Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.706/2007
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2C_706/2007/ble

Urteil vom 24. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat David Schnyder,

gegen

Amt für Migration Basel-Landschaft.

Unentgeltliche Rechtsvertretung (Durchsetzungshaft),

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom 7. November 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (geb. 1966) stammt aus Marokko. Er heiratete am 12. September
2002 eine Schweizer Bürgerin marokkanischer Abstammung. Am 29. April 2004
wurde den Eheleuten das Getrenntleben gestattet, nachdem sie bereits zuvor
den gemeinsamen Haushalt aufgehoben hatten (häusliche Gewalt). Am 30. Juni
2004 kam der Sohn Y.________ zur Welt, der unter der Obhut der Mutter steht.
Das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft lehnte es am 24. Februar
2005 ab, die Aufenthaltsbewilligung von X.________ zu verlängern, was das
Bundesgericht auf Beschwerde hin am 20. Juli 2006 bestätigte (Urteil
2A.240/2006).

B.
Zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs befand sich X.________ ab dem 8.
November 2006 in Ausschaffungs- und ab dem 7. August 2007 in
Durchsetzungshaft. Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
am Kantonsgericht Basel-Landschaft verlängerte diese am 7. November 2007 bis
zum 7. Januar 2008; das Gesuch von X.________ um unentgeltliche
Verbeiständung wies er ab, da dieser nicht ernsthaft mit einer Gutheissung
seines Antrags habe rechnen können, die Haft nicht zu verlängern.

C.
X.________ ist am 10. Dezember 2007 mit dem Antrag an das Bundesgericht
gelangt, den Entscheid des Einzelrichters für Zwangsmassnahmen insofern
aufzuheben, als ihm die unentgeltliche Rechtsvertretung verweigert worden
ist. Der Entscheid verletze Art. 29 Abs. 3 BV und widerspreche der
bundesgerichtlichen Praxis (BGE 122 I 49 E. 2c S. 51 ff.). Der Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen und das Amt für Migration Basel-Landschaft haben auf
eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Migration und X.________
haben sich ihrerseits nicht mehr geäussert.

Erwägungen:

1.
1.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bestimmt sich der Umfang des
Anspruchs auf unentgeltliche Verbeiständung zunächst nach den Vorschriften
des kantonalen Rechts. Erst wo sich der entsprechende Rechtsschutz als
ungenügend erweist, greifen die grundrechtlichen Minimalgarantien Platz (BGE
131 I 185 E. 2.1 S. 188; 122 I 49 E. 2a). Nach § 22 des Gesetzes vom 16.
Dezember 1993 über die Verfassungs- und Verwaltungsprozessordnung des Kantons
Basel-Landschaft (VPO) wird einer bedürftigen Partei, deren Begehren nicht
offensichtlich aussichtslos sind, auf Gesuch hin der "kostenlose Beizug eines
Anwalts bzw. einer Anwältin gewährt, sofern dies zur Wahrung ihrer Rechte
notwendig erscheint". § 11 Abs. 1 des basel-landschaftlichen Gesetzes vom 20.
Mai 1996 über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (Zwangsmassnahmengesetz)
sieht seinerseits vor, dass das Präsidium der Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts einen Rechtsbeistand "von Amtes wegen"
anordnet, "soweit dies zur Wahrung der Rechte der betroffenen Person
erforderlich ist"; fehlen dieser die nötigen Mittel, ist der Rechtsbeistand
für sie unentgeltlich (§ 11 Abs. 2 Zwangsmassnahmengesetz).

1.2 Der Haftrichter hat seine Entscheide auf § 22 Abs. 2 VPO gestützt und das
Gesuch um Verbeiständung abgewiesen, da die Begehren des Beschwerdeführers,
von einer Haftverlängerung abzusehen, aussichtslos gewesen seien. Ob § 22
Abs. 2 VPO sich inhaltlich mit § 11 des Zwangsmassnahmengesetzes deckt bzw.
dieser § 22 Abs. 2 VPO vorzugehen hätte (vgl. das Urteil 2A.211/2003 vom
5. Juni 2003, E. 1.4), ist hier nicht weiter zu prüfen. Der Beschwerdeführer
macht nicht geltend, das einschlägige kantonale Recht sei verfassungswidrig
angewendet worden (vgl. Art. 95 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG); er rügt
ausschliesslich eine Verletzung seines bundesverfassungsrechtlich
gewährleisteten Anspruchs auf Verbeiständung (Art. 29 BV). Es ist mit freier
Kognition zu prüfen, ob die entsprechenden Grundsätze missachtet wurden (BGE
131 I 185 E. 2.1 mit Hinweis).

2.
2.1 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei einen Anspruch darauf,
dass ihr ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt wird, soweit das zur
Wahrung ihrer Rechte notwendig ist und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos
erscheint. Unter diesen Voraussetzungen gibt das Verfassungsrecht dem
Rechtsuchenden einen Anspruch auf amtliche Vertretung. Indessen lässt sich
daraus kein Recht auf eine obligatorische (notwendige) Verbeiständung
ableiten; eine solche kann sich allenfalls aus anderen
Verfassungsbestimmungen ergeben (BGE 131 I 350 E. 3.1 und E. 4). Im
Unterschied zur amtlichen Verbeiständung, auf die ein verfassungsrechtlicher
Anspruch nur besteht, wenn das gestellte Begehren nicht aussichtslos
erscheint, darf die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Bereich
der notwendigen Vertretung nicht davon abhängig gemacht werden, dass die
Erfolgsaussichten die Verlustgefahren überwiegen. Dieser Anspruch findet
seine Schranke allein im Rechtsmissbrauchsverbot; nur bei mutwilliger und
trölerischer Prozessführung kann die Verbeiständung in diesem Fall ohne
Verfassungsverletzung verweigert werden (BGE 129 I 281 E. 4.5).
2.2 Im Bereich der ausländerrechtlichen Administrativhaft hat das
Bundesgericht in Anlehnung an die damalige Rechtsprechung zur notwendigen
Verteidigung im Strafverfahren - wonach dem Betroffenen "ohne besondere
Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur in der Regel ein
unentgeltlicher Rechtsanwalt beizugeben ist, wenn ein tatsächlicher
Freiheitsentzug von mehr als 'einigen' Wochen oder Monaten zu erwarten ist
(BGE 120 Ia 43 E. 2b S. 46)" - erkannt, dass im Haftverlängerungsverfahren
nach drei Monaten einem bedürftigen Häftling auf dessen Gesuch hin -
unabhängig von den Erfolgsaussichten seiner Begehren - der unentgeltliche
Rechtsbeistand grundsätzlich nicht verweigert werden darf (BGE 122 I 49 E.
2c/cc). Bei der erstmaligen Haftprüfung ist eine unentgeltliche
Verbeiständung von Verfassungs wegen demgegenüber nicht vorbehaltlos geboten,
sondern nur, wenn besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher
Natur bestehen, was jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu beurteilen
ist (BGE 122 I 275 E. 3b).

2.3 An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht in einem jüngsten
Entscheid zur Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft im Grundsatz festgehalten
(Urteil 2C_700/2007 vom 21. Januar 2008, E. 3): Gestützt auf Art. 29 BV
besteht ein Anspruch des Betroffenen auf unentgeltliche amtliche
Verbeiständung - unabhängig von den konkreten Erfolgsaussichten seiner
Begehren - spätestens im Haftverlängerungsverfahren nach drei Monaten; vorher
und nachher besteht der Anspruch nur, wenn der betroffene Ausländer bedürftig
ist, sich die Vertretung als notwendig erweist und die Begehren nicht zum
Vornherein aussichtslos erscheinen bzw. sich besondere Schwierigkeiten
rechtlicher oder tatsächlicher Natur stellen.

2.4
2.4.1 In Bezug auf die Durchsetzungshaft hat es dies wegen deren besonderen
Charakters jedoch relativiert: Die Durchsetzungshaft stellt das letzte Mittel
dar, wenn und soweit keine andere Zwangsmassnahme zum Ziel führt, den illegal
anwesenden Ausländer - auch gegen seinen Willen - in die Heimat verbringen zu
können (BGE 133 II 79 ff.); ihr geht deshalb regelmässig ein Haftverfahren
voraus, in dem der Betroffene bereits verbeiständet worden ist. Als heikel
erweist sich die Anordnung der Durchsetzungshaft als solcher, da es dabei
entscheidend darauf ankommt, ob die Ausschaffungshaft tatsächlich nicht mehr
möglich ist ("kein zwangsweiser Vollzug in absehbarer Zeit trotz Ausschöpfung
der den Behörden zumutbaren Abklärungen und Mittel") und kein milderes
legales Mittel geeignet erscheint, den Betroffenen doch noch dazu zu bewegen,
seinen Mitwirkungs- und Ausreisepflichten nachzukommen; es kann sich deshalb
rechtfertigen, bereits in diesem Verfahrensstadium mit Blick auf die
Auswirkungen für den Betroffenen bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten
grosszügig zu sein und einem Verbeiständungsbegehren ohne allzu hohe
Anforderungen zu entsprechen (vgl. Helen Keller, in: Merten/Papier, Handbuch
der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band VII/2, Grundrechte in der
Schweiz und in Liechtenstein, Heidelberg 2007, § 225 Rz. 51, S. 659 f.). Die
Durchsetzungshaft wird zwar erstmals (nur) für einen Monat angeordnet,
anschliessend erfolgt ihre Verlängerung jedoch von Gesetzes wegen regelmässig
jeweils um zwei Monate, solange der Betroffene sein Verhalten nicht ändert;
der Gesetzgeber hat das Haftprüfungsverfahren dementsprechend denn auch
insofern erleichtert, als der Verlängerungsentscheid nur dann (noch) innert
acht Arbeitstagen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu prüfen ist, falls
der Inhaftierte hierum ersucht (Art.13g Abs. 4 ANAG bzw. Art. 78 Abs. 4 AuG).
Die Konsequenzen für den Betroffenen sind mit Blick auf diese Begleitumstände
deshalb nicht zu unterschätzen.

2.5 Wenn der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen vorliegend das Gesuch des
Beschwerdeführers um unentgeltliche Verbeiständung abgewiesen hat, ist dies
nicht zu beanstanden:
2.5.1 Der Beschwerdeführer ist rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen
worden. Er hat sich indessen standhaft geweigert, ohne seinen Sohn nach
Marokko zurückzukehren, und dies dadurch unterstrichen, dass er den für ihn
am 17. Mai 2007 gebuchten Flug nach Casablanca nicht angetreten hat. Nachdem
die marokkanische Botschaft ursprünglich erklärt hatte, bereit zu sein, einen
Laissez-passer für ihn auszustellen, haben sein Anwalt und er darauf
hingewirkt, dass (zumindest vorerst) hiervon abgesehen wird. Ein Sonderflug
nach Marokko steht nicht mehr zur Diskussion (vgl. hierzu das
bundesgerichtliche Urteil 2C_274/2007 vom 21. Juni 2007, E. 4.2). Der
Beschwerdeführer kann heute deshalb realistischerweise nur noch in sein
Heimatland verbracht werden, wenn er hierbei mitwirkt.

2.5.2 Zur Diskussion stand vorliegend nicht die erstmalige Haftanordnung,
sondern deren zweite Verlängerung: Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen hat
den Beschwerdeführer bereits in den vorherigen Verfahren darauf hingewiesen,
dass er trotz seines Kindes in der Schweiz kein Anwesenheitsrecht hat und es
an ihm liegt, ob und wann seine Rückreise nach Marokko vollzogen werden kann.
X.________ hat dennoch daran festgehalten, weiterhin nicht bereit zu sein,
die Schweiz zu verlassen und hierfür mit den Behörden zu kooperieren. Ihm war
bereits bei der Verlängerung der Ausschaffungshaft am 7. Februar sowie am 7.
Mai 2007 die unentgeltliche Verbeiständung gewährt worden; das Bundesgericht
bestätigte seinerseits am 21. Juni 2007 die Verlängerung der
Ausschaffungshaft auf Beschwerde hin im vereinfachten Verfahren nach Art. 109
BGG. Sein Rechtsvertreter stellte am 7. November 2007 erneut ausschliesslich
die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung in Frage, welche - wie das
Bundesgericht bereits am 21. Juni 2007 entschieden hatte - nicht Gegenstand
der Haftprüfung bildet. Damit stellten sich im umstrittenen Verfahren jedoch
keinerlei Fragen, welche den Beizug eines Rechtsvertreters gerechtfertigt
hätten; auch waren keine zusätzlichen (neuen) Sachverhaltselemente zu
berücksichtigen, die zur Sicherstellung der Fairness des Verfahrens die
beantragte Verbeiständung verfassungsmässig geboten hätten. Die
Verhältnismässigkeit der Haftdauer war ihrerseits (noch) unproblematisch, da
diese (inklusive Ausschaffungshaft) die maximal möglichen 24 Monate bei
Weitem noch nicht erreichte (vgl. Art. 79 AuG). Die Rechtsbegehren des
Beschwerdeführers durften deshalb ohne Verletzung von Art. 29 BV als
aussichtslos bezeichnet werden. Die Beschwerde ist somit unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer ersucht für diesen Fall, ihm vor Bundesgericht die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren; diesem Gesuch
kann entsprochen werden (vgl. Art. 64 BGG): Er ist bedürftig und seine
Eingabe konnte nicht als aussichtslos gelten, nachdem bei Einreichung der
Beschwerde noch nicht klar war, ob und wie das Bundesgericht die zur
Ausschaffungshaft entwickelte Praxis hinsichtlich der unentgeltlichen
Verbeiständung auf die Durchsetzungshaft übertragen würde.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Dem Beschwerdeführer wird Advokat David Schnyder als unentgeltlicher
Rechtsbeistand beigegeben; dieser wird für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 800.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration
Basel-Landschaft, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, und dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Hugi Yar