Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Staatsrecht 1P.20/2007
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{T 0/2}
1P.20/2007 /ggs

Urteil vom 26. Januar 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Schütz,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach 1233,
8026 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Haftentlassung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 23. Dezember 2006.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt gegen X.________ eine
Strafuntersuchung wegen Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB). Sie
verdächtigt ihn, mindestens zweimal in der Nähe seiner Lebenspartnerin
Y.________ eine Faustfeuerwaffe abgefeuert bzw. an Y.________
vorbeigeschossen zu haben. X.________ wurde am 24. Juni 2006 verhaftet und
befindet sich seither wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft.

Am 21. Dezember 2006 stellte X.________ ein Haftentlassungsgesuch. Die
Staatsanwaltschaft IV beantragte gleichentags, dieses abzulehnen.

Am 23. Dezember 2006 wies der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich das
Haftentlassungsgesuch von X.________ ab.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. Januar 2007 wegen Verletzung der
persönlichen Freiheit, des Fairnessgebots, des rechtlichen Gehörs etc.
beantragt X.________, die Verfügung des Haftrichters aufzuheben. Ausserdem
ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Der Haftrichter verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft
beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
X.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde vollumfänglich fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer hat nach dem 1. Januar 2007 und damit nach dem
Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes (BGG, vom 17. Juni 2005, SR 173.110)
Beschwerde erhoben. Da der angefochtene Entscheid indessen vorher ergangen
ist, richtet sich das Verfahren gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG nach dem bisher
geltenden Bundesrechtspflegegesetz. Der Beschwerderdeführer hat daher zu
Recht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Gegen den kantonal
letztinstanzlichen Haftentscheid ist diese zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdeführer rügt die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten, wozu er
befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen
erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.

1.2 Durch Zeitablauf gegenstandslos geworden ist die Rüge, die im
angefochtenen Entscheid bis zur Schlusseinvernahme vom 25. Januar 2007
angesetzte Sperrfrist für die Einreichung eines neuen Haftentlassungsgesuchs
sei verfassungswidrig. Da die Schlusseinvernahme entgegen den Ausführungen in
der staatsrechtlichen Beschwerde wie vorgesehen an diesem Datum stattgefunden
haben soll, ergeben sich auch keine Auslegungsprobleme, der Beschwerdeführer
ist nach dem angefochtenen Entscheid klarerweise ab dem 26. Januar 2007
wieder berechtigt, ein Haftentlassungsbegehren zu stellen. Zur Zulässigkeit
von derartigen Sperrfristen hat sich das Bundesgericht bereits in BGE 126 I
26 grundsätzlich geäussert, weshalb kein Grund besteht, auf die vorliegende
Rüge trotz des weggefallenen aktuellen Rechtsschutzinteresses einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, sein Akteneinsichtsrecht und damit sein
rechtliches Gehör seien verletzt worden. Er habe am 21. Dezember 2006 die
Staatsanwaltschaft dahingehend informiert, es sei ihm egal, in welche
psychiatrische Klinik er versetzt werde, er habe auch nichts dagegen, bei
andauernder Haft in eine geschlossene Anstalt eingewiesen zu werden; er
wünsche schnellstmöglichst eine stationäre Abklärung, in welcher Klinik und
unter welchem Regime auch immer. Sollte seinem Wunsch nicht entsprochen
werden, stelle er ein Haftentlassungsgesuch.

Auf diese Eingabe hin habe die Staatsanwaltschaft IV offenbar den
Psychiatrisch-Psychologischen Dienst beauftragt, die Hafterstehungsfähigkeit
des Beschwerdeführers abzuklären. Das Ergebnis dieser von Dr. Z.________
durchgeführten Untersuchung - der Beschwerdeführer sei hafterstehungsfähig,
es dränge sich keine Versetzung in eine psychiatrische Anstalt auf - sei in
einer Aktennotiz der Staatsanwaltschaft vom 22. Dezember 2006 festgehalten
worden, welche gleichentags mit dem Antrag, das Haftentlassungsgesuch
abzuweisen, dem Haftrichter zugestellt worden sei. Dieser habe diesen Antrag
der Staatsanwaltschaft ohne Aktennotiz seinem Verteidiger zur Stellungnahme
zukommen lassen, welcher sich daher habe vernehmen lassen müssen, ohne von
deren Existenz zu wissen noch deren Inhalt zu kennen. Da der Haftrichter im
angefochtenen Entscheid ausdrücklich auf diese Aktennotiz abgestellt habe,
stelle dies eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.

2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 und 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede
Verfahrenspartei grundsätzlich Anspruch, von allen dem Gericht eingereichten
Beweisen und Eingaben Kenntnis zu erhalten (BGE 129 I 249 E. 3 S. 253; 122 I
153 E. 6a). Den Gerichten ist es nicht gestattet, einer Partei das
Äusserungsrecht zu eingegangenen Stellungnahmen und Vernehmlassungen der
übrigen Verfahrensparteien, unteren Instanzen und weiteren Stellen
abzuschneiden. Die Partei ist vom Gericht nicht nur über den Eingang dieser
Eingaben zu orientieren; sie muss ausserdem die Möglichkeit zur Replik haben
(BGE 132 I 42 E. 3.3.3 S. 47 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte; zur Veröffentlichung bestimmter
Entscheid 1A.10/2006 vom 14. Dezember 2006, E. 2.1).
2.3 In ihrem Antrag vom 22. Dezember 2006 auf Abweisung des
Haftentlassungsgesuchs erwähnt die Staatsanwaltschaft zwar, dass Dr.
Z.________ den Beschwerdeführer heute untersucht habe und zum Schluss
gekommen sei, er sei hafterstehungsfähig, eine Versetzung in eine
psychiatrische Klinik dränge sich nicht auf. Es findet sich jedoch kein
Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft von Dr. Z.________ über diese
Untersuchung einen einlässlicheren telefonischen Bericht erhalten und darüber
eine Aktennotiz erstellt hat. Die Staatsanwaltschaft, die sich zu diesem
Punkt in ihrer Vernehmlassung ans Bundesgericht einlässlich äussert,
bestreitet weder, dass der Verteidiger beim Verfassen seiner Vernehmlassung
vom 22. Dezember 2006 an den Haftrichter diese Aktennotiz nicht kannte, noch
dass der Haftrichter über sie verfügte, als er den angefochtenen Entscheid
fällte, in welchem er auch auf die Untersuchung von Dr. Z.________ abstellte.
Nach der dargestellten bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat der Haftrichter
damit das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt, indem dessen
Verteidiger keine Gelegenheit geboten wurde, sich zu dieser Aktennotiz zu
äussern; die Rüge ist begründet.

3.
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
angefochtene Entscheid ist aufzuheben, und der Haftrichter wird unter Wahrung
der verfassungsmässigen Gehörsansprüche des Beschwerdeführers mit der
gebotenen Beschleunigung einen neuen Entscheid zu fällen haben. Der
Beschwerdeführer ist - schon mangels eines entsprechenden Antrags - vorläufig
nicht aus der Haft zu entlassen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 OG),
und der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine angemessene
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 OG). Damit wird das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat Rechtsanwalt Thomas Schütz für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'800.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. Januar 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: