Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Klage nach Art. 120 BGG 1E.1/2007
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1E.1/2007 /fun

Urteil vom 8. Juni 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.

A. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Neese,

gegen

Nordostschweizerische Kraftwerke AG (NOK),
Schweizerische Bundesbahnen (SBB), vertreten durch die NOK,
Beschwerdegegnerinnen,
Eidgenössische Schätzungskommission, 9. Kreis, p.A. Dr. Thomas Willi,
Vizepräsident, Sonnenplatz 1, Postfach, 6020 Emmenbrücke 2.

Festsetzung der Entschädigung für den Erwerb von Rechten für den Neubau einer
Gemeinschaftsleitung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Eidgenössischen
Schätzungskommission, 9. Kreis, vom 22. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Das Eidgenössische Starkstrominspektorat genehmigte am 21. April 1997 die ihm
von der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG (NOK) und den Schweizerischen
Bundesbahnen (SBB) vorgelegten Detailprojekte für zwei teilweise gemeinsam
geführte Hochspannungsleitungen (110 kV-Leitung Altgass-Horgen der NOK und
132 kV-Leitung Rotkreuz-Sihlbrugg der SBB). Die gegen die
Plangenehmigungsverfügung erhobenen Rechtsmittel wurden am 29. Mai 2002
letztinstanzlich vom Bundesrat abgewiesen. Das Bundesgericht trat am 19. Juli
2002 auf eine hiergegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein
(Urteil 1A.144/2002).

B.
Mit Eingabe vom 22. Oktober 2003 ersuchten die NOK und die SBB die
Eidgenössische Schätzungskommission, 9. Kreis, um Eröffnung des
Enteignungsverfahrens zum Erwerb der für die Gemeinschaftsleitung benötigten
Rechte, die nicht freihändig erworben werden konnten.

Im Rahmen dieses Verfahrens bewilligte der stellvertretende Präsident der
Schätzungskommission am 19. Januar 2004 die Durchführung eines abgekürzten
Verfahrens und ordnete an, dass die öffentliche Planauflage durch persönliche
Anzeigen ersetzt werde. Das Bundesgericht schützte die Verfügung am 21. April
2004 auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Einwohnergemeinde Baar hin und
wies das Rechtsmittel ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 1E.2/2004).

Gemäss den persönlichen Anzeigen vom 19. Mai 2004 sollen die Liegenschaft Nr.
3041 von A.________ und weitere Parzellen von Dritteigentümern in der
Gemeinde Baar mit Überleitungsservituten und Baurechten für die Erstellung
der Leitungsmasten belastet werden. Die Betroffenen legten gemeinsam
Einsprache gegen die Enteignung ein. Daraufhin ermächtigte das Eidgenössische
Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) die
Elektrizitätsgesellschaften bzw. die NOK mit Entscheid vom 24. November 2005
zur Enteignung der für den Leitungsbau benötigten Rechte. Dabei beschränkte
das UVEK diese Rechte auf die Dauer von 50 Jahren und wies die Einsprache ab.
Das Bundesgericht wies die hiergegen eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Grundeigentümer am 12. April 2006 ab,
soweit es darauf eintrat (Urteil 1E.1/2006).

C.
Die fragliche Hochspannungsleitung überquert das landwirtschaftlich genutzte
Grundstück Nr. 3041 von A.________ auf einer Länge von 228 Metern. Auf der
Grenze zur Parzelle Nr. 1496 soll der Tragmast Nr. 3/66 errichtet werden; zur
Hälfte kommt dieser auf Parzelle Nr. 3041 zu liegen. Der Leitungskorridor
befindet sich an der südöstlichen Grundstücksgrenze und folgt dort einem
Bachlauf. Im nordwestlichen Grundstücksteil liegt der Hof mit Wohngebäude.

Nach Durchführung der Schätzungsverhandlung sprach die Eidgenössische
Schätzungskommission, 9. Kreis, am 22. Dezember 2006 dem Eigentümer von
Parzelle Nr. 3041 für deren Belastung mit dem Überleitungsrecht und dem
Baurecht bezüglich der Hälfte des Tragmastes Nr. 3/66 eine Entschädigung von
insgesamt Fr. 3'230.-- zu. Auf die Begründung des Entscheids wird, soweit
erforderlich, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen.

A. ________ hat den Entscheid der Eidgenössischen Schätzungskommission, 9.
Kreis, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten. Er verlangt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Angelegenheit
an die Vorinstanz. Eventualiter sei vom Bundesgericht eine angemessene
Entschädigung festzusetzen. Ausserdem ersucht er darum, der Beschwerde sei
die aufschiebende Wirkung zu gewähren.

Die Enteignerinnen sprechen sich gegen die Erteilung der aufschiebenden
Wirkung aus und beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Eidgenössische
Schätzungskommission, 9. Kreis, hat Verzicht auf eine Vernehmlassung erklärt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 sind die Bundesgesetze vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG) und über das Bundesverwaltungsgericht (VGG) in Kraft
getreten. Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das
Verfahren in Anwendung von Art. 132 Abs. 1 BGG und Art. 53 Abs. 1 VGG noch
nach dem bisherigen Recht.

Gemäss Art. 77 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Enteignung (EntG; SR 711)
in der bisherigen Fassung vom 18. März 1971 (AS 1972, 904) unterliegen die
Entscheide der Schätzungskommission der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
Bundesgericht. Mit dem Rechtsmittel kann nicht nur Verletzung von Bundesrecht
sowie unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhaltes (Art. 104
lit. a und b OG), sondern - da eine erstinstanzliche Verfügung über
öffentlichrechtliche Entschädigungen angefochten wird - auch Unangemessenheit
gerügt werden (Art. 104 lit. c Ziff. 1 OG).

Dem Bundesgericht steht in Bezug auf den Sachverhalt ebenfalls volle
Prüfungsbefugnis zu; die Entscheide der Schätzungskommissionen können nach
der Rechtsprechung trotz Art. 105 Abs. 2 OG auch in tatsächlicher Hinsicht
frei überprüft werden (BGE 132 II 427 E. 1.2 S. 432 mit Hinweisen).

2.
Zunächst wirft der Beschwerdeführer der Schätzungskommission eine Verletzung
seines Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. Der angefochtene Entscheid stütze
sich auf einen Augenschein, den die Vorinstanz ohne sein Beisein durchgeführt
habe.

Es widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, verfahrensrechtliche
Einwände erst in einem anschliessenden Rechtsmittelverfahren zu erheben, wenn
diese bei rechtzeitiger Geltendmachung noch im vorangehenden Verfahren hätten
behoben werden können (vgl. BGE 127 II 227 E. 1b S. 230 mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer wusste seit der Einigungsverhandlung vom 30. August 2004,
dass die Vorinstanz auf seinem Grundstück nur einen kommissionsinternen
Augenschein durchgeführt hatte. Der Beschwerdeführer liess auch weder im
Rahmen der Schätzungsverhandlung vom 21. August 2006 noch im Nachgang dazu
die Vornahme eines Augenscheins unter Wahrung seiner Parteirechte beantragen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die nachträgliche Kritik an der Durchführung
des umstrittenen Augenscheins als verspätet.

Hinzu kommt, dass ein Augenschein als Beweismittel hier ohnehin entbehrlich
ist. Die Gehörsrüge verfolgt das Anliegen, die Sachverhaltsfeststellung des
angefochtenen Entscheids betreffend die Distanz zwischen Freileitung und Hof
überprüfen zu lassen. Die vom Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen
Verfahren eingereichte Nachmessung ermöglicht insofern eine hinreichende
Überprüfung (vgl. E. 3 und 4, hiernach). Durch die Berücksichtigung dieses
neuen Beweismittels lässt sich der gerügte Verfahrensmangel vorliegend
heilen.

3.
Die Schätzungskommission hat festgestellt, der kürzeste Abstand zwischen der
Leitung und dem Wohnhaus des beschwerdeführerischen Hofs betrage 300 Meter.
Aus der vom Beschwerdeführer eingereichten Nachmessung eines Geometers folgt,
dass die Distanzangabe der Vorinstanz bei weitem zu hoch ist. Die
Beschwerdegegnerinnen räumen ein, dass der entsprechende Einwand des
Beschwerdeführers zutrifft. Wie sich aus der erwähnten Nachmessung ergibt,
misst die kürzeste Distanz von der Achse der Freileitung bis zum Stall
richtigerweise 76,5 Meter und zum Wohnhaus 138,9 Meter. Insofern ist die
Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid zu berichtigen. Hingegen
scheint es sich seinerseits um ein Versehen des Beschwerdeführers zu handeln,
wenn dieser eine Minimaldistanz zum Stall von 79,5 Metern und eine
Maximaldistanz von 138,9 Metern zum Wohnhaus behauptet. Wie sich aus den
folgenden Erwägungen ergibt, spielen die abweichenden Behauptungen des
Beschwerdeführers für die Beurteilung seines Entschädigungsanspruchs keine
wesentliche Rolle.

4.
4.1 Die Schätzungskommission stützte sich bei der Festlegung der Entschädigung
für das Leitungsservitut und das Baurecht betreffend den halben Tragmast auf
Art. 19 EntG. Da es vorliegend um landwirtschaftlich genutzten Boden geht,
richtete sich die Bemessung der Entschädigung nach den Empfehlungen
"Entschädigungsansätze für elektrische Freileitungen", die vom Verband
Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) und vom Schweizerischen
Bauernverband (SBV) gemeinsam herausgegeben worden sind. In Anwendung dieser
Ansätze errechnete die Schätzungskommission eine Entschädigung von insgesamt
Fr. 3'230.--. Im Übrigen verneinte die Vorinstanz das Vorliegen eines
vermögenswerten Nachteils aufgrund der Enteignung.

4.2 Bei den - zusammengefasst wiedergegebenen - Erwägungen hat die
Schätzungskommission die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen angewendet
und die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze
befolgt. Umstritten ist einzig die Frage, ob der geringere Abstand zwischen
der Hochspannungsleitung und dem Hof zur Bejahung eines
entschädigungspflichtigen Minderwerts führt.

4.3 Nach der bundesgerichtlichen Praxis können Wohnhäuser (auch im
Landwirtschaftsgebiet) aufgrund von Immissionen von Hochspannungsleitungen
entwertet werden, selbst wenn keine gesundheitlichen Schädigungen zu
befürchten sind. Ausserdem können Wohnbauten, die sich in unmittelbarer Nähe
einer Hochspannungsleitung befinden, zusammen mit ihrem Umschwung selbst dann
einen Wertverlust erleiden, wenn die Überbaubarkeit nicht behindert wird und
keine Immissionen zu erwarten sind, da sich viele Käufer aus rein
psychologischen Gründen für solche Liegenschaften nicht interessieren (BGE
129 II 420 E. 4.3.1 S. 429 mit Hinweisen; Urteil 1E.3/2003 vom 12. August
2003, E. 3.2.2, in: ZBl 105/2004 S. 613, auch zum Folgenden). Demgegenüber
treten bei Ökonomiegebäuden wie bei anderen Gewerbebauten kaum je solche
Entwertungen ein, weil sich deren Wert im Wesentlichen nach betrieblichen und
wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt.

4.4 Der Beurteilung der Schätzungskommission, dass die Freileitung die
derzeitige und künftige landwirtschaftliche Bewirtschaftung des Grundstücks
nicht beeinträchtigt, ist beizupflichten. Entgegen der Meinung des
Beschwerdeführers kommt es vorliegend für die Frage eines allfälligen
Minderwerts nur auf die Distanz dieser Leitung zu seinem Wohnhaus an.
Letzteres liegt zwar lediglich etwa 130 Meter entfernt (vgl. E. 3). Ein
solcher Abstand erlaubt aber bei einer Leitung der vorliegenden Art den
Schluss, eine entschädigungspflichtige Beeinträchtigung der Wohnqualität sei
nicht gegeben. Unter diesen Umständen besteht auch kein Anlass zur Annahme,
die Liegenschaft erleide aus verkaufspsychologischen Gründen eine
Werteinbusse. Zu Recht führen die Beschwerdegegnerinnen aus, die
unzutreffende Sachverhaltsfeststellung der Schätzungskommission habe im
Ergebnis keinen Einfluss auf die Richtigkeit des Sachentscheids.

4.5 Nach dem Gesagten muss es hier bei einer Entschädigung bleiben, die sich
nach den genannten VSE/SBV-Empfehlungen richtet. Dass diese Richtlinien von
der Schätzungskommission nicht richtig angewendet worden wären, wird nicht
geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.

5.
Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Mit dem
vorliegenden Entscheid wird das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung gegenstandslos. Die bundesgerichtlichen Kosten sind trotz dieses
Ausgangs des Verfahrens, entsprechend der Regel von Art. 116 EntG, den
Beschwerdegegnerinnen aufzuerlegen; diese haben dem Beschwerdeführer zudem
eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Nordostschweizerischen
Kraftwerke AG (NOK) und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) je zur Hälfte
auferlegt; sie haften solidarisch für den ganzen Betrag.

3.
Die Nordostschweizerische Kraftwerke AG (NOK) und die Schweizerischen
Bundesbahnen (SBB) haben dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren unter solidarischer Haftung eine Parteientschädigung von insgesamt
Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Eidgenössischen Schätzungskommission,
9. Kreis, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Juni 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: