Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.266/2007
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4A_266/2007 /len

Urteil vom 26. September 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiberin Hürlimann.

B. A.________,
C.A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Andreas Wyssenbach,

gegen

D.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Fürsprecher Markus Fischer.

Mietrechtliche Exmission (Ausweisung),

Beschwerde in Zivilsachen gegen die Entscheide
des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof,
vom 18. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 19. November 2004 stellte der damalige Gerichtspräsident I des
Gerichtskreises VIII Bern-Laupen fest, dass die seit 15. März 1999
bestehenden Mietverhältnisse über eine 5 1/2 Zimmer-Wohnung und eine
Doppelgarage zwischen B.A.________ und C.A.________ (Gesuchsgegner,
Beschwerdeführer) sowie D.________ (Gesuchstellerin, Beschwerdegegnerin) per
30. April 2004 aufgelöst seien. Zwei gegen diesen Entscheid von den
Beschwerdeführern angestrengte Rechtsmittelverfahren bis vor Bundesgericht
blieben erfolglos.

A.a Am 19. Oktober 2005 ersuchte die Beschwerdegegnerin das Gerichtspräsidium
des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen um Erlass einer einstweiligen Verfügung,
wonach die Beschwerdeführer die Wohnung und das Kellerabteil sowie die
Doppelgarage per 30. November 2005 unter Androhung der Ersatzvornahme und der
Strafdrohung von Art. 404 ZPO/BE zu räumen und zu reinigen hätten. Ein von
den Beschwerdeführern angehobenes Rechtsmittelverfahren bis vor Bundesgericht
bezüglich Einstellung des Exmissionsverfahrens blieb erfolglos.

A.b Am 5. Februar 2007 verurteilte der Gerichtspräsident 1 des
Gerichtskreises VIII Bern-Laupen die Beschwerdeführer, die von ihnen benutzte
5 1/2 Zimmer-Wohnung inkl. Kellerabteil sowie die Doppelgarage innert 7
Tagen, laufend ab Erhalt des Entscheids, zu räumen und zu verlassen, unter
Androhung der Folgen von Art. 404 i.V.m. Art. 403 Abs. 1 ZPO/BE im
Widerhandlungsfall.

B.
Die Beschwerdeführer stellten im Laufe der Verfahren verschiedene
Ablehnungsgesuche gegen den zuständigen Gerichtspräsidenten, gegen die
zuständige Gerichtsschreiberin des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen sowie
gegen diverse Oberrichter und Kammerschreiber; diese Gesuche blieben alle
erfolglos. Auf ein weiteres Ablehnungsgesuch gegen eine Mehrheit der
Oberrichterinnen und Oberrichter trat das Obergericht am 14. Juni 2007 nicht
ein.

C.
Am 18. Februar 2007 appellierten die Beschwerdeführer gegen den Entscheid des
Gerichtspräsidenten vom 5. Februar 2007 und beantragten dem Obergericht des
Kantons Bern, der Entscheid betreffend die Exmission sei aufzuheben und die
Streitsache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das
Exmissionsgesuch abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Mit Entscheid vom 18. Juni 2007 trat das Obergericht auf die Appellation
nicht ein. Es erwog, die Beschwerdeführer hielten sich ohne gültigen
Rechtstitel in der fraglichen Liegenschaft auf, da zwischen den Parteien
keine neuen Mietverträge abgeschlossen worden seien. Der Streitwert
entspreche im Ausweisungsverfahren bei fehlendem Rechtstitel gemäss Ziff. 2
des Kreisschreibens Nr. 24 der Zivilabteilung des Obergerichts des Kantons
Bern vom 1. Mai 2006 dem hypothetisch geschuldeten bzw. marktüblichen
Mietzins für den im Normalfall zur speditiven Durchführung des
erstinstanzlichen Exmissionsverfahrens erforderlichen Zeitraum von zwei
Monaten. Damit sei der erforderliche Streitwert von Fr. 8'000.-- im
vorliegenden Fall nicht erreicht.

D.
Mit Eingabe vom 16. März 2007 reichten die Beschwerdeführer eine eventuelle
Nichtigkeitsklage gemäss Art. 359 ff. ZPO/BE ein und beantragten dem
Obergericht des Kantons Bern, eventualiter (also für den Fall, dass auf die
Appellation nicht eingetreten werde) sei der Entscheid vom 5. Februar 2007
bzw. das ganze erstinstanzliche Verfahren aufzuheben (Ziff. 1). Falls das
angefochtene Urteil bereits rechtskräftig wäre, sei dessen Vollstreckbarkeit
einzustellen (Ziff. 2). Das Obergericht verzichtete auf die Einholung einer
Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin.
Das Obergericht wies die Nichtigkeitsklage am 18. Juni 2007 ab und setzte den
Beschwerdeführern zur Räumung und zum Verlassen der betreffenden Wohnung
inkl. Kellerabteil und der Doppelgarage eine Frist von zwanzig Tagen, laufend
ab Erhalt des Entscheids. Das Obergericht verneinte, dass die in den
verschiedenen Verfahren zuständigen Gerichte nicht gehörig besetzt gewesen
seien. Weiter sei das Vollstreckungsverbot noch nicht vollstreckbarer
Entscheide trotz Einreichen von vier Individualbeschwerden beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte nicht missachtet worden, da der EMGR nationale
Entscheide nicht aufheben könne und die Aussetzung des Vollzugs des
angefochtenen Entscheids nicht angeordnet habe. Als unbegründet erachtete das
Obergericht auch die von den Beschwerdeführern gerügte Verletzung des
Mitwirkungsrechts und des rechtlichen Gehörs sowie den Einwand eines
angeblich nichtigen Gerichtstermins.

E.
Am 9. Juli 2007 reichten die Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen und
eventuell subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein. Sie beantragen dem
Bundesgericht, die Entscheide des Obergerichts vom 18. Juni 2007 betreffend
die Appellation bzw. die Nichtigkeitsklage seien aufzuheben und die beiden
Verfahren seien zu vereinigen. Der Beschwerde sei vorerst superprovisorisch
und dann ordentlich aufschiebende Wirkung zu verleihen. Gleichermassen sei
anzuordnen, dass von den angefochtenen Entscheiden keine
Vollziehungsvorkehrungen ausgehen dürften. Zur Begründung ihrer Beschwerde
führen die Beschwerdeführer aus, das Obergericht habe ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt, indem es ihnen die schriftliche Antwort der
Beschwerdegegnerin zur Appellation vom 12. März 2007 nicht zugestellt habe.
Weiter habe das Obergericht im Nichtigkeitsklageverfahren der
Beschwerdegegnerin die Nichtigkeitsklage der Beschwerdeführer nicht
zugestellt, obwohl Art. 362 ZPO/BE dies für alle Nichtigkeitsklagefälle
zwingend vorsehe. Es lägen deshalb eine formelle Rechtsverweigerung und
Willkür vor. Schliesslich habe es an verfassungs- und konventionsmässigen
Gerichtspersonen und an einem entsprechenden Spruchkörper gefehlt.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, auf das Gesuch um aufschiebende Wirkung und
die Beschwerde nicht einzutreten bzw. Gesuch und Beschwerde abzuweisen.
Das Obergericht beantragt Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung. Auf
eine Vernehmlassung zur Beschwerde hat es verzichtet.

F.
Mit Verfügung vom 10. Juli 2007 erteilte das Bundesgericht der Beschwerde
superprovisorisch aufschiebende Wirkung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführer haben den Entscheid des Obergerichts über die
Appellation mit Beschwerde in Zivilsachen und den Entscheid über die
Nichtigkeitsklage eventualiter mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde in einer
einzigen Eingabe angefochten. Da es sich beim Entscheid über die
Nichtigkeitsklage um einen Folgeentscheid zum Entscheid über die Appellation
handelt und die Beschwerdeführer ihn als solchen mitanfechten, rechtfertigt
es sich, die Eingabe in einem Urteil zu behandeln.
Die angefochtenen Entscheide sind am 18. Juni 2007 gefällt worden und damit
nach Inkrafttreten des BGG am 1. Januar 2007. Das neue Recht ist gemäss Art.
132 BGG auf das vorliegende Verfahren anwendbar.
Mit vorliegendem Entscheid wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

2.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob auf ein
Rechtsmittel einzutreten ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 132 III 291 E. 1 S.
292).

2.1 Die Ausweisung eines Mieters erfolgt im Kanton Bern gestützt auf Art. 326
Ziff. 2 ZPO/BE über den Erlass einer vorsorglichen Massnahme. Eine Frist zur
Einleitung eines Hauptprozesses wird dem Gesuchsteller in diesem Fall nicht
angesetzt (vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für
den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 1a zu Art. 330 ZPO/BE). Es liegt damit ein
Endentscheid im Sinn von Art. 90 BGG vor (vgl. auch BGE 133 III 393 E. 4 S.
395; Urteil 5A_181/2007 vom 26. Juni 2007, E. 1.2).
2.2 Die Beschwerde in Zivilsachen ist in vermögensrechtlichen Angelegenheiten
nach Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG in mietrechtlichen Fällen nur zulässig, wenn
der Streitwert mindestens Fr. 15'000.-- beträgt. Lautet ein Begehren nicht
auf Bezahlung einer bestimmten Geldsumme, so setzt das Bundesgericht den
Streitwert gemäss Art. 51 Abs. 2 BGG nach Ermessen fest.

2.2.1 Die Beschwerdeführer sehen den erforderlichen Streitwert von Fr.
15'000.-- erreicht, da die Parteien eine Vertragsfortsetzung über das erste
Vertragsende vom 30. April 2004 hinaus vereinbart hätten. Dieser Vertrag
laufe nach wie vor, weshalb eine Ausweisung unzulässig sei. Gemäss Ziff. 1
des Kreisschreibens Nr. 24 der Zivilabteilung des Obergerichts des Kantons
Bern vom 28. März 2006 entspreche der Streitwert dem Bruttomietzins, der für
den Zeitraum zwischen dem Tag, an dem der Mietvertrag gemäss der Anlass zur
Exmission bietenden Kündigung hätte aufgelöst werden sollen, und dem ab
Zeitpunkt der Gesuchseinreichung nächstmöglichen ordentlichen gesetzlichen
oder vertraglichen Kündigungstermin geschuldet wäre; der Streitwert belaufe
sich deshalb auf Fr. 42'300.--. Die Beschwerdegegnerin bestreitet den
Abschluss eines neuen Mietvertrags. Der Streitwert entspreche im
Ausweisungsverfahren bei fehlendem Rechtstitel dem hypothetisch geschuldeten
bzw. marktüblichen Mietzins für den im Normalfall zur speditiven Durchführung
des erstinstanzlichen Exmissionsverfahrens erforderlichen Zeitraum von zwei
Monaten. Der Streitwert sei demzufolge nicht erreicht.

2.2.2 Das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführer ist gleichzusetzen
mit dem Wert, den die Nutzung der Wohnung während der Zeit hat, während der
die Ausweisung nicht vollzogen werden kann (Urteil 4A_72/2007 vom 22. August
2007, E. 2.2). Der Entscheid des Gerichtspräsidenten 1 des Gerichtskreises
VIII Bern-Laupen datiert vom 5. Februar 2007. Damit ist der Streitwert von
Fr. 15'000.-- selbst dann erreicht, wenn man nicht wie das Obergericht von
einem Zins von Fr. 3'000.-- für die Wohnung (inkl. Nebenkosten) und von Fr.
150.-- für die Garage ausgeht, sondern mit den Beschwerdeführern einen Zins
von Fr. 2'000.-- für die Wohnung, Fr. 200.-- für die Nebenkosten und Fr.
150.-- für die Garage annimmt.

2.3 Die Beschwerde in Zivilsachen ist zulässig, da auch die übrigen
Voraussetzungen gegeben sind. Damit kann auf die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde nicht eingetreten werden (Art. 113 BGG).

3.
Gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann mit der Beschwerde gemäss
Art. 98 BGG nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Die
Beschwerdeführer machen in erster Linie geltend, das Obergericht habe im
Rahmen des Appellationsverfahrens ihr rechtliches Gehör verletzt, indem es
ihnen die schriftliche Antwort der Beschwerdegegnerin zur Appellation vom 12.
März 2007 nicht zugestellt habe.

3.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV umfasst das
Recht, von jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme Kenntnis zu nehmen
und sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob diese neue Tatsachen
oder Argumente enthält und ob sie das Gericht tatsächlich zu beeinflussen
vermag (BGE 133 I 100 E. 4.3-4.5 S. 102 ff.; 133 I 98 E. 2.1 S. 99; 132 I 42
E. 3.3.2 und 3.3.3 S. 46 f.).
3.2 Die Vorinstanz macht nicht geltend und es ergibt sich auch nicht aus den
Akten, dass den Beschwerdeführern von der schriftlichen Antwort der
Beschwerdegegnerin Kenntnis gegeben worden wäre. Damit liegt eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführer vor. Daran vermag auch nichts zu
ändern, dass sich die Beschwerdeführer nach Ansicht der Beschwerdegegnerin
rechtsmissbräuchlich verhalten haben. Die Beschwerde in Zivilsachen ist
gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben, ohne dass die
weiteren Rügen der Beschwerdeführer zu prüfen wären.

4.
Die Beschwerdeführer verlangen neben der Aufhebung des Entscheids über die
Appellation auch die Aufhebung des Entscheids über die Nichtigkeitsklage.
Gemäss Art. 314 ZPO/BE können gegen Urteile im Summarverfahren keine
Rechtsmittel erhoben werden, mit Ausnahme der Appellation in den vom Gesetz
ausdrücklich bezeichneten Fällen (Art. 336 ZPO/BE) und der Nichtigkeitsklage
gemäss Art. 360 ZPO/BE. Einstweilige Verfügungen im Sinn von Art. 326 ZPO/BE
sind nach Art. 336 Abs. 3 ZPO/BE nur appellabel, wenn der Streitwert der
Hauptsache mindestens Fr. 8'000.-- beträgt. Die Vorinstanz ist auf die
Nichtigkeitsklage mit der Begründung eingetreten, dieser Streitwert sei nicht
erfüllt, weshalb nur die Nichtigkeitsklage offen stehe. Mit der Aufhebung des
Entscheids über die Appellation durch das Bundesgericht wird das Verfahren in
den Stand zurückversetzt, in dem es sich vor der Verletzung des rechtlichen
Gehörs durch die Vorinstanz befand. Solange über die Zulässigkeit der
Appellation nicht entschieden ist, kann auch über die Zulässigkeit der
subsidiären Nichtigkeitsklage nicht befunden werden. Der Entscheid der
Vorinstanz über die Nichtigkeitsklage ist deshalb antragsgemäss ebenfalls
aufzuheben.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde in Zivilsachen gutzuheissen und auf die
subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens rechtfertigt es sich, die Gerichtskosten den Parteien je zur
Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und die Parteikosten für das
bundesgerichtliche Verfahren wettzuschlagen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird gutgeheissen und die Entscheide des
Appellationshofes des Obergerichts des Kantons Bern vom 18. Juni 2007 werden
aufgehoben.

2.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Parteien je zur Hälfte
auferlegt, den Beschwerdeführern untereinander unter solidarischer
Haftbarkeit.

4.
Die Parteikosten werden wettgeschlagen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. September 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: