Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.31/2007
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2C_31/2007 /fco

Urteil vom 27. Juli 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Hungerbühler, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Wurzburger, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Susanne Schaffner-Hess,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn, 4500 Solothurn, Abteilung
Ausländerfragen,
Ambassadorenhof, 4509 Solothurn,
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn,
Postfach 157, 4502 Solothurn.

Passantrag,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 22. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 30. Oktober 2004 heiratete die bosnische Staatsangehörige X.________ (geb.
1976) den Schweizer Bürger Y.________, worauf ihr eine Aufenthaltsbewilligung
erteilt wurde. Die Ehegatten X.________ und Y.________ leben seit Juni 2006
getrennt. Im August 2006 verfügte das Departement des Innern des Kantons
Solothurn, Abteilung Ausländerfragen, mit der Trennung der Ehegatten sei der
Anspruch von X.________ auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung
weggefallen; diese werde aber zwecks Abklärung der Vaterschaft ihres noch
ungeborenen Kindes vorläufig bis zum 28. Februar 2007 verlängert. Bis dahin
sei ein Nachweis der Vaterschaft zu erbringen, andernfalls die Wegweisung in
Aussicht gestellt werde. Am 11. September 2006 kam der Sohn Z.________ zur
Welt. Mit Urteil vom 16. Oktober 2006 trat das Verwaltungsgericht des Kantons
Solothurn auf die von X.________ gegen die Departementsverfügung gerichtete
Beschwerde nicht ein; es stellte u.a. fest, dass die Vaterschaft umstritten
und noch ungeklärt sei.

B.
Mit Verfügung vom 18. Dezember 2006 verweigerte das Departement des Innern
des Kantons Solothurn X.________ die Ausstellung eines Passes für ihren Sohn,
weil der Ehemann als sorgeberechtigter Elternteil nicht bereit sei, dem
zuzustimmen. Dagegen erhob X.________ erfolglos Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 26. Februar 2007
beantragt X.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts
des Kantons Solothurn vom 22. Januar 2007 und die Verfügung des Departementes
des Innern des Kantons Solothurn vom 18. Dezember 2006 aufzuheben; das
Verwaltungsgericht sei zu verpflichten, dem Antrag auf Ausstellung eines
Reisepasses für Z.________ stattzugeben.

Das Departement des Innern des Kantons Solothurn stellt den Antrag, die
Beschwerde abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt, die Entscheide
des Verwaltungsgerichts und des Departements des Innern des Kantons Solothurn
zu bestätigen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Entscheid des Verwaltungsgerichts ist nach Inkrafttreten des
Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) ergangen. Somit richtet sich das
Verfahren nach diesem Gesetz (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Der angefochtene Entscheid stützt sich auf das Bundesgesetz vom 22. Juni
2001 über die Ausweise für Schweizer Staatsangehörige (Ausweisgesetz, AwG; SR
143.1) sowie auf die Verordnung vom 20. September 2002 über die Ausweise für
Schweizer Staatsangehörige (Ausweisverordnung, VAwG; SR 143.11). Er kann mit
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht
angefochten werden (Art. 82 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1
VAwG).

1.3 Zur Beschwerde ist berechtigt, wer ein schutzwürdiges Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides hat (Art. 89 Abs. 1
lit. c BGG). Es ist unter diesem Gesichtspunkt zunächst zu prüfen, ob die
Beschwerdeführerin bzw. das Kind überhaupt einen Schweizer Pass beantragen
kann, was das kantonale Departement des Innern grundsätzlich in Frage stellt.
Gemäss Art. 1 AwG haben nur Schweizer Bürger Anspruch auf einen Ausweis. In
der Verfügung des kantonalen Departementes des Innern vom 22. August 2006 ist
festgehalten, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin anlässlich der
persönlichen Befragung erklärt habe, seine Ehefrau habe ihm gesagt, dass das
Kind nicht von ihm sei; er habe daraufhin in Bosnien die Scheidung
eingereicht. Auf Grund dieser Feststellungen wurde die Aufenthaltsbewilligung
der Beschwerdeführerin provisorisch verlängert, um ihr die Möglichkeit zu
eröffnen, die Vaterschaft abklären zu lassen. Obwohl das kantonale
Departement des Innern in seiner Vernehmlassung vom 9. Januar 2007 an die
Vorinstanz darauf hingewiesen hat, dass die Nationalität des Sohnes
Z.________ zur Zeit noch nicht geklärt sei, setzt sich der angefochtene
Entscheid ausschliesslich mit der Frage der erforderlichen Zustimmung des
Ehemannes der Beschwerdeführerin zu einem Passantrag auseinander. Er äussert
sich hingegen nicht dazu, ob diese überhaupt einen Antrag auf einen Pass für
ihren Sohn stellen kann. Im vorliegenden Verfahren weist das kantonale
Departement des Innern mit Vernehmlassung vom 26. März 2007 als zuständige
Ausweisbehörde ausdrücklich auf den Umstand hin, dass die Frage der
Nationalität von Z.________ zur Zeit noch nicht geklärt sei.
Auch wenn auf Grund der Akten erhebliche Zweifel an der Vaterschaft von
Y.________ bestehen, ändert das nichts daran, dass Z.________ am 11.
September 2006 zwar erst nach der gerichtlichen Trennung der Ehegatten aber
noch während der Ehe geboren wurde: Wie dem Entscheid des Richteramtes
Olten-Gösgen vom 1. Dezember 2006 entnommen werden kann, waren die Ehegatten
auch damals noch verheiratet ("eheliche Gemeinschaft"). Unter diesen
Umständen gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass das Kind
aufgrund der gesetzlichen Vaterschaftsvermutung von Art. 255 Abs. 1 ZGB
gemäss Art. 271 Abs. 1 ZGB bzw. Art. 1 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom
29. September 1952 über den Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts
(Bürgerrechtsgesetz [BüG]; SR 141.0) als Schweizer Bürger zu betrachten ist.
Dies ist - solange die Vaterschaft des Ehemannes nicht angefochten ist -
selbst dann der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer
Mann als der Ehegatte der leibliche Vater des Kindes sein könnte (BGE 122 II
289 E. 1c).

2.
2.1 Das Richteramt Olten-Gösgen hat mit Verfügung vom 1. Dezember 2006 den
Sohn unter die Obhut der Beschwerdeführerin gestellt, weil dieser erst nach
der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes zur Welt gekommen ist; dem Ehemann
wurde die Zahlung von Unterhaltsbeiträgen für Ehefrau und Kind auferlegt und
ein Besuchsrecht eingeräumt.

2.2 Das Zivilgesetzbuch unterscheidet bei den Kindesschutzmassnahmen, die vom
Eheschutzrichter angeordnet werden können (Art. 315a ZGB), zwischen der
Aufhebung der elterlichen Obhut (Art. 310 ZGB) und der Entziehung der
elterlichen Sorge (Art. 311 ZGB). Da der Eheschutzrichter im vorliegenden
Fall keinen Entscheid über die Entziehung der elterlichen Sorge getroffen,
sondern lediglich über die Obhutszuteilung entschieden hat, steht die
elterliche Sorge über Z.________ nach wie vor beiden Eltern gemeinsam zu
(vgl. auch Verena Bräm/Franz Hasenböhler, Zürcher Kommentar, 1998, Rz 87 zu
Art. 176 ZGB).

2.3 Nach Art. 5 Abs. 1 AwG benötigen unmündige und entmündigte Personen für
das Stellen eines Antrages auf Ausstellung eines Ausweises die schriftliche
Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertretung. In Ausführung dieser Bestimmung
legt Art. 11 Abs. 1 VAwG fest, dass die Unterschrift einer sorgeberechtigten
Person genügt, wenn beide Eltern Inhaber der elterlichen Sorge sind; kann die
Zustimmung des andern Elternteils aus den Umständen nicht ohne weiteres
vermutet werden, so ist sie ebenfalls einzuholen (Abs. 2).

Diese Regelung entspricht der Absicht des Gesetzgebers. In der Botschaft des
Bundesrates wird zu Art. 5 AwG - unter Hinweis auf Art. 304 Abs. 2 ZGB -
klargestellt, dass in aller Regel die schriftliche Zustimmung eines
Elternteils genügt. Ist eine Antrag stellende oder die ausstellende Behörde
jedoch darüber informiert, dass sich ein Elternteil einer Ausweisausstellung
widersetzt, darf (mangels Gutgläubigkeit) kein Ausweis ausgestellt werden. In
diesem Fall ist die Zustimmung beider Elternteile einzuholen (BBl 2000 IV
4763).

2.4 Art. 304 ZGB regelt die Vertretung des Kindes, wenn beide Eltern Inhaber
der elterlichen Sorge sind. Nach Art. 297 Abs. 1 ZGB üben die Eltern die
elterliche Sorge während der Ehe gemeinsam aus. Wird der gemeinsame Haushalt
aufgehoben oder die Ehe getrennt, so kann das Gericht die elterliche Sorge
einem Ehegatten allein zuteilen (Abs. 2). Da dies indessen in Bezug auf
Z.________ nach dem oben Ausgeführten bisher nicht geschehen ist, benötigt
die Beschwerdeführerin, auch wenn ihr die Obhut zusteht, für den Antrag auf
Ausstellung eines Reisepasses für Z.________ die schriftliche Zustimmung
ihres Ehemannes. Weil dieser seine Zustimmung ausdrücklich verweigert hat,
ist die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen, dass die zuständigen
kantonalen Behörden der Beschwerdeführerin gegenüber die Ausstellung des
Ausweises verweigern durften. Es kann dazu auch auf die ausführliche
Vernehmlassung des Bundesamtes für Justiz verwiesen werden, die dies
vollumfänglich bestätigt.
Was die Beschwerdeführerin dagegen vorträgt, vermag nicht zu überzeugen und
ist nicht geeignet, zu einer anderen, von der klaren Absicht des Gesetzgebers
abweichenden Beurteilung zu führen. Insbesondere ist nicht ersichtlich,
inwiefern das Beharren des Ehemannes auf Einhaltung der gesetzlichen Regelung
rechtsmissbräuchlich sein sollte, zumal im Zeitpunkt des angefochtenen
Entscheides die familiären Verhältnisse schwierig waren und über die
Kindesinteressen keine Klarheit bestand.

2.5 Die Beschwerdeführerin beruft sich ebenfalls auf Art. 24 Abs. 2 BV.
Gemäss Art. 11 Abs. 2 BV üben Kinder ihre Rechte im Rahmen ihrer
Urteilsfähigkeit aus. Solange das Kind indessen wie im vorliegenden Fall
nicht urteilsfähig ist, kann es keine verfassungsmässigen Rechte ausüben: Es
ist nicht grundrechtsmündig und kann sich auch nicht selber auf seine
Niederlassungsfreiheit bzw. sein Recht, die Schweiz zu verlassen (Art. 24
Abs. 2 BV), berufen. Über die Niederlassung bzw. die Ausreise des unmündigen
Kindes haben im Übrigen die Eltern im Rahmen der elterlichen Sorge zu
entscheiden (vgl. Art. 301 Abs. 3 ZGB), d.h. die Niederlassungsfreiheit des
Kindes ist insoweit eingeschränkt, was verfassungsrechtlich zulässig ist
(Ruth Reusser/Kurt Lüscher, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz 23).

3.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Da ihre Rechtsbegehren als
von vornherein aussichtslos zu bezeichnen sind, kann der Beschwerdeführerin
die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nicht gewährt werden (Art.
64 BGG). Entsprechend dem Ausgang hat die Beschwerdeführerin daher die Kosten
des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung
wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Departement des Innern und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn sowie dem Eidgenössischen Justiz-
und Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Juli 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: