Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.546/2007
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2C_546/2007 /aka

Urteil vom 2. November 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Uebersax.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat
Dr. Nicolas Roulet,

gegen

Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Bereich Bevölkerungsdienste
und Migration
als kantonale Fremdenpolizei, Spiegelgasse 6-12,
4001 Basel.

Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelrichterin für
Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht, vom 17. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Der tunesische Staatsangehörige X.________, geb. 4. Februar 1985, hielt sich
in den Jahren 2002-2005 längere Zeit in der Schweiz auf und stellte hier
erfolglos ein Asylgesuch, wobei er zeitweise eine falsche Identität
(Y.________, aus Algerien) verwendete. Wiederholt wurde er strafrechtlich
verfolgt, unter anderem wegen Hehlerei, Tätlichkeiten, Gewalt gegen
Behördenvertreter, illegalen Aufenthalts und Missachtung ausländerrechtlicher
Auflagen, und wiederholt wurden gegen ihn auch ausländerrechtliche
Zwangsmassnahmen (insbesondere Ein- und Ausgrenzungen) angeordnet.
Am 29. Juni 2006 reiste er mit seinem tunesischen Reisepass und einem
gültigen Visum erneut in die Schweiz ein, wo er am 13. Juli 2006 die hier
niedergelassene italienische Staatsangehörige Maria Chiara Gorgoni, geb. 21.
November 1985, heiratete. In der Folge stellte das Sicherheitsdepartement des
Kantons Basel-Stadt, Bevölkerungsdienste und Migration, mehrere
Anwesenheitsbescheinigungen aus, in denen festgehalten wurde, X.________
dürfe sich vorläufig im Kanton Basel-Stadt aufhalten und es sei ein Gesuch um
Regelung des Aufenthalts hängig. Eine solche Bescheinigung erging letztmals
am 30. Juli 2006 mit Gültigkeit bis zum 24. August 2006.
Mit vorsorglicher Verfügung vom 15. August 2007 bewilligte das Zivilgericht
Basel-Stadt der Ehefrau von X.________ im Wesentlichen das Getrenntleben,
wies ihr die eheliche Wohnung zur alleinigen Benutzung zu und verbot dem
Ehemann unter Strafandrohung, die Ehefrau zu belästigen, zu bedrohen, gegen
sie tätlich zu werden oder sich ihr mehr als auf 200 Meter zu nähern.

B.
Bei einer Befragung durch das Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt,
Bevölkerungsdienste und Migration, vom 15. August 2007 wurde X.________
darauf aufmerksam gemacht, dass das Bewilligungsgesuch als gegenstandslos
abgeschrieben werde und dass er die Schweiz zu verlassen habe. Dabei erklärte
er sich zu einer freiwilligen Ausreise bereit. Am 16. August 2007 schrieb das
Sicherheitsdepartement, Bevölkerungsdienste und Migration, das
Bewilligungsgesuch in einer der Ehefrau zugestellten Verfügung ab und ordnete
an, X.________ habe die Schweiz umgehend zu verlassen. Am 21. August 2007
trat X.________ eine für ihn organisierte Heimreise nicht an.
Am 10. September 2007 wurde X.________ in Basel angehalten und zunächst
aufgrund einer nationalen Fahndung den Untersuchungsbehörden des Kantons Uri
zugeführt. Nachdem er am 13. September 2007 wiederum den basel-städtischen
Behörden übergeben worden war, bestätigte das Sicherheitsdepartement,
Bevölkerungsdienste und Migration, seine Wegweisung und nahm ihn für die
Dauer von drei Monaten in Ausschaffungshaft. Mit Urteil vom 17. September
2007 prüfte und bestätigte die Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht am Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt die
Ausschaffungshaft.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 4. Oktober 2007
an das Bundesgericht beantragt X.________, das Urteil der Haftrichterin sei
aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Ausschaffungshaft zu entlassen.
Überdies sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu
bewilligen.
Das Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Bevölkerungsdienste und
Migration, sowie die Haftrichterin am Verwaltungsgericht des Kantons
Basel-Stadt schliessen auf Abweisung der Beschwerde. X.________ hat sich zu
den entsprechenden Vernehmlassungen nochmals geäussert, wobei er an seinen
Anträgen festhielt.

D.
Mit verfahrensleitender Verfügung vom 5. Oktober 2007 wies das präsidierende
Mitglied des Bundesgerichts unter anderem ein Gesuch von X.________ um
aufschiebende Wirkung bzw. vorsorgliche Massnahme ab.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 82 ff. BGG steht gegen das angefochtene, kantonal
letztinstanzliche Hafturteil die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht offen. Gegenstand des Haftprozesses und
damit auch des bundesgerichtlichen Verfahrens bildet allerdings nur die Frage
der Zulässigkeit der Haft.

2.
Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen bzw.
in dieser belassen, wenn die Voraussetzungen von Art. 13b des Bundesgesetzes
vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung (ANAG; SR 142.20) erfüllt
sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht
notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid
vorliegt, dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht
möglich, jedoch absehbar ist (BGE 130 II 56 E. 1 mit Hinweisen). Zudem muss
einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG genannten Haftgründe bestehen (BGE 125 II
369 E. 3a S. 374, 377 E. 3a S. 381; 124 II 1 E. 1 S. 3), die Ausschaffung
rechtlich und tatsächlich möglich sein (Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG; BGE 130
II 56 E. 1 mit Hinweisen) und die Papierbeschaffung mit dem nötigen Nachdruck
verfolgt werden (Art. 13b Abs. 3 ANAG, Beschleunigungsgebot; BGE 130 II 488
E. 4; 124 II 49 ff.). Die Haft soll als Ganzes verhältnismässig sein (BGE 130
II 56 E. 1 S. 58; 126 II 439 E. 4; 125 II 377 E. 4 S. 383).

3.
3.1 Die angefochtene Haft stützt sich auf den Wegweisungsentscheid vom 15.
August bzw. 13. September 2007. Umstritten ist, ob es sich dabei um eine
rechtmässige Wegweisung handelt. Der Haftrichter und auch das Bundesgericht
als Rechtsmittelinstanz können freilich im Haftprüfungsverfahren die der
Ausschaffungshaft zugrundeliegende Wegweisung nur dann überprüfen, wenn sie
offensichtlich rechtswidrig ist (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG sowie
BGE 121 II 59 E. 2c).

3.2 Nach Art. 12 Abs. 1 ANAG kann der Ausländer, der keine Bewilligung
besitzt, jederzeit zur Ausreise aus der Schweiz verhalten werden. Ein
Ausländer ist sodann unter anderem dann zur Ausreise verpflichtet, wenn ihm
(auf Gesuch hin) eine Bewilligung verweigert wird, wobei ihm diesfalls eine
Ausreisefrist anzusetzen ist (Art. 12 Abs. 3 ANAG). Gemäss Art. 1a ANAG ist
der Ausländer zur Anwesenheit auf Schweizer Boden berechtigt, wenn er eine
Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt oder wenn er nach dem
Gesetz keiner solchen bedarf. Nach Art. 1 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung
vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAV; SR 142.201) darf sich der rechtmässig eingereiste Ausländer
während der für ihn geltenden Anmeldefrist sowie nach rechtmässig erfolgter
Anmeldung bis zum Entscheid über ein Gesuch um Bewilligung des Aufenthalts
oder der Niederlassung ohne besondere behördliche Bewilligung in der Schweiz
aufhalten, soweit im Einzelfall seitens der zuständigen Behörde keine
anderslautende Verfügung ergangen ist. Gemäss Art. 17 Abs. 1 ANAV kann der
Ausländer, der keine Bewilligung besitzt (auch im Fall von Art. 1 Abs. 1
ANAV), jederzeit und ohne besonderes Verfahren zur Ausreise aus der Schweiz
verhalten oder nötigenfalls ausgeschafft werden. Dabei handelt es sich um die
so genannte formlose Wegweisung.

3.3 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer über
keine gültige Anwesenheitsbewilligung verfügte, sondern seine Anwesenheit im
Hinblick auf deren Regelung lediglich vorläufig geduldet war. Nachdem ihm
aufgrund der ehelichen Entwicklung schliesslich keine Bewilligung erteilt
worden war, gingen die Verfahrensbeteiligten offenbar lange davon aus, er sei
formlos weggewiesen worden, wobei die Zulässigkeit einer solchen formlosen
Wegweisung umstritten war. Noch in ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht
führt die Haftrichterin unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichts
2P.143/2003 vom 19. Dezember 2003 (insbes. E. 6.2) aus, der Beschwerdeführer
habe formlos weggewiesen werden dürfen. In seiner Stellungnahme zu den
Vernehmlassungen der kantonalen Behörden bringt nun allerdings der
Beschwerdeführer selbst neu vor, er sei nicht formlos weggewiesen worden,
sondern in Tat und Wahrheit handle es sich um eine förmliche Wegweisung.
Inzwischen sei diese auch dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden, und er habe
sie angefochten, weshalb kein rechtskräftiger und damit vollstreckbarer
Wegweisungsentscheid vorliege, der Grundlage für die angefochtene
Ausschaffungshaft bilden könne. Auch wenn es sich beim letzten Argument um
ein an sich unzulässiges Novum handelt (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG sowie BGE 125
II 217 E. 3a S. 221), kann das Bundesgericht die Rechtsnatur der angeordneten
Wegweisung auf der Grundlage der der Haftrichterin bekannten Aktenlage
prüfen.

3.4 Bei der Befragung vom 15. August 2007 wurde dem Beschwerdeführer mündlich
mitgeteilt, er habe die Schweiz zu verlassen, womit er sich damals im Übrigen
einverstanden erklärte. Dabei handelte es sich inhaltlich um eine Wegweisung.
Diese wurde dem Beschwerdeführer allerdings nicht schriftlich eröffnet; eine
schriftliche Mitteilung erfolgte lediglich zusammen mit dem abschlägigen
Bewilligungsentscheid gegenüber seiner Ehefrau, die freilich auch allein das
Bewilligungsgesuch eingereicht hatte. Dennoch lag eine schriftliche und
grundsätzlich förmliche Wegweisung vor, die jedoch gegenüber dem davon
betroffenen Beschwerdeführer an einer mangelhaften Eröffnung litt. Selbst
wenn die Verfügung unter formellen Gesichtspunkten anfechtbar war, handelte
es sich damit nicht um eine formlose, sondern um eine förmliche Wegweisung.
Der Beschwerdeführer hatte jedoch durchaus Kenntnis von der Wegweisung. Am
13. September 2007 wurde ihm sodann im Rahmen des ihm gewährten rechtlichen
Gehörs zur Ausschaffungshaft nochmals ausdrücklich mitgeteilt, er werde aus
der Schweiz weggewiesen; diese Mitteilung erfolgte sogar schriftlich. Zwar
verweigerte der Beschwerdeführer seine Unterschrift unter das entsprechende
Dokument; es gibt aber keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass er vom Inhalt
Kenntnis erhielt. Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer nicht formlos,
sondern förmlich weggewiesen wurde, wobei einzig noch unklar erscheint, ob
bzw. wann ihm die entsprechende Verfügung rechtsgültig eröffnet worden ist,
was hier aber offen bleiben kann.

3.5 Die hier fragliche Wegweisung erweist sich nicht als offensichtlich
rechtswidrig. Ob eine formlose Wegweisung zulässig gewesen wäre, braucht
nicht geprüft zu werden, wurde die Wegweisung doch förmlich verfügt, und der
Beschwerdeführer hatte Kenntnis davon. Da als Grundlage für die
Ausschaffungshaft ein erstinstanzlicher Wegweisungsentscheid, der nicht
rechtskräftig zu sein braucht, genügt, beruht die angefochtene
Ausschaffungshaft damit entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auf
einer zulässigen Grundlage. Dass die Wegweisung eventuell noch angefochten
werden kann und wieweit sie in einem allfälligen - inzwischen offenbar
anhängig gemachten - Rechtsmittelverfahren geschützt wird oder nicht, ist für
die hier zu prüfende Ausschaffungshaft unmassgeblich. Schliesslich muss die
der Ausschaffungshaft zugrundeliegende Entfernungsmassnahme auch noch nicht
zwingend vollstreckbar sein (BGE 128 II 103 E. 1.3 S. 105), weshalb es nicht
darauf ankommt, ob allenfalls ein Rechtsmittel gegen den Wegweisungsentscheid
ergriffen worden ist und welche Auswirkungen ein solches gegebenenfalls auf
die Vollstreckbarkeit hätte. Immerhin muss die Wegweisung innert absehbarer
Frist, d.h. insbesondere während der möglichen Höchstdauer der
Ausschaffungshaft, vollzogen werden können. Weshalb dies vorliegend nicht
zutreffen sollte, ist jedoch nicht ersichtlich.

4.
Im Übrigen ist nicht strittig, dass die Haftvoraussetzungen erfüllt sind.
Offensichtlich erstellt ist dabei mit Blick auf das bisherige Verhalten des
Beschwerdeführers der Haftgrund der so genannten Untertauchensgefahr (Art.
13b Abs. 1 lit. c ANAG). Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der
Beschwerdeführer am 21. August 2007 nicht wie vorgesehen die Heimreise antrat
und sich inzwischen ausdrücklich weigert, in sein Heimatland auszureisen.
Auch seine Straftaten, namentlich die Gewaltanwendung gegenüber
Behördenvertretern, sind insoweit nicht unmassgeblich.

5.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen.
Angesichts der auch bei den kantonalen Behörden bestehenden Unsicherheit über
die Art der Wegweisung, die für die Beschwerdeerhebung mitursächlich gewesen
sein dürfte, kann nicht davon ausgegangen werden, die Streitsache sei von
vornherein aussichtslos gewesen. Dem Beschwerdeführer ist daher die
unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen, und es ist ihm sein
Rechtsvertreter als unentgeltlicher Rechtsbeistand beizugeben (vgl. Art. 64
BGG). Damit sind keine Kosten zu erheben, und der Vertreter des
Beschwerdeführers ist für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Advokat Dr. Nicolas Roulet wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.--
ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Sicherheitsdepartement des
Kantons Basel-Stadt und dem Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt,
Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, sowie dem Bundesamt
für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. November 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: