Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.563/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_563/2007/ble

Urteil vom 31. März 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Silvan Ulrich,

gegen

Migrationsamt des Kantons Aargau.

Gegenstand
Ausweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts
im Ausländerrecht des Kantons Aargau
vom 7. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Der aus Kroatien stammende X.________ (geb. 1981) reiste 1991 im Rahmen des
Familiennachzugs in die Schweiz ein und wurde in die Niederlassungsbewilligung
seiner Eltern einbezogen. Er wuchs, nachdem seinen Eltern die Obhut 1997
entzogen worden war, in Heimen auf und kam bereits als Jugendlicher mit dem
Strafgesetz in Konflikt (vgl. Erkenntnisse der Jugendanwaltschaft des Kantons
Aargau vom 21. Oktober 1997 und 2. Dezember 1998). Am 5. Januar 2000 drohte ihm
die Fremdenpolizei des Kantons Aargau (heute: Migrationsamt) deshalb die
Ausweisung aus der Schweiz an. Diese Verfügung erwuchs in Rechtskraft.
Am 15. September 2006 sprach das Strafgericht Basel-Stadt X.________ u. a.
schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung (begangen im Notwehrexzess), der
mehrfachen einfachen Körperverletzung, des Raufhandels, des Raubes, der
Hehlerei, der mehrfachen Drohung, des Hausfriedensbruchs, des Fahrens in
angetrunkenem Zustand, der mehrfachen groben Verkehrsregelverletzung sowie der
mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und bestrafte ihn mit
drei Jahren Gefängnis.

B.
Nachdem das Migrationsamt des Kantons Aargau X.________ das rechtliche Gehör
gewährt hatte, wies es ihn mit Verfügung vom 13. Dezember 2006 auf den Tag der
Entlassung aus dem Strafvollzug für unbestimmte Dauer aus der Schweiz aus. Eine
hiegegen erhobene Einsprache beim Rechtsdienst des Migrationsamtes blieb
erfolglos, und mit Urteil vom 7. September 2007 wies das Rekursgericht im
Ausländerrecht des Kantons Aargau die gegen den Einspracheentscheid vom 13.
Juli 2007 gerichtete Beschwerde ebenfalls ab.
Am 30. September 2007 wurde X.________ bedingt aus dem Strafvollzug entlassen.

C.
Mit Eingabe vom 10. Oktober 2007 führt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das Urteil des
Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 7. September 2007 sowie
den Einspracheentscheid des Migrationsamtes vom 13. Juli 2007 und dessen
Verfügung vom 13. Dezember 2006 aufzuheben und auf eine Ausweisung zu
verzichten; eventuell sei diese Massnahme auf zwei Jahre zu befristen.
Das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau hat auf Vernehmlassung
verzichtet. Das Bundesamt für Migration beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

D.
Mit Verfügung vom 12. Oktober 2007 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde -
antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid über eine
gestützt auf Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG verfügte Ausweisung, wogegen das
ordentliche Rechtsmittel der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten zulässig ist (Art. 83 lit. c BGG e contrario). Der
Beschwerdeführer ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).
Hingegen kann mit dem genannten Rechtsmittel einzig der kantonal
letztinstanzliche Entscheid angefochten werden (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d
BGG). Soweit damit die Aufhebung des Einspracheentscheides vom 13. Juli 2007
und der Ausweisungsverfügung vom 13. Dezember 2006 verlangt wird, ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

1.2 Zwar ist am 1. Januar 2008 das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die
Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20) in Kraft getreten. Massgebend für
die materielle Beurteilung bleibt vorliegend aber, in analoger Anwendung von
Art. 126 Abs. 1 AuG, grundsätzlich das bisherige Recht (vgl. etwa Urteile
2C_756/2007 vom 13. Februar 2008, E. 1, 2C_579/2007 vom 28. Januar 2008, E.
1.2, und 2C_488/2007 vom 6. Februar 2008, E. 1.2).

1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und
Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Das vom Beschwerdeführer im
Verfahren vor dem Bundesgericht neu eingereichte Beweismittel (Bestätigung der
Gerüstbau S.________ AG vom 10. Oktober 2007) ist insoweit unbeachtlich.

2.
2.1 Die Niederlassungsbewilligung erlischt mit der Ausweisung oder
Heimschaffung (Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG). Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
kann ein Ausländer aus der Schweiz oder aus einem Kanton ausgewiesen werden,
wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Der
Beschwerdeführer wurde u.a. wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Er erfüllt damit den genannten
Ausweisungsgrund.

2.2 Die Ausweisung soll aber nur verfügt werden, wenn die nach Art. 11 Abs. 3
ANAG gebotene Interessenabwägung diese Massnahme als angemessen, d.h. als
verhältnismässig (vgl. BGE 125 II 521 E. 2a S. 523) erscheinen lässt. Dabei
sind namentlich die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer der
Anwesenheit sowie die dem Betroffenen und seiner Familie drohenden Nachteile zu
berücksichtigen (vgl. Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März
1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAV]
sowie BGE 129 II 215 E. 3 und 4 S. 216 ff.; 125 II 105 ff.).

2.3 Ausgangspunkt für die Interessenabwägung gemäss Art. 11 Abs. 3 ANAG ist das
Verschulden des Ausländers. Dieses findet vorab im vom Strafrichter verhängten
Strafmass seinen Ausdruck. Dabei sind umso strengere Anforderungen an die
Schwere des strafrechtlichen Verschuldens zu stellen, je länger ein Ausländer
in der Schweiz gelebt hat. Aber selbst bei in der Schweiz geborenen Ausländern
der "zweiten Generation" ist die Ausweisung zulässig, wenn der Ausländer
besonders schwere Gewalt-, Sexual- oder Betäubungsmitteldelikte begangen oder
wiederholt schwer delinquiert hat (vgl. dazu BGE 130 II 176 E. 4.2-4.4 S. 185
ff.; 129 II 215 E. 3.2 S. 216 f.).

3.
3.1 Das Rekursgericht hat im Wesentlichen erwogen, aufgrund der ausgefällten
Freiheitsstrafen, der Häufigkeit und Regelmässigkeit der Delinquenz und der
offenbarten Gewaltbereitschaft sei insgesamt von einem gewichtigen
öffentlichen, insbesondere sicherheitspolizeilichen Interesse an der Ausweisung
des Beschwerdeführers auszugehen. Gross sei - aufgrund der langen
Anwesenheitsdauer - zwar auch dessen privates Interesse am Verbleib in der
Schweiz. Die ihm gebotenen Chancen, hier gesellschaftlich Fuss zu fassen, habe
der Beschwerdeführer aber bislang nicht wahrgenommen. Von einer gelungenen
Integration in die Arbeitswelt oder von einem Herausreissen aus einem stabilen
beruflichen Umfeld könne keine Rede sein. Sein Interesse, weiterhin hier zu
leben, werde weder durch seine familiären Beziehungen, sein persönliches
Umfeld, seine sprachliche oder berufliche Integration, seine finanzielle
Situation und auch nicht durch eine positive Persönlichkeitsentwicklung erhöht.
Die Ausweisung erscheine daher nach den gesamten Umständen angemessen, und es
bestehe auch keine Veranlassung, diese Massnahme zu befristen.

3.2 Der Beschwerdeführer kam 1991 im Alter von zehn Jahren in die Schweiz und
ist im Besitz der Niederlassungsbewilligung. Er ist damit zwar kein "Ausländer
der zweiten Generation", doch kam er im frühen Jugendalter hierher und hat den
grössten Teil seines Lebens in der Schweiz verbracht (16 Jahre). Von einer
Ausweisung ist unter solchen Umständen nur zurückhaltend Gebrauch zu machen,
und die Gründe für die Anordnung einer derartigen Massnahme müssen entsprechend
gewichtig sein (vgl. E. 2.2. und E. 2.3).

3.3 Aus dem Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 15. September 2006 (vgl.
vorne "A.") geht hervor, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von Januar 2003
bis Ende 2004 eine Reihe von verschiedenen Delikten beging (Körperverletzung,
versuchte vorsätzliche Tötung, Einbruchdiebstähle, Raubüberfall, Drohung,
Verkehrsdelikte). Auch nach der Entlassung aus der achtwöchigen
Untersuchungshaft wegen der Messerstecherei im Mai 2003 änderte er sein
Verhalten nicht, sondern beging eine Reihe von weiteren Delikten (vgl.
genanntes Urteil, S. 30 oben). Er beweist einen Hang zur Gewalttätigkeit
("erhöhtes Aggressionspotential", "leicht erregbares inneres
Spannungspotential", vgl. den Verlaufsbericht der Strafanstalt D.________ vom
24. Januar 2007 über die ambulante psychotherapeutische Behandlung). Die
Befürchtung, dass er aufgrund seiner mangelnden psychischen Stabilität erneut
andere Personen verletzen wird, erscheint begründet und wird durch die
eingeleitete psychotherapeutische Behandlung nicht beseitigt (vgl. den
genannten Bericht).
Beruflich ist der Beschwerdeführer in der Schweiz kaum integriert; ebenso wenig
kann er sich als alleinstehender Erwachsener auf geschützte familiäre
Beziehungen im Sinne von Art. 8 EMRK berufen. Bei seinem Einwand, er sei
inzwischen mit einer Schweizer Bürgerin liiert, die von ihm ein Kind erwarte
und mit der eine Heirat vorgesehen sei, handelt es sich um ein Novum
(nachträgliche Änderung des Sachverhaltes), welches für die Beurteilung der
Bundesrechtskonfomität des angefochtenen Entscheides nicht berücksichtigt
werden kann (vgl. vorne E. 1.3). Davon abgesehen wurde das diesbezüglich
angekündigte Arztzeugnis (vgl. S. 3 der Beschwerdeschrift) bis heute nicht
nachgereicht.
Gemäss den für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen Feststellungen des
Rekursgerichts (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG) beherrscht der Beschwerdeführer die
Sprache seines Heimatlandes Kroatien. Seine hier erworbenen beruflichen und
sprachlichen Kenntnisse kommen ihm auch in der Heimat zustatten. Unter diesen
Umständen erscheint - angesichts der weitgehend misslungenen Integration des
Beschwerdeführers und angesichts der von ihm ausgehenden Gefahr für die
öffentliche Sicherheit - die (auf unbestimmte Zeit) verfügte Ausweisung nicht
unverhältnismässig.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 65 und 66 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet
(Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Rekursgericht im Ausländerrecht des
Kantons Aargau und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. März 2008
Im Namen der II. Öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Klopfenstein