Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.446/2007
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2C_446/2007

Urteil vom 22. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen,
Gerichtsschreiber Merz.

X. ________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch die Advokaten Prof. Dr. Peter Böckli und Jan Bangert,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt, Fischmarkt 10, 4051 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Art. 29 BV und Art. 50 StHG (Streitgegenstand im Steuerrekursverfahren),

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht vom 1. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG verkaufte am 19. Dezember 2000 eine Liegenschaft in Basel.
Die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt veranlagte hierauf am
15. Februar 2002 eine Grundstückgewinnsteuer von Fr. 111'784.10 (inkl. Zins).
Die X.________ AG wehrte sich dagegen und machte Verrechnung mit früheren
Verlusten geltend. Die kantonalen Instanzen verwarfen eine solche
Verrechnungsmöglichkeit. Bei den zur Verrechnung gestellten Positionen handle
es sich um Betriebs- und nicht um Grundstückverluste. Ausserdem hätten die
Behörden der X.________ AG nie zugesichert, eine solche Verrechnung vornehmen
zu können. Das als letzte kantonale Instanz in dieser Sache entscheidende
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt befasste sich in seinem Urteil
vom 1. Juni 2007 materiell nur mit der Frage der angeblichen Zusicherung. Auf
die zusätzlich erhobene Rüge, das Steuergesetz ermögliche eine Verrechnung
mit früheren Verlusten, trat es ausdrücklich nicht ein.

B.
Die X.________ AG beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 3. September 2007, das Urteil des
Appellationsgerichts vom 1. Juni 2007 aufzuheben und diese Instanz
anzuweisen, auf den bei ihr eingereichten Rekurs "vollumfänglich einzutreten
und die Streitsache nach materieller Prüfung aller darin erhobenen Rügen neu
zu entscheiden".

C.
Das Appellationsgericht und die Eidgenössische Steuerverwaltung stellen
Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Die Steuerverwaltung des Kantons
Basel-Stadt hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 73 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR
642.14) kommt beim Bundesgericht eingereichten Beschwerden, die eine in den
Titeln 2 - 5 und 6 Kapitel 1 geregelte Materie betreffen, lediglich
kassatorische Wirkung zu. Es fragt sich allerdings, ob eine Streichung dieser
Norm bei Erlass des Bundesgerichtsgesetzes nicht aus Versehen unterblieben
ist, da das Bundesgericht in den übrigen Fällen auch in der Sache selber
entscheiden kann (Art. 107 Abs. 2 BGG; vgl. Ulrich Meyer, Basler Kommentar
zum BGG, Basel 2008, Fn. 2 zu Art. 107; Michael Beusch, Die
Einheitsbeschwerde im Steuerrecht, IFF Forum für Steuerrecht 2007 S. 8 f.).
Ob auch auf den Antrag der Beschwerdeführerin, der über die blosse Aufhebung
des angefochtenen Entscheids hinausgeht, einzutreten ist, kann indessen offen
bleiben, da ihr Rechtsmittel aus den nachstehenden Erwägungen ohnehin
abzuweisen ist.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz einzig vor, von einem zu engen
Verständnis des Streitgegenstands ausgegangen zu sein und dadurch ihren
Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Verbot der Rechtsverweigerung (Art.
29 Abs. 1 und 2 BV) verletzt sowie Art. 50 StHG und kantonalrechtliche
Bestimmungen willkürlich ausgelegt zu haben.

2.2 Die Vorinstanz legt ihrem Entscheid den gleichen Begriff des
Streitgegenstands zugrunde wie die bundesgerichtliche Rechtsprechung, da eine
ausdrückliche Regelung desselben im kantonalen Recht fehlt. Im Verfahren der
nachträglichen Verwaltungsrechtspflege gilt danach als Streitgegenstand das
Rechtsverhältnis, das Gegenstand der angefochtenen Verfügung bildet, in dem
Umfang, in dem es im Streit liegt. Beschwerdebegehren, die neue, in der
angefochtenen Verfügung nicht geregelte Fragen aufwerfen, überschreiten den
Streitgegenstand und sind deshalb unzulässig. Denn in einem
Rechtsmittelverfahren kann der Streitgegenstand grundsätzlich nur
eingeschränkt, aber nicht ausgeweitet werden (BGE 131 II 200 E. 3.2 S. 203
mit Hinweisen). Was Streitgegenstand ist, bestimmt sich nach dem
angefochtenen Entscheid und den Parteibegehren (BGE 133 II 35 E. 2 S. 38).
Auch wenn zum Verständnis der Anträge auf die Begründung zurückgegriffen
werden muss, ergibt sich der Streitgegenstand stets aus der beantragten
Rechtsfolge und nicht aus deren Begründung, die sich regelmässig aus
verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Aspekten zusammensetzt (vgl. BGE
131 II 200 E. 3.3 S. 203 f.). Der Rechtsprechung liegt damit grundsätzlich
eine "objektmässige" und nicht eine "aspektmässige" Umschreibung des
Streitgegenstands zugrunde (vgl. Christoph Auer, Streitgegenstand und
Rügeprinzip im Spannungsfeld der verwaltungsrechtlichen Prozessmaximen, Diss.
Bern 1997, S. 41 f. und 75). In sozialversicherungsrechtlichen
Angelegenheiten ist dieses Verständnis in der jüngsten Praxis - in Abgrenzung
zur früheren restriktiveren Praxis - besonders deutlich formuliert worden:
Der Streitgegenstand umfasst immer ein ganzes Rechtsverhältnis und nicht
lediglich einen Teilaspekt desselben (BGE 125 V 413 E. 2 S. 415 ff.).
2.3 Die Beschwerdeführerin beantragte im kantonalen Verfahren stets, es sei
der Grundstückgewinn aus dem Verkauf vom 19. Dezember 2000 auf Fr. 0.--
festzusetzen. Im Lichte der dargestellten Rechtsprechung wird der
Streitgegenstand von diesem Begehren und nicht von den dafür vorgebrachten
Begründungen umschrieben. Der Beschwerdeführerin ist es deshalb grundsätzlich
freigestellt, welche rechtlichen Argumente sie zur Stützung ihres Begehrens
vorbringen will. Sie kann im Rahmen des Streitgegenstands im Verlaufe des
Rechtsmittelverfahrens neue Begründungen vortragen oder frühere - in der
Zwischenzeit nicht mehr erwähnte - erneut geltend machen. Der Umstand, dass
die Beschwerdeführerin vor der Steuerrekurskommission die Verrechnung des von
ihr erzielten Grundstückgewinns mit früheren Grundstückverlusten allein auf
den Schutz ihres Vertrauens in ihr erteilte Auskünfte stützte, verwehrt es
ihr demnach grundsätzlich nicht, sich vor Appellationsgericht auch auf eine
unrichtige Anwendung der massgeblichen kantonalen Gesetzesbestimmungen zu
berufen.

2.4 In der Literatur wird zwar die Meinung vertreten, in der hier zu
beurteilenden Situation sei eine aspektmässige Umschreibung des
Streitgegenstands teilweise zulässig. Der Streit über die richtige Anwendung
der Normen zur Grundstückgewinnsteuer werde durch die gleichzeitige Anrufung
eines gebietsübergreifenden - also nicht auf die fragliche Materie
bezogenen - Grundrechts überlagert, so dass er dadurch eine neue
eigenständige Dimension erhalte. Eine Rechtsmittelinstanz brauche deshalb auf
die Rüge einer Verletzung von Treu und Glauben, die bei der Vorinstanz nicht
erhoben wurde, obwohl dies an sich möglich gewesen wäre, nicht mehr
einzutreten (Auer, a.a.O., S. 193 ff.). Vorliegend geht es allerdings nicht
darum, ob sich die Vorinstanz mit dem gebietsübergreifenden Grundrecht
befassen musste, sondern ob sie zusätzlich die Anwendung des Rechts der
Grundstückgewinnsteuer zu prüfen hatte. Eine nähere Auseinandersetzung mit
der dargestellten Literaturmeinung erübrigt sich ohnehin aus den folgenden
Erwägungen.

3.
3.1 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung schliesst nicht aus, dass der
Streitgegenstand, der normalerweise das gesamte Rechtsverhältnis erfasst, auf
Teilaspekte desselben beschränkt wird. So können die Behörden vorab über
einzelne Elemente eines bestimmten Rechtsverhältnisses - zum Beispiel bei
Versicherungsleistungen über den Anspruch als solchen - rechtskräftig
verfügen. Dieser fragliche Teilaspekt bildet dann den Streitgegenstand (BGE
125 V 413 E. 2c S. 416). Eine entsprechende Verengung des Streitgegenstands
kann auch durch Parteierklärung erfolgen. Anerkennt eine Partei ausdrücklich,
dass sich ihr Begehren nicht auf einen bestimmten Rechtsgrund stützt
- beispielsweise die verlangte Reduktion der Einkommenssteuer nicht auf eine
Erhöhung der Berufsauslagen -, kann sie später nicht mehr darauf
zurückkommen. Eine nachträgliche Geltendmachung eines zuvor ausdrücklich
verworfenen Standpunkts liefe auf ein widersprüchliches Verhalten (venire
contra factum proprium) hinaus. Dadurch würde gegen den auch von
Steuerpflichtigen zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5
Abs. 3 BV) verstossen (vgl. BGE 97 I 125 E. 3 S. 130 f.). Die Rechtsprechung
geht noch weiter: Hat eine Partei bei Anfechtung einer steuerlichen
Veranlagung bestimmte Positionen weder im Einsprache- noch im
Beschwerdeverfahren beanstandet oder geltend gemacht, kann sie grundsätzlich
nicht verlangen, dass sich die obere Instanz nun damit auseinandersetzt (vgl.
BGE 103 Ib 366 E. 1 S. 368 ff.). Die ständige Praxis lässt zudem nicht zu,
dass eine Partei beispielsweise Verfahrensmängel erst nach dem Ergehen eines
ungünstigen Entscheids vorbringt, wenn diese bei rechtzeitiger Geltendmachung
noch im vorangehenden Verfahren hätten behoben werden können (BGE 120 Ia 19
E. 2c/aa S. 24; Jean-François Egli, La protection de la bonne foi dans le
procès, in: Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, Zürich
1992, S. 239 f.).
3.2 Die Beschwerdeführerin erklärte in ihrer an die Steuerrekurskommission
gerichteten Rechtsschrift vom 30. September 2002 ausdrücklich, sie bestreite
nicht mehr, dass die Steuerverwaltung das materielle Recht korrekt angewandt
und den Abzug der Grundstückverluste aus dem Jahre 1993 (Betriebsverluste) im
Einklang mit dem revidierten Steuergesetz verweigert habe. Sie stützte ihr
Begehren vor der Steuerrekurskommission daher allein auf ihr angeblich
gemachte Zusicherungen seitens der Steuerbehörden.
Nach dem Gesagten nimmt das Appellationsgericht zu Recht an, die
Beschwerdeführerin habe mit der erwähnten Erklärung den Streitgegenstand
eingeschränkt und könne bei ihm deshalb die Frage nicht mehr erheben, ob nach
dem revidierten Steuergesetz eine Verrechnung der erwähnten Verluste mit dem
jüngsten Grundstückgewinn möglich sei. Die bereits damals anwaltlich
vertretene Partei musste sich der Bedeutung und Tragweite ihrer Erklärung im
Klaren sein (vgl. Auer, a.a.O., S. 187 und 226 f.).
3.3 Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, überzeugt nicht. Es trifft
zwar zu, dass der Entscheid der Steuerrekurskommission nicht allein
Ausführungen zum geltend gemachten Vertrauensschutz (Bindung der Behörden an
gemachte Zusicherungen) enthält, sondern auch kurz erwähnt, eine Verrechnung
mit früheren Geschäftsverlusten sei nicht zulässig. Die
Steuerrekurskommission setzt sich mit dieser Frage aber nicht näher
auseinander, sondern bezieht sich ausdrücklich auf die von der
Beschwerdeführerin in ihrer Rekursbegründung vom 30. September 2002 erklärte
Zustimmung, worauf sie lediglich die Auffassung der Steuerverwaltung
bestätigt. Sie wirft diesbezüglich keine neuen Gesichtspunkte auf und nimmt
damit keine Ausweitung des zuvor durch die Beschwerdeführerin eingeschränkten
Streitgegenstands vor, der diese ihrerseits berechtigte, hierauf bei der
nachfolgenden Instanz zurückzukommen.
Schliesslich bezieht sich die Beschwerdeführerin zu Unrecht auf die in § 169
Abs. 1 des kantonalen Steuergesetzes verankerte Offizialmaxime. Wie das
Bundesgericht bereits festgehalten hat, wollen Vorschriften, nach denen der
Richter in Abgabesachen nicht an die Parteibegehren gebunden ist, dem
objektiven Recht zum Durchbruch verhelfen; sie räumen dem Steuerpflichtigen
aber keinen Anspruch ein, den Streitgegenstand noch vor der oberen Instanz
auf neue Fragen auszudehnen (vgl. BGE 103 Ib 366 E. 1b S. 369 f.).
3.4 Aus diesen Gründen ist der vorinstanzliche Schluss, die Frage der
Verrechenbarkeit des jüngsten Grundstückgewinns mit früheren Verlusten nach
dem kantonalen Steuergesetz sei nicht mehr Streitgegenstand, nicht zu
beanstanden. Es verletzt deshalb den Anspruch auf rechtliches Gehör der
Beschwerdeführerin und die weiteren von ihr angerufenen Normen nicht, wenn
die Vorinstanz auf den genannten Fragenkreis nicht eingetreten ist.

4.
Die Beschwerde erweist sich demzufolge als unbegründet und ist abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen
werden nicht geschuldet (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Steuerverwaltung des Kantons
Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als
Verwaltungsgericht sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Merz