Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.87/2007
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2C_87/2007 /fco

Urteil vom 18. Juni 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Dieter Roth,

gegen

Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Regierungsgebäude, Rathausstrasse
2, 4410 Liestal,
Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Postfach 635, 4410 Liestal.

Vollstreckung der Ausweisung,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht,
vom 7. Februar 2007.

Das Bundesgericht stellt fest und zieht in Erwägung:

1.
1.1 X.________ (geb. 1953) stammt aus der Türkei; am 7. März 1991 gewährte
ihm das Bundesamt für Flüchtlinge Asyl. Am 22. April 2000 kam es zu einer
familiären Auseinandersetzung, bei der X.________ seine Ehefrau und zwei
seiner Söhne verletzte. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft verurteilte ihn
in diesem Zusammenhang am 20. August 2002 wegen mehrfacher versuchter
vorsätzlicher Tötung, einfacher Körperverletzung mit einer Waffe, mehrfacher
Gefährdung des Lebens sowie Widerhandlung gegen das Waffengesetz und die
Waffenverordnung zu einer Zuchthausstrafe von 5 1/2 Jahren. Es wertete sein
Verschulden als schwer: X.________ sei im patriarchalischen Denksystem seiner
Heimat verankert geblieben und habe die Autonomiebestrebungen seiner Ehefrau
und seiner Kinder als Nichtanerkennung seiner Rolle als Familienoberhaupt und
damit als Kränkung empfunden. Vor diesem Hintergrund habe er zwei Menschen zu
töten versucht, wobei seine Tat an der Grenze zum versuchten Mord liege.

1.2 Die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion des Kantons Basel-Landschaft
wies X.________ am 22. September 2003 aus der Schweiz aus; am 10. März 2004
verfügte sie, dass er nicht vorzeitig bedingt aus dem Strafvollzug entlassen
werden könne (vgl. Art. 38 Ziff. 1 StGB). Beide Entscheide wurden
letztinstanzlich durch das Bundesgericht bestätigt (Urteile 6A.25/2005 vom 3.
Juli 2005 bzw. 2A.313/2005 vom 25. August 2005). Am 26. Januar 2006 ordnete
das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft an, dass die Ausweisung zu
vollstrecken sei, da dem Beschwerdeführer - trotz seines Status als
Flüchtling - in der Türkei keine Verfolgung bzw. keine verbotene Bestrafung
oder Behandlung mehr drohe. Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des
Kantons Basel-Landschaft wiesen die vom Betroffenen hiergegen gerichteten
Beschwerden am 23. Mai 2006 und 7. Februar 2007 ab.

1.3 X.________ beantragt mit Eingabe vom 23. März 2007 vor Bundesgericht, das
Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben, von der Vollstreckung seiner
Ausweisung abzusehen und ihm eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen;
eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts an die Vorinstanz
zurückzuweisen; subeventuell sei ihm hinreichend Gelegenheit zu geben, "um
sich um eine freie Einreise und Aufenthaltsgenehmigung in einem sicheren
Drittstaat" bemühen zu können. Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet; der Regierungsrat und das Bundesamt für Migration beantragen, die
Beschwerde abzuweisen. Mit Verfügung vom 28. März 2007 legte der
Abteilungspräsident dieser aufschiebende Wirkung bei.

2.
2.1 Der angefochtene Entscheid erging am 7. Februar 2007 und damit nach dem
Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110); die Zulässigkeit der Eingabe ist
somit gestützt auf dieses zu prüfen (Art. 132 Abs. 1 BGG). Das Kantonsgericht
Basel-Landschaft hat in seinem Entscheid vom 9. März 2005 die Ausweisung in
ein Anordnungs- und in ein Vollstreckungsverfahren aufgeteilt. Das
Bundesgericht hat dieses Vorgehen am 25. August 2005 als "unter Umständen
wenig zweckmässig" bezeichnet und darauf hingewiesen, dass es "mit Blick auf
den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung die Ausnahme bilden" sollte (E.
3.3.1); im Übrigen bestätigte es die gestützt auf Art. 10 ANAG (SR 142.20) in
Verbindung mit Art. 65 AsylG (SR 142.31) bzw. Art. 5 Abs. 1 AsylG und Art. 32
Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention, FK; SR 0.142.30) angeordnete Ausweisung,
wobei es auch Art. 8 EMRK in seine Beurteilung miteinbezog. Dieser Entscheid
ist rechtskräftig; die entsprechenden Fragen können hier nicht wieder
aufgeworfen werden.

2.2 Zu prüfen bleibt, ob der Vollzug der Ausweisung gegen das
Non-Refoulement-Prinzip, Art. 3 EMRK oder das Folterverbot verstösst und die
kantonalen Behörden beim Bundesamt deshalb einen Antrag um vorläufige
Aufnahme hätten stellen müssen (vgl. Art. 14b Abs. 1 ANAG [Fassung vom 18.
März 1994]). Nur diese Probleme bilden Gegenstand des angefochtenen
Entscheids und sind im vorliegenden Verfahren noch zu behandeln
(Vollstreckung). Da sie im Rahmen des Ausweisungsverfahrens dem Bundesgericht
direkt hätten unterbreitet werden können, steht hierfür die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen, auch wenn diese gegen
Wegweisungsentscheide und Entscheide über vorläufige Aufnahmen als solche
ausgeschlossen ist (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 3 und Ziff. 4 BGG). Auf die
durch den legitimierten Beschwerdeführer (Art. 89 Abs. 1 BGG) frist- und
formgerecht eingereichte Eingabe ist somit unter Vorbehalt der bereits
rechtskräftig beurteilten Fragen einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer beantragt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, ihm sei
"ein Replikrecht zu allfälligen Stellungnahmen der Vorinstanz" einzuräumen
bzw. es sei der Sachverhalt zu ergänzen und die Angelegenheit hierzu
nötigenfalls an die kantonalen Instanzen zurückzuweisen. Dies rechtfertigt
sich nicht: In den bundesgerichtlichen Verfahren findet in der Regel kein
zweiter Schriftenwechsel statt (vgl. Art. 102 Abs. 3 BGG). Die verschiedenen
Vernehmlassungen enthalten keine neuen Tatsachen, Beweismittel oder
Rechtsgründe, die einen solchen ausnahmsweise rechtfertigen würden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil im Übrigen den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn,
dieser sei offensichtlich unrichtig oder in Verletzung eines Beschwerdegrunds
im Sinne von Art. 95 BGG ermittelt worden (Art. 105 Abs. 2 bzw. 97 Abs. 1
BGG). Dies ist hier nicht der Fall und wird vom Beschwerdeführer auch nicht
rechtsgenüglich dargetan (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Beschwerde kann ohne
Weiterungen gestützt auf die vorliegenden Unterlagen beurteilt werden; da sie
sich als offensichtlich unbegründet erweist, kann dies im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 BGG geschehen.

4.
4.1 Aufgrund des Rückschiebe- bzw. Non-Refoulement-Verbots darf keine Person
in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr
Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer
politischen Anschauung gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur
Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG bzw.
Art. 33 Ziff. 1 FK). Das entsprechende Verbot entfällt, wenn erhebliche
Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene die Sicherheit der
Schweiz gefährdet, oder wenn er als gemeingefährlich zu gelten hat, weil er
wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig
verurteilt worden ist (Art. 5 Abs. 2 AsylG bzw. Art. 33 Ziff. 2 FK). Keiner
entsprechenden Ausnahme unterliegt das Folterverbot. Nach dem Völkerrecht
sind Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Bestrafung verboten (Art. 3 EMRK, Art. 7 und Art. 10 Ziff. 1
UNO-Pakt II [SR 0.103.2]). Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden,
in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher
Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 25 Abs. 3 BV).

4.2 Die Vorinstanz ist zu Recht davon ausgegangen, dass heute nichts mehr
darauf hinweist, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in diesem Sinn bedroht wäre:
4.2.1 Das Bundesamt für Migration hat am 24. November 2005 sein Asyl
widerrufen. Der entsprechende Entscheid ist unangefochten in Rechtskraft
erwachsen. Der Beschwerdeführer verfügt damit in der Schweiz über keine
Anwesenheitsberechtigung mehr. Er gilt nur formell noch als Flüchtling im
Sinne der entsprechenden Konvention (vgl. EMARK 2003 Nr. 11); aufgrund seiner
persönlichen Situation und der Lage in seinem Heimatland erfüllt er die
Flüchtlingseigenschaft materiell indessen nicht bzw. nicht mehr. Gemäss den
von den kantonalen Behörden beim Bundesamt für Migration eingeholten
Informationen besteht kein Grund zur Annahme, dass er beim Vollzug der
Ausweisung in die Türkei mit einer unmenschlichen oder grausamen Behandlung
bzw. einer konkreten asylrechtlich relevanten Verfolgung rechnen müsste: Der
Beschwerdeführer ist von den Taten, die ihm vorgeworfen wurden und die zur
Asylgewährung geführt haben ("Behinderung der Lokalwahlen", "Verfluchung der
türkischen Fahne und des türkischen Staates"), bereits im August und November
1989 vom zuständigen Strafgericht für leichte Fälle freigesprochen worden.
Zwar wurde er wegen "Verletzung von Privateigentum" verurteilt, doch ist
nicht ersichtlich, inwiefern diese Tat einen politischen Hintergrund gehabt
haben könnte; er macht dies auch nicht geltend; im Übrigen ist die
Vollstreckung dieser Strafe seit Ende Januar 2005 absolut verjährt.

4.2.2 Nach den Abklärungen der Schweizerischen Botschaft in Ankara vom 22.
Oktober 1990 besteht über den Beschwerdeführer weder ein politisches noch ein
gemeinrechtliches Datenblatt (vgl. EMARK 2005 Nr. 11). Der Beschwerdeführer
hat sich - wie sich den Asylakten entnehmen lässt - in seiner Heimat nie
politisch exponiert. Die türkischen Behörden haben denn auch vor seiner
Ausreise seinen Pass ohne Weiteres verlängert, was ihm erlaubte, das Land
legal zu verlassen. In der Einvernahme vom 31. Juli 2006 bestätigte er den
deutschen Asylbehörden, nie "politisch aktiv" und "nie an irgendetwas
politisch beteiligt" gewesen zu sein; er "liebe" einzig "die Kurden". Unter
diesen Umständen stehen weder das Non-Refoulement-Prinzip noch eine andere
völkerrechtliche Verpflichtung seiner Rückkehr und nötigenfalls der
Ausschaffung in sein Heimatland entgegen, sollte er keinen Drittstaat finden,
der bereit ist, ihn aufzunehmen. Der Beschwerdeführer hatte hinreichend
Gelegenheit, sich über seinen Anwalt hierum zu kümmern; dass die
entsprechenden Bemühungen gescheitert sind, hindern die Schweiz nicht daran,
seine rechtskräftige Ausweisung in die Türkei zu vollziehen. Da das
Rückschiebeverbot in der Sache selber nicht verletzt wird, braucht nicht
geprüft zu werden, ob sich der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine
Straftat hierauf überhaupt berufen könnte (vgl. Art. 5 Abs. 2 AsylG; Art. 33
Ziff. 2 FK).

4.2.3 Was der Beschwerdeführer weiter einwendet, überzeugt nicht: Allein die
Tatsache, dass er Kurde ist, genügt nicht, um den Vollzug der Ausweisung
widerrechtlich erscheinen zu lassen. Gemäss der Praxis des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses
müsste er eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft
machen, dass ihm im Falle einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche
Behandlung droht (vgl. EMARK 2001 Nr. 16 S. 122); dies tut er nicht; seine
Ausführungen sind bloss allgemeiner Natur. Das Bundesverwaltungsgericht hat
in jüngsten Entscheiden befunden, dass die allgemeine, ihm bekannte
Menschenrechtssituation in der Türkei trotz der Berichte von Amnesty
International den Vollzug der Wegweisung auch für Kurden "klarerweise" nicht
als unzulässig erscheinen lasse (Urteile E-4696/ 2006 vom 21. Mai 2007, E.
6.5, und E-4901/2006 vom 23. Mai 2007, E. 5.4.1, sowie D-3017/2007 vom 8. Mai
2007). Die vom Beschwerdeführer seit seiner Tat getrennt lebende Gattin
verzichtete am 14./20. August 2003 sowohl auf ihr Asyl als auch auf ihre
Flüchtlingseigenschaft, was darauf hinweist, dass auch die Familie des
Beschwerdeführers die Lage in der Heimat heute anders einschätzt als im
Zeitpunkt der Asylerteilung. Die ausländerrechtlich relevante
Interessenabwägung ist mit dem Urteil vom 25. August 2005 rechtskräftig
geworden, weshalb an der flüchtlingsrechtlichen Zulässigkeit des Vollzugs der
Ausweisung nichts zu ändern vermag, dass der Beschwerdeführer mit den von
seiner Tat betroffenen Familienmitgliedern heute wieder einen gewissen
Kontakt gefunden hat. Immerhin verlangten diese noch im Dezember 2005 von ihm
die schriftliche Verpflichtung, sie "in Ruhe zu lassen und [...] gegen ihren
Willen weder direkt noch indirekt zu kontaktieren und aufzusuchen". Soweit
der Beschwerdeführer einwendet, gesundheitlich angeschlagen zu sein, belegte
er dies nicht weiter; im Übrigen ist seine gesundheitliche Betreuung auch in
der Türkei möglich.

5.
5.1 Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden
kann. Für alles Weitere wird auf den angefochtenen Entscheid und die
Vernehmlassungen verwiesen.

5.2 Der Beschwerdeführer beantragt, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren
die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Dem Gesuch
kann nicht entsprochen werden: Aufgrund der Ausführungen im Amtsbericht des
Bundesamts für Migration und der Begründung im angefochtenen Entscheid hatte
die vorliegende Beschwerde zum Vornherein keine ernsthaften Aussichten auf
Erfolg (Art. 64 Abs. 2 BGG). Der unterliegende Beschwerdeführer hat deshalb
die Verfahrenskosten zu tragen (Art. 66 BGG); Parteientschädigungen sind
nicht geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 109 BGG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsrat des Kantons
Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Juni 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: