. 3.2
S. 445 mit Hinweis).

3.6 Insgesamt vermag die Beschwerdeführerin weder darzulegen, dass ihr
Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt worden wäre, noch dass die
Vorinstanz in der Würdigung der Beweismittel in Willkür verfallen ist und den
Sachverhalt ungenügend abgeklärt hätte. Entgegen ihren Ausführungen lässt
sich dem angefochtenen Entscheid ohne Weiteres entnehmen, weshalb die
Vorinstanz dem Gutachten des Rheumatologen nicht gefolgt ist. Auch eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs ist daher nicht ersichtlich.

4.
Damit erweist sich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unbegründet,
soweit überhaupt darauf einzutreten ist. Auf die Beschwerde in Zivilsachen
ist nicht einzutreten. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die
Beschwerdeführerin kostenpflichtig. Da es sich um eine Streitigkeit aus einem
Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert unter Fr. 30'000.-- handelt, kommt
eine reduzierte Gerichtsgebühr in Ansatz (Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG). Die
Beschwerdegegnerin hat sich binnen der angesetzten Frist nicht vernehmen
lassen, weshalb ihr keine Parteientschädigung zusteht. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.

2.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2008

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Corboz Luczak