Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.512/2007
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007


2C_512/2007 /zga

Urteil vom 24. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Erbengemeinschaft des X.X.________, bestehend aus:

1. X.A.________,

2. X.B.________,

3. X.C.________,

4. X.D.________,
Beschwerdeführer,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Weber,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Bern,
Brünnenstrasse 66, 3018 Bern.

Staats- und Gemeindesteuern 1993/94, Nachsteuern,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung,
vom 23. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern veranlagte X.X.________ im Rahmen eines
Nachsteuerverfahrens mit Verfügung vom 2. Juli 2001 für die Steuerjahre
1993/1994 bezüglich der Staats- und Gemeindesteuern auf einen steuerbaren
Vermögensertrag aus Teilliquidation von Fr. 252'800.--. Die dagegen erhobene
Einsprache wies sie ab, worauf X.X.________ an die Steuerrekurskommission des
Kantons Bern rekurrierte. Diese wies den Rekurs am 19. Oktober 2004 ab. Mit
Entscheid vom 29. März 2005 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Bern auf
eine Beschwerde gegen den Rekursentscheid wegen Verspätung nicht ein.
X.X.________ erhob gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde an das
Bundesgericht. Am 12. Mai 2005 starb X.X.________, worauf seine Erben
X.A.________, X.B.________, X.C.________ und X.D.________ in den Prozess
eintraten. Mit Urteil vom 23. März 2006 hiess das Bundesgericht die
staatsrechtliche Beschwerde gut und hob den angefochtenen Entscheid auf
(Urteil 2P.120/2005). Das Verwaltungsgericht nahm in der Folge das Verfahren
wieder auf und wies die Beschwerde mit Entscheid vom 23. August 2007 ab.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten bzw. subsidiärer
Verfassungsbeschwerde vom 18. September 2007 beantragen die Erben von
X.X.________, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 23. August 2007 sei
aufzuheben und von der Veranlagung eines steuerbaren Einkommens infolge
Teilliquidation im Nachsteuerverfahren sei abzusehen; ferner sei die
Verfügung der Steuerbehörden vom 2. Juli 2001 aufzuheben.

Die Steuerverwaltung und das Verwaltungsgericht beantragen die Abweisung der
Beschwerde, während die Eidgenössische Steuerverwaltung auf Vernehmlassung
verzichtet hat.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen
Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a und
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Eine Ausnahme gemäss Art. 83 BGG liegt nicht vor.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher zulässig.
Für die eventualiter eingereichte subsidiäre Verfassungsbeschwerde verbleibt
damit kein Raum (Art. 113 BGG).

1.2 Nicht eingetreten werden kann allerdings auf das Rechtsbegehren, die
Verfügung der Steuerverwaltung vom 2. Juli 2001 aufzuheben. Diese ist durch
den Entscheid des Verwaltungsgerichts ersetzt worden (sog. Devolutiveffekt);
immerhin gilt sie als inhaltlich mitangefochten (vgl. BGE 129 II 438 E. 1 S.
441; 125 II 29 E. 1c S. 33, mit Hinweisen).

2.
2.1 X.X.________ war Minderheitsaktionär bei der X.Y.________ AG. In seinem
Eigentum befanden sich die Aktienzertifikate Nr. 12 und Nr. 17, welche zwei
Namenaktien zu nominal Fr. 1'000.-- sowie 452 Namenaktien zu nominal Fr.
100.-- verkörperten. Diese Zertifikate bzw. die betreffenden Aktien
veräusserte er am 17. Juli 1992 für Fr. 300'000.--. Die Steuerverwaltung
gelangte zum Ergebnis, Käufer der Aktien sei die X.Y.________ AG gewesen und
nicht, wie von den Beschwerdeführern behauptet, die Erbengemeinschaft des
verstorbenen X.Y.________. Da die Gesellschaft die Aktien in den folgenden
Jahren nicht weiterveräussert und sie auch nicht durch Kapitalherabsetzung
vernichtet habe, sei von einer Teilliquidation auszugehen; die Differenz
zwischen dem Nennwert und dem Verkaufspreis der Aktien im Betrag von Fr.
252'800.-- (Verkaufserlös von Fr. 300'000.-- abzüglich Nennwert sämtlicher
Aktien von Fr. 47'200.--) stelle einen Kapitalertrag gemäss Art. 28 Abs. 1
lit. c des im vorliegenden Fall noch anwendbaren (alten) bernischen
Steuergesetzes vom 29. Oktober 1944 dar, welcher der Einkommenssteuer
unterliege.

2.2 Die Rechtsfolge der von der Vorinstanz festgestellten Sachlage wird von
den Beschwerderführern als solche nicht beanstandet. Auch die Berechnung des
steuerbaren Betrags ist nicht streitig. Die Beschwerde richtet sich
ausschliesslich gegen die Feststellung, dass X.X.________ die Aktien an die
X.Y.________ AG verkauft habe.

2.3 Nach Art. 97 Abs. 1 BGG kann die Feststellung des Sachverhalts nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens von Bedeutung ist. Letztere Voraussetzung ist hier
offensichtlich erfüllt.

3.
3.1 Zu den Rechtsverletzungen, die beim Bundesgericht gerügt werden können,
gehört namentlich die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG). Die
Beschwerdeführer machen geltend, das Verwaltungsgericht habe die Regeln über
die Verteilung der Beweislast in bundesrechtswidriger Weise gehandhabt. Zwar
sei es zu Recht davon ausgegangen, dass den Geschäftsbüchern eine erhöhte
Beweiskraft zukomme und dass die Vermutung ihrer Richtigkeit entweder durch
den direkten Beweis der materiellen Unrichtigkeit widerlegt oder durch den
Nachweis von Tatsachen, welche die Unrichtigkeit vermuten liessen,
umgestossen werden könne. In der Folge habe die Vorinstanz dann aber einen
eigentlichen Gegenbeweis verlangt und damit eine Beweisanforderung gestellt,
die willkürlich erhöht und in offensichtlichem Widerspruch zu seiner eigenen
Messlatte stehe.

3.2 Die streitige Transaktion fand im Jahre 1992 statt. Das Bundesgesetz vom
14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone
und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR 642.14) war damals noch
nicht in Kraft, und erst recht war die in Art. 72 Abs. 1 StHG statuierte
Frist, innert welcher die Kantone ihre Gesetzgebung den Vorschriften dieses
Gesetzes anzupassen hatten, noch nicht abgelaufen. Die Gegenstand des
Verfahrens bildende Nachsteuerforderung ist daher ausschliesslich nach
kantonalem Recht zu beurteilen, dessen Anwendung vom Bundesgericht auch unter
der Herrschaft des Bundesgerichtsgesetzes nur unter dem Gesichtswinkel der
Willkür überprüft werden kann. Das gilt auch hinsichtlich der
Beweislastregeln. Diese - zum Teil ungeschriebenen - Regeln stellen kein
Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar, soweit in der Sache
kantonales Recht anwendbar ist.

3.3 Von einer Bundesrechtswidrigkeit könnte im Übrigen nicht die Rede sein,
erst recht nicht von Willkür. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen,
dass sich der Verkauf der X.X.________ gehörenden Aktien an die X.Y.________
AG aus deren Buchhaltung ergebe. Für deren Richtigkeit spreche eine
natürliche Vermutung. Eine allfällige Unrichtigkeit der Geschäftsbücher oder
Tatsachen, welche die Unrichtigkeit vermuten liessen, seien daher entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführer im Sinne eines Gegenbeweises von diesen
nachzuweisen. Damit hat das Verwaltungsgericht den Begriff des Gegenbeweises
nicht verkannt. Darunter wird nach allgemeinem Sprachgebrauch der Beweis von
Umständen verstanden, die beim Richter Zweifel an der Richtigkeit der
Gegenstand des Hauptbeweises bildenden Sachbehauptungen wachhalten und diesen
dadurch vereiteln sollen. Für das Gelingen des Gegenbeweises ist mithin bloss
erforderlich, dass der Hauptbeweis erschüttert wird, nicht aber auch, dass
der Richter von der Schlüssigkeit der Gegendarstellung überzeugt wird.
Insoweit unterscheidet sich der Gegenbeweis vom Beweis des Gegenteils (BGE
130 III 321 E. 3.4 S. 326, 120 II 393 E. 4b S. 396 f., 115 II 305). Von
diesen Grundsätzen ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es hat den
Beschwerdeführern nicht den (Haupt)Beweis dafür auferlegt, dass X.X.________
seine Aktien nicht an die X.Y.________ AG, sondern an dessen Erben verkauft
habe. Der von den Beschwerdeführern behauptete Widerspruch liegt nicht vor.

4.
4.1 Damit bleibt einzig die Frage zu prüfen, ob die Feststellung, die
X.Y.________ AG habe die Aktien von X.X.________ erworben, offensichtlich
unrichtig ist.

4.2 Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung nicht schon
dann, wenn Zweifel an ihrer Richtigkeit bestehen, sondern erst, wenn ihre
Unrichtigkeit in die Augen springt. Das ist hier nicht der Fall.

4.3 Gemäss dem Bericht des Experten, der im Auftrag der
Steuerrekurskommission beim Konkursamt Zürich-Aussersihl die Akten der
inzwischen liquidierten X.Y.________ AG ausgewertet hat, ist das Aktienbuch
für das Jahr 1992 nicht mehr auffindbar. In den Konkursunterlagen befand sich
indessen ein Tresorinventar per 16. Dezember 1994, woraus sich entnehmen
lässt, dass die Gesellschaft die streitigen Aktien am 17. Juli 1992 von
X.X.________ erworben hat. In der Buchhaltung findet sich unter diesem Datum
eine entsprechende Buchung ("Kauf Aktien von Th. Läderach"). Per 31. Dezember
1992 wurden die für Fr. 300'000.-- erworbenen Wertpapiere auf das Konto
"eigene Aktien" umgebucht. Diesen Buchungen hat das Verwaltungsgericht zu
Recht erhöhte Beweiskraft beigemessen, zumal keine Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass die Buchhaltung formell nicht ordnungsgemäss geführt war. Die
darauf gestütze Vermutung, dass X.X.________ die Aktien an die X.Y.________
AG verkauft habe, vermögen die Beschwerdeführer nicht zu entkräften. Dass
keine Belege für die Buchungen vorliegen und das Aktienbuch nicht mehr
auffindbar war, reicht hiefür nicht aus, ebenso wenig der Umstand, dass sich
entgegen der Darstellung im Entscheid der Steuerrekurskommission in den Akten
keine Quittung über die Kaufpreiszahlung findet.

4.4 Die Beschwerdeführer vermögen für ihre eigene Sachdarstellung, wonach die
Aktien an die Erben von X.Y.________ verkauft worden seien, keine
beweiskräftigen Unterlagen beizubringen. Sie berufen sich auf einen von ihnen
zu den Akten gegebenen undatierten und unvollständigen Auszug aus dem
Protokoll der Generalversammlung der X.Y.________ AG vom 17. Juli 1992, mit
folgendem Wortlaut:

"Rein zur Information wird festgestellt, dass mit dem Ausscheiden von
X.X.________ aus dem Verwaltungsrat er auch darum gebeten hat, seine Aktien
verkaufen zu dürfen. Diesem Verkaufsgesuch wurde entsprochen und X.X.________
hat für zwei Namenaktien à Fr. 1'000.--, Nr. 324 und 325, sowie 452
Namenaktien à Fr. 100.--, Nr. 949 - 1400, einen Totalbetrag von
Fr. 300'000.-- erhalten. Die Erben des X.Y.________ werden zu gegebener Zeit
der Verwaltungsrat der X.Y.________ AG bekannt geben, wer neu ins Aktienbuch
einzutragen ist. Die Aktienzertifikate Nr. 12 und 17 wurden von X.X.________
rechtsgültig indossiert."

Dieser Protokollauszug vermag jedoch eine eigentliche Vertragsurkunde nicht
zu ersetzen. Er spricht zwar dafür, dass X.X.________ seine Aktien verkauft
und dafür eine Gegenleistung von Fr. 300'000.-- erhalten hat, doch lässt sich
ihm nicht eindeutig entnehmen, wer der Käufer der Aktien war und wer
X.X.________ den Kaufpreis bezahlt hat. Wohl lässt der Wortlaut des
Protokollauszugs darauf schliessen, dass die Aktien letztendlich in das
Eigentum der Erben von X.Y.________ übergehen sollten. Dass einstweilen offen
gelassen wurde, wer als Nachfolger des Verkäufers ins Aktienbuch eingetragen
werden sollte, lässt sich aber zwangslos auch so interpretieren, dass sie in
einer ersten Phase auf die X.Y.________ AG übergehen und erst zu gegebener
Zeit, z.B. nach Einigung über die Höhe der Anteile oder nach Beschaffung des
Kaufpreises, auf die Erben übertragen werden sollten, was indessen in der
Folge nicht geschah. Auf jeden Fall hat die Gesellschaft die Aktien vom 17.
Juli 1992 an bis zu ihrer konkursamtlichen Liquidation in ihren Büchern
geführt, was auch dem Tresorinventar entspricht und was die Beschwerdeführer
im Übrigen gar nicht bestreiten. Wollte man ihrer Sachdarstellung folgen,
würde dies voraussetzen, dass die fraglichen Aktien von den Erben zu einem
späteren Zeitpunkt und ohne entsprechende Erfassung in der Buchhaltung an die
Gesellschaft weiterverkauft worden sind. Dafür fehlen aber jegliche
Anhaltspunkte. Die Beschwerdeführer schweigen sich darüber aus, wann und
unter welchen Bedingungen eine solche Transaktion stattgefunden haben könnte.

4.5 Wenn das Verwaltungsgericht unter diesen Umständen zum Schluss gelangte,
die Beschwerdeführer hätten die Vermutung der Richtigkeit der Buchhaltung
nicht umzustossen vermocht, weshalb es als erwiesen zu erachten sei, dass
X.X.________ seine Aktien an die X.Y.________ AG und nicht an die Erben von
X.Y.________ verkauft habe, so ist dies zumindest vertretbar. Die
Feststellung der Vorinstanz ist daher nicht offensichtlich unrichtig.

5.
Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann.

Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Kosten den Beschwerdeführern
unter Solidarhaft aufzuerlegen (Art. 65, 66 Abs. 1 und 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Uebersax