Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.334/2007
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2C_334/2007 /zga

Urteil vom 14. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Häberli.

G. ________ GmbH,
Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Peter Niggli,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, 6002 Luzern.

Kurzaufenthaltsbewilligung EG/EFTA,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 30. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Die G.________ GmbH bietet in der Stadt Luzern sexuelle Dienstleistungen an.
Bei ihr arbeiten wochenweise Ungarinnen, die vom in Etyek (Ungarn) ansässigen
Unternehmen D.________ AG vermittelt werden. Im April 2006 akzeptierte die
Dienststelle Wirtschaft und Arbeit des Kantons Luzern in sieben Fällen eine
blosse Meldung der Erwerbstätigkeit der ungarischen Prostituierten. Ab Mai
2006 leitete sie die bei ihr eingereichten Meldeformulare zur Behandlung ans
kantonale Amt für Migration weiter. Dieses verpflichtete die G.________ GmbH
in der Folge, für Prostituierte aus den neuen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union vor dem Stellenantritt - unter Beilage der erforderlichen
Dokumente - eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen (Verfügung vom
4. Oktober 2006). Hiergegen beschwerte sich die G.________ GmbH erfolglos
beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Urteil vom 30. Mai 2007).

B.
Am 5. Juli 2007 hat die G.________ GmbH beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht mit dem sinngemässen
Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass die
bei ihr tätigen ungarischen Prostituierten keiner fremdenpolizeilichen
Bewilligung bedürfen.
Das Amt für Migration des Kantons Luzern und das Bundesamt für Migration
schliessen je auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Streitig ist vorliegend, ob auf die bei der Beschwerdeführerin tätigen, aus
Ungarn stammenden Prostituierten das für die kurzzeitige
Dienstleistungserbringung in der Schweiz aus dem EU-Raum eingeführte
ausländerrechtliche Meldeverfahren (vgl. E. 2.2) Anwendung findet. Mithin ist
keiner jener Bereiche des Ausländerrechts betroffen, für welche Art. 83
lit. c BGG die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
ausschliesst. Weiter ist die von den kantonalen Fremdenpolizeibehörden als
Arbeitgeberin betrachtete Beschwerdeführerin zu diesem Rechtsmittel
legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG), so dass auf deren form- und fristgerecht
eingereichte Beschwerde einzutreten ist.

2.
Durch das Protokoll vom 26. Oktober 2004, welches am 1. April 2006 in Kraft
getreten ist (vgl. AS 2006 995), wurde der Geltungsbereich des Abkommens vom
21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und
der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die
Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) auf die neuen
Mitgliedstaaten der EU ausgedehnt. Dabei sind auch die Übergangsbestimmungen
des Abkommens ergänzt und der Schweiz insbesondere erlaubt worden, während
fünf Jahren Höchstzahlen für den Zugang von Bürgern der neuen
EU-Mitgliedstaaten (ausser Zypern und Malta) zu einer Erwerbstätigkeit von
mehr als viermonatiger Dauer vorzusehen (vgl. Art. 10 Ziff. 1a FZA). Weiter
darf eine Zulassung während dieser Übergangsfrist davon abhängig gemacht
werden, dass den hier "in den regulären Arbeitsmarkt integrierten
Arbeitnehmern" Vorrang gewährt wird und die üblichen Entlöhnungs- und
Arbeitsbedingungen eingehalten werden. Der gleiche Vorbehalt kann während der
Übergangsfrist auch für die Erbringung von Dienstleistungen aus dem EU-Raum
in den Bereichen Gartenbau, Bauwesen (einschliesslich der zugehörigen
Branchen), Sicherheit und industrielle Reinigung zur Anwendung gebracht
werden (vgl. Art. 10 Ziff. 2a FZA).

2.1 Konkretisiert werden diese staatsvertraglichen Bestimmungen in der
bundesrätlichen Verordnung vom 22. Mai 2002 über die schrittweise Einführung
des freien Personenverkehrs zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten sowie unter den
Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (VEP; SR 142.203).
Deren Art. 38 Abs. 3 sieht vor, dass für Staatsangehörige der neuen
EU-Mitgliedstaaten, die in der Schweiz einer unselbständigen Erwerbstätigkeit
nachgehen, bis (längstens) zum 30. April 2011 die im Freizügigkeitsabkommen
vereinbarten Beschränkungen - insbesondere bezüglich Vorrang der inländischen
Arbeitskräfte, Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie Höchstzahlen
- gelten. Weiter setzt Art. 4 VEP für eine Erwerbstätigkeit von EU-Bürgern in
der Schweiz die Erteilung besonderer "Aufenthaltsbewilligungen EG/EFTA"
voraus, welche bei der zuständigen kantonalen Behörde verlangt werden müssen
(Art. 26 VEP). Bevor die Bewilligung erteilt werden kann, hat die kantonale
Arbeitsmarktbehörde mittels Verfügung darüber zu entscheiden, ob die
arbeitsmarktlichen Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind, wobei sich
das entsprechende Verfahren nach kantonalem Recht richtet (Art. 27 VEP).
Allerdings wird Bürgern der alten EU-Mitgliedstaaten sowie von Malta und
Zypern eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz, die innerhalb eines
Kalenderjahres insgesamt nicht länger als drei Monate dauert, bewilligungslos
erlaubt (vgl. Art. 4 Abs. 4 VEP).

2.2 Gemäss Art. 14 Abs. 2 VEP bedürfen Arbeitnehmer, die durch eine
Gesellschaft mit statutarischem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung
im Gebiet der neuen EU-Mitgliedstaaten in die Schweiz entsandt werden, um
hier eine Dienstleistung in den Bereichen Gartenbau, Bauwesen
(einschliesslich zugehörige Branchen), Sicherheit oder industrielle Reinigung
zu erbringen, einer Kurzaufenthaltsbewilligung EG/EFTA. Die Bewilligung wird
erteilt, wenn der Vorrang der inländischen Arbeitskräfte, die Kontrolle der
Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie die Qualifikationsvoraussetzungen nach
Art. 23 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und
Ausländer (AuG; SR 142.20; bis Ende 2007: nach Art. 8 Abs. 3 der Verordnung
vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer [BVO; SR
823.21]) eingehalten werden. Umgekehrt benötigen Arbeitnehmer, die (für
maximal 90 Tage) zur Erbringung von Dienstleistungen in anderen Bereichen als
den genannten in die Schweiz entsandt werden, keine Bewilligung (Art. 14 Abs.
1 VEP). Sie - bzw. ihre ausländischen Arbeitgeber - unterliegen einer blossen
Meldepflicht (vgl. Art. 1 in Verbindung mit Art. 6 des Bundesgesetzes vom
8. Oktober 1999 über die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für in die
Schweiz entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und flankierende
Massnahmen [EntsG; SR 823.20] sowie Art. 6 der Verordnung vom 21. Mai 2003
über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer [EntsV;
SR 823.201]).

2.3 Nach dem Gesagten bedürfen Bürger der neuen EU-Mitgliedstaaten (ausser
von Malta und Zypern) zur Zeit auch für eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz,
die weniger als drei Monate dauert, einer Kurzaufenthaltsbewilligung EG/EFTA
(Art. 10 Ziff. 2a FZA in Verbindung Art. 4 Abs. 4 VEP e contrario). Deshalb
haben die (Anlass zum vorliegenden Verfahren gebenden) ungarischen
Prostituierten, falls sie als Angestellte der Beschwerdeführerin zu
betrachten sind, vor Stellenantritt eine solche Bewilligung einzuholen. Deren
Erteilung setzt gemäss Art. 27 VEP eine vorgängige Verfügung der zuständigen
(ausländerrechtlichen) Arbeitsmarktbehörde - im Kanton Luzern des Amts für
Migration - voraus, mit welcher die Erfüllung der einschlägigen
arbeitsmarktlichen Voraussetzungen bejaht wird (Art. 10 Ziff. 2a FZA in
Verbindung mit Art. 4, Art. 27 und Art. 38 Abs. 3 VEP). Sind die
Prostituierten demgegenüber als Arbeitskräfte zu betrachten, welche von der
in Ungarn domizilierten D.________ AG zur kurzzeitigen
Dienstleistungserbringung in die Schweiz entsandt werden (vgl. Art. 5 Abs. 1
FZA), genügt - zumal das Sexgewerbe nicht zu den in Art. 10 Ziff. 2a FZA und
Art. 14 Abs. 2 VEP aufgezählten Branchen gehört - eine blosse Meldung der
Tätigkeit in der Schweiz (vgl. E. 2.2). Den allgemeinen beweisrechtlichen
Grundsätzen entsprechend (vgl. Art. 8 ZGB) ist es Sache der
Beschwerdeführerin, nachzuweisen, dass es sich bei den bei ihr tätigen
Prostituierten nicht um eigene Angestellte, sondern um Arbeitskräfte ihrer
ungarischen Vertragspartnerin handelt, welche in der Schweiz unmittelbar für
diese tätig sind.

3.
Die Vorinstanz ist zum Schluss gekommen, die in Luzern tätigen ungarischen
Prostituierten seien für die Dauer ihres Aufenthalts als Angestellte der
Beschwerdeführerin und nicht als solche der D.________ AG zu betrachten. Sie
nahm dabei, wie bereits das kantonale Amt für Migration, direkten Bezug auf
die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Beschäftigung von
Prostituierten ohne die erforderlichen fremdenpolizeilichen Bewilligungen.
Allerdings äussert sich der von ihr zitierte BGE 128 IV 170 - welcher für die
Arbeitgeberstellung die Entscheidgewalt über die Auswahl der einzusetzenden
Prostituierten ins Zentrum rückt - vorab zum Geltungsbereich der
Strafbestimmung von Art. 23 Abs. 4 ANAG und lässt sich deshalb nicht
unbesehen auf die vorliegende Konstellation übertragen. Im Ergebnis ist dem
Luzerner Verwaltungsgericht jedoch ohne weiteres beizupflichten.

3.1 Ein Fall der Dienstleistungsfreiheit von Art. 5 Abs. 1 FZA könnte nämlich
nur dann vorliegen, wenn die Prostituierten in Luzern ausdrücklich im Namen
und auf Rechnung der D.________ AG tätig würden, so dass im Hinblick auf die
sexuellen Dienstleistungen nur die D.________ AG und nicht die
Beschwerdeführerin vertragliche Beziehungen zu den Freiern begründen würde.
Eine entsprechende Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen ist vorliegend
auszuschliessen: Es ist unbestritten, dass die ungarischen Prostituierten
ihrer Tätigkeit in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin nachgehen und
ihre Dienstleistungen für deren Kundschaft erbringen. Mithin ist es Sache der
Beschwerdeführerin, die Arbeit der Prostituierten zu organisieren und für
deren Sicherheit zu sorgen. Inwiefern die D.________ AG mehr als die blosse
Vermittlung der Arbeitskräfte besorgen würde, ist nicht dargetan.
Demgegenüber ist aufgrund der willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz
erstellt, dass die Beschwerdeführerin einen erheblichen Einfluss darauf hat,
welche Prostituierten die D.________ AG nach Luzern schickt. Eine direkte
Dienstleistungserbringung durch die Letztere mittels entsandter
Prostituierten kann bei diesen Gegebenheiten zum Vornherein ausgeschlossen
werden. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem nur einige wenige
Stichworte umfassenden Vertrag, den die Beschwerdeführerin und die D.________
AG offenbar im März 2006 abgeschlossen haben.

3.2 Mithin steht fest, dass die Beschwerdeführerin die Beschäftigung der von
ihrer ungarischen Vertragspartnerin vermittelten Prostituierten den
Fremdenpolizeibehörden nicht mit einer blossen Meldung anzeigen kann; die
Erwerbstätigkeit dieser Prostituierten setzt vielmehr eine
Kurzaufenthaltsbewilligung EG/EFTA voraus (vgl. E. 2.1). Nach dem Gesagten
kann eine solche nur gestützt auf eine vorgängige Verfügung des Amts für
Migration des Kantons Luzern erteilt werden, welche die Erfüllung der
einschlägigen arbeitsmarktlichen Voraussetzungen bejaht. Der angefochtene
Entscheid verstösst demnach weder gegen Bundesrecht noch widerspricht er den
einschlägigen staatsvertraglichen Bestimmungen, so dass sich die Beschwerde
als unbegründet erweist und abzuweisen ist.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(vgl. Art. 65 f. BGG). Parteientschädigung ist keine auszurichten (vgl. Art.
68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Amt für Migration und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Häberli