Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.4/2007
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1C_4/2007 /daa

Urteil vom 4. September 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Galligani,

gegen

Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern,
Postfach 162, 6000 Luzern 4,
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche Abteilung,
Obergrundstrasse 46,
6002 Luzern.

Führerausweisentzug,

Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 4. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ überschritt am 5. Juni 2005 mit seinem Personenwagen auf der
Autobahn A1 die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 45 km/h (nach Abzug der
Sicherheitsmarge von 7 km/h).

Mit Strafmandat vom 1. September 2005 verurteilte ihn die a.o.
Untersuchungsrichterin des Untersuchungsrichteramtes II Emmental-Oberaargau
in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG (grobe Verkehrsregelverletzung) zu 20
Tagen Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren, und Fr.
1'000.-- Busse.

Da X.________ gegen das Strafmandat verspätet Einsprache erhoben hatte,
erwuchs es in Rechtskraft.

Mit Verfügung vom 18. Juli 2006 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons
Luzern in Anwendung von Art. 16c Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a SVG
X.________ den Führerausweis für die Dauer von 3 Monaten.

Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies der Einzelrichter des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern am 4. Januar 2007 ab.

B.
X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, den Entscheid des Einzelrichters aufzuheben; es sei nach
Berücksichtigung aller Begleit- und Folgeumstände von einem
Führerausweisentzug abzusehen; eventualiter sei die Dauer des
Führerausweisentzuges von vier (recte: drei) auf zwei Monate zu verkürzen.

C.
Der Einzelrichter hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Er beantragt unter
Hinweis auf seinen Entscheid die Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesamt für Strassen beantragt unter Hinweis auf die seines Erachtens
zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid die Abweisung der
Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat den angefochtenen Entscheid nach dem 1. Januar 2007
gefällt. Gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG ist daher dieses Gesetz anwendbar.

Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen solchen in
Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher nach Art. 82 lit. a BGG
gegeben (vgl. Urteile 1C_60/2007 vom 6. August 2007 E. 1.1; 1C_99/2007 vom
13. Juli 2007 E. 2; 1C_44/2007 vom 11. Juli 2007 E. 2). Der vorliegende Fall
betrifft kein Gebiet, bei dem gemäss Art. 83 BGG die Beschwerde unzulässig
ist.

Die Vorinstanz hat als letzte kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde
ist nach Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG zulässig.

Der Beschwerdeführer hat vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen. Er ist
vom angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges
Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Der Beschwerdeführer ist daher
nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt.

Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet die Überschreitung der
Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h nicht.

Nach der Rechtsprechung begeht derjenige, der auf der Autobahn die zulässige
Höchstgeschwindigkeit um 35 km/h und mehr überschreitet, ungeachtet der
konkreten Umstände eine schwere Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG
(BGE 132 II 234 E. 3 S. 237 ff.; 124 II 475 E. 2a S. 477; 123 II 106 E. 2c S.
113, mit Hinweisen).

Die kantonalen Instanzen haben somit zu Recht einen Entzugsgrund nach Art.
16c Abs. 1 lit. a SVG angenommen.

2.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen substantiiert auch nichts vor. Er
macht jedoch - wie bereits vor den kantonalen Instanzen - geltend, es habe
für ihn im Tatzeitpunkt eine gesundheitliche Notsituation bestanden. Er habe
an einer schweren Durchfallerkrankung gelitten. Mit der Überschreitung der
Höchstgeschwindigkeit habe er bezweckt, möglichst rasch eine Toilette
aufzusuchen.

In der Sache beruft er sich damit auf Notstand gemäss Art. 17 f. StGB. Diese
Bestimmungen sind bei einem Warnungsentzug wie hier sinngemäss anwendbar
(vgl. Urteile 6A.28/2003 vom 11. Juli 2003 E. 2.2; 6A.58/1992 vom 16.
November 1992 E. 4a).

Auf Notstand kann sich berufen, wer in Rechtsgüter unbeteiligter Dritter
eingreift, weil nur so mindestens gleichwertige eigene oder fremde
Rechtsgüter aus einer akuten Gefahr gerettet werden können (vgl. Stefan
Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich
1997, Art. 34 StGB N. 1; Kurt Seelmann, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.],
Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, 2003, Art. 34 StGB N. 1 und 10).

Nach der Rechtsprechung ist bei einer erheblichen
Geschwindigkeitsüberschreitung wie hier Notstand nur mit grosser
Zurückhaltung anzunehmen (BGE 116 IV 364 E. 1a S. 366; Urteile 6A.28/2003 vom
11. Juli 2003 E. 2.2; 6A.58/1992 vom 16. November 1992 E. 4b). Eine massive
Geschwindigkeitsüberschreitung dürfte höchstens dann durch Notstand bzw.
Notstandshilfe gerechtfertigt sein, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter
wie Leib, Leben und Gesundheit von Menschen in Frage steht. Selbst in solchen
Fällen ist Zurückhaltung geboten; denn bei massiven
Geschwindigkeitsüberschreitungen ist die konkrete Gefährdung einer
unbestimmten Zahl von Menschen möglich, die sich oft nur zufällig nicht
verwirklicht (BGE 116 IV 364 E. 1a S. 366). In Betracht kommt die Annahme
eines Notstandes bzw. einer Notstandshilfe insbesondere in Fällen, in denen
ein Fahrzeuglenker jemanden, der schwer wiegende Krankheitssymptome aufweist,
möglichst schnell ins Spital bringen muss; oder wenn der Fahrzeuglenker
gegebenenfalls selber an einer lebensbedrohlichen gesundheitlichen
Beeinträchtigung leidet, die ein unverzügliches Aufsuchen des Spitals
erforderlich macht (vgl. BGE 106 IV 1). In solchen Fällen stehen Leib und
Leben auf dem Spiel.

So verhält es sich im hier zu beurteilenden Fall nicht. Zwar war der
Beschwerdeführer in einer unangenehmen Situation. Dies rechtfertigte jedoch
nicht die massive Geschwindigkeitsüberschreitung. Denn damit setzte er die
übrigen Verkehrsteilnehmer einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben aus.
Geschwindigkeitsüberschreitungen sind eine der Hauptursachen für schwere
Unfälle. Das Interesse der übrigen Verkehrsteilnehmer, sicher am
Strassenverkehr teilnehmen zu können, ist höher zu gewichten als das genannte
Interesse des Beschwerdeführers. Notstand ist daher zu verneinen. Die
Erwägungen der Vorinstanz dazu (S. 5 f. E. 3c) sind bundesrechtlich nicht zu
beanstanden.

Der Führerausweis ist dem Beschwerdeführer danach gestützt auf Art. 16c Abs.
1 lit. a SVG zu entziehen.

3.
3.1 Gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG wird bei einer schweren Widerhandlung
wie hier der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen.

Bei der Festsetzung der Dauer des Führerausweisentzuges sind gemäss Art. 16
Abs. 3 SVG die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich die
Gefährdung der Verkehrsteilnehmer, das Verschulden, der Leumund als
Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu
führen. Die Mindesentzugsdauer darf jedoch nicht unterschritten werden.

Eine Unterschreitung der Mindesentzugsdauer ist selbst bei Personen
ausgeschlossen, die beruflich auf den Führerausweis angewiesen sind (BGE 132
II 234 E. 2.3 S. 236 f.).
3.2 Die kantonalen Instanzen haben die Dauer des Führerausweisentzuges auf
das gesetzliche Mindestmass von drei Monaten festgesetzt, nicht - wie der
Beschwerdeführer irrtümlich darlegt - auf vier Monate. Das Mindestmass von
drei Monaten durften sie nach dem Gesagten nicht unterschreiten. Soweit der
Beschwerdeführer vorbringt, mit dem Entzug des Führerausweises werde seine
berufliche Existenz gefährdet, ist die Beschwerde daher unbehelflich.

4.
Sie ist abzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Strassen,
Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. September 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: