Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.261/2007
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2C_261/2007

Urteil vom 29. September 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichter Karlen,
Bundesrichterin Aubry Girardin, Bundesrichter Donzallaz,
Gerichtsschreiber Häberli.

Parteien
1. X.________,
2. Y.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Kurt Oehler,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Appenzell-Ausserrhoden, Gutenberg-Zentrum, 9102
Herisau.

Gegenstand
Staats- und Gemeindesteuern sowie direkte Bundessteuer 2004,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts von Appenzell-Ausserrhoden vom 24. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Gegen die beiden Einspracheentscheide vom 27. März 2007, mit welchen sie von
der Steuerverwaltung des Kantons Appenzell-Ausserrhoden für die Staats- und
Gemeindesteuern 2004 einerseits und für die direkte Bundessteuer 2004
andererseits eingeschätzt wurden, gelangten X.________ und Y.________ mit zwei
Eingaben ans Verwaltungsgericht von Appenzell-Ausserrhoden. Mit Schreiben vom
25. April 2007 forderte dieses sie auf, innert zehn Tagen einen Kostenvorschuss
von 150 Franken pro Verfahren zu bezahlen, ansonsten auf die Beschwerden nicht
eingetreten werde. Am 7. Mai 2007 stellten die Ehegatten X.________ und
Y.________ ein Fristerstreckungsgesuch; die verlangten Kostenvorschüsse zahlten
sie dann am 9. Mai 2007 auf der Poststelle in Zürich-Oerlikon ein. Mit
Entscheid vom 24. Mai 2007 ist das Verwaltungsgericht auf ihre Beschwerden
nicht eingetreten, weil sowohl das Fristerstreckungsgesuch als auch die Zahlung
der Kostenvorschüsse verspätet erfolgt sei.

B.
Am 2. Juni 2007 haben X.________ und Y.________ beim Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht mit dem Antrag, den
Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Sie behaupten
zunächst, das Fristverlängerungsgesuch rechtzeitig gestellt zu haben; weiter
machen sie geltend, die für die Bezahlung des Kostenvorschusses angesetzte
Frist sei mit zehn Tagen zu kurz bemessen gewesen. Sie rügen insbesondere, das
Verwaltungsgericht habe das kantonale Prozessrecht offensichtlich unrichtig
gehandhabt und so das Willkürverbot (Art. 9 BV; vgl. BGE 127 I 60 E. 5a S. 70)
verletzt.
Die Steuerverwaltung und das Verwaltungsgericht des Kantons
Appenzell-Ausserrhoden sowie die Eidgenössische Steuerverwaltung schliessen je
auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführer sind zur Leistung eines Kostenvorschusses von insgesamt
300 Franken verpflichtet worden, wobei die ihnen zu dessen Bezahlung angesetzte
Frist bis zum 7. Mai 2007 lief. Es ist unbestritten, dass sie ihr
Fristverlängerungsgesuch am letzten Tag der Zahlungsfrist um 21:00 Uhr der Post
übergeben haben, und dass das Gesuch tags darauf beim Verwaltungsgericht
eingetroffen ist. Letzteres erachtete das Gesuch als verspätet und trat wegen
nicht rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses (androhungsgemäss) auf die
Beschwerden nicht ein. Erst aus der Vernehmlassung, welche das
Verwaltungsgericht im bundesgerichtlichen Verfahren eingereicht hat, ist
ersichtlich, dass es sich insoweit nicht um ein Versehen handelte; vielmehr
betrachtet das Verwaltungsgericht offenbar in ständiger Rechtsprechung nur
solche Fristverlängerungsgesuche als rechtzeitig, welche vor Fristablauf beim
ihm eintreffen.

2.
Das Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Appenzell Ausserrhoden
(VRPG/AR) enthält eine ausdrückliche Regelung von Fristenlauf und Fristwahrung.
Gemäss dieser können die behördlichen Fristen - im Unterschied zu den
gesetzlichen - erstreckt werden, wenn vor Fristablauf schriftlich darum ersucht
wird (Art. 6 Abs. 1 VRPG/AR). Der Rechtsuchende hat eine laufende Frist dann
eingehalten, wenn er die betreffende Handlung spätestens bis Mitternacht des
letzten Tages der Frist vornimmt; schriftliche Eingaben sind bis zu diesem
Zeitpunkt der schweizerischen Post bzw. einer schweizerischen diplomatischen
oder konsularischen Vertretung zu übergeben (Art. 5 Abs. 2 VRPG/AR).

2.1 Mit Blick auf diese Regelung leuchtet nicht ein, weshalb das
Fristerstreckungsgesuch der Beschwerdeführer verspätet sein sollte. Zum einen
steht mit der Zahlungsfrist für den Kostenvorschuss eine richterliche Frist in
Frage, welche nach Art. 6 Abs. 1 VRPG/AR (auf begründetes Gesuch hin) erstreckt
werden kann. Zum anderen haben die Beschwerdeführer das Fristerstreckungsgesuch
am letzten Tag der Zahlungsfrist der schweizerischen Post übergeben und somit
gemäss Art. 5 Abs. 2 VRPG/AR rechtzeitig gehandelt. Das Verwaltungsgericht hat
sich denn auch ganz bewusst über die dargestellte Regelung hinweggesetzt und
den angefochtenen Entscheid gestützt auf eine abweichende Praxis gefällt. Nach
dieser reicht es bei einem Fristverlängerungsgesuch nicht aus, wenn es am
letzten Tag der Frist abgeschickt wird, sondern es ist zusätzlich erforderlich,
dass es auch vor Fristablauf beim Gericht eintrifft. Zur Begründung dieser
Rechtsprechung führt das Verwaltungsgericht aus, nur so könne sichergestellt
werden, dass vor Ablauf der Frist über deren Erstreckung entschieden werde und
die Beschwerdeführer nicht eine faktische Fristverlängerung zu erzwingen
vermöchten (vgl. zur entsprechenden Praxis in den Kantonen Zürich und Bern:
Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kommentar zum
Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, N 10
zu § 12; Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz
über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 4 zu Art. 42 und
N 3 zu Art. 43; vgl. auch Jean- François Poudret, Commentaire de la loi
fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1942, Bd. I, Bern 1992, N 2
i.f. zu Art. 33). Es mag zwar zutreffen, dass ein Beschwerdeführer ein
beträchtliches Risiko eingeht, wenn er erst am letzten Tag der Frist ein
Verlängerungsgesuch einreicht, weil er bei abschlägigem Entscheid unter
Umständen nicht mehr rechtzeitig reagieren kann. Auf dieser Überlegung fussen
die erwähnten Literaturstellen und kantonalen Praxen (vgl. auch Leuch/Marbach/
Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Auflage,
Bern 2000, N 2 zu Art. 116; s. ferner BVR 1999 S. 382 ff.). Als verspätet kann
ein Gesuch deswegen unter Gegebenheiten wie hier aber nicht bezeichnet werden.

2.2 Die Regelung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 VRPG/AR entspricht einem
allgemeinen Grundsatz des schweizerischen Prozessrechts (Urteil 1A.94/2002 vom
2. Juli 2002, E.2.2.1), wie er insbesondere auch in Art. 21 Abs. 1 VwVG und
Art. 48 Abs. 1 BGG zum Ausdruck kommt. Gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 5
Abs. 2 VRPG/AR können befristete Rechtshandlungen bis um Mitternacht des
letzten Tages der Frist vorgenommen werden, wobei es für schriftliche Eingaben
genügt, wenn diese bis zum betreffenden Zeitpunkt der schweizerischen Post
übergeben werden. Eine Sonderregelung für Fristverlängerungsgesuche im
Allgemeinen oder Gesuche um Verlängerung der Zahlungsfrist für den
Kostenvorschuss im Besonderen ist weder in Art. 5 VRPG/AR noch im die
Kostenvorschusspflicht regelnden Art. 21 VRPG/AR noch anderswo im einschlägigen
kantonalen Recht vorgesehen. Weil das Verwaltungsgericht seine Praxis demnach
nicht auf eine Gesetzesbestimmung zu stützen vermag, hält diese vor Art. 9 BV
nicht stand. Sollen für einzelne Arten von prozessualen Rechtshandlungen
spezielle, von den allgemeinen abweichende Regeln für die Fristwahrung gelten,
so setzt dies eine ausdrückliche entsprechende Normierung voraus. Mangels einer
solchen muss der Rechtsuchende darauf vertrauen können, dass die Regelung von
Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 VRPG/AR, welche den landesweit
anerkannten allgemeinen Grundsätzen entspricht, auf sämtliche behördliche
Fristen Anwendung findet.

3.
Nach dem Gesagten verstösst der angefochtene Entscheid gegen das Willkürverbot
und ist aufzuheben.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Kanton Appenzell-Ausserrhoden
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG e contrario). Er hat zudem die -
durch einen Steuerberater vertretenen - Beschwerdeführer für deren Aufwendungen
im Zusammenhang mit dem bundesgerichtlichen Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird gutgeheissen, der
Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell-Ausserrhoden vom 24. Mai 2007
aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Kanton Appenzell-Ausserrhoden
auferlegt.

3.
Der Kanton Appenzell-Ausserrhoden hat die Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Steuerverwaltung des Kantons
Appenzell-Ausserrhoden, dem Verwaltungsgericht von Appenzell-Ausserrhoden und
der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. September 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Häberli