Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.399/2007
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2C_399/2007 /ble

Urteil vom 3. September 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter,
Postfach, 8026 Zürich.

Haftentlassung (Art. 13c Abs. 4 ANAG),

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Verfügung des
Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 10. August 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (geb. 1989) stammt nach eigenen Angaben aus Moldawien. Er reiste
im Herbst 2006 illegal in die Schweiz ein und ersuchte hier am 4. März 2007
um Asyl. Da er in der Folge unerreichbar war, schrieb das Bundesamt für
Migration sein Gesuch am 20. März 2007 als gegenstandslos ab.

B.
Am 17. April 2007 wurde X.________ wegen Verdachts des versuchten Diebstahls
angehalten und in Ausschaffungshaft genommen. Die Haftrichterin am
Bezirksgericht Zürich prüfte diese am 21. April 2007 und bestätigte sie bis
zum 16. Juli 2007. Am 5. Juli 2007 wurde die Haft bis zum 16. Oktober 2007
verlängert; am 10. August 2007 wies der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich
ein Haftentlassungsgesuch von X.________ ab.

C.
X.________ ist hiergegen am 14. August 2007 mit dem sinngemässen Antrag an
das Bundesgericht gelangt, er sei aus der Haft zu entlassen. Mit Verfügung
vom 22. August 2007 wurden die Akten eingeholt und die kantonalen Behörden
zur Vernehmlassung aufgefordert, insbesondere zur Frage der Durchführung
einer mündlichen Verhandlung. Das Migrationsamt des Kantons Zürich
beantragte, die Beschwerde abzuweisen. Der Haftrichter führte aus, dass er
soweit erinnerlich auf die Durchführung verzichtet habe, da der Betroffene
keine solche verlangt habe; sollte dies nicht der Fall gewesen sein, dürfte
Art. 13c Abs. 4 ANAG verletzt worden sein.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid erging am 10. August 2007 und damit nach
Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110, AS 2006 1205 ff.). Die vorliegende
Eingabe, welche von Amtes wegen ins Deutsche übersetzt wurde, ist somit als
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entgegenzunehmen und zu
erledigen. Da die Sache spruchreif ist, erübrigen sich weitere
Instruktionsmassnahmen (vgl. die Verfügung vom 22. August 2007, Ziff. 3);
insbesondere kann davon abgesehen werden, zusätzlich noch eine Stellungnahme
des Bundesamts für Migration als beschwerdeberechtigte Bundesbehörde
einzuholen.

2.
Die materiellen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der
Ausschaffungshaft des Beschwerdeführers waren zum Zeitpunkt des angefochtenen
Entscheids offensichtlich gegeben:
2.1 X.________ ist am 20. April 2007 formlos weggewiesen worden. Auf ein von
ihm während der Haft eingereichtes (neues) Asylgesuch trat das Bundesamt für
Migration am 6. Juni 2007 nicht ein; es hielt ihn ebenfalls an, das Land zu
verlassen. Eine hiergegen beim Bundesverwaltungsgericht eingereichte
Beschwerde blieb ohne Erfolg (Urteil vom 22. Juni 2007). Der Beschwerdeführer
ist bereits einmal untergetaucht, hat wiederholt erklärt, auf keinen Fall in
seine Heimat zurückzukehren, und hat widersprüchliche Angaben zu seiner
Identität (Y.________, geb. 1989) bzw. seinem Reiseweg gemacht. Es besteht
bei ihm somit Untertauchensgefahr im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 13b
Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 13f ANAG (BGE 130 II 377 E. 3.3.3, 56 E. 3.1 S. 548
f.).
2.2 Der Umstand, dass der Vollzug der Wegweisung wegen seiner Renitenz nicht
leicht fällt, lässt diesen nicht bereits als undurchführbar erscheinen (vgl.
Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG; BGE 130 II 56 E. 4.1.3 mit Hinweisen). Gerade
wegen solcher Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber die Haftdauer erhöht und
die Möglichkeit der Haftverlängerung - inzwischen bis zu maximal achtzehn
Monaten (bzw. 12 Monate für Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren [vgl.
Art. 13b Abs. 2 in der seit dem 1. Januar 2007 gültigen Fassung vom 16.
Dezember 2005, AS 2006 4745 ff.]) - geschaffen. Es bestehen keine Hinweise
darauf, dass sich die Behörden nicht weiterhin mit Nachdruck darum bemühen
werden, die Wegweisung des Beschwerdeführers auch gegen dessen Willen
möglichst rasch zu vollziehen (vgl. Art. 13b Abs. 3 ANAG; BGE 130 II 488 E.
4).

2.3 Was der Beschwerdeführer hiergegen einwendet, überzeugt nicht: Sein
jugendliches Alter steht einer Zwangsmassnahme nach dem Willen des
Gesetzgebers nicht entgegen (Urteil 2C_124/2007 vom 30. April 2007, E. 3.2);
allfälligen besonderen Bedürfnissen kann im Rahmen des Haftvollzugs Rechnung
getragen werden (Art. 13c Abs. 2 ANAG). Soweit der Beschwerdeführer geltend
macht, sich freiwillig in einen Drittstaat begeben zu wollen, ist nicht
ersichtlich, wie er dies legal tun könnte; grundsätzlich ist einzig sein
Heimatstaat verpflichtet, ihn zurückzunehmen (BGE 133 II 97 E. 4.2.2 S. 103;
130 II 56 E. 4.1.2 S. 60). Der Beschwerdeführer kann seine Haft verkürzen,
indem er bei der Identitätsabklärung und der Papierbeschaffung mithilft. Von
seinem Bruder ist er schliesslich getrennt worden, weil sich dieser offenbar
nach Italien abgesetzt hat; dass er sich um ihn Sorgen macht, lässt seine
Ausschaffungshaft nicht unverhältnismässig erscheinen; eine (illegale)
Ausreise nach Italien ist nicht möglich, da für die Schweiz daraus
Rückübernahmepflichten erwachsen würden (BGE 133 II 97 E. 4.2.2); zurzeit
wird abgeklärt, ob aufgrund der von ihm in anderen europäischen Staaten
eingereichten Asylgesuche (Slowakei, Österreich) eine Rückführung dorthin in
Frage kommt.

3.
Problematisch erscheint indessen die Tatsache, dass der Haftrichter das
Haftentlassungsgesuch in einem rein schriftlichen Verfahren geprüft hat:
3.1 Nach Art. 13c Abs. 4 ANAG kann der inhaftierte Ausländer einen Monat nach
der (letzten) Haftprüfung ein (erstes) Haftentlassungsgesuch einreichen; die
richterliche Behörde muss darüber innert acht Arbeitstagen "aufgrund einer
mündlichen Verhandlung" entscheiden. Das Bundesgericht hat bereits wiederholt
erklärt, dass die wenigen bundesgesetzlichen Verfahrensbestimmungen zu den
Zwangsmassnahmen weitgehend zwingender Natur sind; auf ihre Einhaltung kann
nicht oder höchstens unter ganz ausserordentlichen Umständen verzichtet
werden. Der Anspruch auf richterliche Prüfung der Ausschaffungshaft in einer
mündlichen Verhandlung stellt die zentrale prozessuale Garantie dar, welche
vor willkürlichem Entzug der Freiheit schützen soll (BGE 128 II 241 E. 3.5;
121 II 110 E. 2b S. 113).

3.2 Für die Behandlung von Haftentlassungsgesuchen gilt im Grundsatz dasselbe
(BGE 128 II 241 E. 3.5 u. 3.6): Die gesetzlichen Verfahrensregeln sind von
Amtes wegen zu beachten und an sich verbindlich, auch wenn von der Einhaltung
der gesetzlichen Frist von acht Arbeitstagen, innert der die Verhandlung
durchzuführen ist, unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann; die
Durchführung der Haftrichterverhandlung als solche ist unverzichtbar (BGE 128
II 241 E. 3.5 S. 245).

3.3 Vorliegend ist unbestrittenermassen keine Verhandlung durchgeführt
worden. Zwar hat der Haftrichter dem amtlichen Vertreter des
Beschwerdeführers Gelegenheit gegeben, sich zum Haftentlassungsgesuch seines
Klienten und zur Stellungnahme des Migrationsamts zu äussern, doch vermochte
dies die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Haftrichterverhandlung
nicht zu ersetzen, zumal sein Vertreter auf eine solche nicht verzichtet,
sondern lediglich das Gesuch als aus seiner Sicht unbegründet bezeichnet
hatte. Der angefochtene Entscheid leidet somit an einem nicht leicht zu
nehmenden Verfahrensfehler. Art. 5 EMRK nimmt mit dem Hinweis auf die
"gesetzlich vorgeschriebene Weise" des Freiheitsentzugs für die
Rechtmässigkeit der Haft formell wie materiell auf das innerstaatliche Recht
Bezug, weshalb eine Konventionsverletzung vorliegen kann, wenn eine
Verfahrensnorm des nationalen Rechts missachtet wird, auch wenn diese
inhaltlich - wie hier - über die konventionsmässigen Garantien hinausgeht
(BGE 129 I 139 E. 2 S. 141 mit zahlreichen Hinweisen).

3.4 Nach der Rechtsprechung führt indessen nicht jede Verfahrensverletzung zu
einer Haftentlassung. Es kommt dabei darauf an, welche Bedeutung einerseits
den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des Betroffenen und
dem Interesse an einer reibungslosen Durchsetzung der Ausschaffung
andererseits zukommt (BGE 122 II 154 E. 3a S. 158; 125 II 369 E. 2e S. 374).
Der Beschwerdeführer hat in mehreren europäischen Staaten unter verschiedenen
Identitäten Asylgesuche eingereicht. Seine Angaben wurden während der Haft
diesbezüglich immer genauer, so dass heute weitere Abklärungen möglich sind.
Zudem musste er wegen des Verdachts versuchter Diebstähle angehalten werden.
Sein Haftentlassungsgesuch wurde richterlich beurteilt, wobei auch sein
amtlicher Rechtsvertreter - zu Recht (vgl. E. 2) - davon ausging, dass
anfangs August die Voraussetzungen für die Ausschaffungshaft weiterhin
gegeben waren. Unter diesen Umständen überwiegt das Interesse an einer
reibungslosen Durchsetzung der Ausschaffung jenes an einer strikten
Einhaltung der Verfahrensvorschriften; eine Haftentlassung rechtfertigt sich
deshalb nicht. Es genügt, den verfahrensrechtlichen Fehler dadurch zu
sanktionieren, dass der Haftrichter innerhalb von 96 Stunden nach Eröffnung
des vorliegenden Entscheids - unter Berücksichtigung des heutigen Stands der
Dinge - über das Gesuch in einem korrekten Verfahren neu zu entscheiden hat.
Eine Heilung im vorliegenden Verfahren ist nicht möglich, da das
Bundesgericht - entgegen den Befugnissen des Haftrichters - grundsätzlich nur
eine Rechts- und keine Sachverhaltskontrolle vornehmen kann (vgl. Art. 105,
106 und Art. 107 Abs. 2 BGG).

4.
4.1 Die Beschwerde ist demnach teilweise gutzuheissen und der angefochtene
Entscheid aufzuheben. Die Sache wird zur Durchführung einer mündlichen
Verhandlung an den Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich zurückgewiesen
(Art. 107 Abs. 2 BGG); im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

4.2 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist keine Gerichtsgebühr zu
erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG); eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet
(vgl. Art. 68 BGG), da der Beschwerdeführer nicht mehr anwaltlich vertreten
ist. Das Migrationsamt des Kantons Zürich wird ersucht, dafür besorgt zu
sein, dass das vorliegende Urteil dem Beschwerdeführer korrekt eröffnet und
nötigenfalls verständlich gemacht wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
1.1 Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, und der Entscheid des
Bezirksgerichts Zürich (Haftrichter) vom 10. August 2007 wird aufgehoben.

1.2 Die Sache wird zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung innerhalb
von 96 Stunden ab Eröffnung des vorliegenden Entscheids an den Haftrichter
zurückgewiesen.

1.3 Das Begehren um sofortige Entlassung aus der Haft wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Zürich
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. September 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: