Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.209/2007
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4A_209/2007 /bru

Urteil vom 5. September 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen, Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Gelzer.

C. _______,
D._______,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch
Fürsprecherin Ruth Lanz-Bosshard,

gegen

B._______,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans M. Weltert.

Kaufvertrag; Restforderung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, vom 26. April 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 17. April 2000 verkaufte A._______ diverse Maschinen an B._______. Der
schriftliche Kaufvertrag sah einen Kaufpreis von Fr. 350'000.-- vor, den der
Käufer bezahlte.

Mit Eingabe vom 16. September 2002 klagten C._______ und D._______ (Kläger)
als Erben des verstorbenen Verkäufers beim Bezirksgericht Kulm gegen den
Käufer (Beklagten) auf Zahlung von Fr. 186'944.-- nebst Zins.

Das Bezirksgericht hiess die Klage am 28. Oktober 2003 im Umfang vom
Fr. 105'000.-- nebst Zins gut. Zur Begründung führte es aus, die Kläger
hätten mittels Zeugen beweisen können, dass die Parteien des Kaufvertrages -
entgegen dem schriftlichen Vertrag - einen Kaufpreis von insgesamt
Fr. 579'000.-- vereinbart hatten, wovon Fr. 350'000.-- sofort, der restliche
Kaufpreis in monatlichen Raten à Fr. 3'500.-- zahlbar waren. Von den
eingeklagten noch ausstehenden Fr. 186'944.-- seien bis zum Urteilszeitpunkt
erst 30 Raten, somit Fr. 105'000.--, fällig geworden. Dieses Urteil blieb
unangefochten.

B.
Mit Eingabe vom 10. Januar 2005 belangten die Kläger den Beklagten beim
Bezirksgericht Kulm auf Zahlung von Fr. 52'500.-- (15 Monatsraten à Fr.
3'500.--) nebst Zins zu 5 % seit 30. April 2004 und auf Zahlung von je Fr.
3'500.-- nebst Zins zu 5 % seit jedem weiteren Monatsletzten bis zur
Urteilsfällung in letzter angerufener Instanz, höchstens aber Fr. 29'944.--
zuzüglich 5 % Verzugszins.

Mit Urteil vom 23. Mai 2006 hiess das Bezirksgericht die Klage gut und
verpflichtete den Beklagten, den Klägern Fr. 81'944.-- nebst Zins zu 5 % seit
6. Oktober 2004 (mittlerer Verfall) zu bezahlen. Zur Begründung führte das
Bezirksgericht im Wesentlichen aus, die Kläger hätten bereits im ersten
Verfahren ihren gesamten Anspruch aus dem umstrittenen Kaufvertrag geltend
gemacht, worauf das Gericht damals die Grundlage dieses Anspruchs beurteilt
und bejaht und nur die Fälligkeit teilweise verneint habe. Damit unterscheide
sich das erste Urteil nicht von einem Feststellungsurteil, in dem der Bestand
der Forderung mit teilweise eingetretener Fälligkeit rechtskräftig
festgestellt worden sei. An diese Feststellung sei das Gericht gebunden, da
es nicht auf Grund einer blossen Teilklage in seiner Kompetenz eingeschränkt
und die Rechtskraftwirkung des ersten Urteils demnach nicht beschränkt
gewesen sei. Da die Fälligkeit der restlichen Kaufpreisraten zwischenzeitlich
eingetreten sei, sei die Klage gutzuheissen.

Der Beklagte reichte beim Obergericht des Kantons Aargau Appellation mit den
Begehren ein, das Urteil des Bezirksgerichts vom 23. Mai 2006 sei aufzuheben
und die Klage abzuweisen. Vorfrageweise sei festzustellen, dass der Beklagte
den Maschinenpark von A._______ zu einem Kaufpreis von Fr. 350'000.--
erworben habe. Im Falle der Rückweisung des Prozesses an das vorinstanzliche
Gericht sei zufolge Vorbefassung bzw. Befangenheit ein neues und unabhängiges
Gericht mit der Behandlung des Rechtsstreits zu betrauen.

Mit Urteil vom 26. April 2007 hiess das Obergericht die Appellation teilweise
gut, hob das Urteil des Bezirksgerichts vom 23. Mai 2006 auf und wies die
Sache zur weiteren Durchführung des Verfahrens an die Vorinstanz zurück. Im
Übrigen wies das Obergericht die Appellation ab, soweit es darauf eintrat.
Das Obergericht nahm an, die Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts vom
28. Oktober 2003 erfasse nur das Dispositiv, nicht jedoch die
Entscheidungsgründe. Die lediglich in den Erwägungen enthaltene Feststellung,
wonach zwischen dem Vater der Kläger und dem Beklagten ein Kaufvertrag mit
einem Kaufpreis von Fr. 579'000.-- zustande gekommen sei, sei daher nicht in
Rechtskraft erwachsen. Entgegen der Auffassung des Bezirksgerichts sei es
somit nicht an das erste Urteil gebunden und habe über das Vorliegen des
Kaufvertrages und die Höhe des Kaufpreises (erneut) zu befinden.

C.
Die Kläger erheben beim Bundesgericht Beschwerde mit den Anträgen, das Urteil
des Obergerichts vom 26. April 2007 sei aufzuheben, und die Appellation des
Beklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Kulm vom 23. Mai 2006 sei
abzuweisen. Eventuell sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Der Beklagte stellt den Antrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten,
eventualiter sei sie abzuweisen. Das Obergericht verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen selbständig
eröffneten Zwischenentscheid, der weder die Zuständigkeit noch den Ausstand
betrifft. Die Beschwerde ist daher gemäss 93 Abs. 1 BGG nur zulässig, wenn
der Zwischenentscheid einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann
(lit. a), oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).

1.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Voraussetzungen gemäss Art. 93
Abs. 1 lit. b BGG seien gegeben, da bei Gutheissung der Beschwerde das
Verfahren sofort rechtskräftig entschieden sei und damit ein weitläufiges und
teures Beweisverfahren erspart würde. Dies ergebe sich namentlich daraus,
dass der Beschwerdegegner die Einvernahme von 13 Zeugen und die Edition von
Jahresrechnungen und Buchhaltungsunterlagen verlangt hätte und ein
Beweisverfahren bisher nicht stattgefunden habe. In der Beschwerdeantwort
bestätigt der Beschwerdegegner, dass er im zweiten Prozess zahlreiche
Beweisanträge gestellt habe. Gestützt auf diese übereinstimmenden Angaben der
Parteien ist anzunehmen, die Durchführung des zu erwartenden Beweisverfahrens
würde einen erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten verursachen, der bei
Gutheissung der Beschwerde entfallen würde. Damit sind die Voraussetzungen
gemäss Art. 93 lit. b BGG gegeben, weshalb auf die Beschwerde eingetreten
werden kann, da sie von der in ihren Anträgen unterliegenden Parteien (Art.
76 Abs. 1 BGG) form- und fristgerecht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG)
eingereicht wurde und sich gegen einen Entscheid in Zivilsachen (Art. 72
Abs. 1 BGG) in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit mit einem Streitwert
von mindestens Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) richtet.

2.
2.1 Die Beschwerdeführer rügen, das Obergericht habe die materielle
Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts Kulm vom 28. Oktober 2003
missachtet. Aus dem Dispositiv dieses Urteils ergebe sich, dass die damalige
Klage teilweise gutgeheissen worden sei. Die zur Auslegung des Dispositivs
beizuziehenden Erwägungen zeigten, dass das Bezirksgericht den Bestand der
eingeklagten Kaufpreisforderung bejaht und es die Klage lediglich zufolge der
mangelnden Fälligkeit eines Teils dieser Forderung nur teilweise gutgeheissen
habe. Damit stehe fest, dass das Bezirksgericht bereits im ersten
Klageverfahren den gesamten Anspruch der Kläger beurteilt habe, weshalb eine
verbindliche Entscheidung des Gerichts über den mit Klage vom 10. Januar 2005
geltend gemachten Anspruch vorliege. Da der Kläger dem Gericht im ersten
Prozess den gesamten Anspruch zur Beurteilung unterbreitet habe, liege keine
mit einer blossen Teilklage  vergleichbare Situation vor. Das Obergericht
habe demnach zu Unrecht die Anspruchsidentität verneint.

2.2
2.2.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung betrifft die materielle
Rechtskraft, das heisst die Verbindlichkeit eines Urteils für spätere
Prozesse, eine Frage des Bundesrechts, sofern der zu beurteilende Anspruch
auf Bundesrecht beruht. Eine abgeurteilte Sache liegt vor, wenn der streitige
Anspruch mit einem schon rechtskräftig beurteilten identisch ist. Dies trifft
zu, falls der Anspruch dem Richter aus demselben Rechtsgrund und gestützt auf
denselben Sachverhalt erneut zur Beurteilung unterbreitet wird (BGE 125 III
241 E. 1 mit Hinweisen). Die Identität der Ansprüche ist jedoch zu verneinen,
wenn zwar aus dem gleichen Rechtsgrund wie im Vorprozess geklagt wird, aber
neue erhebliche Tatsachen geltend gemacht werden, die seitdem eingetreten
sind und den Anspruch in der nunmehr eingeklagten Form erst entstehen
liessen. Diesfalls stützt sich die neue Klage auf rechtsbegründende oder
rechtsverändernde Tatsachen, die im früheren Prozess nicht zu beurteilen
waren (BGE 105 II 268 E. 2 S. 270; 116 II 783 E. 2a; 125 III 241 E. 2d S.
246). Demnach kann eine Klage, welche mangels Fälligkeit abgewiesen wurde,
erneut mit der Begründung erhoben werden, die Fälligkeit sei zwischenzeitlich
eingetreten (Frank/Stäuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, 3. Aufl., N. 8 zu § 191; Vogel/Spühler, Grundriss des
Zivilprozessrechts der Schweiz, 8. Aufl., S. 216 f. Rz. 26;
Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton
Bern, 5. Aufl., N. 12 c/cc zu Art. 192 S. 467 f.). Die Gerichte pflegen daher
nicht fällige Ansprüche "zur Zeit" abzuweisen, um klarzustellen, dass die
materielle Rechtskraft dieses Urteils eine neue Klage nach eingetretener
Fälligkeit nicht ausschliesst (Staehelin/Sutter, Zivilprozessrecht nach den
Gesetzen der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft unter Einbezug des
Bundesrechts, S. 219 Rz. 21).

2.2.2 Ein Entscheid erwächst nur in jener Form in Rechtskraft, wie er im
Urteilsdispositiv zum Ausdruck kommt. Doch ergibt sich dessen  Tragweite
vielfach erst aus den Urteilserwägungen, namentlich im Falle einer
Klageabweisung (BGE 121 III 474 E. 4a S. 478; 128 III 191 E. 4a S. 195). Die
tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Erwägungen eines Entscheids
haben in einer anderen Streitsache keine bindende Wirkung (BGE 123 III 16 E.
2a; 128 III 191 E. 4a S. 195 mit Hinweisen). Entsprechend entfaltet ein
Urteil über eine Teilklage - auch wenn bei ihrer Beurteilung die
Gesamtforderung berücksichtigt wurde - im Prozess über die Restforderung nur
bezüglich des beurteilten Teilbetrages, nicht jedoch bezüglich der Erwägungen
und Feststellungen zur Gesamtforderung, Rechtskraftwirkung (BGE 125 III 8 E.
3b S. 13; 128 III 191 E. 4a S. 194, je mit Hinweisen). Wird dagegen in einem
Prozess als Hauptfrage der Bestand eines Rechtsverhältnisses festgestellt, so
sind die Gerichte in späteren Prozessen, in denen vorfrageweise über diesen
Bestand zu entscheiden ist, an das frühere Feststellungsurteil gebunden (vgl.
BGE 121 III 474 E. 4a S. 478). Dies entspricht der Funktion von
Feststellungsklagen, eine bestehende Rechtslage vom Gericht verbindlich
klären zu lassen (BGE 125 III 241 E. 1b S. 243).

2.3 Die Beschwerdeführer erhoben am 16. September 2002 eine Leistungsklage,
welche das Bezirksgericht Kulm gemäss dem Dispositiv des Urteils vom 28.
Oktober 2003 nur teilweise guthiess. Aus den Erwägungen ergibt sich, dass das
Bezirksgericht den nicht zugesprochenen Teilbetrag mangels Fälligkeit abwies.
Es hat demnach über den Bestand dieses Teils des eingeklagten Anspruchs nicht
endgültig entschieden, sondern nur das Fehlen einer materiellrechtlichen
Klagevoraussetzung im damaligen Zeitpunkt festgestellt. Da die
Beschwerdeführer keine Feststellungsklage erhoben haben, konnte das
Bezirksgericht im Urteil vom 28. Oktober 2003 bezüglich des Bestandes des
nicht fälligen Anspruchs keine für spätere Prozesse verbindlichen
Feststellungen treffen und ins Dispositiv aufnehmen. Das Obergericht hat
daher bundesrechtskonform angenommen, die in diesem Urteil bloss in den
Erwägungen angeführten Feststellungen bezüglich des Umfangs des damals
abgewiesenen Kaufpreisanspruchs seien im vorliegenden Klageverfahren nicht
bindend.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang
haben die unterliegenden Beschwerdeführer die Gerichtskosten unter
solidarischer Haftung zu tragen (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 5 BGG). Zudem haben
die Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner nach Massgabe des Tarifs des
Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten Kosten unter
solidarischer Haftbarkeit zu ersetzen (Art. 68 Abs. 1, 2 und 4 BGG i.V.m.
Art. 66 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'400.-- wird den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftung auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren unter solidarischer Haftung mit Fr. 5'400.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. September 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: