Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.54/2007
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1C_54/2007 /fun

Urteil vom 6. November 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Standeskommission des Kantons Appenzell Innerrhoden, Marktgasse 2, 9050
Appenzell,
Justiz-, Polizei- und Militärdepartement des Kantons Appenzell Innerrhoden,
Marktgasse 2, 9050 Appenzell,
Kantonsgericht Appenzell Innerrhoden, Abteilung Verwaltungsgericht, Unteres
Ziel 20, 9050 Appenzell.

Rechtsverweigerung,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Bescheid des
Kantonsgerichts Appenzell Innerrhoden, Abteilung Verwaltungsgericht, vom
6. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 20. Oktober 2005 erliess das Justiz-, Polizei- und Militärdepartement des
Kantons Appenzell I.Rh. zwei Parkverbote auf privatem Grund:
Parkieren verboten (Signal 2.50) mit Zusatztafel "Ausgenommen Kunden und
Mitarbeiter der Weishaupt AG", sowie dem Zusatzsignal "Parkieren Samstag und
Sonntag gestattet" (Signal 4.17) auf dem Privatparkplatz der Weishaupt AG
beim Sportplatz, Zielstrasse 36, 9050 Appenzell.
Parkieren verboten (Signal 2.50) mit Zusatztafel "Ausgenommen Kunden und
Mitarbeiter der Weishaupt AG oder mit Bewilligung", sowie dem Zusatzsignal
"Parkieren Samstag und Sonntag gestattet" (Signal 4.17) auf dem
Privatparkplatz bei Betrieb Nord der Weishaupt AG, Unteres Ziel 12, 9050
Appenzell.
Gegen beide Anordnungen erhob X.________ Rekurs bei der Standeskommission des
Kantons Appenzell I.Rh. Der Rekurs wurde gemeinsam mit weiteren Rekursen
behandelt und mit Entscheid vom 4. April 2006 abgewiesen.

Dagegen erhob X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit Bescheid vom 6.
Februar 2007 schrieb das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. das Verfahren infolge
Gegenstandslosigkeit teilweise ab, weil der Bezirk Appenzell das Baugesuch
für den einen Parkplatz (Zielstrasse 36) zurückgezogen habe. Soweit sich der
Beschwerdeführer gegen den anderen Parkplatz (Unteres Ziel 12) wende, sei auf
die Beschwerde nicht einzutreten.

B.
Mit Eingaben vom 28. März 2007 und vom 5. Mai 2007 führt X.________
Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt im Wesentlichen, der Bescheid
des Kantonsgerichts vom 6. Februar 2007 sei vollständig - eventualiter bloss
teilweise - aufzuheben. In seinen Eingaben rügt der Beschwerdeführer in der
Hauptsache eine formelle Rechtsverweigerung, da das Kantonsgericht auf seine
Beschwerde gegen das verbliebene Parkierverbot (Unteres Ziel 12) nicht
eingetreten ist. Er rügt im übrigen Verletzungen der Ausstandsvorschriften
beim Entscheid der Standeskommission vom 4. April 2006 und jenem des
Kantonsgerichts vom 6. Februar 2007 sowie eine fehlerhafte Zusammensetzung
des Spruchkörpers des Kantonsgerichts. Schliesslich wendet er sich gegen den
kantonalen Kostenentscheid.
In ihren Vernehmlassungen beantragen die Standeskommission und das
Kantonsgericht die Abweisung der Beschwerde. Das Justiz-, Polizei- und
Militärdepartement hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Der
Beschwerdeführer hat sich dazu mit verschiedenen Eingaben geäussert.

Mit Schreiben vom 14. August 2007 hat sich das Kantonsgericht zur Frage eines
allfälligen Sitzungsprotokolls vom 6. Februar 2007 geäussert.

C.
Mit Schreiben vom 23. August 2007 und 1. Oktober 2007 hat die Ratskanzlei des
Kantons Appenzell I.Rh. dem Bundesgericht mitgeteilt, dass das im Streite
liegende Parkierungsregime zurückgenommen werde. Der mitgeteilte Beschluss
des Justiz-, Polizei- und Militärdepartements vom 24. September 2007
bezeichnet jedoch nicht die verbliebene Verkehrsanordnung Unteres Ziel 12,
sondern jene an der Zielstrasse 36, die bereits im kantonalen Verfahren
aufgehoben wurde.

Mit Eingabe vom 13. September 2007 ersuchte der Beschwerdeführer um Prüfung,
ob das Verfahren zu Lasten des Bezirksrats Appenzell abgeschrieben werden
könne.

Auf Rückfrage des Bundesgerichts teilte die Ratskanzlei mit Schreiben vom 30.
Oktober 2007 mit, dass die Verkehrsanordnung im Unteren Ziel 12 noch nicht
aufgehoben worden sei. Der Vorsteher des Justiz-, Polizei- und
Militärdepartements werde in etwa 14 Tagen entscheiden, ob sie aufzuheben sei
oder nicht.

D.
Mit Urteil 1P.76/2007 vom 21. Juni 2007 wies das Bundesgericht eine
staatsrechtliche Beschwerde von X.________ gegen ein Urteil des
Kantonsgerichts vom 3. Oktober 2006 betreffend Nichteröffnung eines
Strafverfahrens ab. X.________ hatte am 14. Juli 2006 gegen den Vorsteher des
Justiz-, Polizei- und Militärdepartements Strafanzeige erstattet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Letztinstanzliche kantonale Entscheide über sog. funktionelle
Verkehrsanordnungen im Sinne von Art. 3 Abs. 4 SVG können mit Beschwerde beim
Bundesgericht angefochten werden. Der Beschwerdeweg an den Bundesrat wurde
per 1. Januar 2003 aufgehoben (AS 2002, 2767). Mit Einführung des neuen
Verfahrensrechts per 1. Januar 2007 wurde der Rechtsmittelhinweis in Art. 3
Abs. 4 SVG gestrichen (AS 2006, 2267), jedoch ohne damit die Zuständigkeit
des Bundesgerichts ausschliessen zu wollen (Botschaft zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001, 4449).

1.2 Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über
das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG, SR 173.110) anwendbar (siehe
Art. 132 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a BGG) einer letzten
kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) unter Ausschluss der
Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 33 lit. i VGG e contrario).
Eine Ausnahme gemäss Art. 83 BGG liegt nicht vor.

1.3 Der Beschwerdeführer empfing den angefochtenen Bescheid am 23. März 2007.
Die Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) stand an Ostern still (Art. 46 Abs.
1 lit. a BGG) und endete am 7. Mai 2007. Beide Eingaben des Beschwerdeführers
vom 28. März 2007 und 5. Mai 2007 erfolgten rechtzeitig.

2.
Die Frage, ob das Kantonsgericht auf die Beschwerde gegen die
Verkehrsanordnung Unteres Ziel 12 hätte eintreten müssen, muss in jedem Fall
beantwortet werden, auch dann, wenn die Verkehrsanordnung inzwischen
aufgehoben worden wäre. Denn der Beschwerdeführer hätte ein schutzwürdiges
Interesse an der Prüfung der Kostenauflage infolge Nichteintreten (Art. 89
Abs. 1 lit. c BGG, vgl. BGE 128 II 34 E. 1b S. 36), und dazu müsste die
Zulässigkeit des Nichteintretensentscheids als Vorfrage behandelt werden.
Eine Abschreibung des bundesgerichtlichen Verfahrens infolge
Gegenstandslosigkeit fiele also auch dann ausser Betracht, wenn die
Verkehrsanordnung inzwischen aufgehoben worden wäre.

Die Mitteilung der Ratskanzlei vom 30. Oktober 2007, wonach die
Verkehrsanordnung Unteres Ziel 12 noch in Kraft stehe, bedeutet, dass die
Rüge, das Kantonsgericht habe die Verkehrsanordnung zu unrecht nicht
materiell geprüft (angefochtenes Urteil, Dispositiv-Ziffer 4), nicht
Vorfrage, sondern Hauptfrage dieses Urteils ist. Auch hier bleibt die Prüfung
jedoch auf die Rechtsverweigerung beschränkt; das Bundesgericht hat sich
nicht dazu zu äussern, ob die Verkehrsanordnung Unteres Ziel 12 rechtmässig
ist.

3.
Nach Ansicht des Kantonsgerichts war der Beschwerdeführer nicht zur
Beschwerde gegen die Verkehrsanordnung Unteres Ziel 12 legitimiert. Ihm fehle
ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des Entscheids der
Standeskommission, bzw. er habe sein Interesse im Verfahren ungenügend
dargelegt (substanziiert). Der Beschwerdeführer rügt diesbezüglich eine
Verletzung des Verbots der Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV).

3.1 Gemäss Art. 7 lit. a des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 25. April 1999
des Kantons Appenzell I.Rh. (VerwGG/AI) ist zur kantonalen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene
Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
oder Änderung hat.

Nach der Praxis des früher für Beschwerden gemäss Art. 3 Abs. 4 SVG
zuständigen Bundesrates kommt das Beschwerderecht namentlich den Bewohnern
einer von einer Verkehrsanordnung betroffenen Strasse zu, ferner Anwohnern
anderer Strassen, die wegen Verkehrsverlagerungen Nachteile erleiden könnten.
Schliesslich sind zur Beschwerde Personen berechtigt, die die von der
Beschränkung berührte Strasse mehr oder weniger regelmässig benützen
(Entscheid des Bundesrates vom 31. Januar 1990, in: VPB 54/1990 Nr. 42 E. 2
S. 264, mit Hinweisen).

3.2 Der Beschwerdeführer ist Stockwerkeigentümer des Hauses Z.________. Er
hat vor Kantonsgericht behauptet, im "Appenzeller Volksfreund" vom 9. August
2005 sei von der Schaffung zusätzlicher unentgeltlicher Parkplätze für das
Wochenende und die Feiertage die Rede. Dies führe an den bisher stillen
Wochenendtagen zu einer Nutzungsintensivierung in unmittelbarer Nähe des
Hauses Z.________ und zu einer Mehrbelastung der Zielstrasse (Beschwerde vom
19. Mai 2006, Seiten 3 f., 10).

3.3 Die Adresse des Hauses Z.________ stimmt mit jener der Verkehrsanordnung
gemäss öffentlicher Publikation überein. Ferner ergibt sich aus dem
Situationsplan der Gemeinde Appenzell (Beschwerdebeilage und kantonale
Akten), dass die Parzelle 2137, auf der sich das Haus Z.________ befindet, an
den Parkplatz Unteres Ziel 12 angrenzt. Der Beschwerdeführer ist als Nachbar
dieses Parkplatzes stärker als jedermann von allfälligen Auswirkungen der
Verkehrsanordnung betroffen und steht in einer besonderen, beachtenswerten
Beziehung zur Streitsache. Da nicht auszuschliessen ist, dass durch die Tafel
"Parkieren Samstag und Sonntag gestattet" am Wochenende Mehrverkehr entsteht,
erscheint es glaubhaft, dass der Beschwerdeführer durch die Verkehrsanordnung
einen Nachteil erleiden kann. Indem das Kantonsgericht auf die Beschwerde
nicht eingetreten ist, wurde dem Beschwerdeführer das Recht verweigert. Die
Rüge ist begründet. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben, soweit
Nichteintreten beschlossen und infolgedessen Kosten gesprochen wurden
(Dispositiv-Ziffern 4 und 5).

4.
Mit Dispositiv-Ziffer 6 wies das Kantonsgericht das Gesuch des
Beschwerdeführers um Zusprechung einer ausseramtlichen Entschädigung ab. Zur
Begründung wurde sinngemäss ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in eigener
Sache prozessiert und einen unverhältnismässigen Aufwand betrieben.

4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, zur Beibringung der Beweise
betreffend den Parkplatz Süd (Zielstrasse 36) seien ihm erhebliche Umtriebe
entstanden. Er habe dadurch erreicht dass dieser Parkplatz wieder abgebrochen
und die Streitsache durch das Kantonsgericht abgeschrieben worden sei. Er
rügt eine willkürliche Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts.

4.2 Willkürlich ist ein Entscheid nur, wenn er mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft, und er zudem auch im Ergebnis unhaltbar
ist (BGE 131 I 467 E. 3.1 S. 473 f.; 129 I 8 E. 2.1 S. 9, je mit Hinweisen).

4.3 Gemäss Art. 38 Abs. 1 VerwGG/AI werden ausseramtliche Kosten entschädigt,
soweit sie aufgrund der Sach- oder Rechtslage als notwendig oder angemessen
erscheinen. Es liegt nach dem Wortlaut dieser Bestimmung im Ermessen des
Gerichts, zu entscheiden, ob überhaupt eine ausseramtliche Entschädigung
zuzusprechen ist. Das Bundesgericht greift hier nur zurückhaltend ein. Zudem
ist nach der Praxis zu Parteientschädigungen im bundesgerichtlichen Verfahren
dem anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer grundsätzlich keine
Parteientschädigung auszurichten (hiernach E. 5). Die Verweigerung der
ausseramtlichen Entschädigung durch das Kantonsgericht ist haltbar, und die
Willkürrüge daher unbegründet. In diesem Punkt ist die Beschwerde abzuweisen.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen, und die
Dispositiv-Ziffern 4 und 5 des angefochtenen Entscheids sind aufzuheben. Im
Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Bei diesem Ausgang sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
BGG). Einer anwaltlich nicht vertretenen Partei ist nach der Praxis
grundsätzlich keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 BGG; BGE
133 III 439 E. 4 S. 446; 115 Ia 12 E. 5 S. 21). Besondere Verhältnisse für
die Entschädigung weiterer Kosten liegen nicht vor (Art. 1 lit. b und Art. 11
Reglement des Bundesgerichts über die Parteientschädigung vom 31. März 2006,
SR 173.110.210.3).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, und die Dispositiv-Ziffern 4 und
5 des Bescheids des Kantonsgerichts Appenzell Innerrhoden, Abteilung
Verwaltungsgericht, vom 6. Februar 2007 werden aufgehoben. In dieser Hinsicht
wird die Sache zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht zurückgewiesen.

2.
Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben und keine
Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Standeskommission, dem Justiz-,
Polizei- und Militärdepartement des Kantons Appenzell Innerrhoden und dem
Kantonsgericht Appenzell Innerrhoden, Abteilung Verwaltungsgericht,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. November 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: