Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.565/2007
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2C_565/2007 /zga

Urteil 15. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Wyssmann.

Steueramt des Kantons Solothurn, 4509 Solothurn,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner.

Staatssteuer 2002 und direkte Bundessteuer 2002 (Nachsteuer und Busse),

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom
25. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 20. November 2006 auferlegte das Steueramt des Kantons
Solothurn X.________ für die direkte Bundessteuer 2002 Nachsteuern von Fr.
3'714.-- (inklusive Verzugszins) sowie eine Busse von Fr. 1'115.15, für die
Staatssteuer 2002 Nachsteuern von Fr. 4'009.55 (inklusive Verzugszins) sowie
eine Strafsteuer wegen Steuerhinterziehung von Fr. 1'203.90. Es ging dabei um
nicht deklarierte Erträge und Guthaben aus Investitionen bei der A.________
AG. Die dagegen erhobene Einsprache wurde mit Entscheid vom 15. Januar 2007
abgewiesen.

B.
X.________ focht den Einspracheentscheid beim Steuergericht des Kantons
Solothurn mit Rekurs bzw. Beschwerde an. Mit Urteil vom 25. Juni 2007 hiess
dieses das Rechtsmittel gut und hob den Einspracheentscheid auf.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 12. Oktober 2007
beantragt das Steueramt des Kantons Solothurn dem Bundesgericht, das Urteil
des kantonalen Steuergerichts aufzuheben; bezüglich der Staatssteuer 2002 sei
die Sache zur erneuten Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen; bezüglich der direkten Bundessteuer sei der
Einspracheentscheid vom 16. Januar 2007 wieder herzustellen.

X. ________ beantragt sinngemäss die Abweisung der Beschwerde. Das
Steuergericht stellt unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil
den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die
Eidgenössische Steuerverwaltung schliesst auf Gutheissung der Beschwerde und
Bestätigung des Einspracheentscheids.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gemäss Art. 82
ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) in Verbindung mit Art. 73 des
Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG) zulässig. Das kantonale Steueramt ist zu
deren Erhebung legitimiert (Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG in Verbindung mit Art.
146 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer [DBG], und § 1 Abs. 1
der solothurnischen Vollzugsverordnung zum Bundesgesetz über die direkte
Bundessteuer vom 18. Oktober 1994 sowie Art. 73 Abs. 2 StHG und § 164bis Abs.
1 des solothurnischen Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern vom 1.
Dezember 1985 [StG]). Auf die im übrigen frist- und formgerecht erhobene
Beschwerde ist daher einzutreten.

I.  Direkte Bundessteuer

2.
2.1 Ergibt sich, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder eine
rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist, ist nach Art. 151 DBG die nicht
erhobene Steuer samt Zins als Nachsteuer einzufordern. Wer als
Steuerpflichtiger vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt, dass eine Veranlagung
zu Unrecht unterbleibt oder dass eine rechtskräftige Veranlagung
unvollständig bleibt, wird mit Busse bestraft (Art. 175 Abs. 1 DBG). Der
Beschwerdegegner hatte am 17. April 2002 mit der A.________ AG einen mit
"Devisenhandel Investment Vereinbarung" betitelten Vertrag abgeschlossen. Er
tätigte am 24. April, 19. Juni und 5. August 2002 Einlagen von insgesamt
Fr. 100'000.--. Bis Ende Oktober wurden ihm angebliche Gewinne von insgesamt
Fr. 25'562.40 gutgeschrieben. Diese Gewinne hat er nicht deklariert.

2.2 Es ist unbestritten, dass die A.________ AG ein betrügerisches
Schneeballsystem betrieben hatte und dass die den Anlegern gutgeschriebenen
Gewinne zum grössten Teil fiktiv waren. Das Bundesgericht hat wiederholt
erkannt, dass solche Gewinngutschriften bei der direkten Bundessteuer als
Vermögensertrag steuerbares Einkommen (Art. 16 Abs. 1 und 20 DBG) und nicht
Kapitalgewinne darstellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie wie hier mehr
als ein Jahr vor der Konkurseröffnung erfolgt sind und damit nicht der
Anfechtungsklage gemäss Art. 286 SchKG unterliegen. An der Steuerbarkeit
ändert nichts, dass das den Gewinnausweisen zugrundeliegende
Umverteilungsprinzip (Schneeballsystem) nichts mit den vereinbarten
Anlagerichtlinien zu tun hat und widerrechtlich ist (Urteile 2A.114/2001 vom
10. Juli 2001, in: StE 2001 B 21.1 Nr. 10; 2A.181/2002 vom 27. Januar 2003,
in StE 2003 B 21.1 Nr. 11; 2P.208/2002 vom 6. Februar 2003, in: StR 58/2003
S. 359 E. 2.2). Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht gerade auch auf
das von der A.________ AG betriebene System angewandt (vgl. namentlich die
Urteile 2A.613, 614/2006 vom 8. August 2007 i.S. M. und 2A.506/2006 vom
gleichen Tag 2007 i.S. K).

3.
3.1 Davon ist auch die Vorinstanz ausgegangen. Sie ist jedoch der Auffassung,
die streitige Forderung sei unsicher gewesen. Der Beschwerdegegner gebe an,
dass er anfangs Dezember 2002 die Auszahlung des Kapitals verlangt habe und
dass ihm diese verweigert worden sei. Bereits am 16. Januar 2003 sei die
Unternehmung gemäss Handelsregistereintrag aufgelöst und am 24. November 2003
sei über sie der Konkurs eröffnet worden. Angesichts der zeitlichen Nähe
zwischen der Einzahlung der Beträge und der Auflösung der Gesellschaft sei es
fraglich, ob dem Beschwerdegegner die einbezahlten Beträge wie auch die
vermeintlich erwirtschafteten Gewinne je ausbezahlt worden wären. Es sei
anzunehmen, dass die Unternehmung schon geraume Zeit vor der Auflösung über
keine genügenden finanziellen Reserven mehr verfügt habe. Jedenfalls könne
nicht gesagt werden, dass die Forderung des Beschwerdegegners ausbezahlt
worden wäre, wenn er die Zahlung schon früher verlangt hätte. Es könne somit
nicht von realisierten Einkünften gesprochen werden. Sei aber im Jahre 2002
kein zusätzliches steuerbares Einkommen angefallen, könne ohne weiteres
festgehalten werden, dass weder eine Veranlagung unterblieben noch dass eine
solche unvollständig gewesen sei. Damit entfalle jede Begründung zur Erhebung
einer Nachsteuer.

3.2 Es ist richtig, dass mit den Gewinngutschriften nur dann steuerbares
Einkommen realisiert wurde, wenn die betreffende Forderung nicht unsicher
war. Träfe es zu, dass die Unternehmung schon geraume Zeit vor ihrer
Auflösung über keine genügenden Reserven mehr verfügte und dass die Forderung
des Beschwerdegegners nicht ausbezahlt worden wäre, wenn er die Zahlung schon
früher, d.h. vor Ende Oktober 2002, verlangt hätte, so könnte in der Tat
nicht von einem steuerbaren Vermögenszufluss gesprochen werden. Indessen
beruht die entsprechende Annahme der Vorinstanz nicht auf eigenen
beweismässigen Abklärungen, sondern stellt eine blosse Mutmassung dar. Aus
der allgemeinen Lebenserfahrung könnte eine solche Annahme nicht abgeleitet
werden, denn es ist keineswegs aussergewöhnlich, dass Unternehmen, die
derartige Schneeballsysteme betreiben, noch bis kurz vor ihrem finanziellen
Zusammenbruch Auszahlungen vornehmen, um die Anleger an der Stange zu halten.
Es geht nicht an, die Nachsteuerforderung gestützt auf eine blosse Hypothese,
die beweismässig nicht erhärtet ist, abzuweisen. Eine solche
Sachverhaltsfeststellung ist mangelhaft und vermag das Bundesgericht nicht zu
binden.

3.3 Damit erweist sich der Sachverhalt als ergänzungsbedürftig. Das
Bundesgericht könnte die erforderliche Ergänzung an sich selber vornehmen
(vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG). Es ist in den erwähnten Urteilen vom 8. August
2007 gestützt auf die entsprechenden Feststellungen der Vorinstanz, an die es
gemäss Art. 105 Abs. 2 OG gebunden war und die sich ihrerseits namentlich auf
den Zusammenfassenden Bericht der Kantonspolizei Zürich vom 16. Dezember 2003
in der Strafuntersuchung gegen die Organe der A.________ AG stützten, zum
Schluss gelangt, dass die A.________ AG jeweils Auszahlungen vorgenommen hat,
wenn die Investoren es verlangt hatten; bis Ende Oktober 2002 hätte die
A.________ AG auch dann über genügend liquide Mittel verfügt, wenn eine
Mehrheit von Anlegern gleichzeitig Rück- oder Auszahlung verlangt hätten,
zumal sich die zu erwartende Konkursdividende auf über 60 % belaufen dürfte.
Diese in anderen Verfahren getroffenen Feststellungen dürfen jedoch nicht
ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden, zumal der
Beschwerdegegner dazu nicht Stellung nehmen konnte. Es ist unter den
gegebenen Umständen vorab Sache der Vorinstanz, unter Wahrung der
Parteirechte der Beteiligten den Sachverhalt zu erstellen und die
erforderlichen Beweise zu erheben. Das angefochtene Urteil ist daher
aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückweisen.
II. Staatssteuer

4.
4.1 Das solothurnische Steuergesetz umschreibt den Begriff der Einkünfte aus
beweglichem Vermögen - soweit hier massgebend - und die Voraussetzungen für
die Erhebung einer Nachsteuer im Ergebnis gleich wie die erwähnten
Vorschriften des Bundesrechts und im Einklang mit den einschlägigen
Bestimmungen des Steuerharmonisierungsgesetzes (§ 21, 26 und 189 StG; Art. 7
und 53 StHG). Was zur direkten Bundessteuer gesagt wurde, muss daher auch für
den Bereich der Staatssteuer gelten.

4.2 Besonders verhält es sich mit der Vermögenssteuer, die auf Bundesebene
nicht erhoben wird. Gemäss Art. 13 Abs. 1 StHG und § 60 Abs. 1 StG unterliegt
das gesamte Reinvermögen der Vermögenssteuer. Es ist grundsätzlich zum
Verkehrswert zu bewerten (Art. 14 Abs. 1 StHG, § 61 Abs. 2 StG). Als
Verkehrswert von Forderungen gilt der Nominalwert, wenn die
Verlustwahrscheinlichkeit nicht eine niedrigere Bewertung rechtfertigt (§ 34
Abs. 2 der Vollzugsverordnung zum solothurnischen Gesetz über die Staats- und
Gemeindesteuern vom 28. Januar 1986; vgl. auch Zigerlig/Jud, Schweizerisches
Steuerrecht I/1, 2. Aufl., N. 17 zu Art. 14 StHG). Der Nominalwert der
Forderung des Beschwerdegegners gegen die A.________ AG betrug
unbestrittenermassen Fr. 125'562.--. Der Beschwerdegegner hat diesen
Vermögenswert nicht deklariert. Die Vorinstanz begründet nicht näher, weshalb
eine Nachbesteuerung insoweit nicht zulässig sein soll. Von einem
Totalverlust könnte jedenfalls nicht ausgegangen werden, legt der
Beschwerdegegner doch selber Urkunden vor, wonach ihm im Konkurs der
A.________ Teilbetreffnisse von insgesamt 60 % der anerkannten
Kapitalforderung von Fr. 100'000.-- ausbezahlt worden sind. Anderseits weist
das kantonale Steueramt selber darauf hin, das am massgebenden Stichtag
bereits eine gewisse Verlustwahrscheinlichkeit bestanden haben dürfte; es
hält insoweit nicht vollständig an seinem Einspracheentscheid fest. Die
Beschwerde ist daher auch in diesem Punkt begründet. Die Vorinstanz wird im
Rückweisungsverfahren über die Höhe des hinterzogenen Vermögens sowie der
Hinterziehungsbusse zu befinden haben.

5.
Die Beschwerde ist somit sowohl hinsichtlich der direkten Bundessteuer als
auch der Staatssteuer gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
Die Sache ist zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Kosten dem Beschwerdegegner
aufzuerlegen (Art. 65, 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird hinsichtlich
der direkten Bundessteuer gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird hinsichtlich
der Staatssteuer gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die
Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Steuergericht Solothurn
und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Wyssmann