Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.170/2007
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2C_170/2007 /zga

Urteil vom 21. Januar 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, Karlen, Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Küng.

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
(UVEK), 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

BKW FMB Energie AG, Viktoriaplatz 2, 3000 Bern 25,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Walter Streit,
Gesellschaftsstrasse 27, 3012 Bern.

Art. 65 KEG (Befristung der Betriebsbewilligung des Kernkraftwerkes
Mühleberg),

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Der Bundesrat verlängerte am 28. Oktober 1998 die Betriebsbewilligung für das
Kernkraftwerk Mühleberg bis zum 31. Oktober 2012. Nach dem Erlass des neuen
Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003 (KEG; SR 732.1) ersuchte die
Betreiberin - die BKW FMB Energie AG - den Bundesrat um Aufhebung der
Befristung. Dieser überwies das Gesuch an das Eidgenössische Departement für
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK, im Folgenden: Departement).
Letzteres wies am 13. Juni 2006 das Begehren um Feststellung, dass die
Befristung der Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk Mühleberg
dahingefallen bzw. nichtig sei, ab und trat auf das Eventualbegehren um
Aufhebung der Befristung ohne Durchführung eines Verfahrens nach dem
Kernenergiegesetz nicht ein. Das Bundesverwaltungsgericht wies am 8. März
2007 die Beschwerde, welche die BKW FMB Energie AG gegen die Verfügung des
Departements erhob, mit Bezug auf den Hauptantrag ab. Hingegen hiess es das
Rechtsmittel hinsichtlich des Eventualantrags gut und wies die Sache zur
weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an das Departement zurück.

B.
Das Departement beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, den genannten Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts in dem Umfang aufzuheben, als er das
Eventualbegehren der BKW FMB Energie AG betrifft.

Die BKW FMB Energie AG ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Departement hat sich unaufgefordert zu einer Eintretensfrage geäussert,
welche in der Beschwerdeantwort aufgeworfen wird. Die Beschwerdegegnerin
sowie die Vorinstanz haben Gelegenheit erhalten, dazu Stellung zu nehmen.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt in dem Umfang, in dem es
angefochten wird, einen Rückweisungsentscheid dar. Da dieser das Verfahren
nicht abschliesst, handelt es sich dabei um einen Zwischenentscheid, gegen
den die Beschwerde an das Bundesgericht nur unter den in Art. 93 des
Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) erwähnten Voraussetzungen zulässig
ist. Das zweite in dieser Norm genannte Erfordernis ist offenkundig nicht
erfüllt. Die Gutheissung der Beschwerde würde nicht einen sofortigen
Endentscheid herbeiführen, denn das Departement müsste auch in diesem Fall
näher prüfen, ob die Befristung der Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk
Mühleberg aufzuheben ist. Die Zulässigkeit der Beschwerde hängt demnach davon
ab, ob der angefochtene Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann.

Das Bundesgericht hat vor kurzem näher dargelegt, dass ein
Rückweisungsentscheid mit Blick auf die Verwaltung, die dadurch gezwungen
wird, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu treffen, dieses
Erfordernis erfüllt (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Der Beschwerdeführer
wird durch den angefochtenen Entscheid verpflichtet, die Streitsache nach
Verfahrensregeln weiter zu prüfen, die er für unzutreffend hält. Auch in
dieser Situation ist im Lichte der neuen Rechtsprechung ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil zu bejahen.

1.2 Die Beschwerde an das Bundesgericht ist gemäss Art. 83 lit. n Ziff. 1 BGG
unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet der Kernenergie, die das
Erfordernis einer Freigabe oder der Änderung einer Bewilligung oder Verfügung
betreffen. Diese Ausnahme fand im Rahmen der Neukonzeption des Rechtsschutzes
bei Erlass des Kernenergiegesetzes zunächst Eingang in Art. 100 Abs. 1 lit. u
Ziff. 3 OG und wird jetzt in Art. 83 lit. n Ziff. 1 BGG weitergeführt. Wie
sich aus der vom Beschwerdeführer näher belegten Entstehungsgeschichte
ergibt, bezieht sich der Ausschluss auf die in Art. 65 Abs. 5 lit. b und c
KEG genannten Entscheide. Der Beschwerdeweg an das Bundesgericht wird also
nicht bei Änderungen von kernenergierechtlichen Bewilligungen ausgeschlossen,
sondern nur bei Entscheiden, die sich darüber aussprechen, ob eine bauliche
oder betriebliche Abweichung einer Bewilligungsänderung oder zumindest einer
sogenannten Freigabe im Sinne von Art. 65 Abs. 3 KEG bedarf (in diesem Sinne
auch Hansjörg Seiler, in: Hansjörg Seiler/Nicolas von Werdt/Andreas
Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, Art. 83 N. 89).

Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens bildet die Frage, nach welchen
verfahrensrechtlichen Regeln über das Gesuch der Beschwerdegegnerin, die
Befristung der Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk Mühleberg
aufzuheben, zu befinden ist. Es soll also eine Bestimmung der
Betriebsbewilligung geändert werden, und es sind nicht die Konsequenzen einer
Abweichung von dieser Bewilligung gemäss Art. 65 Abs. 3 KEG zu beurteilen
(vgl. auch die Ausführungen in E. 2). Der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. n
Ziff. 1 BGG findet demnach keine Anwendung.

1.3 Nach Art. 89 Abs. 2 Ziff. 1 BGG ist das Departement grundsätzlich zur
Erhebung einer Beschwerde an das Bundesgericht legitimiert. Ein spezifisches
öffentliches Interesse an der Rechtsmittelerhebung ist nicht erforderlich;
hingegen können dem Bundesgericht lediglich konkrete Rechtsfragen eines
tatsächlich bestehenden Einzelfalls und nicht bloss abstrakte Fragen
unterbreitet werden (BGE 129 II 1 E. 1.1). Die Beschwerdegegnerin weist
darauf hin, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage künftig nicht mehr stellen
wird, da alle anderen Kernkraftwerke ausser jenem von Mühleberg über
unbefristete Betriebsbewilligungen verfügten. Dieser Umstand steht der
Legitimation des Beschwerdeführers nicht entgegen, zumal in Zukunft die Wahl
des einzuschlagenden Verfahrens auch in ähnlich gelagerten Situationen
umstritten sein kann.

1.4 Da auch alle übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, dass Art. 65 KEG auf die von der
Beschwerdegegnerin angestrebte Änderung der Betriebsbewilligung nicht
anwendbar sei. Der Beschwerdeführer hält diese Auslegung für unzutreffend.

2.2 Aus der Entstehungsgeschichte geht hervor, dass der Gesetzgeber für den
Fall, dass der Kernkraftwerkbetreiber nachträglich von der zuvor erteilten
Betriebsbewilligung oder einer weiteren ausdrücklich genannten Bewilligung
abweicht, aus praktischen Gründen nicht immer eine Anpassung derselben
verlangt. Er stellt vielmehr ein dreistufiges System auf: Ist die Abweichung
wesentlich, bedarf es einer Änderung der Bewilligung durch das Departement.
Bei nicht wesentlichen Abweichungen, die jedoch einen Einfluss auf die
nukleare Sicherheit haben können, ist keine formelle Bewilligungsanpassung
nötig, aber eine sogenannte Freigabe durch die Hauptabteilung für die
Sicherheit der Kernanlagen (HSK) beziehungsweise ab dem 1. Januar 2009 das
Eidgenössische Nuklear-Sicherheitsinspektorat (ENSI). Übrige nicht
wesentliche Abweichungen sind ohne zusätzliche behördliche Verfügung
zulässig, aber den Aufsichtsbehörden zu melden (Art. 65 Abs. 2-4 und Art. 70
KEG; Art. 6 der Kernenergieverordnung vom 10. Dezember 2004 [KEV; SR 732.11]
bzw. Art. 2 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2007 über das Eidgenössische
Nuklear-Sicherheitsinspektorat [ENSIG; SR 732.2]). Als wesentliche Abweichung
gilt beispielsweise die Leistungserhöhung, wenn die in der
Betriebsbewilligung genannte Maximalleistung bereits ausgenützt worden ist
(Botschaft des Bundesrats vom 28. Februar 2001 u.a. zu einem
Kernenergiegesetz, BBl 2001 III 2789); als unwesentliche freigabepflichtige
Abweichung sind dagegen Änderungen an sicherheits- oder sicherungstechnisch
klassierten Bauwerken, Anlageteilen, Systemen und Ausrüstungen sowie an
Einrichtungen mit sicherheits- oder sicherungstechnischer Bedeutung
anzusehen, sofern dabei bestehende Sicherheits- und Sicherungsfunktionen
erhalten bleiben oder verbessert werden; ferner gewisse Änderungen am
Reaktorkern und inhaltliche Änderungen bestimmter Dokumente wie
beispielsweise des Notfallreglements (Art. 40 KEV).

2.3 Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, regelt Art. 65 KEG einzig die
Frage, inwieweit Änderungen von Anlagen und Betriebsabläufen eine
entsprechende Anpassung der Bau- oder Betriebsbewilligung erfordern
beziehungsweise inwieweit eine blosse Freigabeverfügung oder eine Meldung an
die Aufsichtsbehörden genügt. Auch der Beschwerdeführer verkennt dies nicht,
ist jedoch der Auffassung, dass auch eine Änderung der Betriebsbewilligung,
die nicht auf bauliche oder betriebliche Vorkehrungen zurückgehe, von Art. 65
Abs. 2 KEG erfasst werde. Für eine solche über den Wortlaut und den Zweck der
genannten Norm hinausreichende Auslegung besteht indessen kein Anlass, zumal
die Anwendung allgemeiner verwaltungsrechtlicher Grundsätze auf den
fraglichen Sachverhalt kaum zu einem anderen Ergebnis führt als dessen
Erfassung durch Art. 65 Abs. 2 KEG (vgl. E. 3). Der Vorwurf, die Vorinstanz
habe diese Norm unrichtig ausgelegt, ist daher unbegründet.

3.
3.1 Nach dem angefochtenen Entscheid hat das Departement das Begehren der
Beschwerdegegnerin nach den Regeln über die Wiedererwägung oder den Widerruf
von Verfügungen zu behandeln. Diese Anweisung steht im Einklang mit der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die einen Anspruch auf Wiedererwägung
oder  Anpassung einer Verfügung insbesondere dann anerkennt, wenn sich die
Verhältnisse seit dem Entscheid erheblich geändert haben (BGE 120 Ib 42
E. 2b).

3.2 Die Beschwerdegegnerin beruft sich zur Begründung ihres Gesuches auf die
neue Rechtslage, die sich mit dem Inkrafttreten des Kernenergiegesetzes
ergebe, und - nach der Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung für
das Kernkraftwerk Beznau II - auf Erwägungen der Gleichbehandlung und der
Verhältnismässigkeit. Einen Anspruch auf Prüfung ihres Begehrens hat die
Beschwerdegegnerin aber auch aufgrund der bisherigen Befristung ihrer
Betriebsbewilligung. Sie kann verlangen, dass - im Blick auf künftige
Investitionen - rechtzeitig vor deren Ablauf über die Zulässigkeit des
Weiterbetriebs ihres Kernkraftwerks entschieden wird.

3.3 Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, dass die Verlängerung einer
Bewilligung oder die Aufhebung von deren Befristung grundsätzlich im gleichen
Verfahren zu erfolgen hat wie die Bewilligungserteilung selber. Er weist
ausserdem zutreffend darauf hin, dass dabei nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung nicht notwendigerweise das ursprüngliche Verfahren
vollumfänglich wiederholt und alle Aspekte neu beurteilt werden müssen (vgl.
BGE 112 Ib 133 E. 1).

Nach Art. 19 KEG ist für die Erteilung von Betriebsbewilligungen nunmehr das
beschwerdeführende Departement und nicht mehr wie früher der Bundesrat
zuständig. Letzterer hat aus diesem Grund das Gesuch der Beschwerdegegnerin
an das Departement zur weiteren Behandlung überwiesen. Dieses ist damit
zuständig, die begehrte Bewilligungsänderung zu beurteilen.

3.4 Die Beschwerdegegnerin wehrt sich gegen die Durchführung eines
vollständigen neuen Betriebsbewilligungsverfahrens, da ein solches angesichts
der vielen zu erbringenden Nachweise und einzureichenden Dokumente äusserst
kostspielig sei. Sie hebt auch hervor, dass der Bundesrat bei der letzten
Verlängerung ihrer Betriebsbewilligung ausgeführt habe, die Aufhebung der
bisherigen Befristung betreffe keinen sicherheitsrelevanten Gesichtspunkt,
weshalb kein neuer Sicherheitsbericht eingeholt und keine weitere
sicherheitstechnische Begutachtung durch die HSK vorgenommen werden müsse.
Weiter macht sie geltend, die seinerzeitige Befristung sei allein aus
politischen Gründen - nämlich aus Rücksichtnahme auf eine Volksabstimmung im
Kanton Bern - erfolgt.
Das beschwerdeführende Departement wird diese Argumente zu prüfen und im
Einzelnen über den Ablauf des Verfahrens zu befinden haben. Der angefochtene
Entscheid beschränkt sich auf die Rückweisung der Sache an das Departement
und macht diesem keinerlei weitere Vorgaben über die Behandlung. Er verletzt
damit kein Bundesrecht.

4.
Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen. Bei
diesem Ausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG).
Hingegen hat das Departement die Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation hat die
Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 21. Januar 2008

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Merkli Küng