Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.401/2007
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2C_401/2007 / bru

Urteil vom 21. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.

A. X._______,
B.X._______,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Herrn Marcel Wieser,

gegen

Kantonales Steueramt St. Gallen,

Wiederherstellung der Einsprachefrist (Einkommens- und Vermögenssteuern
2003 und 2004),

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 11. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
A. X._______ ist Inhaber einer Einzelfirma im Bereich
Journalismus/Mediaconsulting. Seine Ehefrau B.X._______ ist bei der Z._______
AG angestellt. Trotz wiederholter Mahnungen und Bussen von Fr. 3'000.-- und
Fr. 5'000.-- wegen Verletzung von Verfahrenspflichten reichten die beiden
Steuerpflichtigen die Steuererklärungen 2003 und 2004 nicht ein, worauf sie
am 29. März 2006 vom Steueramt St. Gallen ermessensweise veranlagt wurden
(Staats- und Gemeindesteuern 2003 und 2004: steuerbares Einkommen je
Fr. 207'000.--, steuerbares Vermögen je Fr. 107'000.--; direkte Bundessteuer
2003 und 2004: steuerbares Einkommen je Fr. 198'500.--). Gegen die ihnen am
3. April 2006 eröffneten Veranlagungen der Staats- und Gemeindesteuern
erhoben die Steuerpflichtigen am 6. Mai 2006 Einsprachen. Das kantonale
Steueramt St. Gallen trat auf diese wegen Verspätung nicht ein. Einen gegen
diesen Nichteintretensentscheid gerichteten Rekurs wies die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen ebenso ab wie das zugleich
gestellte Gesuch um Wiederherstellung der versäumten Einsprachefrist. Das
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen wies die von den Steuerpflichtigen
gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. August 2007
beantragen die Steuerpflichtigen dem Bundesgericht, die Einsprachefrist der
Veranlagungen 2003 und 2004 wieder herzustellen und das kantonale Steueramt
anzuweisen, die Einsprache gegen die Veranlagung der Jahre 2003 und 2004
materiell zu behandeln.

Das Kantonale Steueramt und die Eidgenössische Steuerverwaltung (betreffend
die direkte Bundessteuer 2003 und 2004) schliessen auf Abweisung der
Beschwerde.

Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen beantragt, die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Vorinstanz hat erkannt, die Verwaltungsrekurskommission sei zu Recht
davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführer nur gegen die Veranlagung der
Staats- und Gemeindesteuern 2003 und 2004 Einsprache erhoben hatten, womit
die Veranlagungen für die direkten Bundessteuern nicht angefochten worden
seien.

1.2 Die Beschwerdeführer räumen ein, bei "unzulässig grammatikalisch enger
Auslegung" seien ihre Einsprachen nur für die Staats- und Gemeindesteuern
erfolgt; es sei jedoch klar, dass die Willensbildung der Beschwerdeführer
"bei korrekter tatsächlicher Auslegung" auch die direkte Bundessteuer umfasst
habe.

1.3 Die in Frage stehende (schwere) Erkrankung des Beschwerdeführers gilt
sowohl nach kantonalem Steuerrecht als auch nach dem Recht der direkten
Bundessteuer als Fristwiederherstellungsgrund. Die Frage, welche
Steuerveranlagungen mit den Einsprachen angefochten worden sind und damit
Streitgegenstand bildeten, kann deshalb im vorliegenden Fall offen bleiben,
da sie nur dann von Bedeutung wäre, wenn tatsächlich ein
Wiederherstellungsgrund gegeben wäre. Dies ist, wie nachfolgend aufgezeigt
wird, nicht der Fall.

Es ist immerhin anzumerken, dass die Beschwerdeführer ihren Einsprachen die
Steuererklärungen für 2003 und 2004 beigelegt haben, die jeweils sowohl für
die Staats- und Gemeindesteuern als auch die direkte Bundessteuer gelten;
dies wird in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in aller Regel als
genügende Begründung einer Einsprache (selbst) gegen eine
Ermessensveranlagung erachtet (vgl. Urteil 2A.72/2004 vom 4. Juli 2005 E. 5
f., mit Hinweisen).

2.
Die Beschwerdeführer rügen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der
versäumten Einsprachefrist eine "Verletzung von Bundesrecht nach Art. 95 lit.
a BGG". Soweit sie in diesem Zusammenhang Art. 48 Abs. 1 des Bundesgesetzes
vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der
Kantone und Gemeinden anrufen, ist darauf nicht einzutreten. Dieses Gesetz
enthält keine Bestimmung über die Wiederherstellung, weshalb sich diese nach
dem anwendbaren kantonalen Verfahrensrecht richtet. Auch Art. 24 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren, welches
auf das kantonale Verfahren ohnehin grundsätzlich nicht anwendbar ist, hätte
neben der Spezialbestimmung von Art. 133 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 14.
Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) keine
selbständige Bedeutung.

3.
3.1 Die Veranlagungsverfügungen wurden den Beschwerdeführern am 3. April 2006
zugestellt. Es ist unbestritten, dass die dreissigtägige Einsprachefrist am
3. Mai 2006 endete und die Einsprachen am 6. Mai 2006 - verspätet - der Post
übergeben wurden.

3.2 Gemäss Art. 161 des kantonalen Steuergesetzes vom 9. April 1998 (StG/SG)
in Verbindung mit Art. 30 des Gesetzes vom 16. Mai 1965 über die
Verwaltungsrechtspflege (VP/SG) sind für die Wiederherstellung einer
versäumten Frist die Art. 85 ff. des Gerichtsgesetzes vom 2. April 1987
(GerG/SG) anwendbar. Nach Art. 85 Abs. 1 GerG/SG wird eine Frist wieder
hergestellt, wenn der Säumige ein unverschuldetes Hindernis als Ursache der
Säumnis glaubhaft macht. Im gleichen Sinn verlangt Art. 133 Abs. 3 DBG für
das Eintreten auf verspätete Einsprachen den Nachweis des Steuerpflichtigen,
dass er u.a. durch Krankheit an der rechtzeitigen Einreichung verhindert war.

3.3 Auf Wiederherstellung der Frist ist nur zu erkennen, wenn die Säumnis auf
ein "unverschuldetes Hindernis", also auf die - objektive oder subjektive -
Unmöglichkeit, rechtzeitig zu handeln, zurückzuführen ist. Waren der
Gesuchsteller bzw. sein Vertreter wegen eines von ihrem Willen unabhängigen
Umstandes verhindert, zeitgerecht zu handeln, liegt objektive Unmöglichkeit
vor. Subjektive Unmöglichkeit wird angenommen, wenn zwar die Vornahme einer
Handlung objektiv betrachtet möglich gewesen wäre, der Betroffene aber durch
besondere Umstände, die er nicht zu verantworten hat, am Handeln gehindert
worden ist. Die Wiederherstellung ist nach der bundesgerichtlichen Praxis nur
bei klarer Schuldlosigkeit des Gesuchstellers und seines Vertreters zu
gewähren. Ein Krankheitszustand bildet, wenn und solange er jegliches auf die
Fristwahrung gerichtete Handeln verunmöglicht, ein unverschuldetes, zur
Wiederherstellung führendes Hindernis (Urteil 6S.54/2006 vom 2. November 2006
E. 2.2.1, mit Hinweisen).
Doch muss die Erkrankung derart sein, dass der Rechtsuchende durch sie davon
abgehalten wird, selber innert Frist zu handeln oder doch eine Drittperson
mit der Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen. So wurde die
Wiederherstellung etwa einem an einer schweren Lungenentzündung leidenden,
hospitalisierten 60-jährigen Versicherten gewährt; ebenso einem Versicherten,
der wegen schwerer nachoperativer Blutungen massive zerebrale Veränderungen
aufwies, intellektuell stark beeinträchtigt und daher während der gesamten
Rechtsmittelfrist weder fähig war, selber Beschwerde zu erheben, noch sich
bewusst werden konnte, dass er jemanden mit der Interessenwahrung hätte
betrauen sollen. Nicht gewährt wurde die Wiederherstellung dagegen in Fällen
eines immobilisierten rechten Armes bzw. einer schweren Grippe, wo keine
objektiven Anhaltspunkte dafür bestanden und dies auch nicht weiter belegt
wurde, dass der Rechtsuchende nicht imstande gewesen wäre, trotz der
Behinderung fristgerecht zu handeln oder nötigenfalls einen Vertreter mit der
Interessenwahrung zu beauftragen. Hindert die Krankheit den Rechtsuchenden
zwar daran, selber zu handeln, könnte er aber in nach den Umständen
zumutbarer Weise einen Dritten mit der Interessenwahrung beauftragen, so kann
die Wiederherstellung ebenfalls nicht gewährt werden, wenn die Partei den
Beizug eines Vertreters versäumt. Bedeutsam für die Frage, ob Krankheit im
Sinne eines unverschuldeten Hindernisses die Partei von eigenem
fristgerechten Handeln oder der Beauftragung eines Dritten abgehalten hat,
ist vor allem die letzte Zeit der Rechtsmittelfrist, weil die gesetzliche
Regelung jedermann dazu berechtigt, die notwendige Rechtsschrift erst gegen
das Ende der Frist auszuarbeiten und einzureichen. Erkrankt die Partei eine
gewisse Zeit vor Fristablauf, so ist es ihr in aller Regel möglich und
zumutbar, ihre Interessen selber zu verteidigen oder die Dienste eines
Dritten in Anspruch zu nehmen; erkrankt die Partei dagegen ernsthaft gegen
das Ende der Frist, so wird sie im allgemeinen nicht in der Lage sein, selber
zu handeln oder einen Dritten zu beauftragen, weshalb in solchen Fällen die
Wiederherstellung zu gewähren ist (BGE 112 V 255 E. 2a, mit Hinweisen).

3.4 Der Beschwerdeführer war nach dem von ihm eingereichten Arztzeugnis
(ausgestellt am 24. Mai 2006) wegen eines massiven Infekts vom 15. März bis
30. April 2006 vollständig arbeitsunfähig; bis 15. Mai 2006 war er nur zu 50%
arbeitsfähig. In einem ergänzenden Arztzeugnis wird festgehalten, es habe
nicht nur eine lang andauernde Grippeerkrankung mit Lungenentzündung
bestanden; diese habe zudem zu erheblichen zusätzlichen Störungen geführt,
namentlich zu einer Verschlimmerung der Diabetes-Erkrankung sowie drei
Synkopen (Bewusstlosigkeiten/Ohnmachten).

Der Beschwerdeführer war bei Fristablauf bereits seit sieben Wochen an einer
Grippe mit Lungenentzündung erkrankt. Der Arzt bescheinigte ihm eine
Arbeitsunfähigkeit von 100% ab dem 15. März 2006. Es liegt auf der Hand, dass
eine Grippe mit Lungenentzündung auch ohne Hospitalisation als schwere
Erkrankung bezeichnet werden kann, die jedenfalls bei Krankheitsbeginn sowie
in den ersten Tagen - insbesondere wenn wie hier noch zusätzliche
gesundheitliche Störungen auftreten - in aller Regel bewirkt, dass der
Erkrankte nicht mehr selber in der Lage ist, zumindest eine Drittperson mit
der Fristwahrnehmung zu beauftragen. Diese anfängliche Unfähigkeit nimmt
indessen zusehends ab. Dies wird auch im vorliegenden Fall dadurch belegt,
dass der Arzt dem Beschwerdeführer ab dem 1. Mai 2006 - also nach mehr als
sechs Wochen Grippe - wieder eine 50%-ige Arbeitsfähigkeit bestätigte. Die
Schwere der Krankheit war damit bereits einige Tage vor Ablauf der
Einsprachefrist in einem Grad vermindert, der es für den Beschwerdeführer als
zumutbar erscheinen liess, seine Ehefrau oder einen Dritten mit der
Fristwahrung zu beauftragen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer
kann bei einer Krankheit nicht bis zum letzten Tag der ärztlich attestierten
Arbeitsunfähigkeit auch eine volle Unfähigkeit für die Vornahme der
notwendigen Mindest-Vorkehren für eine Fristwahrung angenommen werden, wenn
am nächsten Tag bereits wieder eine Arbeitsunfähigkeit von 50% gegeben ist.
Die Fristwahrung setzt keineswegs die volle Arbeitsfähigkeit bzw. die normale
oder volle Herstellung der intellektuellen Fähigkeiten voraus. Es ist
insbesondere nicht nachvollziehbar, inwiefern der Beschwerdeführer am 3. Mai
2006 noch nicht in der Lage gewesen sein sollte, die erforderlichen Vorkehren
zu treffen, wenn er bereits am 6. Mai 2006 sogar selber bzw. gemeinsam mit
seiner Ehefrau die Einsprachen mit den Steuererklärungen und den
entsprechenden Unterlagen einreichen konnte.
Indem die Vorinstanz die Wiederherstellung der Einsprachefrist wegen
Krankheit des Beschwerdeführers ablehnte, hat sie kein Bundesrecht und
namentlich auch nicht das von den Beschwerdeführern angerufene
Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt. Es kann im Übrigen auf die schlüssigen
Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.

4.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Bei diesem Ergebnis haben die Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens
vor Bundesgericht unter solidarischer Haftung zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 5
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt,
unter Solidarhaftung.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons St.
Gallen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Küng