Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.452/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C_452/2007

Urteil vom 22. April 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Haag.

Parteien
Sunrise Communications AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin
Claudia Steiger,

gegen

1. X.________,
2. Ehepaar Y._________,
3. Ehepaar Z.________,
Beschwerdegegner,
Einwohnergemeinde Muri, Baupolizeibehörde, Thunstrasse 74, 3074 Muri b. Bern,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse
11, 3011 Bern.

Gegenstand
Neuerstellung Mobilfunkanlage; Zonenkonformität,

Beschwerde gegen das Urteil vom 12. November 2007 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung.

Sachverhalt:

A.
Die TDC Switzerland AG (heute Sunrise Communications AG) stellte am 8. März
2005 bei der Einwohnergemeinde Muri ein Baugesuch für die Errichtung einer
Mobilfunkanlage auf Parzelle Nr. 2163 in Muri. Das Grundstück steht im Eigentum
des Kantons Bern und liegt innerhalb der Baulinien der Nationalstrasse N6. Im
Zonenplan der Einwohnergemeinde Muri ist sie als weisse Fläche dargestellt. Am
18. August 2005 verweigerte die Gemeinde die Baubewilligung ohne vorgängige
öffentliche Bekanntmachung. Auf Beschwerde der TDC hin hob die Bau-, Verkehrs-
und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) am 30. November 2005 den
Bauabschlag auf und wies die Sache zur Fortsetzung des
Baubewilligungsverfahrens an die Einwohnergemeinde Muri zurück.

Am 11. Januar 2006 forderte die Einwohnergemeinde Muri die TDC auf, für das
Vorhaben ein Ausnahmegesuch für das Bauen ausserhalb der Bauzone einzureichen.
Die TDC teilte daraufhin der Gemeinde mit, das Bauvorhaben sei ihres Erachtens
zonenkonform, weshalb keine Ausnahmebewilligung erforderlich sei. Sie verlangte
die umgehende Publikation des Baugesuchs. Die Einwohnergemeinde Muri holte beim
kantonalen Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) einen Fachbericht ein, in
welchem ein Ausnahmebewilligungsverfahren im Sinne von Art. 24 des
Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG,
SR 700) als notwendig bezeichnet wurde. Trotz erneuter Aufforderung durch die
Einwohnergemeinde Muri reichte die TDC kein Ausnahmegesuch für die
Mobilfunkanlage ein. Gegen das in der Folge publizierte Baugesuch gingen
zahlreiche Einsprachen ein. In einem Amtsbericht vom 13. Februar 2006
beantragte das kantonale Amt für Berner Wirtschaft (beco) die Genehmigung der
Anlage. Mit Gesamtentscheid vom 1. Juni 2006 verweigerte die Einwohnergemeinde
Muri die Baubewilligung. Eine dagegen von der TDC erhobene Beschwerde wies die
BVE mit Entscheid vom 25. September 2006 ab.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
beantragte die TDC im Wesentlichen, der Entscheid der BVE vom 25. September
2006 sei aufzuheben und die Baubewilligung sei zu erteilen. Das
Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 12. November 2007 ab. Es
kam zum Schluss, dass der geplante Standort der Mobilfunkantenne nicht zur
Bauzone gehöre, weshalb eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 24 RPG
erforderlich sei. Da die Beschwerdeführerin kein entsprechendes Ausnahmegesuch
eingereicht habe, habe die BVE zu Recht auf eine Prüfung der Voraussetzungen
einer Ausnahmebewilligung verzichtet.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. Dezember 2007
beantragt die Sunrise Communications AG insbesondere, das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 12. November 2007 sei aufzuheben. Es sei festzustellen,
dass das Bauvorhaben zonenkonform sei. Eventualiter sei festzustellen, dass
eine Ausnahmebewilligung erteilt werden könne. Soweit das Bundesgericht über
die Einordnungsfrage nicht reformatorisch entscheiden könne, sei die
Angelegenheit zur Beurteilung der Einordnung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Verwaltungsgericht und die BVE beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die
privaten Beschwerdegegner stellen den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden könne. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) hat
auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Entscheid über eine Mobilfunkanlage, welcher der Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (Art. 82 ff. BGG; BGE 133
II 409 E. 1.1 S. 411). Die Beschwerdeführerin ist als Baugesuchstellerin und
vor der Vorinstanz unterlegene Partei zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1
BGG, BGE 133 II 249 E. 1.3 S. 252 f.). Auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen weiteren
Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten.

1.2 Soweit die Anträge der Beschwerdeführerin über den Streitgegenstand des
vorinstanzlichen Verfahrens hinausgehen, kann auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden. Die Beschwerdeführerin stellt unter anderem das
Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass eine Ausnahmebewilligung erteilt
werden kann. Sie hat im kommunalen Baubewilligungsverfahren ausdrücklich darauf
verzichtet, ein Ausnahmegesuch nach Art. 24 RPG einzureichen und dargelegt, das
Vorhaben befinde sich innerhalb des Siedlungsgebiets und bedürfe keiner
Ausnahmebewilligung. Streitgegenstand vor der Vorinstanz war somit die Frage,
ob die Anlage im ordentlichen Baubewilligungsverfahren bewilligt werden könne.
Ob die Voraussetzungen einer Ausnahmebewilligung erfüllt sind, haben die
Vorinstanzen nicht geprüft, weshalb diese Frage auch nicht Gegenstand des
bundesgerichtlichen Verfahrens bilden kann. Auf den entsprechenden Antrag ist
somit nicht einzutreten. Aufgrund der Rügen der Beschwerdeführerin ist hingegen
unter anderem zu beurteilen, ob die Prüfung der Voraussetzungen einer
Ausnahmebewilligung zu Recht unterblieb.

2.
Aus den Akten des vorliegenden Verfahrens ergibt sich, dass der Standort der
umstrittenen Mobilfunkanlage innerhalb der Baulinien der Nationalstrasse N6 im
Kurvenradius der Autobahnausfahrt Muri liegt und als sog. "Infield" von
Strassen eingeschlossen ist. Im kommunalen Zonenplan ist die Parzelle als
weisse Fläche dargestellt und keiner Zone zugeordnet. Nach der Legende zum
Zonenplan handelt es sich bei den weissen Flächen um Bahnareal, Strassen und
ungezontes Land.

Das Verwaltungsgericht hält im angefochtenen Entscheid zunächst fest, dass
Mobilfunkantennen und dazugehörende Anlagen nicht zu den Nebenanlagen von
Nationalstrassen zählen (Art. 6 des Bundesgesetzes vom 8. März 1960 über die
Nationalstrassen [NSG, SR 725.11] i.V.m. Art. 3 der Verordnung vom 18. Dezember
1995 über die Nationalstrassen [NSV, SR 725.111]). Die umstrittene Anlage
unterliege daher nicht dem Plangenehmigungsverfahren nach Art. 26 ff. NSG. Art.
24 Abs. 1 NSG behalte für Bauten innerhalb der Baulinien, die nicht Bestandteil
der Nationalstrasse seien, strengere Bestimmungen des kantonalen Rechts
ausdrücklich vor. Somit sei das entsprechende kantonale Bau- und Planungsrecht
anwendbar.

Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen diese Ausführungen der Vorinstanz
sind nicht überzeugend. Aus dem Umstand, dass die Nationalstrassengesetzgebung
Mobilfunkantennen innerhalb der Baulinien nicht verbietet, kann im Hinblick auf
Art. 24 Abs. 1 NSG gerade nicht geschlossen werden, das kantonale Bau- und
Planungsrecht komme nicht zum Zuge (vgl. auch BGE 133 II 49 E. 6.1 S. 55). Das
kantonale Bau- und Planungsrecht ist im Übrigen geeignet, den Interessen der
Mobilfunkbetreiber angemessen Rechnung zu tragen (vgl. BGE 133 II 49, 64, 321,
353 und 409).

3.
Somit ist zu prüfen, ob die umstrittene Anlage im ordentlichen
Baubewilligungsverfahren bewilligt werden kann oder ob eine Ausnahmebewilligung
im Sinne von Art. 24 RPG erforderlich ist.

3.1 Eine ordentliche Baubewilligung kann erteilt werden, wenn die Anlage dem
Zweck der Nutzungszone entspricht (Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG). Die Parzelle,
auf welcher die Mobilfunkantenne errichtet werden soll, ist nach dem kommunalen
Nutzungsplan keiner Nutzungszone zugeordnet, sondern als Teil des
Nationalstrassenareals als weisse Fläche dargestellt. Das Verwaltungsgericht
bezeichnet die Parzelle als "ungezonte Fläche". Ihre Zugehörigkeit zum Bau-
oder Nichtbaugebiet ist aufgrund objektiver Kriterien zu beurteilen, wobei eine
parzellenübergreifende, gebietsbezogene Sichtweise massgebend ist (Urteil des
Bundesgerichts 1A.140/2003 vom 18. März 2004, in: ZBl 107/2006 S. 193 E. 2.5).

3.2 Aus dem Zonenplan der Einwohnergemeinde Muri ergibt sich deutlich, dass die
Grenze zwischen dem Siedlungsgebiet und dem ländlichen Raum am südlichen
Ortsende von Muri durch die Achse Eichholzweg - Thunstrasse (Strassenbrücke
über die N 6) - Feldstrasse gebildet wird. Das südlich dieser Achse gelegene
Gebiet durften die Vorinstanzen ohne Bundesrechtsverletzung zum Nichtbaugebiet
zählen. Die als Antennenstandort vorgesehene Parzelle Nr. 2163 ist ein nicht
überbauter Teil der an das Baugebiet angrenzenden Autobahnausfahrt. Auch wenn
dieser Teil in unmittelbarer Nähe der Bauzonen von Muri liegt, kann er nicht
dem Baugebiet zugerechnet werden. Dass die Grünfläche auf Parzelle Nr. 2163
wegen ihrer Lage an der Autobahnausfahrt nicht landwirtschaftlich genutzt wird,
ändert an ihrer Zugehörigkeit zum Nichtsiedlungsgebiet nichts. Der von der
Beschwerdeführerin verlangte Einbezug der Parzelle Nr. 2163 in das Baugebiet
würde der im Zonenplan vorgenommenen Abgrenzung widersprechen. Die Darstellung
im Zonenplan als weisse Fläche gibt die Tatsache wieder, dass das Grundstück
Teil des Autobahnanschlusses Muri ist, welcher wegen seiner Lage ausserhalb des
Siedlungsgebiets wie erwähnt nicht als Baugebiet zu behandeln ist. Insoweit ist
die hier bestehende Situation nicht mit dem in ZBl 107/2006 S. 193
wiedergegebenen Urteil 1A.140/2003 betreffend das Bahnareal SBB Rothenburg Dorf
vergleichbar, in welchem das als weisse Fläche dargestellte Bahnareal bereits
selbst baulich genutzt wurde und zudem grossmehrheitlich von Wohnzonen W3 und
W4 umgeben war. Auch der Umstand, dass die Einwohnergemeinde Muri am östlichen
Rand der Autobahn N6 bei der Ausfahrt Muri eine kleine Zone mit Planungspflicht
"Tannental II" ausgeschieden hat, führt zu keiner anderen Beurteilung des hier
umstrittenen Standorts für die Mobilfunkanlage.

3.3 Es ergibt sich, dass die geplante Anlage auf der Parzelle Nr. 2163
ausserhalb des Siedlungsgebiets errichtet werden soll und somit nicht als
zonenkonform bewilligt werden kann. In Frage kommen kann eine
Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG (BGE 133 II 321 E. 4.3.3 S. 325 f., 409 E.
4 S. 417 ff., je mit weiteren Hinweisen). Die Beschwerdeführerin lehnte es im
Baubewilligungsverfahren trotz entsprechender Aufforderung durch die
zuständigen Behörden ausdrücklich ab, ein Ausnahmegesuch einzureichen. Ein
solches Ausnahmegesuch ist jedoch nach Art. 34 Abs. 2 des kantonalen
Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG) Voraussetzung für eine entsprechende
Publikation und Prüfung im Baubewilligungsverfahren. Die Beschwerdeführerin hat
mit ihrem prozessualen Verhalten selbst dazu beigetragen, dass die Prüfung des
Vorhabens nach Art. 24 RPG unterblieb. Daran ändert auch der Grundsatz der
Rechtsanwendung von Amtes wegen nichts, und der Vorwurf des überspitzten
Formalismus geht ebenso fehl. Im Rahmen der Veröffentlichung eines Baugesuchs
muss auf die für ein Vorhaben beanspruchten Ausnahmen hingewiesen werden (BGE
120 II 48 E. 2b S. 52, 379 E. 3d S. 384; Art. 26 Abs. 3 lit. e des kantonalen
Baubewilligungsdekrets vom 22. März 1994). Der angefochtene Entscheid ist auch
in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden. Ob die Voraussetzungen einer
Ausnahmebewilligung erfüllt sind, ist wie erwähnt (E. 1.2 hiervor) nicht
Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens. Ein allfälliges
Ausnahmebewilligungsgesuch der Beschwerdeführerin wird unter Berücksichtigung
der Erwägungen in BGE 133 II 321 E. 4.3.3 S. 325 ff. zu beurteilen sein. Nach
diesem Entscheid des Bundesgerichts werden bei Mobilfunkanlagen an die
Standortgebundenheit im Sinne von Art. 24 lit. a RPG keine hohen Anforderungen
gestellt, wenn dafür bereits bestehende Bauten und Anlagen genutzt werden und
damit keine erhebliche zusätzliche Zweckentfremdung von Nichtbauland verbunden
ist. Zu weiteren Ausführungen zur Einordnungsfrage besteht zurzeit kein Anlass.

4.
Es ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Den anwaltlich nicht
vertretenen privaten Beschwerdegegnern sowie kommunalen und kantonalen Behörden
ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Muri, der Bau-,
Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Raumentwicklung
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. April 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Haag