Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.172/2007
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4A_172/2007 /len

Urteil vom 13. August 2007

I. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichterin Klett, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

A. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Eric Stern,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner.

Anfechtung einer Vereinbarung,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Zirkulationsbeschluss des
Kassationsgerichts des Kantons Zürich
vom 31. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Klageschrift vom 17. März 2005 verlangte A.________ (Beschwerdeführer)
vor dem Bezirksgericht Bülach von B.________ (Beschwerdegegner) Fr.
295'000.-- für ausstehende Lohnzahlungen. Anlässlich der Hauptverhandlung, an
welcher der Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten war, schlossen die
Parteien unter Mitwirkung des Gerichts einen Vergleich, in dem sie sich auf
einen Betrag von Fr. 15'000.-- einigten. Der Prozess wurde mit Beschluss vom
4. Oktober 2005 als durch Vergleich erledigt abgeschrieben.

B.
Gegen diesen Beschluss rekurrierte der Beschwerdeführer beim Obergericht des
Kantons Zürich mit der Begründung, der Vergleich sei für ihn wegen
Verständigungsproblemen unverbindlich, und weil ihm entgegen den
einschlägigen Bestimmungen der Zivilprozessordnung kein Rechtsvertreter
bestellt worden sei. Das Obergericht wies den Rekurs mit Beschluss vom 22.
Mai 2006 ab, worauf der Beschwerdeführer mit Nichtigkeitsbeschwerde an das
Kassationsgericht des Kantons Zürich gelangte. Mit Zirkulationsbeschluss vom
31. März 2007 wies das Kassationsgericht die Nichtigkeitsbeschwerde ab.

C.
Diesen Beschluss ficht der Beschwerdeführer mit Beschwerde in Zivilsachen an
und beantragt dem Bundesgericht, den Zirkulationsbeschluss aufzuheben und die
Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner und das
Kassationsgericht haben keine Beschwerdeantwort eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Da sich die Beschwerde gegen den Beschluss des Kassationsgerichts richtet,
der nach dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren nach dem
Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (SR 173.110; Art. 132
Abs. 1 BGG). Dass der Beschwerdeführer keinen materiellen Antrag stellt,
schadet ihm nicht, da das Bundesgericht, sollte es seiner Rechtsauffassung
folgen, die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz zurückweisen
müsste (zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichtes 4A_102/2007 vom
9. Juli 2007, E. 3.1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 130 III 136 E. 1.2 S. 139;
125 III 412 E. 1b S. 414).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe § 154 des
Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 (LS 211.1, GVG/ZH) willkürlich
angewandt und dadurch gegen Art. 9 BV verstossen. Das Protokoll enthalte nach
dem Vergleichstext zwar den Vermerk "vorgelesen und bestätigt", nicht aber
den Hinweis "übersetzt". Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, nach § 154
GVG hätte das Obergericht davon ausgehen müssen, der Vergleichstext
(insbesondere der Ratifikationsvorbehalt) sei nicht übersetzt worden.

2.1 Die Vorinstanz erachtete es als zulässig, dass sich das Obergericht
insbesondere auf die Vernehmlassung des erstinstanzlichen Richters abstützte
und erkannte, der Vergleichstext sei tatsächlich übersetzt worden, auch wenn
das Protokoll keinen entsprechenden Hinweis enthalte. Entgegen einer in der
Lehre geäusserten Meinung (Hauser/Schweri, Kommentar zum zürcherischen
Gerichtsverfassungsgesetz, N. 1 zu § 154 GVG/ZH), komme dem Protokoll keine
uneingeschränkte negative Beweiskraft zu. Zwar könne nicht ohne Weiteres
davon ausgegangen werden, ein Vergleich sei übersetzt worden, wenn das
Protokoll keinen entsprechenden Hinweis enthalte. Der Wortlaut von § 154
GVG/ZH schliesse aber nicht aus, dass entsprechende Feststellungen aufgrund
anderer Beweismittel getroffen werden können.

2.2 Damit ist die Vorinstanz nach Ansicht des Beschwerdeführers in Willkür
verfallen. Gemäss den einschlägigen Bestimmungen müsse aus dem Protokoll
selbst ersichtlich sein, ob ein Vergleich einer der deutschen Sprache nicht
mächtigen, unbeholfenen Partei übersetzt und allenfalls auch erläutert wurde,
so dass sie den Inhalt genügend erfassen und eine gültige Zustimmung erteilen
könne. § 154 GVG/ZH stelle klar, dass das Protokoll in diesem wesentlichen
Inhalt abschliessenden Beweis für die Richtigkeit bilde. Eine Unterscheidung
in positive und negative Beweiskraft werde nicht vorgenommen und sei völlig
künstlich. Die Auffassung der Vorinstanz, die dem Gerichtsverfassungsgesetz
und der herrschenden Rechtsauffassung widerspreche, sei offensichtlich
unhaltbar.

2.3 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 BV durch eine
willkürliche Anwendung kantonalen Prozessrechts. Soweit eine willkürliche
Anwendung von kantonalem Recht geltend gemacht wird, wendet das Bundesgericht
das Recht nicht von Amtes wegen an, sondern es gilt das Rügeprinzip (Art. 106
Abs. 2 BGG; vgl. BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31, 258 E. 1.3 S. 261 f.). Es ist im
einzelnen aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid willkürlich ist
und gegen Art. 9 BV verstösst. Willkürlich ist ein Entscheid nach konstanter
Rechtsprechung nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar
erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen
Entscheid wegen Willkür vielmehr nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar
ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211
mit Hinweisen).

2.4 Gemäss § 154 GVG/ZH bildet die Ausfertigung des Protokolls Beweis für die
Richtigkeit der darin enthaltenen Verurkundungen. Über Begehren um
Berichtigung des Protokolls entscheidet das Gericht.

2.4.1 Das Gerichtsprotokoll gemäss § 154 GVG/ZH ist eine öffentliche Urkunde
(so schon ZR 18/1919 S. 315; ebenso Hauser/Schweri, a.a.O., N. 1 zu § 154
GVG/ZH). In der Lehre wird die Auffassung vertreten, ein vorschriftsgemäss
unterzeichnetes Protokoll geniesse öffentlichen Glauben, das heisst die darin
enthaltenen Beurkundungen gelten so lange als richtig, als nicht ihre
Unrichtigkeit nachgewiesen ist. Nachträglich dürfe das Protokoll nicht
verändert werden, es wäre denn, nach Anhörung der Parteien gestützt auf einen
förmlichen Beschluss des Gerichtes im Rahmen einer Protokollberichtigung
(Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 258). Dieser
Auffassung ist das Obergericht in der Sache gefolgt. Es hat am Protokoll
keine nachträgliche Korrektur vorgenommen, sondern ist in Würdigung der
Beweise zum Schluss gekommen, dass der Vergleich dem Beschwerdeführer
tatsächlich übersetzt und erläutert wurde, auch wenn die Übersetzung im
Protokoll nicht erwähnt sei. Die Auffassung des Obergerichts, beziehungsweise
der Vorinstanz, findet mithin eine Stütze in einem Standardwerk zum
schweizerischen Zivilprozessrecht. Eine entsprechende Regelung findet sich
zudem auch in der Zivilprozessordnung des Kantons Bern (vgl. Kummer,
Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., S. 91;
Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton
Bern, N. 1 zu § 131 ZPO/BE). Von Willkür kann unter diesen Umständen keine
Rede sein.

2.4.2 Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Lehrmeinung, auf die sich der
Beschwerdeführer beruft (Hauser/Schweri, a.a.O., N. 1 zu § 154 GVG/ZH),
tatsächlich davon ausgeht, das Protokoll bilde im interessierenden Punkt
abschliessenden Beweis für die Richtigkeit. Nach der Aussage, dass
Gerichtsprotokolle öffentliche Urkunden seien, verweisen die Autoren nämlich
auf Art. 9 ZGB (Hauser/Schweri, a.a.O., N. 1 zu § 154 GVG/ZH). Danach
erbringen öffentliche Register und öffentliche Urkunden für die durch sie
bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres
Inhaltes nachgewiesen ist, wobei dieser Nachweis an keine besondere Form
gebunden ist (Art. 9 ZGB). Das Bundesrecht lässt mithin den Nachweis der
Unrichtigkeit des Inhalts unbeschränkt zu und untersagt, ihn an bestimmte
Formen zu binden. Es gilt von Bundesrechts wegen die freie Beweiswürdigung
(Kummer, Berner Kommentar, N. 67 zu Art. 9 ZGB mit Hinweisen; Schmid, Basler
Kommentar, 3. Aufl., N. 1 zu Art. 9 ZGB). Schlösse nach Meinung der
Kommentatoren § 154 GVG den Nachweis der Unrichtigkeit des Protokolls aus,
ergäbe der Hinweis auf Art. 9 ZGB keinen Sinn.

2.4.3 Die herrschende Lehre geht zwar davon aus, Art. 9 ZGB befasse sich nur
mit den bundesprivatrechtlich vorgesehenen Urkunden (vgl. BGE 96 II 161 E. 3
S. 167; Kummer, a.a.O., N. 12 zu Art. 9 ZGB; Schmid, a.a.O., N. 4 zu Art. 9
ZGB; Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons
St. Gallen, N. 3b zu Art. 100 ZPO/SG; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur
aargauischen Zivilprozessordnung, N. 3 zu § 192 ZPO/AG). In der Lehre wurde
aber ebenso die Auffassung vertreten, Art. 9 ZGB regle die Beweiskraft auch
bezüglich öffentlicher Urkunden kantonalen Rechts (vgl. schon Guhl, Die
interkantonale Bedeutung der öffentlichen Urkunde, in MBVR 18 [1920] S. 257
ff. S. 261; Guldener, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz,
S. 10). Ein Teil der Autoren, welcher die Anwendung von Art. 9 ZGB auf
Urkunden des kantonalen öffentlichen Rechts nicht befürwortet, vertritt zudem
den Standpunkt, soweit bundesrechtliche Ansprüche zu beurteilen seien,
müssten die kantonalrechtlichen Regeln das Prinzip der freien Beweiswürdigung
respektieren, da diese sonst Bundesrecht vereitelten (Bühler/Edelmann/Killer,
a.a.O., N. 3 zu § 192 und N. 1 zu § 204 ZPO/AG; vgl. auch Schmid, a.a.O., N.
4 zu Art. 9 ZGB). Damit ist es im Ergebnis jedenfalls nicht offensichtlich
unhaltbar, wenn die Vorinstanz den Beweis der Unrichtigkeit des Protokolls
zulässt, wie dies Art. 9 Abs. 2 ZGB ausdrücklich vorsieht.

2.5 Damit könnte Willkür nur vorliegen, falls der Entscheid des Obergerichts
einer steten Praxis widerspräche, welche auch in Zukunft beibehalten werden
soll. Willkürlich wäre diesfalls nicht die Auslegung von Art. 154 GVG/ZH,
sondern das Abweichen von der gefestigten Praxis, ohne Beachtung der für
Zulässigkeit einer Praxisänderung aufgestellten Grundsätze (vgl. BGE 133 III
335 E. 2.3 S. 338 mit Hinweisen; Häfelin/Müller, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 5. Aufl., S. 108 ff. Rz. 509 ff.) und die daraus
resultierende Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers. Diesbezüglich erhebt
er indessen keine hinreichend begründete Rüge, so dass nicht weiter darauf
einzugehen ist. Selbst wenn man ungeachtet der mangelhaften Begründung den
angefochtenen Entscheid diesbezüglich prüfen wollte, ändert sich am Ergebnis
aus nachstehenden Gründen nichts.

2.5.1 Das Protokollberichtigungsbegehren ist bei dem Gericht zu stellen, über
dessen Verfahren das Protokoll Auskunft gibt. Sofern sich das Gericht aus
eigenem Wissen darüber äussert, ob das Protokoll korrekt ist, kann sich die
Rechtsmittelinstanz im Protokollberichtigungsverfahren nicht darüber
hinwegsetzen (ZR 103/2004 S. 198; Guldener, Die Nichtigkeitsbeschwerde in
Zivilsachen nach Zürcherischem Recht, Habil. Zürich 1942, S. 35 f. Fn. 49;
Hauser/Schweri, a.a.O., N. 15 zu § 154 GVG/ZH). Da das Obergericht aber am
Protokoll keine Korrektur vorgenommen hat, kann der Beschwerdeführer
unmittelbar aus den für das Protokollberichtigungsverfahren geltenden
Bestimmungen nichts zu seinen Gunsten ableiten. Selbst bei analoger Anwendung
der Bestimmungen ergäbe sich nichts anderes, hat sich das Obergericht doch
hauptsächlich auf die Vernehmlassung jener Instanz abgestützt, über deren
Verfahren das Protokoll Auskunft geben soll, und sich damit gerade nicht über
deren Auffassung hinweggesetzt.

2.5.2 Schliesslich findet sich in einem älteren Entscheid der Hinweis, das
Obergericht und das Kassationsgericht kämen immer wieder in die Lage,
gegenüber der Rüge der unrichtigen Protokollierung ihrer Vorinstanz darauf zu
verweisen, dass deren Protokoll Beweis für die Richtigkeit der darin
enthaltenen Tatsachen bilde, solange die Vorinstanz ihr Protokoll nicht auf
Gesuch hin berichtigt habe (ZR 66/1967 S. 314). Auch gestützt darauf erweist
sich der angefochtene Entscheid nicht als willkürlich. Die zitierte
Rechtsprechung kann dahingehend verstanden werden, dass dem Protokoll die im
Gesetz vorgesehene erhöhte Beweiskraft zukommt, solange keine
Protokollberichtigung erfolgt (ZR 66/1967 S. 314). Dass es unzulässig wäre,
gestützt auf andere Beweismittel die verstärkte Beweiskraft des Protokolls zu
widerlegen, folgt daraus nicht zwingend. Der angefochtene Entscheid steht
damit nicht in einem offensichtlichen Widerspruch zu einer konstanten Praxis.

2.5.3 Im Übrigen enthält das Protokoll ausdrücklich den Vermerk "vorgelesen
und bestätigt". Daraus folgt, dass die Kundgabe in einer für die Parteien
nachvollziehbaren Form erfolgt sein muss, da die Partei sonst keine
Bestätigung hätte abgegeben können. Damit ergibt sich auch aus der Auslegung
des Protokolls selbst, dass eine Übersetzung stattgefunden hat. Von Willkür
kann keine Rede sein.

3.
Insgesamt gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, einen Verstoss gegen das
Willkürverbot zu belegen. Die Beschwerde ist unbegründet und abzuweisen,
soweit darauf einzutreten ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird
der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da sich der
Beschwerdegegner nicht hat vernehmen lassen, steht ihm keine
Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. August 2007

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: