Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.481/2007
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2C_481/2007

Urteil vom 11. Dezember 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler,
nebenamtliche Bundesrichterin Stamm Hurter,
Gerichtsschreiber Matter.

A. X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh,

gegen

Justiz- und Polizeidepartement des Kantons
St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen.

Familiennachzug,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 4. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1961 geborene A. X.________, Staatsangehöriger von Serbien, heiratete am
9. Dezember 1999 in zweiter Ehe die in der Schweiz aufenthaltsberechtigte
Landsfrau Y.________. Am 27. Februar 2000 reiste er in die Schweiz ein, wo
ihm in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau
erteilt wurde. Am 18. Mai 2006 erhielt er die Niederlassungsbewilligung.
Die Tochter von A. X.________ aus erster Ehe, die am 23. August 1989 geborene
B. X.________, reiste am 2. August 2006 mit einem Besuchervisum zu ihrem
Vater in die Schweiz ein. Am 21. August 2006 ersuchte dieser um
Familiennachzug für seine Tochter. Das Ausländeramt des Kantons St. Gallen
wies das Gesuch am 23. Oktober 2006 ab und verfügte, B. X.________ habe die
Schweiz bis spätestens 2. November 2006 zu verlassen. Dagegen beschwerte sich
A. X.________ erfolglos beim Justiz- und Polizeidepartement und anschliessend
beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 12. September
2007 beantragt A. X.________ dem Bundesgericht, das verwaltungsgerichtliche
Urteil vom 4. Juli 2007 aufzuheben, den Familiennachzug für seine Tochter zu
bewilligen und das kantonale Ausländeramt anzuweisen, ihr eine
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht, das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St.
Gallen und das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der
Beschwerde.

C.
Am 14. September 2007 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde
antragsgemäss aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.
1.1 Gemäss Art. 17 Abs. 2 Satz 3 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) haben ledige
Kinder von Ausländern, die in der Schweiz niedergelassen sind, Anspruch auf
Einbezug in die Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern, wenn sie mit diesen
zusammenwohnen und noch nicht 18 Jahre alt sind. Der Beschwerdeführer als
Vater der nachzuziehenden Tochter ist im Besitze der
Niederlassungsbewilligung. Er hat am 21. August 2006 um Familiennachzug
ersucht. Die Tochter war zu diesem - im Rahmen von Art. 17 Abs. 2 ANAG
massgeblichen - Zeitpunkt (vgl. BGE 130 II 137 E. 2 S. 141) noch nicht 18
Jahre alt. Damit besteht ein grundsätzlicher Anspruch auf Einbezug der
Tochter in die Niederlassungsbewilligung ihres Vaters. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher zulässig (vgl. Art. 83 lit.
c Ziff. 2 BGG) und der Beschwerdeführer hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1
BGG). Die am 23. August 1989 geborene Tochter des Beschwerdeführers ist heute
volljährig. Der Beschwerdeführer kann sich somit nicht auf Art. 8 EMRK und
Art. 13 BV berufen, da hierfür auf die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt des
bundesgerichtlichen Entscheides abzustellen ist (vgl. BGE 129 II 11 E. 2 S.
13).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn,
dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. 97 Abs. 1 BGG).

2.
Der Beschwerdeführer rügt vorab in formeller Hinsicht, der in Art. 12 des
Übereinkommens über die Rechte der Kinder (Kinderrechtekonvention, KRK; SR
0.107) festgehaltene Gehörsanspruch (vgl. BGE 124 II 361 E. 3c S. 368 mit
Hinweisen) sei verletzt, weil die Vorinstanz auf die beantragte persönliche
Befragung seiner Tochter verzichtet habe. Das Verwaltungsgericht hat aber zu
Recht erwogen, dass die Interessen der Tochter angemessen ins Verfahren
eingebracht werden konnten. Damals noch unmündig, vermochte sie sich durch
ihren anwaltlich vertretenen Vater mittelbar Gehör zu verschaffen. Sie hatte
namentlich die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge gerade auch in Bezug auf die
Notwendigkeit der Betreuung durch ihren Vater in den schriftlichen Eingaben
ausführlich darzulegen. Art. 12 KRK ist dadurch Genüge getan.

3.
Materiell macht der Beschwerdeführer geltend, der Familiennachzug sei zu
Unrecht verweigert worden.

3.1 Die in der Rechtsprechung zu Art. 7 und 17 ANAG entwickelten
Voraussetzungen für den nachträglichen Nachzug von Kindern sind
unterschiedlich, je nachdem ob es sich um die Vereinigung mit den gemeinsamen
Eltern oder aber mit einem getrennt lebenden Elternteil handelt. Im ersten
Fall bedarf es, unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauches, keiner besonderen
Rechtfertigung dafür, dass das Nachzugsrecht erst nachträglich geltend
gemacht wird; im zweiten Fall dagegen wird ein nachträglicher Familiennachzug
nur bewilligt, wenn besondere familiäre Gründe bzw. eine Änderung der
Betreuungssituation dies gebieten. Denn bei einem Kind getrennt lebender
Eltern führt der Umzug in die Schweiz nicht ohne weiteres zu einer engeren
Einbindung in die Familiengemeinschaft. Es wird dabei lediglich eine Obhut
durch eine andere ersetzt, ohne dass die Familie als Ganzes näher
zusammengeführt würde. In solchen Fällen setzt der spätere Nachzug daher
voraus, dass stichhaltige familiäre Gründe, zum Beispiel eine Änderung der
Betreuungsverhältnisse, ein solches Vorgehen gebieten. Diese Gründe müssen
angesichts der drohenden Integrationsschwierigkeiten umso gewichtiger sein,
je älter die nachzuziehenden Kinder sind. Ein aus stichhaltigen Gründen
erforderlicher Nachzug ist regelmässig dann nicht gegeben, wenn im Heimatland
alternative Pflegemöglichkeiten bestehen, die dem Kindeswohl besser
entsprechen, beispielsweise weil dadurch vermieden werden kann, dass die
Kinder aus ihrer bisherigen Umgebung und dem ihnen vertrauten Beziehungsnetz
gerissen werden (vgl. zum Ganzen u.a. BGE 133 II 6 E. 3.1 S. 10 ff. u. E. 5
S. 14 ff.; 130 II 1 E. 2 S. 3 ff.; 129 II 11 E. 3.1 S. 14 f.; 126 II 329 E. 2
u. 3 S. 330 ff.; 125 II 585 E. 2 S. 586 ff.; mit weiteren Hinweisen).

3.2 Vorliegend sind keine zwingenden Gründe ersichtlich, die Tochter des
Beschwerdeführers aus ihrem Heimatland, wo sie ihre gesamte Kindheit
verbracht und ihr soziales Netz hat, kurz vor Erreichung der Volljährigkeit
in die Schweiz nachzuziehen. Dies hat das Verwaltungsgericht annehmen dürfen,
ohne Bundesrecht zu verletzen.

Es steht ausser Frage, dass die Grossmutter - und nicht der Vater - bis in
die jüngste Vergangenheit die primäre Bezugsperson für die Tochter
darstellte. Mit ihr hat sie während rund neun Jahren in der Heimat gelebt,
bevor sie im August 2006 zum Beschwerdeführer in die Schweiz eingereist ist.
Wie die Vorinstanz zu Recht erwogen hat, stehen die dokumentierten
gesundheitlichen Probleme der Grossmutter einer altersgerechten Betreuung von
B. X.________ nicht entgegen, soweit eine solche für die damals 17- und heute
19-Jährige überhaupt noch erforderlich ist. Das Verwaltungsgericht ist
zutreffend davon ausgegangen, dass B. X.________ für die täglichen
Verrichtungen nicht mehr der Unterstützung ihrer Grossmutter bedarf und
dieser sogar, allenfalls unter Mithilfe ihres Bruders oder Dritter, beistehen
kann. Auch bilden die im Alter von B. X.________ anstehenden Entscheidungen
hinsichtlich der weiteren persönlichen Entwicklung keinen zwingenden Grund
für eine Änderung der Betreuungsverhältnisse, zumal sie dabei der in der
Heimat lebende Bruder, die Grossmutter sowie ihre Mutter unterstützen können
und auch der Beschwerdeführer von der Schweiz aus seinen notwendigen Beitrag
dazu leisten kann (vgl. BGE 124 II 361 E. 4b S. 370). Ausserdem hat der
Beschwerdeführer anlässlich seines Wegzugs in die Schweiz die Trennung von
seinen Kindern aus erster Ehe freiwillig herbeigeführt und allfällige
Schwierigkeiten bei deren Betreuung in der Heimat von Anfang an in Kauf
genommen (vgl. BGE 129 II 11 E. 3.4 S. 17 mit Hinweis).

3.3 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag ein anderes Ergebnis
nicht zu rechtfertigen:
Insbesondere hat er nicht hinreichend dargetan, dass und warum die
Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Betreuungssituation
im grossmütterlichen Haushalt offensichtlich unrichtig seien (vgl. oben E.
1.2) oder auf einer Rechtsverletzung beruhen sollen. Im Wesentlichen
beschränkt sich seine Eingabe auf blosse Bestreitungen oder die Wiederholung
von Behauptungen, die von der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung abweichen.
Dies reicht nicht aus, um die massgeblichen Feststellungen als qualifiziert
mangelhaft erscheinen zu lassen. Das gilt auch insofern, als die Vorinstanz
bezweifelt hat, dass die Mutter von B. X.________ keine familiären
Beziehungen zu ihrer Tochter pflege.
Im Übrigen kann nicht berücksichtigt werden, dass die Tochter seit August
2006 beim Vater in der Schweiz weilt. Ihr war nur ein kurzfristiger
Besuchsaufenthalt bewilligt worden. In der Folge konnte sie nur deshalb in
der Schweiz bleiben, weil der Aufenthalt während des laufenden Verfahrens
geduldet wurde. Ebenso wenig lässt der Umstand, dass B. X.________ angeblich
über gute Deutschkenntnisse verfügt und sich um eine Integration bemüht, den
angefochtenen Entscheid als unverhältnismässig erscheinen.

3.4 Zusammenfassend haben die kantonalen Behörden mit der Ablehnung des
Gesuchs um Nachzug der Tochter B. X.________ kein Bundesrecht verletzt.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der
Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art.
66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Dezember 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Matter