Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.231/2007
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2C_231/2007 /leb

Urteil vom 13. November 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Bundesrichterin Yersin,
Bundesrichter Karlen,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Bundesamt für Migration, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner,
Amt für Migration Basel-Landschaft, Postfach 251, 4402 Frenkendorf,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht,
Postfach, 4410 Liestal.

Ausgrenzung (Art. 13e ANAG),

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht, vom 2. April 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 30. Dezember 2003 wies das damalige Bundesamt für
Flüchtlinge (BFF, heute Bundesamt für Migration [BFM]) das am 22. Oktober
2003 im Empfangs- und Verfahrenszentrum Basel gestellte Asylgesuch des dem
Kanton Aargau zugewiesenen A.________ (geb. 1973, Nationalität und Identität
unbekannt) ab und wies diesen aus der Schweiz weg. Auf eine hiegegen erhobene
Beschwerde trat die Schweizerische Asylrekurskommission am 8. März 2004 nicht
ein. A.________ hätte die Schweiz in der Folge bis zum 7. Mai 2004 verlassen
sollen. Dies tat er nicht.

B.
Am 30. Januar 2007 wurde A.________ in Muttenz von der Kantonspolizei
Basel-Landschaft angehalten und zur Kontrolle auf den Polizeiposten geführt.
Betäubungsmittel, nach denen die Polizei gesucht hatte, konnten bei ihm nicht
gefunden werden. Der zuständige Inspektor hielt jedoch fest, A.________ sei
im Fahndungssystem "Ripol" bereits "zur Ausgrenzung aus dem Kanton
Basel-Stadt ausgeschrieben".

Mit Verfügung vom 31. Januar 2007 ordnete das Amt für Migration des Kantons
Basel-Landschaft gestützt auf Art. 13e Abs. 1 lit. b ANAG die Ausgrenzung von
A.________ auch aus dem Gebiet dieses Kantons an.

Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht
Basel-Landschaft (Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht) mit
Urteil vom 2. April 2007 gut und hob die Verfügung des kantonalen Amtes für
Migration vom 31. Januar 2007 mit sofortiger Wirkung auf. Der Haftrichter
erwog im Wesentlichen, A.________ habe nicht gegen die öffentliche Sicherheit
und Ordnung des Kantons Basel-Landschaft verstossen. Im Übrigen sei es Sache
der Behörden des für den Vollzug der Wegweisung zuständigen Kantons Aargau,
die zur Intensivierung und Kontrolle des betreffenden Ausländers
erforderlichen Massnahmen zu treffen. Die angefochtene Ausgrenzung aus dem
Kanton Basel-Landschaft diene keinem erkennbaren Zweck und sei daher
unverhältnismässig.

C.
Mit Eingabe vom 16. Mai 2007 führt das Bundesamt für Migration beim
Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, das Urteil des Einzelrichters für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
des Kantons Basel-Landschaft vom 2. April 2007 aufzuheben.

A. ________ hat sich nicht vernehmen lassen. Das Amt für Migration des
Kantons Basel-Landschaft beantragt Gutheissung der Beschwerde. Das
Kantonsgericht Basel-Landschaft (Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht) hat auf Vernehmlassung
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid (Art. 86 Abs.
1 lit. d und Art. 90 BGG) über eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts
(Art. 82 lit. a BGG), welche unter keinen der in Art. 83 BGG genannten
Ausschlussgründe fällt, weshalb das Rechtsmittel der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist.

Gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 der
Organisationsverordnung vom 17. November 1999 für das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1) ist das Bundesamt für
Migration (BFM) im Bereich des Ausländerrechts befugt, Beschwerde beim
Bundesgericht zu führen. Wie schon unter der Herrschaft des Bundesgesetzes
vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) muss
dabei grundsätzlich kein spezifisches öffentliches Interesse an der
Anfechtung der Verfügung nachgewiesen werden. Erforderlich ist nur, dass es
der beschwerdeführenden Verwaltungsbehörde nicht lediglich um die Behandlung
abstrakter Fragen des objektiven Rechts, sondern um konkrete Rechtsfragen
eines tatsächlich bestehenden Einzelfalles geht (vgl. die Rechtsprechung zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, statt vieler BGE 129 II 1 E. 1.1 S. 3 f.).
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Ebenso ist das
hinreichende Interesse an der Beurteilung der Beschwerde gegeben, welches -
wie es hier zutrifft - im Zeitpunkt des Entscheides des Bundesgerichts noch
fortbestehen muss (vgl. BGE 128 II 193 E. 1 S. 196). Auf die Beschwerde ist
daher einzutreten.

2.
Art. 13e ANAG (in der Fassung des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005, in
Kraft seit 1. Januar 2007 [AS 2006 4745 4767]) lautet, soweit hier
interessierend, wie folgt:
1 Die zuständige Behörde kann einem Ausländer die Auflage machen, ein ihm
zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu
betreten, wenn:

a.
er keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt und er die
öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet; diese Massnahme
dient insbesondere der Bekämpfung des widerrechtlichen
Betäubungsmittelhandels; oder

b.
ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und er die ihm
angesetzte Ausreisefrist nicht eingehalten hat.

2 Diese Massnahmen werden von der Behörde des Kantons angeordnet, der für den
Vollzug der Weg- oder Ausweisung zuständig ist. Das Verbot, ein bestimmtes
Gebiet zu betreten, kann auch von der Behörde des Kantons erlassen werden, in
dem dieses Gebiet liegt.
(...).

Buchstabe b von Art. 13e Abs. 1 ANAG wurde im Rahmen der parlamentarischen
Beratungen zur Teilrevision des Asylgesetzes auf Antrag des Bundesrates in
den Gesetzestext aufgenommen. Absicht war es, die Ein- und Ausgrenzung nicht
wie bisher bloss zum Zweck der Verhinderung von Gefährdungen oder
Verletzungen der öffentlichen Sicherheit, sondern auch gegenüber Personen
anordnen zu können, die ihre Ausreisepflicht verletzen (Votum Heberlein, AB
2005 S 374; Votum Bundesrat Blocher, AB 2005 N 1203). Um den Vollzug der
Wegweisung zu erleichtern, sollte die Bewegungsfreiheit der entsprechenden
Personen eingeschränkt werden können, auch wenn diese Personen nicht gegen
die öffentliche Ordnung verstossen (Votum Bundesrat Blocher, a.a.O., Votum
Fluri, AB 2005 N 1202).

3.
3.1
Das Bundesamt erblickt in der Weigerung des Haftrichters, die
Ausgrenzungsverfügung des basel-landschaftlichen Migrationsamtes zu schützen,
einen Verstoss gegen Art. 13e Abs. 2 ANAG, wonach neben dem Vollzugskanton
auch der Kanton, in welchem das vom Verbot betroffene Gebiet liegt, eine
Ausgrenzung anordnen kann. Diese Regelung zeige, dass nicht nur das Interesse
an der Überwachung und Kontrolle der betroffenen Person eine Ausgrenzung
rechtfertigen könne. Durch eine solche Massnahme bestehe die Möglichkeit, die
Bewegungsfreiheit des ausreisepflichtigen Ausländers einzuschränken, was auch
im Interesse eines Kantons liegen könne, der nicht für den Vollzug der
Wegweisung zuständig sei. Durch die Ausgrenzung aus einem Drittkanton könne
erreicht werden, dass sich Personen mit rechtskräftigem Wegweisungsentscheid
vermehrt im Zuweisungskanton aufhielten.

3.2 Dass es in der Zuständigkeit des basellandschaftlichen Migrationsamtes
gelegen hatte, die Ausgrenzung des Beschwerdegegners aus dem Kantonsgebiet zu
verfügen, steht aufgrund von Art. 13e Abs. 2 ANAG ausser Frage. Beim
Entscheid über die Anordnung einer solchen Massnahme stand der Behörde ein
erhebliches Ermessen zu ("Kann-Vorschrift"). Der Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht seinerseits hatte die Ausgrenzung des
Beschwerdegegners - anders als etwa im Falle der Anordnung einer
Ausschaffungshaft (wo er die Rechtmässigkeit "und die Angemessenheit" der
Haft überprüfen muss, vgl. Art. 13c Abs. 2 ANAG) - einer blossen
Rechtskontrolle zu unterziehen (vgl. § 45 der basellandschaftlichen
Verwaltungsprozessordnung vom 16. Dezember 1993). Er hat vorliegend, indem er
die angefochtene Ausgrenzung wegen "Unverhältnismässigkeit" aufhob, auch
keine weitergehende Kognition beansprucht. Das Bundesgericht prüft auf
Beschwerde des Bundesamtes für Migration damit nur, ob diese Begründung vor
Bundesrecht standhält.

3.3 Als Druckmittel zur Durchsetzung der Ausreisepflicht dient die Ein- oder
Ausgrenzung vorab als Instrument des mit der Wegweisung des Ausländers
betrauten Kantons (Art. 13e Abs. 2 Satz 1 ANAG). Das Gesetz gibt in seiner
heutigen Fassung aber auch Drittkantonen die Möglichkeit, Ausländern, gegen
die ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt, das Betreten
ihres Gebietes zu untersagen, ohne dass eine Störung oder Gefährdung der
öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nachgewiesen sein muss; es genügt das
abstrakte Interesse des Drittkantons, auf seinem Gebiet keine
ausreisepflichtigen Ausländer dulden zu müssen.

3.4 Wie jede fremdenpolizeiliche Zwangsmassnahme unterliegt auch die Ein-
oder Ausgrenzung dem Verhältnismässigkeitsprinzip (vgl. Urteil 2A.148/2003
vom 30. Mai 2003, E. 2.4), d. h. das Ausmass der mit einer solchen Massnahme
verbundenen Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Ausländers muss auch ohne
expliziten gesetzlichen Vorbehalt gemessen am verfolgten Zweck
verhältnismässig sein.

Der dem Kanton Aargau zugewiesene, ausreisepflichtige Beschwerdegegner will
das Gebiet des Kantons Basel-Landschaft deshalb weiterhin betreten dürfen, um
seine dort wohnhafte Freundin zu treffen sowie die Kirche in X.________
besuchen zu können (Beschwerde ans Kantonsgericht S. 1). Zwar wäre nicht von
vornherein undenkbar, dass die privaten Interessen eines Ausländers am
Betreten des Kantonsgebietes die Interessen des Kantons an dessen Fernhaltung
übersteigen könnten. Die vorliegend geltend gemachten Umstände lassen jedoch,
was die Vorinstanz verkannt hat, die von der Verwaltungsbehörde verfügte
Ausgrenzung aus dem Gebiet des Kantons Basel-Landschaft nicht als
unverhältnismässig erscheinen: Dem Beschwerdegegner ist - mit Blick auf das
in E. 3.3 erwähnte Interesse des Kantons - zuzumuten, seine Freundin anderswo
zu treffen bzw. den Gottesdienst in einer anderen Kirche als in jener von
X.________ zu besuchen.

Indem der zuständige Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
vorliegend die Anordnung und Aufrechterhaltung der am 31. Januar 2007
gegenüber A.________ angeordneten Ausgrenzung aus dem Gebiet des Kantons
Basel-Landschaft als "unverhältnismässig" erachtete (S. 3 unten des
angefochtenen Entscheides), verletzte er nach dem Gesagten Bundesrecht (Art.
95 BGG).

4.
Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen
Entscheides.

Diesem Verfahrensausgang entsprechend würde der Beschwerdegegner
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es rechtfertigt sich indessen, keine
Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Eine Parteientschädigung ist
nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft (Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht) vom
2. April 2007 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft
(Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht) sowie dem Amt für
Migration Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. November 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: