Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.74/2007
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1C_74/2007 /fun

Urteil vom 10. September 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn,  vertreten durch das Amt für
öffentliche Sicherheit des Kantons Solothurn, Ambassadorenhof, 4509
Solothurn,
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, Amthaus I, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Führerausweisentzug,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 20. März 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ verursachte am 2. Dezember 2006 mit seinem Personenwagen auf der
Autobahnausfahrt in Oensingen einen Selbstunfall. Wegen dieses Vorfalls
verurteilte ihn die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn mit
Strafverfügung vom 29. Januar 2007 zu einer Busse von Fr. 120.--. Dabei warf
sie ihm die Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG
(SR 741.01) vor; er habe die Geschwindigkeit nicht an die herrschenden
Strassenverhältnisse angepasst und das Fahrzeug nicht beherrscht. X.________
focht die Strafverfügung nach eigenen Angaben nicht an.

B.
Die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Solothurn teilte X.________  mit
Schreiben vom 14. Februar 2007 mit, sie habe wegen des Vorfalls vom
2. Dezember 2006 ein Administrativverfahren eröffnet. Es sei zu prüfen, ob
insofern eine mittelschwere Widerhandlung gegen die
Strassenverkehrsvorschriften vorliege und der Führerausweis zu entziehen sei.
Hiermit erhalte er Gelegenheit zur Wahrung des rechtlichen Gehörs innert
angesetzter Frist.

Daraufhin erschien X.________ am 19. Februar 2007 auf der Amtsstelle. Er gab
den Ausweis freiwillig ab, reichte aber auch eine schriftliche Stellungnahme
ein. Darin führte er aus, der Vorwurf der Nichtbeherrschung des Fahrzeugs
treffe nicht zu. Ausserdem sei zu berücksichtigen, dass er grundsätzlich in
besonderer Weise auf das Fahrzeug angewiesen sei.

Am 28. Februar 2007 verfügte das Departement des Innern des Kantons Solothurn
einen Ausweisentzug von einem Monat. Zeitlich wurde die Dauer, entsprechend
der Hinterlegung des Ausweises, vom 19. Februar bis 18. März 2007
festgesetzt.

C.
X.________ liess durch den inzwischen beigezogenen Anwalt am 12. März 2007
beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde gegen die Verfügung
des kantonalen Departements führen. Das Verwaltungsgericht schrieb die
Beschwerde mit Urteil vom 20. März 2007 zufolge Gegenstandslosigkeit ab.

D.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts gelangt X.________ mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz. Gerügt wird, der Abschreibungsbeschluss
verletze Verfahrensrechte des Beschwerdeführers (Art. 29 Abs. 2 BV bzw.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 24 Abs. 5 SVG).

Das Verwaltungsgericht ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Die Motorfahrzeugkontrolle erklärt namens des kantonalen
Departements Verzicht auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid ist nach Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes
(BGG; SR 173.110) ergangen. Die vorliegende Beschwerde ist danach zu
behandeln (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.1 Gegen den Entzug des Führerausweises in einem strassenverkehrsrechtlichen
Administrativverfahren steht grundsätzlich die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG zur Verfügung.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG). Dabei handelt es sich um einen Endentscheid (Art. 90 BGG).

1.2 Die Vorschriften von Art. 89 Abs. 1 BGG über die Legitimation zur
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten stimmen im Wesentlichen
mit den Voraussetzungen von Art. 24 Abs. 5 SVG bezüglich der
Beschwerdebefugnis des von einer Massnahme Betroffenen im kantonalen
Verfahren überein; die Übereinstimmung bestand bereits bezüglich Art. 103
lit. a des früheren Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die
Organisation der Bundesrechtspflege (vgl. René Schaffhauser, Grundriss des
schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band III: Die
Administrativmassnahmen, Bern 1995, N. 2753 bei Fn. 6). Fraglich ist einzig,
ob der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder
Änderung des angefochtenen Urteils besitzt. Da es dabei jedoch im Ergebnis um
einen Nichteintretensentscheid geht, stellt sich die Frage nach dem Vorliegen
eines schutzwürdigen Interesses im bundesgerichtlichen Verfahren anders als
im kantonalen Verfahren.
Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht vor, es habe seinen
Anspruch auf materielle Überprüfung des Verwaltungsentscheids vereitelt. Mit
der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung
von Parteirechten gerügt werden, deren Missachtung auf eine formelle
Rechtsverweigerung hinausläuft (BGE 133 II 249 E. 1.3.2). Es ist folglich im
Rahmen der vorliegenden materiellen Beurteilung zu prüfen, ob das
Verwaltungsgericht zu Recht auf das kantonale Rechtsmittel nicht eingetreten
ist. Ein schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG an
der Beantwortung dieser Frage ist zu bejahen.

1.3 Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, kann auf die
Beschwerde eingetreten werden.

2.
In der Sache geht es um die Überprüfung, ob das Verwaltungsgericht die in
Art. 24 Abs. 5 SVG verankerte Voraussetzung eines schutzwürdigen
Anfechtungsinteresses richtig angewendet hat.

2.1 Das Verwaltungsgericht hat das Rechtsschutzinteresse einerseits verneint,
weil die Dauer des Ausweisentzugs abgelaufen sei. Damit hat es dem
Beschwerdeführer ein aktuelles Interesse abgesprochen. Das gesetzlich
verlangte schutzwürdige Interesse muss grundsätzlich aktuell sein. Der
angeordnete Ausweisentzug war im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids
bereits vollstreckt. Zu Recht macht der Beschwerdeführer indessen auf das in
Art. 16a ff. SVG verankerte, so genannte Kaskadensystem (vgl. dazu die
bundesrätliche Botschaft vom 31. März 1999, BBl 1999 S. 4462 ff., 4474)
aufmerksam, wonach im Wiederholungsfall eine schärfere Mindestmassnahme
ausgesprochen werden muss. In der Entzugsverfügung vom 28. Februar 2007 wird
denn auch darauf hingewiesen, dass der Entzug nach Eintritt der Rechtskraft
in das Administrativmassnahmenregister (ADMAS) eingetragen wird. Dies
bedeutet eine beträchtliche und dauerhafte Belastung des automobilistischen
Leumunds. Das Verwaltungsgericht hat verkannt, dass der Ablauf der
Entzugsdauer das Weiterbestehen eines aktuellen Interesses nicht
ausschliesst.

2.2 Anderseits hat das Verwaltungsgericht dem Ablauf der Entzugsdauer hier
deshalb eine besondere Bedeutung zugemessen, weil der Beschwerdeführer den
Ausweis angesichts des drohenden Warnungsentzugs freiwillig abgegeben hatte.
Es erwog, die Verwaltungsbehörde habe im Nachhinein bloss die
Mindestentzugsdauer angeordnet; der Beschwerdeführer habe selbst zu
vertreten, dass diese Massnahme bereits vollstreckt sei.
Es trifft zu, dass die Verwaltungsbehörde unter Annahme einer mittelschweren
Widerhandlung die dafür vorgesehene Mindestentzugsdauer von einem Monat (Art.
16b Abs. 2 lit. a SVG) verfügt hatte. Im kantonalen Gerichtsverfahren
bestritt der Beschwerdeführer, dass eine mittelschwere Widerhandlung
vorliege. Ferner führte er aus, er habe den Ausweis ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht abgegeben, weil er ihn im fraglichen Zeitpunkt nicht benötigt
habe.

Es ist im Folgenden zu untersuchen, ob das Verhalten des Beschwerdeführers im
kantonalen Verfahren treuwidrig und damit rechtsmissbräuchlich war, so dass
deswegen ein schutzwürdiges Interesse am kantonalen Rechtsmittel fehlte.

2.3 Nach Art. 32 der Verordnung über die Zulassung von Personen und
Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) in der Fassung vom 28. April
2004 hat die freiwillige Rückgabe des Führerausweises die Wirkung eines
Entzugs. Eine entsprechende Bestimmung enthielt bereits Art. 30 Abs. 3 in der
früheren Fassung dieser Verordnung vom 27. Oktober 1976 (AS 1976 S. 2438).
Wie dies vorliegend geschehen ist, wird die Zeit, während derer der Ausweis
(vorerst freiwillig) hinterlegt ist, auf die Entzugsdauer angerechnet.

Angesichts von Art. 32 VZV ist der freiwilligen Hinterlegung des Ausweises im
Rahmen des hängigen Administrativverfahrens die Rechtswirkung eines
vorweggenommenen Entzugs beizulegen. Der Beschwerdeführer geht fehl, wenn er
das Gegenteil beansprucht; es kann keine Rolle spielen, ob er den Ausweis nur
unter Vorbehalten bzw. ohne Anerkennung einer Rechtspflicht abgab. Die
nachträgliche Anfechtung des nur im Minimalumfang ausgesprochenen
Warnungsentzugs erscheint in dieser Perspektive als widersprüchlich.

2.4 Immerhin gilt es zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen
des behördlichen Informationsschreibens vom 14. Februar 2007 nur summarisch
über die Begründung für den ins Auge gefassten Ausweisentzug orientiert
wurde. Dieses Schreiben nahm nicht einmal konkret Bezug auf das
Strafverfahren. Objektiv betrachtet lag es nicht auf der Hand, ob es im Fall
des Beschwerdeführers zu einem Entzug kommen würde. Wenn er als juristischer
Laie dessen ungeachtet den Ausweis freiwillig hinterlegte und hinterher,
unter Beizug eines Anwalts, die Anordnung eines minimalen Ausweisentzugs
anfocht, gereicht ihm dies vorliegend nicht zum Vorwurf. Damit erweist sich
die Ergreifung der kantonalen Beschwerde gegen die Entzugsverfügung nicht als
treuwidrig.

2.5 Insgesamt hat das Verwaltungsgericht somit zu Unrecht ein schutzwürdiges
Interesse an der Überprüfung der Rechtmässigkeit der Entzugsverfügung
verneint. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens erübrigt sich eine Befassung mit den weiteren
Ausführungen des Beschwerdeführers.

3.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher
gutzuheissen. Auf die Erhebung von Gerichtskosten ist zu verzichten (Art. 66
Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdeführer steht eine angemessene Parteientschädigung
zu (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 20. März 2007 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer
Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement des Innern und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. September 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: