Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.356/2007
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1C_356/2007

Urteil vom 26. November 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph
Storrer,

gegen

Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern, Beschwerdegegner.

Auslieferung an Kroatien,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer,
vom 4. Oktober 2007.
Sachverhalt:

A.
Am 25. November 2003 verurteilte das Gemeindegericht Sisak (Kroatien)
X.________ im Abwesenheitsverfahren wegen mehrfachen Diebstahls zu 20 Monaten
Gefängnis. Er soll in den Jahren 1999 und 2000 zusammen mit einem Mittäter in
Kroatien Einbruchdiebstähle begangen haben.

Am 19. November 2004 ersuchte Interpol Zagreb um Verhaftung von X.________.

Am 20. März 2007 wurde er aufgrund einer nationalen Ripol-Ausschreibung am
Grenzübergang von Boncourt/JU festgenommen und dem Kanton Schaffhausen
zugeführt, wo er in Untersuchungshaft versetzt wurde. Am gleichen Tag
bestätigte Interpol Zagreb die Gültigkeit der kroatischen Fahndung, worauf
das Bundesamt für Justiz am 21. März 2007 die provisorische Auslieferungshaft
anordnete.

Nachdem das schweizerische Strafverfahren gegen X.________ mangels Beweisen
eingestellt und die Untersuchungshaft aufgehoben worden war, ordnete das
Bundesamt am 30. März 2007 seine Versetzung in Auslieferungshaft an. Die von
X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht am 4. Mai
2007 ab.

Am 3. April 2007 ersuchte Kroatien die Schweiz formell um Auslieferung von
X.________.

Anlässlich seiner Einvernahme vom 18. April 2007 sowie in seiner
Stellungnahme vom 3. Mai 2007 widersetzte sich dieser der Auslieferung. Er
machte geltend, das gegen ihn geführte Strafverfahren sei politisch
begründet.

Am 11. Mai 2007 stellte er ein Asylgesuch beim Bundesamt für Migration,
welches darauf am 12. Juli 2007 nicht eintrat. Die von X.________ dagegen
erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht am 20. September 2007
gut. Es hob die Verfügung des Bundesamtes für Migration auf und wies das
Verfahren zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen an dieses zurück.

B.
Am 20. Juni 2007 bewilligte das Bundesamt für Justiz die Auslieferung von
X.________ für die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Straftaten;
dies unter Vorbehalt des Entscheids des Bundesstrafgerichts über die Einrede
des politischen Delikts bzw. der politischen Verfolgung und unter Vorbehalt
eines rechtskräftigen ablehnenden Asylentscheids.

Gleichentags ersuchte das Bundesamt für Justiz das Bundesstrafgericht um
Abweisung der Einrede des politischen Delikts bzw. der politischen
Verfolgung.

C.
Am 24. Juli 2007 erhob X.________ beim Bundesstrafgericht Beschwerde gegen
den Auslieferungsentscheid des Bundesamtes.

D.
Am 4. Oktober 2007 wies das Bundesstrafgericht (II. Beschwerdekammer) die
Einrede des politischen Delikts ab. Es hiess die Beschwerde teilweise gut und
ergänzte den Auslieferungsentscheid des Bundesamtes wie folgt:
Der Vollzug der Auslieferung wird von der Bedingung abhängig gemacht, dass
das kroatische Justizministerium folgende förmliche Zusicherung abgibt:
"X.________ wird das Recht zugesichert, frühestens ab dem Zeitpunkt seiner
Auslieferung an Kroatien innert der Frist eines Jahres mit Bezug auf das
Urteil des Gemeindegerichts Sisak vom 25. November 2003 ein neues
Gerichtsverfahren zu verlangen, worin die durch EMRK und UNO-Pakt II
garantierten Rechte gewährleistet werden."
Im Übrigen wies das Bundesstrafgericht die Beschwerde ab. Es wies das
Bundesamt für Justiz an, der zuständigen kroatischen Behörde nach Erhalt des
bundesstrafgerichtlichen Entscheids umgehend eine Frist von maximal 30 Tagen
für die Abgabe der vorgenannten förmlichen Garantieerklärung anzusetzen. Das
akzessorische Haftentlassungsgesuch wies das Bundesstrafgericht ab.

E.
X.________ erhebt beim Bundesgericht "Beschwerde" mit dem Antrag, es sei in
Aufhebung des bundesstrafgerichtlichen Entscheids und des
Auslieferungsentscheids des Bundesamtes das kroatische Auslieferungsersuchen
abzuweisen; er sei aus der Auslieferungshaft zu entlassen; die
Verfahrenskosten inklusive Kosten der unentgeltlichen Vertretung seien auf
die Bundeskasse zu nehmen; es sei ihm für das Verfahren vor Bundesgericht die
unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Vertretung zu gewähren;
es sei in Anwendung von Art. 43 BGG zunächst über die Zulässigkeit der
Beschwerde zu entscheiden und dem Beschwerdeführer anschliessend eine
angemessene Frist (von mindestens 30 Tagen) zur ergänzenden
Beschwerdebegründung einzuräumen; der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu
gewähren.

F.
Das Bundesstrafgericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Das Bundesamt für Justiz hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, auf die
Beschwerde sei nicht einzutreten; das Haftentlassungsgesuch sei abzuweisen.
Das Bundesamt ist der Auffassung, es fehle am Eintretenserfordernis des
besonders bedeutenden Falles.

G.
X.________ hat eine Replik eingereicht. Er hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn
er unter anderem eine Auslieferung betrifft und es sich um einen besonders
bedeutenden Fall handelt (Abs. 1). Ein besonders bedeutender Fall liegt
insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare
Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland
schwere Mängel aufweist (Abs. 2).

Art. 84 BGG bezweckt die starke Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (BGE 133 IV 131 E. 3
S. 132; 133 IV 132 E. 1.3 S. 134). Bei der Beantwortung der Frage, ob ein
besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter
Ermessensspielraum zu (Urteil 1C_138/2007 vom 17. Juli 2007 E. 2.1, mit
Hinweis).

Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Rechtsschrift in
gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt.
Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein besonders
bedeutender Fall nach Artikel 84 vorliegt, so ist auszuführen, warum diese
Voraussetzung erfüllt ist.

Erachtet das Bundesgericht eine Beschwerde auf dem Gebiet der internationalen
Rechtshilfe in Strafsachen als unzulässig, so fällt es gemäss Art. 107 Abs. 3
BGG den Nichteintretensentscheid innert 15 Tagen seit Abschluss eines
allfälligen Schriftenwechsels.
Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über
Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall
vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder
teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3).

2.
2.1 Im vorliegenden Fall geht es um eine Auslieferung und damit um ein
Sachgebiet, bei dem gemäss Art. 84 Abs. 1 BGG die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten möglich ist. Es stellt sich die Frage,
ob ein besonders bedeutender Fall gegeben sei.

2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, im kroatischen Strafverfahren seien
elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden. Die Verurteilung wegen
mehrfachen Diebstahls sei lediglich vorgeschoben. In Wahrheit sei er aus
politischen Gründen verurteilt worden.

Das Gemeindegericht Sisak hat den Beschwerdeführer im Abwesenheitsverfahren
verurteilt. Die Vorinstanz hat die Auslieferung in Anwendung von Art. 3 Ziff.
1 des zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen
(SR 0.353.12) von der förmlichen Zusicherung des kroatischen
Justizministeriums abhängig gemacht, dass der Beschwerdeführer das Recht
haben wird, frühestens ab dem Zeitpunkt seiner Auslieferung innert der Frist
eines Jahres ein neues Gerichtsverfahren zu verlangen, worin die durch die
EMRK und den UNO-Pakt II garantierten Rechte gewährleistet werden. Am 25.
Oktober 2007 hat das kroatische Justizministerium diese Zusicherung abgegeben
(act. 91). Aufgrund des völkerrechtlichen Vertrauensprinzips darf erwartet
werden, dass sich die kroatischen Behörden an diese Zusicherung halten
werden. Inwiefern bei dieser Sachlage das Verfahren in Kroatien schwere
Mängel aufweisen soll, ist nicht ersichtlich.

Die Vorinstanz hat sich (E. 4) eingehend mit der Frage der politischen
Verfolgung auseinandergesetzt. Sie ist zum Schluss gekommen, der
Beschwerdeführer habe eine derzeitige Verfolgung aus rassischen, nationalen
oder politischen Gründen nicht konkret und glaubhaft aufgezeigt. Was die
Vorinstanz dazu ausführt, stützt sich auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung, auf die zurückzukommen kein Anlass besteht.
Der Beschwerdeführer verweist auf das Asylverfahren. Das Bundesamt für
Migration trat mit Verfügung vom 12. Juli 2007 auf das Asylgesuch des
Beschwerdeführers in Anwendung von Art. 33 Abs. 1 des Asylgesetzes vom 26.
Juni 1998 (SR 142.31) nicht ein. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das
Bundesverwaltungsgericht am 20. September 2007 gut; es hob die Verfügung des
Bundesamtes für Migration auf und wies die Sache zum neuen Entscheid im Sinne
der Erwägungen an dieses zurück. Das Bundesverwaltungsgericht befand, die
Hinweise des Beschwerdeführers auf eine Verfolgung erwiesen sich nicht auf
den ersten Blick ("prima facie") als haltlos, weshalb auf sein Asylgesuch
einzutreten sei. Die Frage der Flüchtlingseigenschaft und der Asylgewährung
hatte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu prüfen. Das Bundesamt für
Migration wird sich nun also materiell mit der Sache zu befassen haben.
Sollte es die politische Verfolgung des Beschwerdeführers - gegebenenfalls
gestützt auf weitere Beweismittel - abweichend von der Vorinstanz bejahen und
dem Beschwerdeführer Asyl gewähren, würde er nicht ausgeliefert; denn die
Bewilligung der Auslieferung steht nach dem insoweit von der Vorinstanz
bestätigten Auslieferungsentscheid des Bundesamtes für Justiz unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt, dass das Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen wird.

Das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers verlangt unter diesen
Umständen nicht, dass das Bundesgericht die vorliegende Beschwerde an die
Hand nimmt. Die besondere Bedeutung des Falles ist zu verneinen.

3.
Der Beschwerdeführer beantragt die Entlassung aus der Auslieferungshaft. Die
Vorinstanz hat die Haftentlassung abgelehnt. Der Beschwerdeführer kann den
angefochtenen Entscheid auch insoweit nicht voraussetzungslos ans
Bundesgericht weiterziehen. Über die Auslieferungshaft entscheidet die
Vorinstanz ebenfalls grundsätzlich abschliessend. Die Beschwerde an das
Bundesgericht ist auch insoweit nur zulässig, wenn es um einen besonders
bedeutenden Fall nach Art. 84 BGG geht, was der Beschwerdeführer gemäss Art.
42 Abs. 2 BGG darzutun hat (Urteil 1C_313/2007 vom 4. Oktober 2007 E. 1; vgl.
auch BGE 133 IV 215 E. 1.2 S. 217).

Der Beschwerdeführer legt mit keinem Wort dar und es ist auch nicht ohne
weiteres ersichtlich, inwiefern in Bezug auf die Auslieferungshaft ein
besonders bedeutender Fall gegeben sein soll. Deshalb kann auch im
vorliegenden Punkt auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

Gemäss Art. 50 Abs. 3 Satz 2 IRSG kann der Verfolgte jederzeit ein
Haftentlassungsgesuch einreichen. Dem Beschwerdeführer steht es somit frei,
beim Bundesamt für Justiz um seine Haftentlassung zu ersuchen (vgl. Robert
Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 2.
Aufl., Bern 2004, S. 210 N. 197).

4.
Auf die Beschwerde kann danach nicht eingetreten werden.

Das Gesuch um Einräumung einer Frist zur Ergänzung der Beschwerdebegründung
nach Art. 43 BGG ist damit hinfällig.

Mit dem vorliegenden Entscheid braucht auch über das Gesuch um aufschiebende
Wirkung nicht mehr befunden zu werden. Die Beschwerde hatte im Übrigen
ohnehin von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung (Art. 21 Abs. 4 lit. a
IRSG).

Da die Beschwerde aussichtslos war, kann das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. Von
der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist allerdings auszugehen. Auf die
Erhebung von Kosten wird daher verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, II.
Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. November 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri