Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.476/2007
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2C_476/2007/leb

Urteil vom 19. Dezember 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.

A. X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwalt Ruedi Bollag,

gegen

Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude,
8510 Frauenfeld.

Aufenthaltsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
15. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Der türkische Staatsangehörige A.X.________ (geb. 1977) heiratete im
September 2001 in Turhal/TR die ebenfalls aus der Türkei stammende Schweizer
Bürgerin B.X.________ (geb. 1983). Im Dezember 2001 reiste er in die Schweiz
ein, wo er eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau
erhielt. Die Eheleute X.________ stellten am 23. Mai 2005 ein gemeinsames
Scheidungsbegehren beim Bezirksgericht Bischofszell; sie leben seit dem 1.
Juni 2005 getrennt. Anlässlich der gerichtlichen Anhörung vom 7. Juni 2005
erklärte A.X.________ jedoch, die Scheidung nicht mehr zu wollen, worauf
seine Ehefrau zwar an ihren Ausführungen in der Scheidungsklage festhielt,
diese aber mit Blick auf die zweijährige Wartefrist zurückzog. Mit Schreiben
vom 15. November 2005 an das Ausländeramt (nunmehr Migrationsamt) des Kantons
Thurgau legte sie dar, zwischen ihr und ihrem Ehemann habe - entgegen den
anderslautenden Erklärungen ihres Ehemannes - keine Annäherung stattgefunden;
dieser bedrohe sie mit dem Tod und sie werde nie mehr mit ihm zusammenkommen.

Am 15. Dezember 2005 wies das kantonale Ausländeramt das Gesuch von
A.X.________ um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab und wies ihn auf
den 31. März 2006 aus dem thurgauischen Kantonsgebiet weg. Die von
A.X.________ dagegen gerichteten Rechtsmittel wurden vom Departement für
Justiz und Sicherheit und vom Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
abgewiesen.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 12. September
2007 beantragt A.X.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 15. August 2007 aufzuheben und
das Migrationsamt des Kantons Thurgau anzuhalten, seine
Aufenthaltsbewilligung zu verlängern.

Das Departement für Justiz und Sicherheit und das Verwaltungsgericht sowie
das Bundesamt für Migration beantragen, die Beschwerde abzuweisen.

C.
Am 14. September 2007 erkannte der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen
Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20; in der Fassung vom 23. März
1990) hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers grundsätzlich
Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sowie nach
einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren auf
Erteilung der Niederlassungsbewilligung; der Anspruch erlischt, wenn ein
Ausweisungsgrund vorliegt.

Da die Ehe des Beschwerdeführers mit einer Schweizerin formell noch besteht,
ist auf die Beschwerde einzutreten (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; BGE 128 II
145 E. 1.1.2, mit Hinweisen).

2.
2.1 Kein Bewilligungsanspruch besteht, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um
die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und
namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen (Art. 7
Abs. 2 ANAG). Erfasst wird davon insbesondere die sog. Scheinehe bzw.
Ausländerrechtsehe, bei der die Ehegatten von vornherein keine echte eheliche
Gemeinschaft beabsichtigen. Auch wenn die Ehe nicht bloss zum Schein
eingegangen worden ist, ist zu prüfen, ob sich die Berufung auf die Ehe nicht
anderweitig als rechtsmissbräuchlich erweist; dies ist namentlich dann der
Fall, wenn ein Ausländer sich im fremdenpolizeilichen Verfahren auf eine Ehe
beruft, welche nur noch formell besteht oder aufrechterhalten wird mit dem
alleinigen Ziel, dem Ausländer eine Anwesenheitsbewilligung zu ermöglichen
(BGE 130 II 113 E. 4.2, mit Hinweisen).

2.2 Das Verwaltungsgericht geht im vorliegenden Fall von einer solchen
rechtsmissbräuchlichen Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe aus.

2.3 Ein Rechtsmissbrauch darf nicht schon allein deshalb angenommen werden,
weil die Ehegatten nicht mehr zusammenleben oder ein Eheschutz- oder
Scheidungsverfahren eingeleitet worden ist. Erforderlich sind klare Hinweise
darauf, dass die Führung einer Lebensgemeinschaft - aus welchen Gründen auch
immer - nicht mehr beabsichtigt und nicht mehr zu erwarten ist (BGE 130 II
113 E. 4.2, mit Hinweisen). Solche Indizien müssen bereits vor Ablauf der
Fünfjahresfrist, d.h. vor Erlangung des grundsätzlichen Anspruches auf die
Niederlassungsbewilligung vorgelegen haben (BGE 121 II 97 E. 4c). Ob die Ehe,
auf welche sich der Ausländer beruft, seither noch gelebt wurde oder Bestand
hatte, ist grundsätzlich unerheblich (Urteil 2C_241/2007 vom 12. Oktober 2007
E. 3, mit Hinweisen).

2.4 Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist am 1. Juni 2005 aus der gemeinsamen
Wohnung ausgezogen und hat unverzüglich das Scheidungsverfahren eingeleitet;
sie reichte dazu das auch vom Beschwerdeführer unterzeichnete gemeinsame
Scheidungsbegehren vom 23. Mai 2005 ein. Da der Beschwerdeführer aber
anlässlich der Verhandlung vor dem Bezirksgerichtspräsidenten erklärte, er
wolle die Scheidung nicht mehr, zog die Ehefrau die Scheidungsklage zurück;
dies mit der Begründung, dass hinreichende Gründe für ein einseitiges
Scheidungsbegehren vor Ablauf der zweijährigen Trennungsfrist kaum belegt
werden könnten, auch wenn sie unabrückbar an ihren Ausführungen festhalte. In
ihrem Schreiben vom 15. November 2005 an das Ausländeramt bekräftigte die
Ehefrau des Beschwerdeführers, sie werde nie mehr mit diesem zusammenkommen;
er laufe ihr ständig über den Weg und drohe sie zu verletzen; sie hasse ihren
Ehemann; schliesslich ersuchte sie den zuständigen Sachbearbeiter zu schauen,
dass ihr Mann die Schweiz verlasse, ansonsten sie in der Schweiz nie ein
normales Leben weiterführen könne. Am 23. November 2005 hat sie dem
Sachbearbeiter telefonisch bestätigt, sie möchte nie mehr im Leben mit ihrem
Mann zusammenkommen; sie fühle sich von diesem belästigt; er sei ihr grösster
Feind. Zudem habe sie nun in der Türkei die Scheidung beantragt. In einem
weiteren Brief vom 9. Dezember 2005 teilte sie dem Ausländeramt mit, ihr Mann
belästige sie jetzt nicht mehr; er laufe ihr "so zu sagen" nicht mehr über
den Weg; sie wolle, das ihr Mann in der Schweiz bleibe, sie sei keine
leidtragende Person.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist es nicht unhaltbar, wenn das
Verwaltungsgericht zum Schluss kam, dass nach dem Verlassen der gemeinsamen
Wohnung durch die Ehefrau nicht mehr an ein eheliches Zusammenleben zu denken
war. Dies gilt auch für die Feststellung, die Haltung der Ehefrau
hinsichtlich ihrer Absicht auf Scheidung der Ehe sei konsequent und
unwidersprüchlich. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, erschöpft sich
in einer eigenen, abweichenden Auslegung der verschiedenen Äusserungen der
Ehefrau und lässt die Folgerungen des Verwaltungsgerichts nicht als
offensichtlich unrichtig erscheinen. Angesichts der klaren Haltung der
Ehefrau durfte das Verwaltungsgericht auch in zulässiger antizipierter
Beweiswürdigung darauf verzichten, weitere Befragungen vorzunehmen. Selbst
wenn der Beschwerdeführer sich um ein Zusammenkommen bemüht haben sollte -
was das Verwaltungsgericht keineswegs verkennt -, kann kein Zweifel daran
bestehen, dass für die Ehefrau nach dem Verlassen der ehelichen Wohnung eine
Wiederaufnahme der ehelichen Beziehung zu keinem Zeitpunkt mehr in Frage kam.
Der Beschwerdeführer bringt keine überzeugenden Indizien vor, die darauf
schliessen lassen könnten, die Ehefrau sei inzwischen von dieser klaren
Haltung abgewichen. Eine offensichtlich unzutreffende Feststellung des
Sachverhalts liegt nicht vor.

2.5 Unter den gegebenen Umständen durfte das Verwaltungsgericht gestützt auf
die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichts - die von ihm entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers nicht verkannt wird - ohne Verletzung von
Bundesrecht annehmen, die Ehe des Beschwerdeführers habe im massgebenden
Zeitpunkt der Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung bereits seit einiger
Zeit nur noch formell bestanden und seine Berufung darauf sei als
rechtsmissbräuchlich zu werten. Es kann auf diese Ausführungen verwiesen
werden (angefochtenes Urteil E. 2b).

3.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der
Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Dezember 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Küng