Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.694/2007
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_694/2007

Urteil vom 26. August 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Moser.

Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Enrique Ginesta, Dipl. Steuerexperte,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern.

Gegenstand
Mehrwertsteuer (1. Quartal 1995 bis 4. Quartal 1999),

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 29.
Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG ist als Betreiberin einer Hallenbad-, Fitness- und
Vergnügungsanlage mit Wirkung ab 1. Januar 1995 im Register für
Mehrwertsteuerpflichtige eingetragen. In der Zeit vom 24. Mai bis 19. Juli 2000
führte die Eidgenössische Steuerverwaltung (im Folgenden auch: ESTV) bei der
Steuerpflichtigen eine Kontrolle durch. Gestützt auf deren Ergebnis erhob sie
für die Perioden 1. Quartal 1995 bis 4. Quartal 1999 (konkret für die Perioden
4. Quartal 1997 bis 4. Quartal 1999) mit Ergänzungsabrechnung vom 19. Juli 2000
(EA Nr. 279'408) eine Steuernachforderung im Betrag von Fr. 122'689.--
zuzüglich Verzugszins und bestätigte diese in der Folge mit Entscheid vom 13.
September 2001. Die Nachforderung ergab sich im Wesentlichen daraus, dass der
X.________ AG auch jene von ihr vereinnahmten Umsatzanteile als
mehrwertsteuerpflichtig zugerechnet wurden, welche sie an die in ihrem Club
tätigen Damen für die von ihnen erbrachten sexuellen Dienstleistungen
weiterleitete.

Mit Entscheid vom 28. Oktober 2004 wies die ESTV die seitens der
Steuerpflichtigen erhobene Einsprache ab, soweit sie darauf eintrat, und
bestätigte die streitige Steuernachforderung von Fr. 122'689.--.

B.
Mit Urteil vom 29. Oktober 2007 wies das Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I,
die von der X.________ AG gegen den Einspracheentscheid der ESTV gerichtete
Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.

C.
Mit Eingabe vom 5. Dezember 2007 erhebt die X.________ AG beim Bundesgericht
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts "und somit die Ergänzungsrechnung der ESTV Nr.
279'408 im Umfange von Fr. 122'689" aufzuheben.

Die Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, beantragt,
die Beschwerde abzuweisen und den angefochtenen Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts zu bestätigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts, die unter keinen Ausschlussgrund gemäss
Art. 83 BGG fällt und daher mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 82 lit. a,
Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG). Als Steuerpflichtige ist die
Beschwerdeführerin zur Ergreifung dieses Rechtsmittels legitimiert (Art. 89
Abs. 1 BGG).

1.2 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und
Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

1.3 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

Eine qualifizierte Rügepflicht gilt unter anderem hinsichtlich der Verletzung
von Grundrechten. Das Bundesgericht prüft solche Rügen nur, wenn sie in der
Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden sind (Art. 106 Abs. 2 BGG;
vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254; 133 IV 286 E. 1.4 S. 287).

1.4 Am 1. Januar 2001 ist das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die
Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20) in Kraft getreten. Es ersetzt die bis dahin
geltende Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV; AS 1994
S. 1464). Die vorliegend streitige Steuernachforderung betrifft die Jahre 1995
(bzw. 1997) bis 1999; damit bleiben die Bestimmungen der
Mehrwertsteuerverordnung anwendbar (Art. 93 und 94 MWSTG).

2.
2.1 Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil führte die
Beschwerdeführerin im hier massgeblichen Zeitraum dreimal wöchentlich in
abgetrennten Räumlichkeiten ihres Clubs besondere Veranstaltungen (genannt
"Tutti-Frutti-Parties") durch. Männliche Kunden hatten vor dem Zutritt einen
Betrag von insgesamt Fr. 550.-- zu entrichten, welcher von Mitarbeitern der
Beschwerdeführerin erhoben wurde. Davon gingen Fr. 250.-- an die
Beschwerdeführerin für das Zurverfügungstellen der Infrastruktur
(Einrichtungen, Parkplätze, Bademäntel, Tücher) und die Abgabe von
alkoholfreien Getränken sowie eines Nachtessens. Der "Zuschlag" von Fr. 300.--,
welcher im Gegensatz zum Eintrittspreis in bar zu entrichten war, wurde in der
Folge den Damen als Entgelt für die für den Kunden erbrachten sexuellen
Dienstleistungen ausbezahlt, wobei der Kunde selber bestimmen durfte, an welche
der Damen dieser Betrag (aufgeteilt in drei Anteile à Fr. 100.--)
weitergeleitet werden sollte.

Vorliegend streitig ist die mehrwertsteuerliche Behandlung dieses "Zuschlags"
von Fr. 300.--. Das Bundesverwaltungsgericht kommt im angefochtenen Entscheid
zum Ergebnis, dass die in Frage stehenden Veranstaltungen und die für das
Entgelt von Fr. 300.-- angebotenen sexuellen Dienstleistungen aufgrund des nach
aussen sichtbaren Erscheinungsbildes einen integrierten Zweig des Freizeitclubs
darstellen. Massgebend sei, dass die Beschwerdeführerin nach aussen im eigenen
Namen auftrete. Gleiches gelte mit Blick auf den Grundsatz der Einheit der
Unternehmung: Die von den Damen anlässlich der "Tutti-Frutti-Parties"
generierten Umsätze seien mehrwertsteuerlich der Beschwerdeführerin
zuzurechnen, da diese Veranstaltungen als Betriebszweig der Unternehmung zu
betrachten seien (und nicht als Auftragsverhältnis zwischen den Damen und der
Beschwerdeführerin). Mangels mehrwertsteuerlicher Selbständigkeit der Damen
werde der erwähnte Grundsatz nicht durchbrochen. Im Weiteren trete die
Beschwerdeführerin auch nicht als blosse Vermittlerin (direkte
Stellvertreterin) im Sinne von Art. 10 Abs. 1 MWSTV in Erscheinung. Ebenso
wenig sei von einer indirekten Stellvertretung auszugehen.

2.2 Gemäss Art. 17 MWSTV ist steuerpflichtig, wer eine mit der Erzielung von
Einnahmen verbundene gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt,
selbst wenn die Gewinnabsicht fehlt, sofern seine Lieferungen, seine
Dienstleistungen und sein Eigenverbrauch im Inland jährlich gesamthaft 75 000
Franken übersteigen. Beim Begriff der Selbständigkeit handelt es sich um einen
unbestimmten Rechtsbegriff. Als Indizien, welche für eine selbständige
Tätigkeit sprechen, werden in der Praxis genannt: Das Tragen des
unternehmerischen Risikos (Gewinn und Verlust), das Handeln und Auftreten in
eigenem Namen gegenüber Dritten, die Wahlfreiheit, eine Aufgabe anzunehmen oder
nicht und diese selbständig organisieren zu können (vgl. Urteile 2A.47/2006 vom
6. Juli 2006, E. 3.2 und 2A.304/2003 vom 14. November 2003, E. 3.3, je mit
Hinweisen). Daneben werden in der Lehre weitere Kriterien angeführt, wie die
Beschäftigung von Personal, die Vornahme erheblicher Investitionen, eigene
Geschäftsräumlichkeiten, verschiedene und wechselnde Auftraggeber sowie die
betriebswirtschaftliche und arbeitsorganisatorische Unabhängigkeit (vgl. dazu
Alois Camenzind/Niklaus Honauer/Klaus A. Vallender, Handbuch zum
Mehrwertsteuergesetz, 2. Aufl., Bern 2003, S. 346 f. Rz. 1009-1013). Ob eine
Tätigkeit als selbständig oder unselbständig anzusehen ist, bestimmt sich
aufgrund einer umfassenden Würdigung sämtlicher einschlägiger Faktoren (vgl.
Urteil 2A.47/2006 vom 6. Juli 2006, E. 3.2 in fine mit Hinweisen).

Steuerpflichtig sind gemäss Art. 17 Abs. 2 MWSTV auch Personengesamtheiten ohne
Rechtsfähigkeit, die unter gemeinsamer Firma Umsätze tätigen. Ob dabei die
einzelnen Personen dieser Gemeinschaft selbständig steuerpflichtig sind oder
als unternehmerische Einheit gelten, bestimmt sich u.a. nach dem gemeinsamen
Auftritt nach aussen (vgl. Urteil 2A.520/2003 vom 29. Juni 2004, E. 4.1 mit
Hinweisen; Jean-Marc Rivier/Annie Rochat Pauchard, Droit fiscal Suisse, La Taxe
sur la Valeur Ajoutée, Freiburg 2000, S. 108). Der Grundsatz der
Unternehmenseinheit ergibt sich aus dem in Art. 17 Abs. 1 MWSTV verankerten
Begriff der Selbständigkeit. Er ist im Mehrwertsteuerrecht nicht anders zu
verstehen als nach dem früheren Recht der Warenumsatzsteuer (vgl. zu letzterem
Dieter Metzger, Handbuch der Warenumsatzsteuer, unveränderter Nachdruck 1992,
Muri b. Bern, S. 107 f., Rz. 213 ff.).

2.3 Das Bundesgericht hat sich im Urteil 2C_518/2007 vom 11. März 2008
eingehend mit der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Umsätzen befasst, welche
die in Erotikstudios tätigen Damen für die von ihnen erbrachten sexuellen
Dienstleistungen generieren. Dabei hat es die betreffenden Dienstleistungen mit
Blick auf das Auftreten gegen aussen und die betriebs- und
arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen als abhängige, unselbständige
Tätigkeit qualifiziert. Nach dem Grundsatz der Unternehmenseinheit sind die
Umsätze der Damen und jene der Studios zusammen als Einheit zu betrachten und
den Betreibern der Studios zuzurechnen (E. 3.2 und 3.3 des zit. Urteils).
Vermittlung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 MWSTV liegt bei dieser Konstellation
nicht vor (E. 3.3.4 des zit. Urteils).

2.4 Das in jenem Fall Ausgeführte muss angesichts der vergleichbaren
Sachverhalte auch vorliegend gelten. Die Beschwerdeführerin hat nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz in Zeitungsinseraten und
Werbebroschüren die erwähnten Veranstaltungen in eigenem Namen (unter Angabe
von Adresse, Telefonnummer und Homepage des Clubs) angepriesen und dabei auf
die dort angebotenen sexuellen Dienstleistungen hingewiesen. Dass die Damen in
eigenem Namen oder anderweitig direkt nach aussen in Erscheinung treten würden,
ist demgegenüber nicht dargetan. Daran vermögen auch allfällige im
Eingangsbereich des Clubs angebrachte Fotos der an der jeweiligen Veranstaltung
anwesenden Damen nichts zu ändern. Will ein Kunde die von den Damen angebotenen
Dienstleistungen in Anspruch nehmen, muss er sich an den Club halten; eine
direkte Kontaktaufnahme ist demgegenüber nicht möglich. Die
Dienstleistungserbringung durch die Damen erfolgt sodann eingegliedert in die
Gesamtorganisation des Betriebes der Beschwerdeführerin, welche nicht nur
örtliche und zeitliche Vorgaben macht (durch Festlegung von Veranstaltungsort
und -zeit), sondern auch einheitliche Preise vorsieht. Dass der Kunde selber
(mit-)entscheiden kann, an welche der Damen der von ihm entrichtete "Zuschlag"
anteilsmässig auszurichten ist, ändert nichts daran, dass ein von der
Beschwerdeführerin selbst bestimmtes Entschädigungssystem zur Anwendung kommt.
In Würdigung sämtlicher relevanter Faktoren ist davon auszugehen, dass die
anlässlich der Veranstaltungen angebotenen sexuellen Dienstleistungen der Damen
sowohl mit Blick auf das äussere Erscheinungsbild als auch die interne
Organisation als abhängige, unselbständige Tätigkeiten zu qualifizieren sind.
Nach dem Grundsatz der Unternehmenseinheit sind die Umsätze der Damen und des
Veranstalters von der Vorinstanz mithin zu Recht als eine Einheit betrachtet
und der Beschwerdeführerin zugerechnet worden.

2.5 Was die Beschwerdeführerin im Übrigen vorbringt, ist nicht geeignet, den
angefochtenen Entscheid in Frage zu stellen. Wie es sich mit der
zivilrechtlichen Qualifikation und Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse
zwischen den Damen, der Kundschaft und der Beschwerdeführerin im Einzelnen
verhält bzw. wie die Tätigkeit der Damen aus sozialversicherungs- und
arbeitsrechtlicher Optik zu beurteilen wäre, braucht nicht näher ausgeleuchtet
zu werden und vermag unter den gegebenen Umständen aus mehrwertsteuerlicher
Sicht so oder so keine entscheidende Rolle zu spielen. Entgegen der Meinung der
Beschwerdeführerin liegt das unternehmerische Risiko in Bezug auf die
Veranstaltungen bei einem Geschäftsmodell wie dem vorliegenden in erster Linie
beim Club selber und (wenn überhaupt) nur in untergeordnetem Masse bei den
Damen (vgl. zit. Urteil 2C_518/2007, E. 3.3.3). Inwieweit der Grundsatz der
Unternehmenseinheit vorliegend nicht zum Tragen kommen soll, ist nicht
ersichtlich (vgl. zit. Urteil, E. 3.3.1). Soweit die Beschwerdeführerin die
Verweigerung der von ihr beantragten Zeugeneinvernahmen und des Augenscheins
durch die Vorinstanz beanstandet, fehlt es bereits an der erforderlichen
rechtsgenüglichen Begründung dafür, welche verfassungsmässigen Rechte und
Grundsätze dadurch verletzt sein sollen (oben E. 1.3).

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 BGG). Eine Parteientschädigung ist
nicht geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Eidgenössischen
Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, und dem
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. August 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Moser