Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.472/2007
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2C_472/2007 /bru

Urteil vom 25. Februar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler,
Gerichtsschreiberin Dubs.

X. _______,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Anita Hug,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn,
vertreten durch das Amt für öffentliche Sicherheit, Abteilung
Ausländerfragen, des Kantons Solothurn.

Widerruf der Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom
31. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Die marokkanische Staatsangehörige X._______ (geb. 1972) heiratete am 11.
Juni 2001 den Schweizer Bürger Y._______. Gestützt auf die Heirat wurde ihr
eine Aufenthaltsbewilligung erteilt.

Nachdem die Ehegatten seit dem 10. Oktober 2004 getrennt lebten, erklärten
sie dem Amt für öffentliche Sicherheit, Abteilung Ausländerfragen, des
Kantons Solothurn Ende 2004 übereinstimmend, sie hätten nur aus beruflichen
Gründen zwei getrennte Wohnungen bezogen, eine Scheidung sei nicht geplant
und X._______ sei in der 24. Woche schwanger. In ihren praktisch identischen
Stellungnahmen vom 17. April bzw. vom 24. April 2005 anlässlich der
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung teilten die Ehegatten mit, die Geburt
des Kindes stehe bevor, der Ehemann habe im Zusammenhang mit dem Strafvollzug
mit Electronic Monitoring zur Zeit Wohnsitz bei seiner Mutter in Grenchen,
aber sie hätten mindestens zweimal wöchentlich persönlichen Kontakt und
verfügten über eine gemeinsame Wohnung in Solothurn. Am 25. April 2005 wurde
die Tochter Z._______ geboren. Am 18. Mai 2006 wurde X._______ die
Niederlassungsbewilligung erteilt.

Als die Abteilung Ausländerfragen durch die Einwohnerdienste der Stadt
Solothurn von der freiwilligen Trennung der Ehegatten per 1. August 2006
Kenntnis erhalten hatte, führte sie am 17. Januar 2007 eine Befragung der
Betroffenen durch. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass der Ehegatte
nicht der Vater der Tochter Z._______ ist.

B.
Mit Verfügung vom 27. Februar 2007 widerrief das Departement des Innern des
Kantons Solothurn, Abteilung Ausländerfragen, die durch falsche Angaben
erschlichene Niederlassungsbewilligung von X._______, erteilte ihr aber
aufgrund der bestehenden Mutter-Tochter-Beziehung eine
Aufenthaltsbewilligung.

Auf Beschwerde hin bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn
den Widerruf der Niederlassungsbewilligung, jedoch mit der Begründung, im
Zeitpunkt der Erteilung der Bewilligung sei die Ehe bereits definitiv
gescheitert gewesen bzw. nur noch aus ausländerrechtlichen Gründen aufrecht
erhalten worden.

C.
Mit Beschwerde vom 11. September 2007 beantragt X._______, die Verfügung des
Amts für öffentliche Sicherheit, Abteilung Ausländerfragen, vom 27. Februar
2007 aufzuheben und ihr die Niederlassungsbewilligung zu belassen. Mit
Eingaben vom 18. bzw. 27. September 2007 ersucht sie zudem um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Departement des Innern, Abteilung Ausländerfragen, und das
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn sowie das Bundesamt für Migration
beantragen, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Gegen kantonal letztinstanzliche Entscheide über den Widerruf von
Niederlassungsbewilligungen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten zulässig (Art. 83 lit. c BGG e contrario). Das Rechtsmittel,
das sich sinngemäss gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
Solothurn vom 31. Juli 2007 richtet, ist als solche entgegenzunehmen. Soweit
damit auch die Aufhebung der erstinstanzlichen Verfügung des Amts für
öffentliche Sicherheit, Abteilung Ausländerfragen, vom 27. Februar 2007
beantragt wird, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (Art. 86
Abs. 1 lit. d BGG).

1.2 Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die
Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 142.20) in Kraft
getreten. Vorliegend ist jedoch noch das Bundesgesetz vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) massgebend (Art. 126 Abs. 1
AuG analog).

1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn,
dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine
entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substantiiert vorzubringen ist
(Art. 42 Abs. 2 BGG), setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels sich
für den Ausgang des Verfahrens als entscheidend erweist (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.
2.1 Nach Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG kann eine Niederlassungsbewilligung
widerrufen werden, wenn der Ausländer sie durch falsche Angaben oder
wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat. Der
Widerruf setzt voraus, dass der Betroffene wissentlich falsche Angaben
gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat, in der Absicht, gestützt
darauf den Aufenthalt oder die Niederlassung bewilligt zu erhalten (Urteile
des Bundesgerichts 2A.33/2007 vom 9. Juli 2007 E. 4.1, 2A.129/2006 vom 27.
Juni 2006 E. 2.2, 2A.436/2003 vom 6. Januar 2004 E. 3.1; BGE 112 Ib 473 E. 3b
S. 475 f.). Nach Art. 3 Abs. 2 ANAG ist der Ausländer verpflichtet, der
Behörde über alles, was für den Bewilligungsentscheid massgebend sein kann,
wahrheitsgetreu Auskunft zu geben. Wesentlich sind dabei nicht nur Umstände,
nach denen die Fremdenpolizei ausdrücklich fragt, sondern auch solche, von
denen der Gesuchsteller wissen muss, dass sie für den Bewilligungsentscheid
relevant sind (Urteile 2A.511/2001 vom 10. Juni 2002, publ. in: Pra 2002 Nr.
163, E. 3.2; 2A.57/2002 vom 20. Juni 2002, publ. in: Pra 2002 Nr. 165, E.
2.2, je mit Hinweisen). Das Erschleichen einer Niederlassungsbewilligung
durch falsche Angaben oder durch wissentliches Verschweigen von Tatsachen
kann schon darin liegen, dass die Angaben, auf welche sich die Behörden bei
der seinerzeitigen Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gestützt hatten oder
die bei späteren Verlängerungen der Aufenthaltsbewilligung oder bei der
Erteilung der Niederlassungsbewilligung mangels anderer Angaben immer noch
als massgebend betrachtet werden konnten, falsch oder unvollständig waren
(Urteil 2A.511/2001 vom 10. Juni 2002 E. 3.2).
2.2
Die Voraussetzungen, unter denen eine Niederlassungsbewilligung gestützt auf
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG widerrufen werden kann, werden im angefochtenen
Urteil an sich zutreffend geschildert. In der Folge kommt das
Verwaltungsgericht aber zum Schluss, der Beschwerdeführerin könne nicht
vorgeworfen werden, bezüglich der Vaterschaft ihrer Tochter wissentlich
falsche Angaben gemacht zu haben. Es bestätigt jedoch den Widerruf der
Niederlassungsbewilligung mit der Begründung, die Ehe sei bereits im
Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungsbewilligung als definitiv
gescheitert anzusehen gewesen, zumal der Ehemann schon vor dem 1. August 2006
nicht mehr mit der Beschwerdeführerin zusammen gewohnt und damals bereits
eine neue Freundin gehabt habe.

Diese Argumentation verkennt, dass eine einmal erteilte
Niederlassungsbewilligung nur unter den qualifizierten Voraussetzungen von
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG widerrufen werden kann. Der blosse Umstand, dass
die Ehe schon vor Ablauf der Fünfjahresfrist gemäss Art. 7 ANAG definitiv
gescheitert war und alsdann aufgrund des Rechtsmissbrauchsverbotes ein
Anspruch auf Niederlassungsbewilligung nicht hätte geltend gemacht werden
können, genügt für sich allein nicht. Der Widerruf setzt vielmehr voraus,
dass die Niederlassungsbewilligung durch falsche Angaben oder wissentliches
Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen worden ist.

Trotz dieses Mangels der rechtlichen Begründung erweist sich das angefochtene
Urteil im Ergebnis als bundesrechtskonform. Das Bundesgericht ist zwar an die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden (vgl. E. 1.3), nicht aber
an die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen. Das
Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die Beschwerdeführerin und ihr
Ehemann die aussereheliche Vaterschaft seinerzeit bereits dem Zivilstandsamt
mitgeteilt hätten. Die Beschwerdeführerin bestätigt ihrerseits vor
Bundesgericht, sie habe schon damals einen Landsmann als mutmasslichen Vater
des Kindes angegeben. Gestützt darauf nahm das Verwaltungsgericht an, in der
Nichterwähnung dieses Umstandes im späteren Gesuch um Erteilung der
Niederlassungsbewilligung sei keine wissentlich falsche Angabe zu erblicken.
Dieser rechtlichen Beurteilung kann nicht gefolgt werden. Im Formular
"Erteilung einer Niederlassungsbewilligung" wurde unter anderem nach den
"gemeinsamen Kindern mit dem jetzigen Ehepartner" wie auch nach "Kindern aus
einer anderen Ehe/Beziehung" gefragt. Dass die Beschwerdeführerin bereits
zuvor gegenüber dem Zivilstandsbeamten die aussereheliche Vaterschaft ihres
Kindes deklariert hatte, entband sie nicht von der Pflicht, diese Tatsache
auch im Gesuch um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung offenzulegen. Ob
die verschwiegene aussereheliche Vaterschaft schon für sich allein zur
Verweigerung der Niederlassungsbewilligung geführt hätte, ist nicht
entscheidend. Durch die Bekanntgabe dieses Umstandes hätte sich die
Ausländerbehörde jedenfalls veranlasst gesehen bzw. sehen müssen, die
Beziehung der Ehegatten näher zu überprüfen, was zur Offenlegung des im
angefochtenen Urteil dargelegten Sachverhalts betreffend die bereits seit
einiger Zeit nur noch formell bestehende Ehe geführt hätte. Dies hätte
aufgrund des Vorbehaltes von Art. 7 Abs. 2 ANAG die Verweigerung der
Niederlassungsbewilligung zur Folge gehabt. Zusammenfassend ergibt sich, dass
das Verhalten der Beschwerdeführerin den Tatbestand des Erschleichens der
Niederlassungsbewilligung und damit den Widerrufsgrund gemäss Art. 9 Abs. 4
lit. a ANAG erfüllt.

2.3 Zu prüfen bleibt, ob sich der Widerruf der Niederlassungsbewilligung
vorliegend als verhältnismässig erweist. Da die kantonale Behörde der
Beschwerdeführerin den weiteren Aufenthalt in der Schweiz nicht verweigert,
sondern ihr anstelle der Niederlassungsbewilligung eine
Aufenthaltsbewilligung erteilt hat, hält der verfügte Widerruf ohne weiteres
auch vor dem Gebot der Verhältnismässigkeit stand. Allfällige wirtschaftliche
Folgen des Verlusts der Niederlassungsbewilligung stellen die Zulässigkeit
der angefochtenen Anordnung nicht in Frage. Im Übrigen arbeitet die
Beschwerdeführerin als Kellnerin und somit in einem Beruf, der ohnehin auch
durch eine Ausländerin mit Aufenthaltsbewilligung ausgeübt werden kann.

3.
3.1 Die Beschwerde erweist sich damit im Ergebnis als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

3.2 Bei diesem Verfahrensausgang würde die Beschwerdeführerin grundsätzlich
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat jedoch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege ersucht (Art. 64 Abs. 1 BGG). Da sie gemäss den
eingereichten Unterlagen nicht über genügende eigene Mittel verfügt und ihr
Rechtsbegehren aufgrund der irrigen Argumentation des angefochtenen Urteils
nicht zum Vornherein als aussichtslos erscheinen musste, ist dem gestellten
Begehren insoweit zu entsprechen, als auf die Erhebung von Gerichtskosten zu
verzichten ist. Die Bestellung der Rechtsvertreterin zum unentgeltlichen
Rechtsbeistand wurde nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - beantragt, und
eine dahingehende Auslegung des Gesuches drängt sich auch nicht auf, nachdem
dieses erst nachträglich im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Leistung
eines Kostenvorschusses gestellt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Departement des Innern,
Abteilung Ausländerfragen, und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn
sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Februar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Merkli Dubs